Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/642

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der Herzogin nur Eins übrig, und das brachte sie denn auch zur Ausführung: ihre Truppen sammeln, wie sich St. Simon später ausdrückte, und ohne einen Kanonenschuß den Rückzug antreten. Die kleine Dame nahm Louise de Noailles an die eine, Donna Josita an die andere Hand und verließ eiligst den kleinen Saal, nachdem sie, ohne noch ein Wort zu sprechen, dem Könige einen wüthenden Blick zugeschleudert hatte.

Fast erschöpft und ersichtlich außer Fassung, ließ sich der König in seinen Lehnstuhl nieder.

– Mein Gott! flüsterte er, sich den Schweiß von der Stirne wischend, wie hat mich diese Person alterirt! Das ist mir geradezu noch nie, nein, noch nie vorgekommen.

– Eure Majestät haben also heute Morgen die Frau Herzogin zum ersten Male in ihrer ganzen Stärke gesehen? murmelte Fabien de Narbonne. In der That, dann ist es noch möglich, sich über den Trouble zu trösten, welchen sie verursacht.

Im Ganzen genommen aber war Ludwig über die aus Anlaß der Donna Josita geschehene Verletzung aller Etiquette so nachhaltig verdrießlich, daß er Laurence andeutete, die Spanierin sei zu beschränken, damit sie sammt ihren Freundinnen nicht abermals dergleichen Angriffe unternehme. Nachdem dies geschehen war, empfahl sich St. Simon fast augenblicklich.

– O, ich wette, sagte der Prinz von Condé, daß dieser Würdige den Befehl Sr. Majestät augenblicklich an die Herzogin überbringt; denn ich müßte mich sehr täuschen, wenn ich nicht vorhin bemerkte, daß das Gerücht, dieser alte Lügenherzog habe sich in dies Kind, die Spanierin, verliebt, gegründet ist.

Dies war geschehen, als die drei Damen wieder in die große Gallerie traten. Sie wurden abermals von einem Kreise von Neugierigen umgeben, dem sich Louise de Noailles vergebens zu entziehen suchte. Der junge Lieutenant de Feuillade kam athemlos heran. Er schien der verweinten Josita Muth einsprechen zu wollen, wagte es aber nicht, sich ihr zu nähern, sondern blieb, wie eine Bildsäule, mit herabhängenden Armen, stehen und betrachtete die Schöne, ohne ein Wort zu sagen.

St. Simon trat näher. Er legte der Spanierin die eine seiner schneeweißen Hände auf die zitternde Schulter und sah die Herzogin sehr gutmüthig, fast bewegt an.

– Donna Josita, beschweren Sie sich bei der Frau Herzogin, sagte er; man muß mit Dingen, wie es die Bastille und die „Sommerwohnungen“ in Pignerol sind, nie scherzen. Erschrecken Sie nicht; Sie werden von heute an wirklich eine Gefangene sein. Verlassen Sie sich darauf, der König hat Laurence gesagt, Sie sollten beschränkt werden, damit sich ein tragikomischer Vorfall, wie vorhin, nicht wiederhole. Laurence wird Ihnen den ausgezeichnetsten Stubenarrest geben, den Sie sich denken können.

Ganz wider Erwarten schien die Fassungslosigkeit der beiden französischen Edeldamen bei dieser Eröffnung gänzlich zu verschwinden.

– Was sagst Du, Louison? flüsterte die Herzogin von Maine mit blitzenden Augen. Ist das eine Herausforderung?

– Ja, und eine, die ich wenigstens auf der Stelle anzunehmen entschlossen bin, erwiderte die Gräfin Noailles.

– Mesdames, ich denke doch, sagte St. Simon, daß Sie mich ebenfalls von der Partie sein lassen?

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/642&oldid=- (Version vom 1.8.2018)