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Giuditta legte ihm eine kleine Geldmünze zwischen seine Pfannen und Töpfe.

Gràn spirito! murmelte der Händler vergnügt und fachte sein Licht heller an.

Giuditta sah sich forschend um, ob sie unbelauscht sei, riß ein Blättchen aus ihrer Schreibtafel und schrieb mit einem Stift rasch einige Zeilen darauf. Dann eilte sie dem Dogenpalaste zu. Schweigend und majestätisch lag die mächtige Treppe desselben vor ihr da. Sie zitterte so heftig und war so kraftlos, daß sie nur mit Anstrengung die weißblinkenden Stufen erstieg. Hier war Alles leer und still. Taktmäßig hörte man nur in den innern Vorhallen des Palastes den schweren Schritt der Wache haltenden Partisanenträger, vom Echo wiedergegeben, erschallen. Von weitem sah Giuditta die jeden Venezianer mit geheimer Furcht erfüllenden Löwenköpfe gähnen. Sie schloß fest die weißen Zähne aufeinander, näherte sich dann einem der bronzenen Ungeheuer und leise raschelnd sank der Zettel in die Tiefe hinab. War Giuditta mit Schneckenschritten die Treppe herauf gekommen, so machte sie den Rückweg dagegen mit einer Schnelligkeit, daß ihre zierlichen Fußspitzen kaum den Boden zu berühren schienen. Sie steigerte sich zu einem fieberhaften Rennen, als ein in seinen Mantel gehüllter, an einer Straßenecke lehnender Mann aus den untern Volksklassen, vielleicht ein Bravo, der auf eine Bestellung oder auf sein Opfer mit mürrischer Geduld wartete, in gleichgültigem Tone, aber mit starker Stimme, zu der Eilenden sagte:

– Signora, ich wäre neugierig zu wissen, wie viele Pfunde von Menschenfleisch Ihr den Löwen heute Nacht zugesteckt habt!

Die arme Giuditta kam fast ohnmächtig in ihrer einsamen, kleinen Behausung an, wo sie sich, in heftigster geistiger und körperlicher Aufregung, rückhaltlos ihren Empfindungen überließ.

Tizian dagegen erstarrte, als etwa anderthalb Stunden später seine Thür sich lautlos öffnete und zwei mit langen schwarzen Mänteln bekleidete Männer eintraten. Sie lüfteten weder ihre dunkeln Gesichtsmasken, noch zogen sie die Hüte. Der eine griff nur in den Busen und zog eine, an einer silbernen Kette hängende Medaille hervor, auf welcher die Insignien der Marcusstadt ausgeprägt waren. Tizian dachte weder an Giuditta noch an sein zukünftiges Duell mit da Pordenone; jeder andere Gedanke, als derjenige: du bist in der Gewalt der Diener des furchtbaren Raths der Zehnmänner, war aus seiner Seele gewichen.

Er, keines Vergehens sich bewußt, wollte fragen, weshalb man ihn zum Gefangenen mache. Die Antwort war feierliches Schweigen.

– Und ich muß mit Euch? schrie der Maler fast. Ich ein Unschuldiger, dessen Leben offen vor ganz Venedig daliegt, soll vor Eure abscheulichen Richter geführt werden, aus deren Händen man ebensowenig entrinnt, als aus der Hölle selbst . . .

– Schweig, Meister! sagte der eine Diener des gefürchteten Gerichts, und lerne zuvor die Gerechtigkeit von San Marco an Dir selbst erkennen, bevor Du Männer schmähst, die für ganz Europa die Muster eines weisen und glückverbreitenden Regiments sind. Uebrigens wirst Du wohl thun, wenn Du, während wir zum Dogenpalaste fahren, eine strenge Musterung über Deine jüngste Vergangenheit anstellst. Es könnte Dir nützlich werden.

– Die Musterung ist schon gemacht! sagte Tizian sich aufrichtend. Ich habe gestrebt, Venedig zu verherrlichen und ihr den stolzen Namen „Mutter der Künste“ zu erhalten. Habe ich Unrecht gethan, so ist es das einzige, daß ich für eine undankbare Mutter meine Kräfte opferte.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/317&oldid=- (Version vom 1.8.2018)