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der weißgemauerten, flachdächigen Häuser; das zauberte die Phantasie herauf in dem Farbenglanze von „Tausend und einer Nacht“. Hinter jenen, die kaum zwei Fuß ins Gevierte haltenden Fenster verschließenden, gekreuzten Eisenstäben seufzten schlanke, schwarzäugige Mädchen, deren arabisches Blut, in raschen Schlägen zum Herzen dringend, bei der Sehnsucht nach einem Geliebten stärker pulsirte, den ihr brennendes Auge noch nie erschaut hatte.

Erfaßte dieser Gedanke den jungen Niederländer, dann litt es ihn nicht mehr auf den verwitterten Steinhaufen der Römer. Er zog den weißwollenen Kaik über die langen braunen Locken und vertiefte sich in das labyrinthische Gewirr von schmalen und krummen Gäßchen, welche Algeziras bilden. Unwillkürlich stand er still, wenn eine Dame in dichtzugezogener Seidenmantilla neben ihm lautlos vorüberstrich; oder wenn sie auf dem Maulthiere, unbeweglich wie eine Statue, vorbeizog. Die fast verglühten Träume der ersten Jünglingszeit machten sich mit ursprünglicher Gewalt geltend, wenn der Maler, unter dem Schirmdache eines der Kaffeehäuser am Hafen lehnend, die Gruppen der verschleierten Mädchen und Frauen betrachtete, die, auf den Quais am Abende lustwandelnd, die mandelförmigen Augen ermattet schlossen und den Mund mit den Perlenzähnen halb öffneten, um den kühlen Abendwind, welcher über die murrenden Meereswogen strich, begierig einzusaugen.

Vergebens hatte Rubens versucht, sich einer dieser Schönen zu nähern. Wie in Constantinopel oder Bagdad selbst flohen sie unaufhaltsam, sobald sie die Absicht des Cavaliers, ein Gespräch anzuknüpfen, errathen hatten. Höchst mißmuthig kehrte Rubens dann zu seinem großen, aber in türkischem, finsterm Style gebauten Hause zurück, lehnte sich über sein Papier und versuchte mit seiner Meisterhand die halbverschleierten Formen, die ihn vorhin entzückten, wiederzugeben, um sich dann im Anblicke denselben sehnsüchtigen, bittersüßen Träumereien hinzugeben.

Bei diesen Bemühungen verzweifelte er eines Abends fast. Der Stift und die Kreide waren plötzlich härter, wie ein stählerner Stilus geworden; die volle, kräftige Weichheit der Formen, als deren Meister er selbst sich betrachten gelernt, waren zur abstoßenden Kälte und Härte umgewandelt. Sein Auge schien die Gewalt, die magische Leitung über seine Künstlerhand verloren zu haben . . . Das machte, Rubens versuchte heute zum ersten Male, nicht aus künstlerischer Begeisterung, sondern aus seinem Herzen heraus zu malen, und der Verliebte erheischte von seinem Bilde, daß es ihn, den Meister selbst, mit denselben Empfindungen erfülle, daß es sein Herz ebenso mächtig bewege, als es das Original vermocht hatte. Rubens griff zum Pinsel . . . Plötzlich schien ihm das Geheimniß der Anschauung seines Innern aufgegangen zu sein; denn mit ungeheurer Schnelligkeit erschien auf der Leinwand ein spanisches Mädchen von so wunderbarer Schönheit, daß der Maler stumm in Betrachtung seiner Skizze versank.

Der Hafen von Algeziras war im Hintergrunde. Das Meer war unruhig; die Goeletten und Javecquen sprangen vor den Ankern; eine Galeere lief mit genauer Noth um die Spitze des alten Molo in den Hafen. Der Hafendamm war fast leer; nur wenige Menschen eilten entweder zu den Schiffen oder zur Stadt, mit Mühe nur sich gegen den ausbrechenden Orkan schützend. Unter diesen Gestalten war die Hauptfigur im Vordergrunde ein gegen die Wucht des Windes ankämpfendes Mädchen. Ihr Kopf war entblößt; das volle, schwarze Haar war halb gelöset; die Mantilla flatterte in reizendem Wurfe in der Luft. „Sanft in sich gebogen“, wie Anadyomene in der Perlenmuschel stand die Schöne, den vollen Anblick ihres zarten, ein

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/336&oldid=- (Version vom 1.8.2018)