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Jesus.
Von Carlo Dolce.

Dieser Jesus mit dem Kelche vor sich, wie er, das Brod in der Hand, die Danksagung mit nach obengerichtetem Blicke spricht, ist eins der Hauptbilder Dolce’s und steht neben seiner heiligen Cäcilia und der Herodias mit dem Haupt Johannes des Täufers, alle drei in Dresden, und neben der büßenden Magdalena in Florenz, dem Johannes in Berlin und Christus am Oelberge in Paris. Des ungemein zarten und hinreißenden Ausdrucks wegen ist dieser Jesus in seinen zahlreichen Nachbildungen ein Lieblingsstück der religiös gesinnten Herzen geworden, vielleicht noch mehr, als der grandios gehaltene, dornengekrönte Christus des Guido Reni es ist. Der Seelenmalerei der tiefsten, sanftesten Empfindung, wie sie Dolce zu erfassen und darzustellen wußte, begegnen wir hier im hohen Maße. Dennoch wird die Weichheit dieser Figur nicht weichlich, noch weniger ist die dargestellte begeisterte Empfindung sentimental. Dolce’s deutsche Nachbildner haben nur zu oft den Fehler begangen, in die höchst anmuthigen, weich gehaltenen Bilder desselben eine Sentimentalität zu legen, die Dolce eben so wenig, als irgend ein anderer älterer Maler kennt. Nur selten ist Dolce’s Zartheit wirklich manierirt, nie ist sie bloße Grimasse, wie bei vielen seiner Nachahmer. Dieser lieblich zarte Hauch der Auffassung quillt tief aus dem Herzen des Meisters und sie ist stets geistreich genug, um nicht von dem Weichen in’s Weibische zu fallen. Die Ausführung dieses Jesusbildes ist ungewöhnlich sorgfältig; der Ton der Färbung warm und naturgetreuer, als Dolce sonst gewöhnlich denselben zu wählen pflegt.

Carlo Dolce gehört der gediegenen florentinischen Malerschule an. Das herrliche Florenz war seine Vaterstadt, wo er im Jahre 1616 geboren wurde. Er war des lieblichen Vignoli’s Schüler, den er jedoch an Anmuth und Adel der Zeichnung bald übertraf. Sein zart besaitetes Gemüth umfaßte bald allein die Heiligenmalerei, und die gläubige Innigkeit, die ihn beseelte, trägt keinen kleinen Theil der rührenden, fesselnden Macht, die uns aus seinen Bildern entgegenweht. Was den großen Wurf der Zeichnung und eine gewisse Kühnheit der Composition betrifft, so möchte sein Christus am Oelberge den Preis verdienen. Sonst ist eine schwungreiche Phantasie nicht das Eigenthum des Künstlers, und seine sehr einfachen Entwürfe sind immer empfunden, selten gedacht. Der Meister starb 1686, bis an sein Ende sich selbst und seinem eigenthümlichen Genius getreu, seiner Gefühlsinspiration gehorchend und das auf blendende Größe und Reichhaltigkeit der Composition gerichtete Streben beharrlich von sich weisend. Seiner eigenthümlichen Richtung und Begabung wegen konnte er keinen ausgezeichneten Schüler heranbilden. Die besten Werke Dolce’s sind sehr oft durch den Stich von den besten Meistern copirt. Eine Vergleichung mit diesen ältern Stichen dürfte die Vorzüglichkeit, womit unser Künstler den Jesus auffaßte, noch mehr herausstellen.



Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/500&oldid=- (Version vom 1.8.2018)