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Studie über das Krumbad

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Textdaten
Autor: Alfred Schröder
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Titel: Studie über das Krumbad
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aus: Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg. Band 6, S. 471–504
Herausgeber: Historischer Verein Dillingen
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Selbstverlag der Herausgeber
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Erscheinungsort: Dillingen
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[471]
Studie über das Krumbad.
Von Professor Dr. Alfred Schröder.

Auch in dem bescheidenen Krumbad geht es einem wie in dem stolzen Pyrmont, wo Goethe die Erfahrung machte, man könne „in dieser Gegend nicht verweilen, ohne auf die Urgeschichten hingewiesen zu werden“ (Annalen, Jahr 1801). Der „Prospekt“, den die Verwaltung des Krumbads dem Gast in die Hände legt, kommt ja nun freundlich auch der historischen Wißbegier entgegen. Allein dem Kundigen regt er doch mehr Fragen an, als er beantwortet, und wird ihm so zur Aufforderung, nun erst zu forschen, ein Anstoß, den die ringsum sichtbaren Spuren hohen Altertums im Gelände noch verstärken; „und man mag sich wehren und wenden wie man will, man mag noch so viel Abneigung beweisen vor solchen aus dem Ungewissen ins Ungewissere verleitenden Bemühungen, man findet sich wie in einem magischen Kreise befangen“ und kommt nicht zur Ruhe, bis man glaubt, „man habe sich das Unfaßlichste zu unmittelbarer Anschauung gebracht“. Der Dichter schafft sich Luft durch Zusammenfassung in anmutiger Fabel – längst hat es auch in unserm Fall die dichtende Volksphantasie so gemacht –, der geschichtlich Eingestellte will sich durch Zergliederung und Prüfung der dargebotenen Anhaltshilfen zu wissenschaftlich vertretbaren Vermutungen durchringen.

Eine Sage knüpft sich an den Heilquell des Krumbads. Quellensagen verdienen erhöhte Beachtung. Denn uralt ist die Verehrung von Quellen, und die Sage über den merkwürdigen oder wunderbaren Anlaß, dem ein Quell seine Entstehung oder Entdeckung verdanken soll, ist oft ein Hinweis auf eine besondere Bedeutung des Brunnens schon in grauer Vorzeit.

Die Krumbacher Sage in ihrer vollen Ausgestaltung ist kurz und gut im „Prospekt für das Krumbad“ erzählt. Ich schicke diese Endfassung voraus.

„Zu Ende des 14. Jahrhunderts lebte auf der Hiltiboldsburg bei Krumbach Ritter Ulrich von Ellerbach mit seiner ob ihrer Tugend und barmherzigen Mildtätigkeit weitum bekannten, allgemein geliebten und geschätzten und im Rufe der Heiligkeit stehenden Gattin Adelheid von Roth[1].

[472] Aber nach kaum 3/4jähriger glücklicher Ehe gelang es einem Verleumder, dem sonst so christlichen und ritterlichen Helden die eheliche Treue Adelheids zu verdächtigen, und im ersten Auflodern des Zornes und der Eifersucht wollte er sie töten.

Adelheid flüchtete in dieser höchsten Lebensnot zur nahen Scheune. Ulrich aber ließ selbe hinter ihr schließen, an drei Stellen anzünden und niederbrennen; geschehen im Jahre 1390.

Beim Abräumen des Brandplatzes fanden sich Adelheids Leib und Kleider ganz unversehrt von den Flammen und an den drei Zündstellen sprudelten drei Quellen hervor, welche sogleich einen großen Teich bildeten.

Dieses alles wurde als Zeugnis Gottes für die Unschuld der Geopferten vom Volk aufgefaßt, und die Auffindung der Quellen galt als Gottes Wille, damit durch den Tod der Dulderin, welche in ihrem Leben nur barmherzig sich gezeigt, neue Quellen zur Milderung menschlichen Elends, neue Quellen der Barmherzigkeit erstünden.

