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Eine höchst geistreiche Auffassung, eine leichte und gefällige Anordnung seiner Gegenstände, zeichnet unsern Künstler aus. An Zartheit seines Pinsels ist er unvergleichlich und seine Zeichnung athmet die hinreißende Weichheit Raphaelischer Formen. Vogel vermag es aber nicht, sich seiner Individualität zu entäußern, besser, darüber hinauszuschreiten, um sich durch den Glanz und die Macht des Colorits über das Anmuthige und Sanfte zu erheben.

Die Perspective vernachlässigt Vogel sehr, er ignorirt sie nicht selten. Er scheint es wie absichtlich zu verschmähen, durch umfassende Composition, oder durch Beiwerk das Interesse des Beschauers zu zersplittern und die Aufmerksamkeit desselben von einigen wenigen Menschengestalten abzulenken, welche er mit dem ganzen Reichthum seiner schöpferischen Phantasie ausgestattet hat.

Vogel ist, ungeachtet seiner fleißigen Studien, namentlich der italienischen Meister, durchaus deutsch geblieben.

Das vorliegende Bild, in welchem sich der Künstler vielleicht auf seine höchste Höhe gestellt hat, charakterisirt ihn vollkommen.

Ein tiefpoetisches, heimliches, lautloses Leben und Weben, eine Innerlichkeit, die sich so zwanglos gestaltet, als sei sie nur durch einen aus tiefster Brust ausgehauchten, seelenvollen Seufzer zum sichtbaren Sein geschaffen, bewundern wir namentlich in diesem Bilde Vogels.

Ein unendlicher Reiz ist über die beiden Kinderfiguren ausgegossen. Das ist nicht blos die Idylle, die blauäugige, engelsanfte, fesselnde, deutsche Göttin Vogels! Hier erkennt man durchaus dichterisches umfassendes Ergreifen des Lebens, seinem vollen Inhalte nach. Man findet hier nicht nur das außerordentlich entwickelte Talent eines Künstlers – und in der That kommt Vogel selten hierüber hinaus – sondern es läßt sich hier eine geniale Composition nachweisen und eine solche, welche aus dem wahrsten Wesen Vogels und aus seiner Grundrichtung, dem Portrait, geradewegs hervorging, und daher mehr als ganze Reihen seiner übrigen Bilder für ihn und seinen Gehalt Zeugniß ablegt.

Diese „Brüder“ nämlich könnten Portrait sein, so unmittelbar schließt sich die hier hervortretende künstlerische Conception Vogels an das nicht blos wahre, sondern wirkliche Leben an. Sie könnten es sein, sinds aber nicht. Es finden sich hier keine zufälligen – schlechten – Besonderheiten, kein Eigenthümliches – als höchstens der deutsche Nationaltypus – es findet sich kein Apartes, wodurch das Portrait in seiner niedern, dem universellen Zenith als blos individueller Nadir gegenüberstehenden, Richtung befangen bleibt.

In den Brüdern sind die Individuen zu Trägern des allgemeinen Begriffs hindurchgedrungen, ohne daß jedoch das Individuelle diesem Begriffe aufgeopfert wäre.

Vogel hat in seinen „Brüdern“ keine bloßen Kinder, sondern das Kindesalter, die erste Jugend gemalt. Eben durch den großartigen Inhalt dieses in die Welt der Gestaltung getretenen Begriffs, eben durch die Macht dieser hier vollständig zur Erscheinung gekommenen Idee besitzt dieses Bild – in seinem von aller Symbolik entkleideten wahren Leben – eine fesselnde, bezaubernde, unterjochende Gewalt.

Die Brüder sind kein Idyll mehr, nur das im ewigen Frieden und waffenlos Bezaubernde des Idylls zeigt sich als ein Attribut desselben. Dieses sich selbst genügende, wahrhaft

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/429&oldid=- (Version vom 1.8.2018)