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– Wohl Dir, Meister, sagte der Schwarzmantel barsch, daß wir heute zwar Ohren, aber keine Zunge haben; Du könntest sonst unter den Piombi über Deine Unbesonnenheit nachdenken lernen.

Nach dieser Warnung sprachen die Fremden kein Wort mehr. Sie führten den Maler zu der Gondel mit rothem Schnabel, welcher die einsamen Gondoliere, denen sie etwa vorbeischoß, mit einer abergläubischen Furcht auswichen, und landeten vor der imposanten, säulengeschmückten Rückseite des Dogenpalastes. Tizian athmete etwas freier, als er statt zu den berüchtigten Verhörzimmern in das zweite Stockwerk geführt und in ein kleines Cabinet seitwärts von dem großen Saale geschoben wurde. Es war hier vollkommen finster. Sein einer Begleiter hielt ihn bei der Hand gefaßt, um sich seiner zu versichern.

– Ist der Maler Tizian Vecellio gegenwärtig? fragte eine laute Stimme in einem anstoßenden Zimmer.

– Ja! erwiderte der Diener des Gerichts.

Plötzlich öffneten sich in dem Cabinet zwei mächtige Thürflügel; blendende Helle strahlte auf und unfähig, im ersten Momente etwas zu sehen, fühlte sich Tizian vorwärts gezogen. Als sein Auge das Licht wieder ertrug, sah er sich vor drei vorsichtig maskirten, in schwarze Talare eingehüllten, dem Anscheine nach hochbejahrten Männern, und dicht neben sich erblickte er zu seiner höchsten Ueberraschung Niemand anders, als Giovanni Antonio da Pordenone.

Die feindlichen Künstler betrachteten sich mit bestürzter Miene, und wenn sie je geneigt waren, die Freundschaft ihrer ersten Schülerjahre wirklich aufrichtig zu erneuern, so war es in diesem Moment, wo die unheimlichen Augen der drei Todtenrichter auf ihnen ruheten. Die Blicke, welche die Jünglinge mit einander wechselten, bezeugten, daß sie entschlossen waren, sich einander aus allen Kräften gegen das unerbittliche Triumvirat beizustehen.

Pordenone, in reicher, jedoch sehr nachlässig angelegter Kleidung, nahm eine stolze Stellung an, die vortrefflich seinen athletischen Formen und dem entschiedenen Ausdruck seines Gesichts entsprach. Er warf sein fast überreiches, langes Schwarzhaar energisch zurück und schaute die mächtigen Kapuzenträger mit einem so zuversichtlichen Blicke seiner braunen Augen an, wie ihn diese sicherlich noch von keinem neunzehnjährigen Jüngling bei ähnlicher Gelegenheit gesehen hatten.

Tizian, zierlicher gebaut, kaum vierundzwanzig Jahre alt, nicht minder schön als Pordenone, eine unendlich feine und geistvolle Miene zeigend, stand da mit selbbewußter, aber anspruchsloser Würde. Er schien bereit, die offene Tapferkeit seines Nebenbuhlers durch seine Redegewandtheit und vermöge einer Schlauheit zu unterstützen, deren liebenswürdigen Zug um den Mund der glänzend schwarze, zarte Bart eben noch sehen ließ. Es war interessant, diese beiden noch so jugendlichen und doch schon so großen Meister mit einander zu vergleichen, und wer die drei Altrichter genau betrachtete, hätte in ihren Augen, in denen das Alter das göttliche Feuer gelöscht, ein nicht geringes Wohlgefallen an der Erscheinung der Künstler zu lesen vermocht.

Die Stimme des die Mitte einnehmenden Richters war eiskalt und strenge, als er begann:

– Tiziano Vecellio und Giovanni Antonio Licinio, genannt Pordenone, die Ihr hier vor uns erschient, Ihr seid angeklagt. Angeklagt der Verabredung, mit tödtlichen Waffen Eure Zwistigkeiten ausmachen zu wollen. Zwistigkeiten, hervorgegangen aus Künstlereifersucht. Ist das die Wahrheit?

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/318&oldid=- (Version vom 1.8.2018)