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Der Nachtwächter gab langsam seinen Spieß ab, indeß er brummte:

– Dem Mynheer wirds wohl nicht auf ein Paar Steuber für den Dienst ankommen.

Der Franzose stieß tüchtig mit dem Schafte auf die Thür los; der Diener des Hauses erschien und der Fremde gab dem erwartungsvollen Wächter galant den Spieß zurück.

Merci; Freund Nachtwächter! sagte er. Ihr habt ein glückliches Talent im Errathen; denn auf Ehre, es kommt mir selbst auf einige Louisd’or nicht an, vorausgesetzt, daß ich sie besitze.

– Ihr habt also keine Steuber? fragte der Wächter sehr aufgebracht.

– Abermals dies Divinationstalent? Göttlich! Ich habe wirklich keine Steuber! Mensch, Ihr dürft blos nach Paris gehen, Euch Seiner Majestät und der hochgebenedeiten Madame de Maintenon unter dem Titel des „Amsterdamer Orakels“ vorstellen, und voilà tout – Euer Glück ist gemacht.

Bald wäre auch das des Franzosen gemacht gewesen und zwar für immer, denn der Nachtwächter schlug mit seinem Spieße ihm dicht am Ohre vorbei. Der Kellner warf die Thüre zu, schloß ab und musterte dann seinen neuen Gast ziemlich mißtrauisch.

Der Chevalier César de Cobrion, wie sich der Herr selbst ankündigte, war keineswegs empfehlend gekleidet. Er trug nur noch die Reste eines reichen und feinen Anzuges. Es ist jedoch eine bekannte Sache, daß man selbst in schäbigen Kleidern steckend eine Miene annehmen kann, welche denselben aufs Neue eine Art Lustre verleiht. Es kommt nur auf die Kunst an und César hatte augenscheinlich diese Kunst inne. Er erhob sich graziös auf die Zehen, setzte den großen Federhut schräg in die schönen schwarzen Augen und redete den Kellner mit Zuversicht in einem Französisch an, das selbst der eigensinnige Geschmack der Höflinge des großen Ludwig untadelhaft gefunden haben würde.

– Mein Freund! dies ist das zweiundzwanzigste Eurer Amsterdamer Wirthshäuser, welches ich heute inspicire, nicht etwa um zu trinken, sondern um den Capitain der französischen Brigg, welche auf dem Y liegt, den Chevalier François de Marsillac aufzufinden. Kannst Du mir Auskunft über ihn geben: so wird César, Chevalier de Cobrion, Dich mit einem Ducaten belohnen, obgleich er fern vom Boden Frankreichs, ein des Glaubens wegen Verfolgter, hier steht.

Der Kellner senkte fast salutirend sein Kräusellicht und machte richtig eine demüthige Verbeugung, setzte aber sogleich freudig hinzu:

– Mynheer Chevalier, das Geld habe ich gleich verdient, denn Capitain Marsillac sitzt da in jener kleinen Stube und zecht. Ich will Euch anmelden; er hat noch einen Herrn bei sich, den Marquis de Contanges; aber da sie schon seit heute Morgen zusammen getrunken und gespielt haben: so werden sie wohl nicht mehr durch Euch gestört werden . . .

Cobrion fiel dem Kellner um den Hals.

– Ha! rief er entzückt. Mein Freund, du giebst mir das Leben wieder! Ein Ducaten? Zehn, Allerbester, und dann werde ich Dir noch weitere zu verdienen geben; aber, dies ist feierlicher Ernst, Du mußt schweigen wie das Grab, und treu sein bis zum Tode. Vermagst Du’s?

– Ja, sagte der Kellner leise und sehr erschrocken.

Bon! Wir werden weiter davon reden. Ich werde Dich inzwischen prüfen, ob Du zu meinen Zwecken paßt. Im Vertrauen sage ich Dir, eben den Marquis suche ich; er wird sich

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/356&oldid=- (Version vom 1.8.2018)