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Jagdscene.
Von Philipp Wouverman.

Da wo Altflandern in einer scharf vorgeschobenen Spitze an Frankreich stieß, in einer wenig bebauten, dafür aber desto malerischeren Gegend, aus Waldstrecken und Haiden mit einzelnen Hügelreihen gebildet, stand ein altes Herrenschloß inmitten einer hügeligen, von dichtem Walde umgebenen Lichtung.

Die Besitzer dieses Schlosses und zugleich des Grundes und Bodens auf viele Meilen weithin waren seit unvordenklichen Zeiten die Herren von Boprès. Der Krieg aber hatte die Reihen dieses Stammes gewaltig gelichtet, und als der letzte Mann desselben, Castre Teophile de Boprès, im Alter von fast neunzig Jahren starb, hinterließ er nur eine Erbin, seine jüngste Großtochter, Diana de Boprès, welche genau siebzig Jahre jünger war als er.

Diana stand in einer sehr unruhigen, wechselvollen Zeit als die Herrin weitläufiger Besitzungen da. Sie fürchtete indeß weder die französischen, noch die niederländischen Soldatenhaufen, denn sie besaß unendlich wenig, was die Raublust dieser Herren zu reizen vermochte, die in Hinsicht auf Erpressungen in der Regel keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind finden konnten. Château Boprès war mit respectablen Mauern versehen und ein zwar sehr malerischer, aber doch ein Trümmerhaufen. Nur das eigentliche Wohnhaus war besser bewahrt, und Diana hatte im Geschmacke ihrer Zeit dadurch eine bedeutende Verschönerung bewirkt, daß sie die ehrlichen, altersgrauen Mauern mit profaner Kalktünche anstreichen ließ. Im Innern war dies auf solche Weise, wie eine Inschrift über der Thür besagte, „renovirte“ Herrenhaus mit seinen niedrigen schmalen Zimmern, mit den vielen halbrunden Erkerstübchen, ungemein wohnlich und bequem. Die Menschen jedoch waren in diesem Schlosse zu spärlich anzutreffen, als daß ein Fremder sich hier in diesen öden Hallen und Gemächern, heimisch hätte finden können.

Diana von Boprès besaß, wie gesagt, keine Angehörigen und hatte das Misgeschick, durch ihren verstorbenen, unsäglich proceßsüchtigen, alten Großvater mit den sämmtlichen edlen und unedlen reichen Familien der Nachbarschaft verfeindet zu sein. Sie blieb also einsam und verlassen, und nur einige Gläubiger statteten ihr von Zeit zu Zeit Besuche der unangenehmsten Art ab.

Zuerst weinte Diana über ihre Einsamkeit und fürchtete sich auf dem Schlosse, daß sie schon längst „das Eulennest“ getauft hatte. Der Mensch gewöhnt sich jedoch, mit Ausnahme des Sterbens, endlich an Alles. Auch Diana vergaß es, daß ihre Wohnung von allen Menschen abgewandt liege, daß dieselbe ein Aufenthalt für alle möglichen Menschen, nur nicht für ein schönes zwanzigjähriges Edelfräulein sei; sie dachte nicht mehr daran, daß das einzige weibliche Wesen, welches sich außer ihr auf Boprès befand, die getreue Kammerjungfer, Köchin, Gärtnerin und Viehmagd Genéviève, ungeachtet ihrer sonstigen Vorzüge, unbeschreiblich dick, häßlich und dumm war; ja es kam der jungen Dame nur sehr selten in den Sinn, in welcher wahrhaft

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/501&oldid=- (Version vom 1.8.2018)