Spanische Staatspost-Freuden

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Textdaten
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Autor: Th. S.
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Titel: Spanische Staatspost-Freuden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 84–85, 87
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[84–85]

Die spanische Post.
Nach dem Gemälde von Professor Alexander Wagner auf Holz übertragen.

[87] Spanische Staatspost-Freuden. (Mit Abbildung S. 84 und 85.) Das spanische Eisenbahnnetz hat schon eine ziemliche Kilometeranzahl aufzuweisen, und auch die Hauptstädte sind fast alle mittelst Locomotiven zu erreichen. Dennoch kann es dem Touristen, den auch andere Landespunkte, als die großen, von europäischer Cultur schon ziemlich verdorbenen Städte anzuziehen vermögen, recht oft passiren, eins der Vehikel benutzen zu müssen, die man in Spanien mit dem hochtrabenden Namen einer „Staatspost“ belegt. Hat er einmal diese Folterkammer bestiegen und seinen Sitz in der Berlina, im Inferio, in der Rotonda oder gar auf der Banquetta, wie alle diese verschiedenen Marterplätze heißen, genommen, so kann man ihm mit Dante zurufen: „Laß die Hoffnung draußen!“ – denn vom Abgange aus dem Posthofe beginnen seine Leiden, die, in riesigen Proportionen sich steigernd, zuletzt den Delinquenten entweder zu einem gelinden Wahnsinn oder, was vielleicht besser ist, zum Stumpfsinn bringen.

Nachdem das Gefährt mit der vorschriftsmäßigen, polizeilich festgestellten Anzahl von Reisenden der verschiedensten Art und Bildung besetzt worden, rollt der sich in's Unvermeidliche fügende Passagier, zwischen Koffern, Reisetaschen, Bettzeug, Hunden, geladenen Gewehren, Kisten, Säcken mit Lebensmitteln eingekeilt und zur völligen Unregsamkeit verurtheilt, mit der Post durch die engen Gassen des Städtchens hin. Der Postwagen schaukelt in entsetzlichen Pendelschwingungen von einer Häuserseite zur andern. Die Straße ist so enge, daß allerdings ein Umfallen des hochgehenden Wagens nicht zu befürchten ist. Noch über eine hohe Brücke, und des Städtchens Weichbild ist erreicht; der Wagen kommt unter den Flüchen des Mayorals (des Kutschers) zum Stehen. Jetzt erst werden die zehn oder zwölf mit rothen, blauen, gelben Troddeln und mit Schellen reich behängten Maulthiere eigentlich angeschirrt und in Ordnung gestellt, und hier auch wird der Willkür und Habgier der Kutscher und Treiber, die sich nun außerhalb der Augenweite der ohnehin mit Blindheit geschlagenen Polizei wissen, volle Freiheit gegeben – denn es giebt noch eine Menge unbekannter, nicht reglementsmäßiger Wagenplätze, welche die nun frisch aufsitzenden Reisenden zweiter und dritter Ordnung, ohne sich um die rechtmäßigen Insassen zu kümmern, mit Hast und unter heftigen Streitigkeiten einzunehmen bestrebt sind, wobei die Deckplätze die Hauptrolle spielen. Sitzend, liegend, mit den Beinen herabbaumelnd, weiß der Spanier sich in den kleinsten und unbequemsten Raum einzufügen, aus dem höchstens ein Unfall ihn wieder herauszubringen im Stande wäre.

Der Wagen hat, ohne an Raum zugenommen zu haben, sich seit der Abfahrt aus dem Posthofe um zwei Drittel seiner In- und Aufsassen vermehrt, und in riesigem Zuge setzen sich endlich die Gespanne wieder in Bewegung.