Durch den Verleumder, der nicht Ruhe noch Frieden fand, erhielt Ritter Ulrich die Bestätigung der Unschuld seiner Gattin! Er verfiel unsäglichem Gram und starb nach sieben in strengster Buße verbrachten Jahren auf dem Grabe Adelheids in Wettenhausen und ruht bei ihr in der Klosterkirche dortselbst.“

Die Frage, die sich uns zunächst aufdrängt, geht auf die Geschichtlichkeit der Adelheidsage: ob die Sage überhaupt und wie weit sie etwa einen geschichtlichen Hintergrund hat oder den Tatsachen entspricht, das wollen wir wissen. Ein günstiger Umstand ermöglicht uns die kritische Prüfung. Es haben sich Nachrichten über den Gegenstand der Sage erhalten, die bedeutend älter sind als die schriftliche Aufzeichnung der volkstümlichen Sagenform und aus Kreisen stammen, in denen man um die Sache ein Wissen haben konnte, mochte es auch nicht in allweg zutreffend sein.

I.

Die frühesten Aufzeichnungen wohl überhaupt – jedenfalls die frühesten für uns –, die sich mit dem Gattenmord im Hause Ellerbach befassen, liegen vor in Schriftstücken aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Diese Schriftstücke, erzählende Berichte, sind von Verwandten der Adelheid verfaßt und den Klöstern Wettenhausen und Ursberg übermittelt worden, deren Chronisten sie abschriftlich auf uns gebracht haben.

Wettenhausen besaß eine Aufzeichnung in deutscher Sprache von der Hand Georgs von Rot aus dem Jahre 1518; sie ist mir nur in der lateinischen Uebersetzung bekannt, die um 1630 P. Philipp Fabri seiner Chronologia Wettenhusana einverleibt hat (Clm 2220, S. 91 f., zum [473] J. 1390). Nach Ursberg schrieb darüber, wohl um dieselbe Zeit, der bekannte Humanist und Geschichtsforscher Dr. Matthäus Marschalk von Biberbach (1458–1541), Domherr in Augsburg; der Wortlaut seiner Mitteilung liegt der traditionellen Ursberger Fassung zugrunde, wie sie in den alten Badebeschreibungen und auch bei Merian, Topographia Sueviae, Anhang 1653, S. 63 und in Zeillers Chronicon parvum Suevia 1653, S. 568 (vgl. auch ebenda S. 51) wiedergegeben ist unter der Ueberschrift: „Aus dem Archiv der alten Documente des Gotteshauses Ursberg.“ Die genaue eigenhändige Fassung des Marschalks, deren Original nicht auffindbar ist, zugleich die Angabe seiner Urheberschaft verdanken wir einer Abschrift des letzten Ursberger Chronisten, P. Grimo Kornmann († 1831), der die Mitteilung einleitet mit den Worten: „Nachstehendes hat einst den Unsrigen eigenhändig mitgeteilt D. Marschalk, Domherr zu Augsburg“. (Archiv des Bisch. Ordinariats Augsburg, Hs. 133, Bd. II, Abteilung Documenta, S. 105 f. Nr. 25). Ich stelle die beiden Berichte nebeneinander.

Georg von Rot, 1518 an Wettenhausen (= R).

Adelhaidis de Ellerbach nata de Rot, matrona divino cultui impense dedita, quotidianas immo horarias preces in locis solitariis ac a curis saecularibus remotis et dissitis Deo calidissimas litabat. Et ecce tibi, cum pro more oratum solitas preces persolutura die quadam in aream se abdidisset eandemque maritus ita occulte orantem offendisset, impuris coepit agitari zelotypicisque suspicionibus ac eo impietatis progredi, ut aream undiquaque igne succenderit, ratus cum area castam quoque Adelhaidem in favillas redigere. Caeterum vorax flamma, Adelhaide extincta, nec carnes nec vestimenta immo nec crines quidem ambussit. Hinc traditio est eam sic incorruptam ad Wettenhausense coenobium delatam ac in Ellerbacensium Adelhaidina [474] capella (quam ita ob tam castas exuvias indigitant)[2] terrae concreditam.

Matthäus Marschalk, um 1510 an Ursberg (= M).

Anno domini MCCCXC floruit dominus Ulricus miles de Ellerbach, habuit uxorem venerabilem dominam Adelhaiden de Rota, ingenuam et honestate vitae. Ipse dom. Ulricus miles profectus in negotio suo, tandem reversus male suspicabatur de uxore. Qui vehemens irruit in eam; quae fugiens in stabulum; at ipse clausit ostium et obstruxit ac eam sic combussit. Quae delata ad monasterium Wettenhausen, ubi in capella quiescit, non sine opinione sanctitatis. Ipse dom. Ulricus, ab anno MCCCXCVII ibi sepultus, habuit fratrem Johannem militem de Ellerbach, parens noster ex avo. Ipse Ulricus miles habuit domum ac moram in Hilpelsperg non longe a – –. Occasione huius mulieris emersit fons et balneum salubre praecipue mulieribus [474] in sylva vero pridem fuit capella in memoriam rei gestae.

