Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/315

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

erworben, forderte er eine kurze Zeit das Glück an den Farotischen des liederlichen jungen Manfredi heraus, welcher beiläufig einer der ersten Familien Venedigs angehörte. Sie standen frei zwischen den colossalen Granitsäulen, welche das Bild des Marcuslöwen und des heiligen Theodor tragen. Dann nahm eine Gondel das jugendliche glückliche Paar auf, die seidenen Vorhänge an den Fenstern wurden gelüftet, die Mandoline des Gondoliers ertönte unter den kunstfertigen Fingern Tizian’s und seine schöne Stimme trillerte einen Bolero, den er selbst gedichtet und componirt hatte, durch die Nacht. Der Gondolier trieb in raschem Fluge sein Fahrzeug den offenen Lagunen zu.

Plötzlich schrie dieser so laut, daß Tizian mit Singen innehielt und lauschend die Thür des Hüttchens öffnete.

Bestia! schrie Beppo am Schnabel der Gondel, sein Ruder drohend hoch emporhebend. Nur eine Handbreit fehlte und Dein verrosteter Kasten hätte mein schönes Schiff in Grund gejagt. Die Pest über Dich und über alle Nicoletti’s und mein Ruder auf Deinen Schädel, wenn Du nicht abhältst und mir Platz machst.

Der so schmeichelhaft Angeredete machte indeß keine Bewegung, um seine Gondel, welche sich quer vor diejenige Tizian’s gelegt hatte, fortzuschieben, und aus dem Innern des fremden Fahrzeuges ertönte eine laute Stimme:

– Untersteh’ Dir nicht, Anselmo, die Segel vor irgend Jemand, außer vor dem Dogen oder der Rathsgondel zu streichen, rathe ich Dir. Dieser ausgesuchte Esel drüben hat, denke ich, Platz hinreichend um Dir auszuweichen.

Si, Signor Pordenone! rief Anselmo und setzte sein Ruder ein, um seine Gondel gegen die Beppo’s zu treiben.

Tizian stand jetzt neben seinem Gondolier.

– Pordenone? fragte er mit erregtem Tone.

– Er selbst! antwortete dieser und trat vor die Hütte.

– Ah! Beppo, rief Tizian, laß Deine Aufmerksamkeiten gegen Deinen Kameraden da ruhen . . . Eure Herren haben ein Wort mit einander zu reden. He! Pordenone! Hast Du die Absicht, hier in den Lagunen meinen Gesang zu kritisiren, wie Du meine Bilder kritisirst? Hüte Dich, daß Dein Grimm auf mich nicht lächerlich wird. Anlage dazu hat er bereits; denn er ist boshaft und ohnmächtig wie der eines Affen.

Pordenone, leicht gereizt, ließ seinen Feind nicht ausreden.

– Affe? schrie er fast. Affe? Ich habe nichts vom Affen, aber Du bist ein ganzer. Die ganze Welt hat’s eingesehen, daß Du Rafael’s Affe in Deinen heiligen Conversazioni bist, und Giorgione’s Affe in allen Deinen Portraits, und . . .

– Und? fragte Tizian, vor Zorn an allen Gliedern bebend.

Corpo de Christo! Und mein Affe im Styl! schloß Pordenone.

– Nicht auch im Colorit? fragte Tizian schneidend, seine Ruhe der Wuth seines Gegners gegenüber wieder gewinnend. Du bist am Ende gar so gütig, zu behaupten, daß der Affe Tizian eigentlich nichts weniger verstehe als malen . . . Versteht er’s aber auch nicht, wie ich doch vermuthe: so versichere ich Dich, Bursch, daß er dafür desto besser fechten gelernt hat. Du wirst morgen früh an Deinem eigenen, genialen Körper die Probe davon machen.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/315&oldid=- (Version vom 1.8.2018)