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Walther Kabel: Verwilderte Haustiere. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 222–225

umliegenden Gütern eine große Treibjagd. Aber trotzdem wir gegen zweihundert Treiber und achtundzwanzig Schützen aufgebracht hatten und die Waldparzellen, in denen das Katzenpaar zumeist bemerkt worden war, mit aller Sorgfalt abgesucht wurden, erreichten wir nichts.

Erst in dem überaus strengen Winter 1909 fanden einige meiner Arbeiter in einem Torfbruch ein Reh, das von Raubzeug angefressen war. Die nähere Besichtigung ergab, daß zweifellos die verwilderten Katzen das Reh angesprungen und niedergerissen hatten. Denn auf seinem Rücken bemerkten wir deutlich tiefe Krallenspuren, und die Kehle zeigte Bißwunden, die von Füchsen oder Wölfen nicht herrühren konnten. Außerdem entdeckten wir neben dem verendeten Wilde nicht nur die Fährten von zwei, sondern von vier ausgewachsenen Katzen, woraus nur der eine Schluß zu ziehen war, daß das verwilderte Pärchen inzwischen Nachkommenschaft erhalten hatte. Sofort ließ ich meine Nachbarn zu einer neuen Treibjagd zusammenrufen. Zum Glück fiel in der folgenden Nacht kein Schnee, und am nächsten Morgen vermochten wir den Spuren der Räuber ohne Anstrengung zu folgen. Die vier Fährten liefen nach einer kleinen Insel hin, die mitten in einem in der warmen Jahreszeit ganz unpassierbaren Sumpfgebiet lag. Jetzt im Winter waren die Wassertümpel fest zugefroren, und wir konnten daher die von alten Eichen und dichtem Brombeergestrüpp bestandene Insel völlig einkreisen. Die Hunde wurden losgekoppelt und verschwanden auch blitzschnell hinter dem undurchdringlichen Vorhang der Brombeerranken. Bald gaben sie Laut, und nach ihrem wütenden Gekläff zu urteilen, das stets von derselben Stelle ertönte, hatten sie den Feind gestellt. Mühsam bahnten wir uns einen Weg durch das Gestrüpp. Wir fanden die Hunde sämtlich um eine uralte, abgestorbene Eiche versammelt, sahen von den Katzen jedoch zunächst noch nichts. Die Eiche war innen vollständig ausgefault, und in dem hohlen Baum saßen fraglos die verfolgten Katzen. Durch ein in Mannshöhe über dem Erdboden liegendes Astloch wurde nun trockenes brennendes Moos hineingeworfen, das sehr starken Qualm erzeugte.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Verwilderte Haustiere. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 222–225. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Verwilderte_Haustiere.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)