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paradiesische Sein, der mährchenhafte Beginn des zum Bewußtsein sich hinkämpfenden Menschenlebens, steht hier eben in seiner reizenden Hülflosigkeit und Waffenlosigkeit, eng an das höchste Leben, an die Liebe gebunden, den übrigen Phasen des menschlichen Daseins überwältigend, siegreich gegenüber.

Es ist die ewige nur in der Kindheit sich abspiegelnde Mythe einer goldenen Zeit, die unverlöschbare Geschichte vom Garten Eden, die Jeder sich als letztes Ziel setzt, eben weil sein Ursprung darin wurzelt.

Schaut diese Brüder an, mag es ein Greis, mag es Mann oder Weib, Jüngling oder Jungfrau sein! Sobald der erste, durch das blos Aeußerliche einer vollendeten Formenschönheit bewirkte, Zauber einen Wunsch aufkommen läßt, so zeigt er sich bei Jedem in dem Gedanken: Wäret Ihr Kinder doch die meinigen! Euch, Euch möcht ich als mein eigenstes Eigenthum besitzen!

Ein ergreifend poetischer, wehmüthiger Gedanke! Du willst, nach der Bedeutung des Bildes, welche wir vorhin herauskehrten, nicht etwa diese Kinder selbst, Du willst die Kindheit, Deine Kindheit, Dein Eden, Dein Paradies in ihnen besitzen, welches Dir rückwärts entschwand, während Du dasselbe vorwärts noch nicht zu fassen vermagst! Die vollkommene Glückseligkeit, die göttliche Existenz, die Du nie wieder als nur in Hoffnung in der wirklichen Welt erreichen wirst, die Dir dann noch unerreichbar ist, wenn das Auge zum letzten Schlummer sinkt!

Deutest Du jetzt, sinniger Beschauer, den unendlichen Reiz dieser Kindergruppe?

Der allgemeine Gehalt zwar, wozu sich der liebenswürdige Künstler in diesen „Brüdern“ aufschwang, kann, auf Dich selbst bezogen, unendlich variiren. Immer aber wird er Dich fesseln! Er kann lieblich, sanft, rührend, elegisch sich in Dein Leben voll edler, freier, menschlicher Anstrengungen und Genüsse schlingen! Eben seines göttlichen Genügens wegen wird dieser Inhalt aber gepanzert in schreiendem Contrast mit der Wirklichkeit sich dem von widerwärtigen, blos materiellen Interessen bewegten Leben mit scharfer Kante gegenüberstellen, und entweder ein bitteres Zürnen mit der wirklichen Umgebung oder melancholische Trauer veranlassen, bis die in dem Gedanken des jenseitigen Gartens der ewigen Jugend liegende Tröstung und Erhebung sich geltend zu machen vermag!

Wir wollen es nicht versuchen, in unsern Reflexionen über dies Kunstwerk wieder einen Rückschritt zu machen, um von diesem Punkte aus das Bild auf ein Besonderes zurückzuführen, das heißt hier: auf den Grund des Gemäldes hin die Bedeutung der Kindheit dem bewußten Leben gegenüber in einer novellistischen Skizze individuell und apart zu fassen.

Wir wollen den Eindruck des Bildes dadurch nicht beschränken. Wir übergeben vielmehr das Blatt – welches auf äußerst gelungene Weise das Colorit des Originals andeutet – nur mit dem Wunsche, daß dasselbe erhebend, besänftigend, veredelnd das Gemüth des Beschauers berühren möge! Und das ist bei Naturen, die für das rein Geistige, wie für das zur Idee hindurchgedrungene Materielle, also für die Schönheit, Sinn und Empfindung haben, unfehlbar . . .

Deuten wir aber zum Schluß noch auf den Umstand hin, daß das Bild des ältesten Knaben

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/430&oldid=- (Version vom 1.8.2018)