(Weiter stand auf dem nämlichen Blatt von des Marschalks Hand eine kurze Notiz über die Lebenszeit der „Grafen“ Konrad und Schwigger von Schwabegg, die dem Geschlecht der Gründer Ursbergs angehörten.)

[474] Die kritische Untersuchung der beiden Berichte hat auszugehen von deren Vergleichung untereinander. Bevor wir indes an diese Aufgabe herantreten, wollen wir beide zusammen kurz gegenüberstellen der eingangs wiedergegebenen volksmäßigen Fassung der Adelheidsage. Von ihr unterscheiden sie sich in einem wichtigen Punkt: während die Sage den Krumbader Quell in unmittelbare örtliche und zeitliche Beziehung zu Adelheids Tod bringt, meldet der Bericht R vom Quell überhaupt nichts und der Bericht M ist so gefaßt, daß er eine örtliche Beziehung jedenfalls nicht behauptet, ja ausschließt, wenn man ihn richtig deutet, worauf später einzugehen ist.

Untereinander verglichen, bietet rein formell R eine wohlabgerundete Erzählung, während die M-Fassung in zwei Teile auseinanderfällt: der erste, reichend bis „opinione sanctitatis“, gibt kurz den Untatsbericht, der zweite meldet allerlei Einzelheiten, nicht eben in bester Ordnung: des Mörders Todesjahr, Begräbnisort und Verwandtschaftsverhältnis zum Marschalk; sodann dessen Wohnsitz; endlich das Auftauchen eines Heilquells „aus Anlaß dieser Frau“ und das ehemalige Vorhandensein einer Gedächtniskapelle im Wald.

Inhaltlich sind als wichtigere Unterschiede hervorzuheben: R verzichtet auf Zeitbestimmung und gibt weder einen Vornamen des Gattenmörders an noch den Ort, wo er hauste. R denkt sich den Ellerbacher vor der Untat auf der Burg anwesend, M läßt ihn unmittelbar vorher von einer Reise zurückkehren auf die Burg. Adelheids Anwesenheit in der Scheune begründet R mit ihrer Frömmigkeit, die sie ruhige Orte aufzusuchen [475] veranlaßte, M läßt sie dorthin fliehen vor dem Zorn des Ritters. R hebt [als Wunderzeichen der Unschuld Adelheids] ihre völlige Unberührtheit von der Flamme zweimal hervor, während M nichts davon meldet. Hinwieder schweigt R von Quell und Waldkapelle.

Dagegen stimmen R und M überein in folgenden Zügen: Der Gatte ein Ellerbacher, Adelheid eine Rot; Ursache des Verbrechens unbegründete Eifersucht des Gatten; Mordstätte eine Scheune, die nahe der Burg gedacht ist; Todesursache die Brandlegung an der Scheune; Bestattungsort der Adelheid eine Kapelle der Klosterkirche Wettenhausen.

Die Vergleichung der beiden Berichte ermöglicht uns die für die Kritik belangreiche Feststellung, daß hier zwei von einander unabhängige Berichte vorliegen. Das ergibt sich aus der völligen formalen Selbständigkeit und aus den recht erheblichen inhaltlichen Unterschieden und ist von Bedeutung für die Kritik deshalb, weil nur unabhängige Berichte, solche, von denen weder der eine aus dem andern geschöpft ist noch beide aus einer gemeinsamen Quelle geflossen sind, als mehrfache Bezeugung gelten können; „aus zweier oder dreier Zeugen Mund“ aber „wird jede Sache festgestellt“, heißt es schon im Deuteronomium (19, 15) und wieder im Evangelium (Matth. 18, 16), und die historische Kritik bekennt sich zu demselben Grundsatz, sowie sie nur völlige Unabhängigkeit für gegeben erachtet.

