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– Ah! Endlich! murrte Pordenone. Ich danke Dir! Also bist Du doch ein Mann und kein Feiger! Gute Nacht! Morgen um fünf Uhr auf der Piazetta! Aber ohne daß Du etwa den Löwen im Dogenpalaste etwas zu fressen giebst.

– Du bist elend, wenn Du glaubst, ich könnte die Gerichte benachrichtigen . . . rief Tizian und wandte sich indignirt ab. Vorwärts, Beppo!

Die Gondel flog fort. Giuditta, die stumme Zeugin dieser Unterhaltung, warf sich weinend in Tizian’s Arme und beschwor ihn, von dem Gedanken an den Zweikampf mit Pordenone abzustehen. Der Meister blieb unerschütterlich: sein erbitterter Feind sollte gezüchtigt werden, oder er wollte nicht leben. Er ließ sich nach seiner Wohnung fahren, und inmitten der leidenschaftlichen Klagen und Bitten seiner Geliebten schickte er sich ruhig an, seine Angelegenheiten für den Fall seines Todes zu ordnen. Er schrieb an seine alte Mutter in Friaul, gab Andreas di Foscari Nachricht von seiner Lage und verfiel dann in schweigsames Brüten.

Als Giuditta sah, daß Tizian unempfindlich gegen ihre Bitten blieb, zog sie ihre Halblarve hervor und nahm den Mantel mit aller Heftigkeit und Unzugänglichkeit eines beleidigten, liebenden Weibes um die Schultern.

– Du gehst? fragte Vecellio einigermaßen betroffen. Du verläßt mich in dem Augenblicke, wo ich Dir theurer als je sein sollte?

Signora Farsani schien einen Moment lang unentschlossen; dann aber faltete sie auf finstere Weise ihre prächtigen Augenbrauen und eilte mit einer solchen Geschwindigkeit die schmalen Treppen im Hause des Malers hinab, daß dieser schon unten die Thür schließen hörte, bevor er noch die Hälfte der Stufen hinabgestiegen war. Höchst unmuthig kehrte er in seine Zimmer zurück, um eine schlaflose Nacht zuzubringen und mit aller Heftigkeit es zu empfinden, daß der Mensch nie mehr das Bedürfniß fühlt, an einem liebenden Herzen zu ruhen, als wenn er im Begriffe steht, ernsten Gefahren sich entgegenzuwerfen und dem Tode zu trotzen.

Giuditta dagegen lief mit aller Schnelligkeit, deren sie fähig war, durch die krummen, gewundenen Gäßchen Venedigs. Oft wenn das einsame Mädchen in einen dieser finstern Schlupfgänge trat, wo zwischen den Granitmauern alter Paläste kaum drei Menschen neben einander gehen konnten, zauderte sie in einer Anwandlung von Grausen; denn wie oft war an diesen Orten der mörderische Stoß eines Bravo geführt, wie oft war an diesen, wie zu blutigen Abenteuern geschaffenen Plätzen von der Degenklinge eines beleidigten Nobili das Blut seines Feindes vergossen.

– Tiziano! flüsterte dann die bebende Giuditta, und dies eine Wort schien sie mit wunderbarer Kraft zu beleben. Es galt, ihn, den Geliebten nicht allein, sondern den ersten Künstler Venedigs zu retten, dessen Schöpfungen Niemand enthusiastischer bewunderte, als eben die Tochter der zwar armen, aber kunstsinnigen Farsani. Giuditta schien bei diesem tiefempfundenen Gedanken keine Furcht weiter zu kennen. Vor einer Maccaronibude angekommen, deren Inhaber hinter seiner traurig brennenden Lampe in süßen Schlaf versunken war, redete sie den Nudelnkünstler an und bat, sein Licht eine Minute benutzen zu dürfen.

– Kaufen? fragte der Mann schlaftrunken.

– Nein!

– Dann hab’ ich auch kein Licht.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/316&oldid=- (Version vom 1.8.2018)