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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Sonntage Septuagesima.
Matth. 20, 1–16.

 DIeß Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist eines der gedankenreichsten und in der That auch eines der schwersten. Man könnte nicht bloß einen ganzen Haufen Lectionen, sondern Bücher über seine Tiefen schreiben. Ein Weniges aus dem Vielen nimm, lieber Bruder, als Gabe und Speise für dieses Mal.

 Sonst geht ein Hausvater, um Arbeiter und Tagelöhner zu miethen, am Abend vor dem Arbeitstage aus, oder wenn er es da nicht gethan hat, wird er es am Morgen thun. Wenn aber einer nicht bloß am Morgen ausgeht, sondern am Arbeitstage selbst mehr als ein Mal zu verschiedenen Zeiten: so wird er dazu besondern Grund haben. Es wird der Weinberg sehr groß sein, oder die Jahreszeit und die Geschäfte sehr dringend, so daß auch nur Ein Arbeiter mehr, oder eine einzige Stunde Arbeit mehr für den HErrn des Weinberges sehr wichtig und werth sind. Der Weinberg, von dem es sich in unserm Gleichnisse handelt, ist die Kirche mit ihrem großen und weiten Gebiete, dem bebauten und unbebauten, mit ihren gewordenen Gemeinden und denen, die es werden sollen. Kann man nun da auch sagen, der HErr des Weinbergs, Gott, gehe mehrere Male während des Arbeitstages aus und miethe Arbeiter, weil das Gebiet der Arbeit so groß, die Arbeit so nöthig, die Arbeiter so wenig, so werth und wichtig sind? Man kann und darf es. Es ist ja wahr, daß die Arbeit so groß und dringend, und die Zahl der Arbeiter so ungenügend ist. Es ist ja auch, könntest du erläuternd dazu setzen, der Arbeitstag nichts anderes, als die letzte Zeit, von Christi Auffahrt und der Ausgießung des heiligen Geistes bis zu Seiner Wiederkunft. Da brauchts des wiederholten Dingens und Miethens um so mehr, weil die Arbeiter nicht den ganzen Tag aushalten, sondern ein Arbeitergeschlecht stirbt, das andere kommt, ehe der Tag zu Ende ist. Diese Erläuterung hält nun wohl nicht Stand, denn so nahe es liegt, den Tag so zu faßen, so ist doch ganz offenbar von Arbeitern die Rede, welche den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abende mit einander arbeiten oder doch arbeiten können; der Tag muß daher, wenn er ausgedeutet werden soll (es ist aber in einem Gleichnis nicht einmal alles gesagt, um gedeutet zu werden), mehr auf den Lebenstag derer, die miteinander leben, auf die gemeinsame Lebenszeit der Zeitgenoßen gedeutet werden, so daß der Abend des Lebens Ende sei und der Empfang des Tagelohnes ans Ende des Lebens gestellt werden muß. Es mag jedoch damit sein wie es will, wir reden von einem andern Punkte des Gleichnisses, von der Wiederholung des Ganges, den der HErr des Weinberges vornimmt, um Arbeiter zu miethen, und von den Ursachen der Wiederholung. Wir haben schon eine Ursache der Wiederholung, nemlich die dringende Arbeit auf dem weiten Gebiete der Kirche, des Weinberges Gottes. Ich denke aber, bei diesem HErrn des Weinberges werden wir gar nicht falsch schließen, wenn wir sagen, Er wiederholt Seinen Gang auch um der Arbeiter selbst willen. Er kann es nicht leiden, daß die Leute am Markte des Lebens müssig stehen, – Er will, daß alles arbeite, Sein Reich mehre und Lohn der Arbeit empfange. Es ist merkwürdig, daß der HErr immer in den Stunden ausgeht, Arbeiter zu miethen, zu welchen die alttestamentliche Gemeinde ihre Betzeiten hatte, – wie wenn das Gebet der Gemeinde durch Seinen Gang auf den Markt erhört würde. Es ist aber auch merkwürdig, daß Er den letzten Gang eine Stunde, eine einzige Stunde vor Abend wiederholte. Das ist keine Betstunde für die Gemeinde gewesen, aber eine Stunde, deren Wahl recht geeignet ist, zu zeigen, wie sehr es dem HErrn daran gelegen ist, daß alle, ehe der Lebenstag vergeht, noch in Seinem Weinberge arbeiten werden, für wie gefährlich Er es hält, am Lebensmarkte müßig zu stehen. Das ist, meine Brüder, die eine Bemerkung, welche wir heute nehmen und doch ja auf uns selbst anwenden wollen. Die Arbeiter im Weinberg werden wohl vornehmlich die Hirten und Lehrer sein, aber gewis nicht sie allein, so nahe es am Ende – auch durch den Zusammenhang mit dem vorigen Kapitel – liegt. Es hat ein Jeder Platz im Weinberg Christi, und auf einen jeden wartet eine edle Aufgabe, – auch auf dich.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/342&oldid=- (Version vom 1.8.2018)