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genialen Unbändigkeit nicht hätte hinausgehen müssen. Spanien blieb übrig. Der Klang dieses Namens berührt noch heute ein romantisch gestimmtes Herz auf eigenthümlich ergreifende Weise. Diese Geschichte mit ihren Abencerragen und Zegris mit ihrem ganzen maurischen Colorit, deren ewiges Denkmal neben anderen die göttliche Alhambra ist! Spanien hat mehr als irgend ein anderes Land Europa’s von der eigenthümlichen Glut des Orientes in sich aufgenommen, und die Kinder einer heißeren Sonne, welche sich dem gothischen Elemente vermählten, haben dem Iberier einen Typus aufgedrückt, der flammend, leidenschaftlich, ritterlich noch heute den Nordländer mit reizender Gewalt ergreift.

Der Niederländer Rubens ahnte das seinem Genius verwandte Element des wirklichen Lebens, welches ihn, durch die spanische Kunst immerhin schwach reflectirt, in diesem „ritterlichen“ Lande umwehte. Alt-Castilien! Es war längst erstarrt in der Rückwirkung gegen den Geist der unbarmherzig vertriebenen Moresken. Aber es gab noch eine Küste des Mittelmeeres, es gab noch einen Punkt in Spanien, wo die Mauren unverlöschlichere Spuren als irgend anderswo, sollte es auch Cordova und Granada sein, zurückgelassen hatten. Das war das alt-römische Calpe, das Gebel al Tarik, der Tariksfelsen, Gibraltar, wo die Moslemim zuerst den Hufschlag ihrer edlen Rosse der Wüste hatten ertönen lassen. Gibraltar und Algeziras zeigen sich noch heute dem mit nur geringer Phantasie begabten Fremden als die Vorhallen des Orientes. Hier sind die letzten, rein erhaltenen Spuren der Moresken in merkwürdigen Typen zu schauen, und man mag in den Bewohnern dieser Gegend mit Sicherheit die rechtmäßigen Verwandten der maurischen Flüchtlinge erkennen, welche, trostlos von Spaniens Boden scheidend, die Schlüssel ihrer Häuser mit nach Afrika’s Gestade in der Hoffnung nahmen: daß es ihren Enkeln beschieden sei, nach Spanien zurückzukehren, um ihr Eigenthum in Besitz zu nehmen.

Hierhin, nach Gibraltar, machte der niederländische Maler seinen bedeutsamen Ausflug.

Er fand die Sclaverei des Volkes in der Nähe dieses, durch spanische Kriegsleute bewachten Felsens. Die „Säulen des Herkules“ standen todt in der Mitte eines unterdrückten Volkslebens. Er eilte nach Algeziras, diesem Edelsteine in der Krone Spaniens, an der malerischen Bucht des Mittelmeeres. Hier, an dem Hauptort des Handels mit den afrikanischen Küstenstädten Tetuan, Fez und Saleh, war ein wahrhaft orientalisches Leben, nach Form und Inhalt. Rubens fühlte sich, diesen nicht selten wilden und düstern Physiognomien gegenüber, in einer neuen, die frischesten Gestaltungen, die lebendigsten Originalitäten zeigenden Welt. Dieser Fleck Erde fesselte ihn unwillkürlich. Zwar kahl und steinig war die Umgegend der alten Moreskenstadt, aber auf den einsamen Hügeln in der Nähe stiegen die cyklopischen Trümmer von alten Römerburgen auf und zeugten von den Thaten der „Löwen Italiens“. Diese klassischen Reste in ihrem starren, ehernen Adel, und drüben die mohammedanischen Minarets, die syrischen Wölbungen der sonstigen Moscheen, und ringsum Einöde und tiefe Stille unter dem flammenden, fast senkrecht fallenden Sonnenstrahl, nur zuweilen unterbrochen von dem dumpf verhallenden Knall der Kanonen eines Segelschiffs oder einer „vielfüßigen“ Galeere, welche den Hafen von Algeziras verließ, um die Höhe des veilchenblau und silberstrahlenden Meeres zu gewinnen – welches Bild hätte an Reiz ein solches übertreffen können? Und was dieser eigenthümlichen Landschaft noch fehlte an innerer Macht, um das Gemüth des Beschauers ebenso glühen zu machen, wie die Sonne über seinem Haupte, das suchte das Auge hinter den schmalen Gittern

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/335&oldid=- (Version vom 1.8.2018)