Die nächste Vorarbeit, wenn wir zu einem Urteil über die Zuverlässigkeit der Berichte gelangen wollen, ist die Quellenanalyse, d. h. die Untersuchung darüber, woher R und M ihre Kenntnis gewonnen haben mögen. R beruft sich einmal (da, wo er vom Beisetzungsort der Adelheid spricht) auf die Ueberlieferung (traditio), womit er ohne Zweifel die mündliche meint. Sehr wahrscheinlich aber beruht sein ganzer Bericht auf mündlicher Ueberlieferung, und ich denke dabei in erster Linie an Ueberlieferung innerhalb seiner eigenen Familie, wo doch wohl das Verbrechen an dem edlen Sproß in der Erinnerung noch lebte, falls es überhaupt stattgefunden hat.

Der Marschalk, also der Verfasser des M-Berichts, war ebenfalls verwandt; ein Ellerbach, nach des Marschalks Angabe ein Bruder des Mörders, war einer seiner Ahnväter. So mag sich auch in seiner Familie eine Erinnerung an die Untat in Form [476] einer überlieferten Erzählung auf ihn vererbt haben, da er doch nur etwa 80 Jahre nach dem Verbrechen (dessen Tatsächlichkeit wieder vorausgesetzt und dessen zeitlichen Ansatz vorweg genommen) geboren war. Aber der Marschalk ist zugleich Geschichtsforscher. Zusammengesetzt ist in der Tat auch sein Bericht, wie schon erwähnt, bestehend aus einer kurzen, fortlaufenden Erzählung, die in der Hauptsache die Familienüberlieferung wiedergeben wird (nur die am Eingang stehende Jahreszahl und wahrscheinlich auch der Vorname Ulrich für den Ellerbacher sind hier als Erhebungsergebnisse anzusehen), und einer Aneinanderreihung von allerlei Einzelheiten, die entschieden den Eindruck macht, als wären diese Dinge, eins ums andere, durch Nachforschung festgestellt und von M aus seiner Mappe geschichtlicher Studien herübergenommen; die Nachforschungen scheint er gepflogen zu haben teils in Adelsarchiven, teils durch Umfrage nach der Ueberlieferung in Volks- und Adelskreisen der Umgebung.

Die Vergleichung des Inhalts und die Quellenanalyse der beiden Berichte setzt uns erst in Stand, ein Urteil über die Glaubwürdigkeit der Berichte herauszuarbeiten. Denn dazu ist nötig, die übereinstimmenden Züge der Berichte auseinander zu halten von den einzeln auftretenden, und nach anderer Methode sind die auf Ueberlieferung beruhenden Bestandteile kritisch zu prüfen als die aus Nachforschung stammenden.

Bei den Ueberlieferungszügen fällt kritisch ins Gewicht, daß sich die Ueberlieferungen auf ein Ereignis beziehen, das von ihrer Aufzeichnung durch einen größeren Zeitraum getrennt ist. Es ist also von vornherein mit Trübungen der Ueberlieferungen zu rechnen. Die beträchtlichen Unterschiede zwischen R und dem Ueberlieferungsteil des M-Berichts (s. oben S. 474 f.) zeigen denn auch – da beide Darstellungen zumal nicht den Tatsachen entsprechen können –, daß Trübungen des Sachverhalts in der Tat unterlaufen sind. Welcher der beiden Fassungen, soweit sie von einander abweichen, der Vorzug zu geben sei, ja ob überhaupt eine der Wahrheit näher kommt in den abweichenden Zügen als die andern darüber kann schwerlich ein begründetes Urteil ausgesprochen werden; ich wage hier keine Entscheidung und wende mich den übereinstimmenden Zügen der Ueberlieferung zu, die oben S. 475 zusammengestellt sind.

[477] Hier ermöglicht uns zunächst der kritische Grundsatz der gegenseitigen Bestätigung übereinstimmender selbständiger Traditionen die wichtige Feststellung, daß als Tatsache folgendes Vorkommnis zu gelten hat: ein Gattenmord im Hause Ellerbach, vollbracht an Adelheid von Rot durch Brandlegung an einer Scheune, worin sie sich vorübergehend aufhielt. Diese Züge sind so individuell, daß sie nicht wohl so gleichartig in zwei unabhängigen Ueberlieferungen auftreten könnten, wenn sie nicht den Tatsachen entsprächen; sie sind zugleich so eindrucksvoll, daß sich durchaus verstehen läßt, wie sie sich in Familientraditionen ungetrübt vererben konnten.

