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Maria war zwar sehr hellsehend in gewöhnlichen Dingen; dennoch war sie ein wenig abergläubisch und zwar, weil ihr Gemüth eine durch die Kunst genährte poetische Mährchenwelt, eine glühende Romantik in sich schloß, welche eben wieder durch das Erwachen ihrer Jugendliebe vollste Nahrung und Kraft empfangen hatte. Deshalb konnte sie, von ihrer Phantasie hingerissen, nicht zur Ungläubigkeit kommen; ja diesen Nachrichten gegenüber hatte sie, als der Kurfürst geschieden war, keinen andern Gedanken, als den: „Möchte ich doch nur drei Zeilen von Gabriels Hand besitzen, damit Fra Giuseppe mir sagen könnte, was der Unglückliche jetzt denkt und wie in ferner Heimath, im Grabe der Lebendigen, sein Herz für die Tochter Medicis empfindet!“ Sie ruhte wirklich nicht eher, bis Giuseppe wieder bei ihr erschienen war.

Maria Anna, reizend gekleidet, den italienischen Schleier in den herrlichen, tiefbraunen Locken, das Auge flammend vor Erwartung und Glut, empfing dennoch den Pater sehr gemessen und kaltblütig. Um ihre Fassung bei dem Gespräch, welches sie beabsichtigte, nicht zu verlieren, nahm sie eine prachtvolle römische Laute, stimmte sie und schlug Accorde an, während der Pater sich neben ihr niederließ und mit der ruhigsten, sanftmüthigsten Miene von der Welt seine Erzählung von dem unglücklichen Gabriel begann. So wie Giuseppe indeß mit der Schilderung des Seelenzustandes seines jungen Freundes vorschritt, ward er wärmer und tröpfelte die den Rest des Friedens in Marias Brust vergiftende, ihr ganzes Innere in Aufruhr bringende Kunde mit solcher Kunst ihr ein, daß die Kurprinzessin mit einem verwirrten, flehenden Blicke, ihre bisherige Haltung fast vollkommen verlierend, zurücksank.

– Gnade, mein Pater! flüsterte sie halb bewußtlos. Schweig; ich bin nicht im Stande, Eurer Erzählung weiter zu folgen . . . Ewiger Gott . . . Lebe ich noch, nachdem ich diese Martern eines Jünglingsherzens vernommen, von denen ich die – ach nicht unschuldige – Ursache war? . . . Seht mich an, Abbate Giuseppe, und sagt mir’s, – verschweigt mir es nicht, ich bin eine Mörderin!

Giuseppe warf sich in höchster Aufregung vor der Prinzessin nieder.

– Gnade für mich, Altezza! brachte er hervor. Verzeihung für mein Wagniß . . . Was soll ich’s verhehlen? Ihr hörtet Ricci’s Geschichte! Bin ich zu verdammen, daß ich Mitleid mit Gabriel empfand? Daß ich den Armen von Buona Solasso unter Mühen und Gefahren hierher führte, in die Nähe des hehren Sternes, der allein ihm Licht und Leben giebt? Mit einem Worte, Gabriel ist dem Tode entronnen, er ist durch meine Hülfe dem Grabe des Trappistenklosters entflohen und harrt, bei unsern mitleidigen Freunden, den Jesuiten versteckt, auf ein einziges Wort von Euch, das ihm ferner Lebenshoffnung gäbe!

Die Kurfürstin war in Wahrheit niedergeschmettert[WS 1]; versteinert. Mit süßem Schmerze hatte sie dasjenige, was ihr ferne war, in ihrer Brust wach gerufen; sie hatte ein Recht, diese vorübergegangene Zeit in ihrer Erinnerung nicht sterben zu lassen; kein Gesetz und keine Pflicht mochten ihr das liebevolle Andenken an einen Todten verwehren. Mit der Eröffnung des Guérinets aber war Maria wie durch ein Blitzlicht über die Abgründe, welche sich auf ihrem Wege befanden, aufgeklärt. Heute war die Kurfürstin nicht im Stande, einen Beschluß zu fassen. Sie entließ den Italiener kurz, fast abstoßend. In ihre innersten Closets zog sich die edle Dame zurück, um den hinterlistig abgeschnellten Pfeil, welcher das Herz der Arglosen durchbohrte,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: niedergeschmettet
Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/255&oldid=- (Version vom 1.8.2018)