Es ist Hochsommer. Die Landstraße ist mit einer fußhohen Decke von atomartig gepulvertem gelbem Sande belegt, der trügerisch die Unebenheiten ausgleicht, welche eine spanische Poststraße bietet. Staubwolken thürmen sich unter den Hufen der Gespanne zum Himmel auf, von einer Dichte, daß die Vorderthiere nicht mehr zu erkennen sind, und der Wagen senkt sich in die Löcher der Straße bald mit dem linken, bald mit dem rechten Rade ein. Der arme Reisende klammert sich fest an seinen Sitz an, obgleich diese Procedur ihn keinesfalls vor dem Umfallen schützen kann. Die Stöße und das Schaukeln des Vehikels sind so fürchterlich, daß der Gefolterte weder für Landschaft noch äußere Umgebung irgend ein Interesse fühlt. Doch mit außerordentlicher Ausdauer galoppiren die zehn Maulthiere, den gelben Kasten hinter sich, weiter, die Gefahren instinctmäßig umgehend und vermeidend. Und was ist zum Dank hierfür [88] das Loos der armen Thiere? Der Mayoral, welcher, auf dem Bock sitzend, die Zügel der Stangenthiere führt und zugleich eine sehr lange Peitsche mit Virtuosität zu handhaben versteht, mit der er die Ohren der Gespanne kitzelt, giebt sich alle Mühe, seine Zugthiere mit Hieben und Fußtritten zu foltern und zu animiren. Der neben den Thieren herlaufende Zagal, ein stämmiger, junger Bursche, theilt zu gleicher Zeit mit umgekehrtem Peitschenstock seine Kernhiebe aus und schont dabei weder den Rücken, noch die Weichen, noch den Kopf der Thiere, sodaß es kaum begreifbar ist, daß lebende Wesen unter solcher Behandlung nicht sofort verenden. Helfen Hiebe nicht, so sind Steinwürfe in Begleitung aller Kraftausdrücke und Fluchworte, deren ein spanischer Zagal mächtig ist, gewöhnliche Stimulirungsmittel für die überangestrengten Thiere.

Wenn die Staatskutsche ein Dorf oder einen Weiler passirt, so ist die ganze liebe Jugend männlichen und weiblichen Geschlechts darauf bedacht, den Gespannen eine halbe Stunde lang nachzulaufen und mit Knütteln, Stöcken und Steinen unbarmherzig auf die Thiere[WS 1] loszuschlagen. Stürzt eins, so wird ihm das Aufstehen mit Peitschenhieben erleichtert, und bergab, bergan ist Galopp die gewöhnliche Gangart. Daß die Thiere hierin nie nachlassen, dafür sorgt ein dritter Tyrann, der sogenannte Delantero, ein Vorreiter, dessen Amt es ist, mit Schmeichelworten oder im Nichtbeachtungsfalle mit Peitschenhieben die vorderen tonangebenden Paare stets in Athem zu halten. Wenn schon die Ausdauer der an jeder Hauptstation zu wechselnden Thiere eine bewunderungswürdige ist, so ist es noch mehr die ihrer Peiniger, welche zweitägige Reisen hin und zurück, in Staub, Hitze und beständiger Bewegung aushalten und dabei mit einer Brodkrume und einem Trunk Wasser vorlieb nehmen; denn das spanische Volk ist nüchtern, wie kein anderes. Aus der Behandlung seiner Gespanne möge man ferner keineswegs auf ein rohes Gemüth des Spaniers schließen. Im Stalle sind die Thiere seine besten Freunde, für welche er nur Schmeichelnamen, wie „mein Täubchen“, „mein Schätzchen“ hat, wie er im Dienste fast Unmögliches von ihnen verlangt, so pflegt er sie zu Hause mit aller Sorgfalt; er küßt und streichelt sie und füttert sie in aufmerksamster Weise.

Die ganze Gefährlichkeit für Leib und Leben, wie so ein spanischer Staatspostkasten sie darbietet, führt uns Professor Alexander Wagner (der Maler des in Nr. 30, 1878 vorgeführten „Römischen Stiergefechts“) in seinem vorstehend wiedergegebenen großartigen Gemälde „Die spanische Post“ in wahrhaft schwindelerregender Lebendigkeit vor Augen. Alles auf diesem mit realistischer Schärfe der Beobachtung erfaßten und mit viel künstlerischem Gestaltungsvermögen ausgeführten Gemälde trägt einen echt spanischen Charakter und illustrirt uns das Leben der dortigen Landstraße in den frischesten Farben.

Th. S.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Thüre