Was sodann den ebenfalls übereinstimmend angegebenen Beweggrund des Verbrechers, seine Eifersucht, betrifft, so liegt an derlei zu denken bei einem Gattenmord immer am nächsten; deshalb entbehrt nun aber das Motiv sofort auch der Besonderheit, konnte also in beiden Ueberlieferungen trotz deren Selbständigkeit Eingang finden, auch wenn es nicht das wirkliche war. Und wenn die Eifersucht näherhin auf grundlosen Argwohn zurückgeführt erscheint, so dient diese Wendung auch nicht eben zu erhöhter Beglaubigung: verfolgte Unschuld ist eine Vorstellung, viel dankbarer und somit auch eingänglicher als etwa die Motivierung mit Rausch, mit Zorn, mit Unachtsamkeit. Und möglicherweise hat gerade hier die Volksüberlieferung auf die Familienüberlieferungen abgefärbt; ihr mußte das Eifersuchtsmotiv besonders nahe liegen, sowohl wegen des rührenden Einschlags wie auch wegen der Beziehung zum Heilbrunn, für die sich verfolgte Unschuld und eheliche Keuschheit ganz besonders eignete, wie sich noch zeigen wird. Demnach steht das Eifersuchtsmotiv nicht in gleichem Maße sicher, trotz der „zwei Zeugen“, wie die oben herausgehobenen Züge der Ueberlieferung, ist aber an sich das wahrscheinlichste.

In einer (R: in der Ellerbach-) Kapelle des Wettenhauser Münsters sei Adelheid beigesetzt worden. Da die Ellerbach (wie auch die Rot) in Wettenhausen ein (natürlich aber nicht in jedem Fall benütztes) Erbbegräbnis hatten, so mag dem so sein. Aus demselben Grunde bedeutet die Uebereinstimmung der Zeugnisse aber auch hier wieder nicht eine Sicherstellung der Tatsache; denn in beide Familientraditionen kann jene Angebe auf grund bloßer Mutmaßung Eingang gefunden haben. [478] Sicher ist, daß in der Klosterkirche zu Wettenhausen um 1500 und auch in der Folgezeit kein Grabstein für Adelheid[3] (wie auch nicht für Ulrich) vorhanden war, wie denn R sich für die Bestattung der Adelheid in Wettenhausen lediglich auf die „traditio“ bezieht und ebenso noch um 1684 der Wettenhauser Chronist P. Franz Petrus in seinen Annalen (I 1, 368, Hs. des HStA). Und das Jahrzeitbuch des Klosters, um auch dieses hier zu Rate zu ziehen, obwohl ein gestifteter Jahrtag die Beisetzung der betr. Persönlichkeit in der betr. Kirche durchaus noch nicht beweist und auch in unserm Fall höchstens wieder nur vermuten läßt, verzeichnet wohl für zwei Adelheid von Ellerbach (ohne Angabe von Todesdaten) Jahrtage, aber die eine heißt einfach Adelheid von Ellerbach, wird also eine geborne unverheiratete Ellerbacherin gewesen sein, beim andern Namen hindert der Beisatz „nata de Göttingen“ die Beziehung auf unsere Adelheid, und nur deshalb glaubte P. Philipp Fabri, als er 1626 im Nekrolog über diese Frage nachforschte, es müsse eine davon unsere Adelheid sein, weil ja die Kapelle der Ellerbachschen Grablege eine Adelheidskapelle sei (Kornmann II, Documenta Nr. 26) – ein Schluß ohne Beweiskraft, weil, selbst wenn nach Adelheid von Rot – nicht nach der hl. Kaiserin Adelheid – die Kapelle benannt war, diese Benennung wieder nur für eine diesbezügliche Klostertradition zeugen kann, deren Beweiskraft erst zu erhärten wäre. Nebenbei bemerkt, beging man in Wettenhausen auch den Jahrtag eines Ulrich von Ellerbach, ob aber der Gemahl der Adelheid hier gemeint ist, bleibt völlig im Ungewissen.

Den Namen Ulrich verbürgt nur M, da R den Ellerbacher nicht mit Vornamen nennt. So kommen wir zur Sichtung und Prüfung der nur bei M sich findenden Züge der Erzählung. Sie sind oben S. 474 f. zusammengestellt und vereinigt mit denen, worin M von R abweicht. Diese abweichenden Züge indes beziehen sich auf Nebenumstände, und ich gehe auf ihre Prüfung um so weniger ein, als sich, wie angedeutet, kein kritisches Mittel dazu anbietet.

