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ähnliches Bild, die trauernde, schmerzenreiche Madonna – an sich höchst vortrefflich – betrachteten, um die ungeheure Kluft zu ermessen, wodurch dieses Christusgemälde von demjenigen der Madonna getrennt wird.

Es ist nicht genau zu bestimmen, aus welcher Periode der Blüthe des Meisters dieses wahre Meisterstück stammt, das hier, in unserm Bilde so höchst meisterhaft wiedergegeben wurde, wie selten eine andere der vielen Copien dieses Kopfes; doch läßt sich leicht schließen, daß der gekrönte Christus der zweiten Periode der Wirksamkeit des Malers angehören muß, in welcher er nur wenige, aber desto ausgezeichnetere Gemälde schuf.

Guido Reni wurde im Jahre 1575 zu Bologna geboren. Seine erste Bestimmung war zum Musiker, und das Gefühlvolle, welches hier seinen ernsten Ausdruck bei dem Künstler fand, blieb nachher, als er zur Malerei überging, bis in die letzte Periode seiner Laufbahn sein Angelstern. Dionysius Calvaert war Guido Reni’s erster Lehrer, dann ward er der Schüler der berühmten Caracci, deren Schule noch heute in Reinheit und Strenge der Zeichnung unvergleichlich gilt. Die Rigorosität der hier eingesogenen Grundsätze ward bei Reni sehr bald durch ein bei ihm maßgebendes Studium der Antike gemildert und sein Bestreben, das gefälligste, sanfteste Colorit zu erreichen, machte seine Schöpfungen noch milder.

Bei den Caracci war eine Schule im Sinne des Worts und diese streng wählerischen, das Fundament aller Malerei, Zeichnung und Composition im Auge habenden Eklektiker, bildeten keine eigentlichen Maler, wie denn die Caracci selbst im Malen, engeren Sinnes, wenig Ausgezeichnetes, dagegen viel Schroffes, unnatürlich und abstoßend Gefärbtes geliefert haben. Guido Reni fing erst dann an wirklich zu malen, und nicht blos geisterreiche, strenge Studien zu liefern, als ihn Caravaggio Amerighi mit seinem kraftvollen, lebenglühenden Naturalismus begeisterte. Hier nimmt Guido Reni einen wahrhaft jugendkräftigen, herrlichen Aufschwung; er besitzt die reine Zeichnung seiner Meister, ohne ihren peniblen Styl; seine Erfindung erwacht lebensfrisch, poesiereich, und sie ist wahr und schlagend, tritt mit breiter, majestätischer Behandlung auf, ohne so roh, wie diejenige Caravaggio’s, noch so geistesarm, wie die des Guercino da Cento zu sein. Die Bilder aus dieser Zeit, die ersten, fast unwillkürlichen Blüthen des Genies sind selten, aber höchst werthvoll, namentlich für den, welcher den genialen Meister genau studiren will. Seine zweite Stufe bewahrt die Vorzüge, wodurch sich Reni in seinem ersten Anlaufe zur Kunst auszeichnet; huldigt aber einer, der Antike nachgebildeten zwanglosen Anmuth, die in einigen wenigen Fällen sich zur idealen, großartigen Grazie durchbildet. Seine Färbung wird glühender, natürlicher, seine Behandlung der Gewandung, der Haare, der Gesichtszüge seiner Figuren kühner und markiger, seine Composition einfacher und grandioser. Die Fleischpartien stehen dem Schaffen des Tizian gleich. Aus dieser, der herrlichsten Zeit der Blüthe des Reni, muß unser dornengekrönter Christus stammen. Rasch wie er gestiegen war, sank der Maler. Die Technik herrscht vor, noch bewundert man eine mannigfaltige lebhafte Phantasie an seinen Werken; aber diese Gebilde des Genius werden auf eine gleichförmige, trockene Weise zur Erscheinung gebracht; die Manier tritt immer unverhüllter hervor, welche der Erfindung und Composition ihre tödtenden Fesseln umschlingt. Ein weichlicher, sentimentaler, mondscheinartiger, silbergrauer Ton breitet sich erkältend über seine Gemälde, und trifft derselbe auch zuweilen mit dem Geiste des Stoffs und der Composition bewundernswürdig zusammen, so erscheint

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/457&oldid=- (Version vom 1.8.2018)