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Reformationen der Familie der Caracci gegenüber den Manieristen hervorgerufen wurde. Cignani, in der graziösen Anlage seiner Zeichnungen stets den Correggio als Vorbild vor Augen habend, verleugnet dennoch nicht das Merkmal der Schule, welcher er angehört, er ringt, gleich dem Annibale und Agosthino Caracci, gleich seinem Lehrer Albani, aber mit mehr Erfolg als der Letztere, nach einem Charakteristischen seiner Gegenstände, und dies Charakteristische ist nicht etwa wie beim Correggio die Schöpfung einer übergewaltigen Phantasie, sondern diejenige des besonnenen Verstandes. Cignani wird daher seine Bewunderer wohl durch seine schönen Gestalten, durch sein klares und lebendiges Colorit sanft ergötzen; aber dieselben nicht, wie der Correggio es vermag, mit poetischer, idealer Gewalt in das Reich empfindungsreicher Phantasten fortreißen. Der Gegenstand dieses Gemäldes ist hinreichend bekannt, Cignani hat die Scene auf eine zarte Weise behandelt, die uns einen harmonischen, ruhigen Eindruck giebt. Hier ist kaum das Wesen einer leidenschaftlichen Gluth zu fühlen, wie dieselbe uns mit bezauberndem Athem aus den Werken Tizians entgegenströmt, und fast möchten wir dem bologneser Meister seiner rein ästhetischen Auffassung, seiner verständigen Charakteristik wegen für die Abwesenheit des heiß-sinnlichen Elementes Dank sagen. Von gleicher Schönheit, wie auf diesem Bilde, zeigen sich die Formen und die Gewänder bei seinen andern Arbeiten. Einige seiner vollendetsten Leistungen befinden sich als Frescogemälde im Palaste Farnese und zu St. Michael in Bologna; ferner zu St. Madonna del fuoco zu Forli. Die Himmelfahrt der Maria in diesem letzten Tempel ist nach Composition und Ausführung vielleicht Cignani’s bestes Werk.

Der Meister, 1666 geboren, starb 1719 und zwar zu Forli, in der Mitte seiner Schüler. Cignani, obwohl mit Eifer als Director der Malerakademie zu Bologna wirkend, konnte dennoch den immer rascheren Verfall der Kunst nicht aufhalten.




Gang Christi nach Golgatha.
Von Paul Veronese.

Das Sanftrührende, welches Veronese mit einer so großen Kunst in die Erscheinung treten lassen kann, ist diesem Bilde in hohem Grade eigen. Die Art, wie Veronese den Christus aufgefaßt hat, entscheidet den Charakter dieses Gemäldes nicht allein, sondern ist auch für die Richtung des Meisters bezeichnend. Durch keine majestätische Größe wird der Beschauer von dem Dulder geschieden, welcher unter der Last des Kreuzes niedergesunken ist. Es ist nicht der Gottmensch, der hier kniet, dessen tiefste Erniedrigung – noch immer unendlich über unsre gebrechliche Erdennatur erhaben – uns ebensowohl geistig niederdrücken, als gewaltsam ergreifen und erschüttern würde. Das Lamm leidet hier, schwerlich aber dürften wir sagen: Veronese hat hier das Lamm gemalt, „welches der Welt Sünden trägt.“ Des Menschen Sohn blickt uns aus dem Bilde entgegen, der sanftmüthige und von Herzen demüthige Märtyrer für die

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Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/278&oldid=- (Version vom 1.8.2018)