Der bei M allein sich findenden Züge sind es fünf: er allein gibt die Zeit an, bringt den vollen Namen des Ritters, bezeichnet seinen Burgsitz und meldet von Quell und Waldkapelle. Die Zeitbestimmungen und den Vornamen des Ritters wird M [479] aus gelehrter Forschung in Adelsarchiven erhoben haben; die Kenntnis vom Ort der Tat, sodann vom Zusammenhang des Quells mit Adelheid und von der Gedächtniskapelle – lauter Dinge, die er im angehängten zweiten Teil seines Berichts bringt, nicht im ersten, die Familienüberlieferung wiedergebenden Teil – wird er der Nachfrage in der Umgebung verdankt haben, wobei er nun auch auf die Volksüberlieferung stieß. Demnach sind seine Weiterungen kritisch verschieden zu behandeln.

Seine aus gelehrter Forschung herrührenden Ergebnisse – Vorname des Ritters (Ulrich) und Zeitbestimmung (1390) – sind nachzuprüfen an den Erkenntnissen, die uns eigene Forschung vermittelt, unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Arbeitsweise der Zeit und der Kreise, denen M angehörte. Da zeigt sich nun, daß ein Ulrich von Ellerbach für uns in Quellen des späten 14. Jh. nicht faßbar ist; gewiß kann trotzdem ein Ulrich v. E. um 1390 gelebt, auch zuverlässige Nachricht davon dem Marschalk vorgelegen haben, aber mir ist eine urkundliche oder sonst gleichwertige Spur nicht bekannt. Um 1290 wird ein Ulrich von Ellerbach in Urkunden genannt, aber er hatte eine Irmengard zur Frau, scheidet also wohl aus. Zieht man nun die Arbeitsweise jener humanistischen Geschichtsforscher vom Schlage des Marschalks in Betracht und nimmt man hinzu, daß doch bei R weder Vorname noch Zeitangaben sich finden, so müssen die diesbezüglichen Angaben bei M. in zweifelhaftem Licht erscheinen. Indes ist an dem Vornamen nicht viel gelegen, und zeitlich vermögen wir selbst das Ereignis[4] beiläufig festzulegen: es muß in die Zeit fallen, da die Ellerbacher in dieser Gegend hausten, und darf nicht zu nah an 1500 herabgerückt werden, weil sich bis 1500 schon beträchtlich abweichende Ueberlieferungen in den verwandten Familien hatten bilden können, auch die Gedächtniskapelle bereits verschwunden war. Vor 1348 nun sind die Ellerbacher in der Nachbarschaft nicht nachweisbar (die Nachbarschaft auf drei Stunden im Umkreis von Krumbach gerechnet, womit Burgau ausgeschlossen wird, wo sie schon um 1310 nachweisbar sind). Sonach hat sich die Untat im 14. Jh. zugetragen, wahrscheinlich in dessen zweiter Hälfte.

[480] Damals saßen Ellerbacher an folgenden Orten der Nachbarschaft: in Neuburg a. d. Kammel, und zwar seit 1348 (bis 1458); in Tannhausen, ebenfalls seit 1348 (bis 1453); auf der Heubelsburg bei Waldstetten, unbekannt seit wann, nachweisbar seit 1350, jedoch nicht länger als bis 1382; endlich in Krumbach, 1362 nachweisbar (vielleicht schon früher hier, 1438 abtretend)[5].

Nun gibt M, wie gesagt, auch den Sitz des Gattenmörders an: er hatte „domum et moram in Hilpelsperg, non longe a – –“. Stets in dieser Form wird, auf grund der von M nach Ursberg gemachten Mitteilungen, in den Ursberger Nachrichten über das Ereignis die Oertlichkeit genannt, z. B. schon bei Zeiller 1653 (vgl. oben S. 473) und noch in Kornmanns Abschrift (vgl. ebenda). Klar jedoch ist, daß M den Sitz Hilpelsperg durch Beifügung des Namens eines bekannteren Nachbarortes näher örtlich bestimmen wollte und in seiner Zuschrift auch wirklich einen Ortsnamen nach „a“ eingesetzt hatte. Und klar ist weiter, daß man in Ursberg bei der Ueberarbeitung des M-Berichts diesen Namen des Nachbarortes nicht etwa deshalb wegließ, weil man ihn bloß nicht hätte entziffern können durch all die Jahrhunderte hindurch, sondern deshalb, weil er in der Vorlage (in der Originalzuschrift des Marschalks) frühzeitig schon mit Absicht beseitigt worden war durch Ausradieren. Es fragt sich also, was für ein Ortsname stand ursprünglich an Stelle der Rasur und warum hat man ihn in Ursberg beseitigt?

