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und enthüllt wurden. Mit glühenden Blicken schien Jeder das Bild des Andern verschlingen zu wollen.

Tizian hatte Christus und den Pharisäer gemalt, welcher spricht: Rabbi, ists Recht, daß wir Juden dem Kaiser in Rom die Steuer zahlen, oder nicht? Christus sagt: Zeigt mir Eure Zinsmünze! und der Pharisäer reicht ihm einen Groschen. Wessen ist das Bild und die Umschrift? ist die Frage Christi. – Des Kaisers selbst! lautet die Antwort. Mit dem Worte: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist! erfolgt die Abfertigung des Pharisäers.

Das Gemälde Pordenone’s stellte dagegen Christus mit Matthäus dar. Der reiche Jünger bezeugt, daß er gern erstatten wolle, wo er Jemand bei seinem verachteten Geschäfte übervortheilt habe, worauf Christus ihm sagt: Gieb Alles, was Du besitzest, den Armen und folge mir nach! –

Nach dem ersten Blicke der beiden Meister war ihr Urtheil über ihre Werke entschieden. Pordenone ließ demüthig das Haupt sinken und sein Auge glänzte feuchter, als wolle es sich mit Thränen füllen. Der blitzende Adlerblick Tizians dagegen, die ewige Herrschaft im Reiche venezianischer Kunst bezeugend, war ebenso erhaben, als das Lächeln, womit er Pordenone in seine Arme schloß, Liebenswürdigkeit und Sanftmuth athmete.

– Ah, Tizian! murmelte Pordenone an der Brust seines Nebenbuhlers; ich bin besiegt, um mich Dir gegenüber nie wieder zu erheben.

– Nein! Giovanni! rief Tizian mit Lebhaftigkeit; nicht mein Bild, sondern meine Liebe zu Dir hat Deinen Trotzkopf besiegt. Dein Christus mit Matthäus ist, wie ich mit stolzer Freude es ausspreche, nicht weniger unsterblich als mein Christus della Moneta.

– Du schonst mich, Vecellio! sagte Pordenone, immer noch mit unersättlichen Blicken Tizian’s Gemälde betrachtend. Du schonst mich und Du solltest wissen, daß Deine strengste Kritik gegen meine Pinselei erforderlich wäre, um aus mir einen Meister zu bilden, wie Du es bist. Liebst Du mich wirklich, so mache mich zu Deinem Schüler, statt mich Dir gleichzustellen.

Beide Maler hatten in ihren Urtheilen Recht. Pordenone war allerdings besiegt, aber die Kunst, welche er dem neuen Freunde entgegengestellt, verdiente darum nicht weniger in ihrer reizenden Schöpfung das höchste Lob. Pordenone’s Christus war der orientalische, nach jenem berühmten Sarkophag aus dem fünften Jahrhundert geschaffene, mit dem Ausdruck der unerschöpflichen, sanftmüthigen Liebe in den büstenartig regelmäßigen Zügen. Der Blick des Christus, der genialste Zug auf Pordenone’s Bilde, war ideal, aber darum nicht weniger menschlich, als derjenige des Jüngers, dessen volles Herz dem großen Lehrer entgegenzuströmen schien. Eine Art weniger geistige als seelenmäßige Wahlverwandtschaft trat an den beiden Köpfen heraus; ihre Stimmung war unendlich harmonisch und erregte dadurch bei dem Beschauer eine Ruhe des Wohlgefallens, die bei längerer Betrachtung immer noch an Tiefe und Innigkeit gewann. Die schmucklose Gewandung Christi war dürftig von dem Maler gedacht, sie machte fast den Eindruck des Steifen, dagegen war das Costüm des Zöllners, in freiem Wurfe und großem Style gezeichnet, von großer Wirkung. Es sollte diese contrastirende Costümirung, vielleicht selbst dem Künstler während des Schaffens unbewußt, die Größe des einfachen liebenden Gefühls dem blinkenden Golde gegenüber andeuten, welches die linke Hand des Matthäus gefaßt hält, um es von sich

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/324&oldid=- (Version vom 1.8.2018)