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schutzlosen Lage sie sich befand, da sie nur einen Jägerburschen und einen halb blödsinnigen Bauer als männliche Besatzung ihres Schlosses aufzuweisen hatte.

Alle diese vielen und schweren Bedenken kamen seit längerer Zeit nicht bei der schönen Diana auf; denn eine Leidenschaft hatte sich ihrer bemächtigt und regierte in ihrem Herzen mit unbestrittenem Scepter. Diana war nicht etwa verliebt. Das wäre so ziemlich unmöglich gewesen: denn wenn sie sich auch noch so genau besann, so erinnerte sie sich doch nicht, je einen andern schönen, jungen, vornehmen Cavalier gesehen zu haben, als ihren unglücklichen Bruder, der zur Schlacht auszog und gleich in den ersten Minuten seiner ersten Schlacht den Tod fand. Ihr Jäger Pierre, mit dem sonnverbrannten, pockengrubigen Antlitze und der ungeheuren Stülpnase, durfte zu wenig Ansprüche auf Schönheit erheben, als daß ihn Diana anders angesehen hätte, als um auf Unkosten seiner Monstre-Nase ihm fortwährend Anzüglichkeiten sagen zu können.

Diana’s Leidenschaft war – die Jagd. Die Bewohner von Chateau Boprès hatten in dem Winter, als Theophilus, der Neunzigjährige, starb, zu ihrer größten Bestürzung einen ganz eigenthümlichen Gläubiger – den Hunger nämlich, bei sich anklopfen gefühlt. Pierre hatte es übernommen, diesen Gast zu verbannen. Aber so fleißig der treue Bursche auch Tag für Tag mit seinen Hunden arbeitete, so ward es ihm dennoch zu schwer, die sämmtlichen Hungrigen auf dem Schlosse mit Wildpret zu versehen. Pierre mußte nothwendig Beistand erhalten, und nachdem man hierzu ohne Erfolg einen Bauerburschen der nächsten Dorfschaft zu verwenden versucht hatte, entschloß die schöne Erbin von Boprès selbst sich dazu, das edle Waidwerk aus lieber Noth zu betreiben.

Pierre stöberte einen alten Damensattel auf und restaurirte ihn mit bedeutendem Aufwande von Zeit und Mühe. Er ritt auf dem Schloßhofe das beste der vorhandenen Pferde, einen schönen Dunkelbraunen, für die Herrin zu und brachte für sie die Leibflinte des verstorbenen Großvaters in brauchbaren Stand.

So bedacht konnte das Fräulein de Boprès an einem schönen Herbstmorgen mit dem häßlichen Pierre hoffnungsvoll aufbrechen und am Abende mit dem angenehmen Bewußtsein zurückkehren, zwar ihren einen Jagdhund mit einer guten Ladung Schrot angeschossen, durch ihr umsichtiges Verfolgen eines Rehbocks aber auch es dem Pierre möglich gemacht zu haben, denselben durch einen Blattschuß zu erlegen. Aber allgemach ward Mademoiselle de Boprès eine Jägerin, gegen deren Kunst sich selbst der brave Pierre nicht zu behaupten vermochte. Sie fürchtete sich nicht mehr, ihre Flinte abzuschießen und traf mit einer Sicherheit, die dem alten Jäger nicht selten Thränen der Bewunderung auspreßte. Tag für Tag sah sie der Wald und das weite, öde, hügelige Revier hoch zu Roß, von ihren Hunden gefolgt, mit eleganter Gewandtheit auf der Spur des Wildes, und noch tief in der mondlichten Nacht hörten die Bauern der Dörfer an den Grenzen der Besitzungen der Donna Diana ihre Schüsse knallen.

Diana ward sehr bald in der ganzen Umgegend bekannt als wilde Reiterin und Jägerin. Sie freute sich, als die alte Genéviève, von ihren mehre Stunden entfernt wohnenden Verwandten zurückkehrend, ihr diesen Umstand meldete, gerieth aber in eine ihr bisher noch unbekannte traurige Bestürzung, als die Dienerin den Namen hinzufügte, unter welchem man Donna Diana verstehe. Das Fräulein hieß nämlich: die arme oder die zerlumpte Jägerin, und der Pater

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/502&oldid=- (Version vom 1.8.2018)