Mit „Hilpelsperg“ meint M höchst wahrscheinlich Heubelsburg (ältere Formen Hivels-, Hifels- und Hübelspurg) bei Waldstetten, Pfarrei Ichenhausen[6]; dort saß, wie erwähnt, ein Zweig der Ellerbacher mindestens seit 1350, bis dann i. J. 1382 die Burg durch Kauf von Heinrich von Ellerbach, gen. Wolf, einem Sohne Hansens von Ellerbach, der wieder ein Bruder des verdienten Augsburger Bischofs Burkhard (1373–1404) war, an Ritter Heinrich Fulhin überging (Bist. A. 5, 463). An Stelle der Rasur wird also „Waldstetten“ gestanden haben.

Völlig unbegreiflich wäre die Rasur, wenn M bei „Hilpelsberg“ eine Burg auf dem Berg hinter Krumbad im Auge gehabt [481] hätte; hier nämlich sucht die spätere Ursberger Tradition (kaum vor 1700) das „Hilpelsperg“ des Marschalks, indem sie ob dem Krumbad eine Hiltiboldsburg sich erheben läßt, die, von Hiltibold von Krumbach 1145 erbaut und nach ihm benannt, in der Folge spurlos verschwunden sei. Nun hat es allerdings um besagte Zeit einen Hiltibold von Krumbach gegeben und die Ursberger haben den Namen nicht aus der Luft gegriffen, freilich auch nicht weit hergeholt – sie fanden ihn im „Traditionsbuch“ ihres eigenen Klosters –, jedoch die Hiltiboldsburg ist eine ursbergische Erfindung und ein Luftgebilde; die Rasur fegt sie hinweg, abgesehen davon, daß sie nie urkundlich erwähnt wird. Denn hätte M wirklich mit „Hilpelsperg“ eine Burg ob dem Krumbad gemeint, so hätte er als Nachbarort Krumbach nennen müssen und damit den Ursbergern das Ausradieren erspart. Stand aber „Waldstetten“ da, so begreift man die Rasur: die Ursberger hielten sich an die Volksüberlieferung, wonach der Ort der Quelle auch der Ort der Untat war, und konnten darum mit einem „Hilpelsperg non longe a Waldstetten“ nichts anfangen, da Heubelsberg und Waldstetten mehr als zwei Stunden von Krumbad entfernt liegen. Für M dagegen ergab sich keine Unstimmigkeit aus der örtlichen Getrenntheit von Heilquell und Untat; denn er behauptet nicht, daß der Quell am Ort des Verbrechens entstanden sei, sondern drückt sich vorsichtig und allgemein dahin aus, daß die edle und sittsame Frau Anlaß geworden sei zum Auftauchen des Quells (occasione huius mulieris emersit fons).

Was ist nun aber zu halten von der Ortsangabe bei M? Entspricht sie der Wirklichkeit und war demnach die Heubelsburg der Ort des Verbrechens? In Archiven wird M hierüber schwerlich etwas gefunden haben; aus der mündlichen Ueberlieferung vielmehr stammt höchst wahrscheinlich die Angabe. Denn frei erfunden ist sie nicht; freie Erfindung hätte den Marschalk schon vor den Ursbergern auf das Krumbad, den Ort des Heilquells, geführt oder doch in dessen nächste Nähe, nach Krumbach etwa, wo ja ebenfalls Ellerbacher saßen, was ihm kaum unbekannt war. Und die Untat muß gewaltiges Aufsehen erregt haben; sollte da 120 oder 150 Jahre hernach keine Ueberlieferung mehr in der Umgebung, nicht bei Adelsfamilien, nirgends im Volk, lebendig gewesen sein auch über den Ort des Verbrechens? Und wenn, warum sollte sie nicht völlig glaubhaft sein? Gerade weil sie vom Quellort wegführt, also zu der nächstliegenden [482] Vermutung nicht stimmt, ist sie glaubhaft. M darf hierin, in der Festlegung des Sitzes des Gattenmörders und somit des Ortes der Untat, als Dolmetsch einer echten, der Wirklichkeit entsprechenden Ueberlieferung gelten. Der Mord hat sich auf der Heubelsburg zugetragen.

