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Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219

ist der Fluß wieder der alte, hat er sich der unreinen Stoffe wieder entledigt.

Doch nicht lange wird ihm Ruhe und Frieden gegönnt. Schon taucht eine kleine Industriestadt mit Tuchfabriken und Färbereien auf, die ihre schwefelsäurehaltigen Anilinfarbenabwasser in ihn entleeren. Sein Wasser ist jetzt bläulich gefärbt. Diese Farbe ist das erste Krankheitssymptom.

Nun reiht sich Fabrik an Fabrik. Tuchwalkereien und Hutfabriken senden die abgefallenen Wollfäserchen und Farbstoffreste aller Art in unseren Fluß, Gasanstalten die ammoniakhaltigen Abwasser, Spinnereien ihre äußerst giftigen Röstwasser, Drahtziehereien ihre eisenoxyd- und schwefelsäurehaltigen Laugen – alle diese industriellen Unternehmungen und noch viele andere entnehmen das Wasser dem Flusse in reinem Zustande, geben es aber verschmutzt, abgestorben zurück.

Was ist nun aus unserem Bächlein geworden, das einst seine klaren, durchsichtigen Wasser so munter, so fröhlich plätschernd zu Tal sandte? Eine blauschwarze Flüssigkeit füllt sein Bett aus. Vom Grunde steigen stinkende Gase empor, denn dort lagern sich als bläulicher Schleim giftige Spaltpilze und sonstige Bakterien ab, überziehen jeden Stein, jeden Vorsprung mit einer eklen, schlüpfrigen Masse. Der Pflanzenwuchs des Ufers hat sich von dem kranken Gewässer ängstlich zurückgezogen. Der Uferrand ist eine dunkle Linie. Auch ihn bedecken die verderblichen Niederschläge, in denen kein Samenkorn treibt, keine Wurzel sich weiterreckt. Ebenso sind die Fische im Flusse längst verschwunden. Kein einziges lebendes Wesen bevölkert das Wasser. Kein Vogel sitzt in den überhängenden Weidenzweigen. Fällt eine Wildente ein, so erhebt sie sich sofort wieder, als wäre sie auf glühende Kohlen gestoßen. Kein Wild kommt an den Bach zur Tränke. Kein Insekt umschwirrt die giftige Flut, die sich nur schwerfällig talabwärts wälzt. Der Fluß ist tot, die Industrieabwasser haben ihn vergiftet. –

Anders sterben die Binnenseen. Ihren Pflanzenwuchs, besonders die sogenannte Wasserblüte, die in manchen Seen in ungeheuren Mengen vorkommt, alljährlich gründlich zu entfernen, erfordert große Mittel. Wo man dieses Auskrauten

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Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sterbende_Gew%C3%A4sser.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)