Ueber die Gedächtniskapelle im Wald, die schon zu des Marschalks Zeiten gänzlich vergangen war, wenn ich seine Worte recht verstehe („iam pridem fuit capella“, was Zeiller S. 569 allerdings anders auffaßt, indem er, gewiß nach Ursberger Konzept, übersetzt: „Darbey [nämlich beim Krumbad!] im Wald längst ein Capell zur Gedächtniß dieser Geschicht erbauet worden“), kann ich nur sagen, daß M sie ebenfalls nicht im Krumbad sucht oder mit der dortigen Badkapelle gleichsetzen will; denn diese lag zu seiner Zeit weder „im Wald“ noch in Trümmern. An der Tatsache selbst, dem einstigen Vorhandensein einer Sühnekapelle, die vermutlich nahe beim Tatort stand, ist kaum zu zweifeln; jedenfalls stimmt das Zeugnis trefflich zu mittelalterlichen Gepflogenheiten.

Es bleibt noch übrig, den auch wieder nur von M behaupteten Zusammenhang zwischen Mord und Heilquell kritisch zu beleuchten. Da dieser Zug jedoch meines Erachtens von der Volkssage dem Marschalk dargeboten wurde und aus ihr in seine Aufzeichnung überging, so steht und fällt er mit der Echtheit der Volkssage hierüber und ist also endgültig erst im zweiten Teil zur Entscheidung zu bringen. Hier jedoch haben wir uns vorläufig Rechenschaft zu geben darüber, welches kritische Ergebnis die beiden ältesten Aufzeichnungen, für sich befragt über diesen Punkt, zu liefern vermögen.

Da müssen denn mit Nachdruck folgende drei, zum Teil schon gelegentlich gestreifte Erwägungen betont werden:

1. Nur M, nicht auch R, spricht überhaupt vom Heilquell und seinem Zusammenhang Adelheid, und auch M hat allem Anscheine nach seine Kenntnis davon nicht aus der Familienüberlieferung geschöpft, sondern durch nachforschende Umfrage gewonnen, da er im zweiten, das Ergebnis seiner Nachforschungen enthaltenden Teil seines Berichts (vgl. oben S. 476) davon spricht.

2. Daß R darüber schweigt, hat seinen Grund darin, daß die Rotsche Familienüberlieferung, die allein er kennt und wiedergibt, nichts davon wußte und nie diesen Zug enthalten hat. R hätte sich sonst das wunderbare Auftauchen des Quells, dieses [483] Hauptbeweisstück für die Unschuld Adelheids, nicht entgehen lassen, da er doch auf deren Erweis sichtlich starkes Gewicht legt und in diesem Sinn die völlige Unversehrtheit ihres Leibes im Brand verwendet und kräftig heraushebt. Und eben so bestimmt darf man behaupten, daß im Lauf der Zeit bis auf Georg von Rot nicht verschwunden sein könne aus der Familienüberlieferung das wie ein Gottesurteil zu gunsten der Ermordeten sprechende Hervortreten des Quells. Vielmehr enthielt die Ueberlieferung der Rot diesen Zug weder zu Georgs Zeit noch früher.

3. Auch bei M ist der Zusammenhang zwischen Untat und Quell nicht als ein örtlicher gemeint, kann gar nicht so gemeint sein, weil M doch wußte, daß die Heubelsburg vom Krumbad örtlich getrennt ist. Der Zusammenhang wird denn auch dem Wortlaut nach nur als ein anlaßweiser hingestellt, ein Gelegenheitsanlaß, der dem Marschalk wohl zu Verlegenheit Anlaß geworden wäre, wenn er hätte darlegen sollen, wie er sich ihn denn vorstelle. Von außen her ihm übermittelt, bleibt die Hereinziehung des Heilquells ein äußerliches Anhängsel seines Berichts, mit „occasione huius mulieris“ notdürftig, so gut es eben gehen wollte, damit verbunden.

Demnach liefern die ältesten Aufzeichnungen über den Gattenmord, für sich geprüft als Quellen für die vorliegende Frage nach dem Zusammenhang zwischen Untat und Brunnen, das kritische Ergebnis: Ein solcher Zusammenhang im örtlichen Sinn wird gar nicht behauptet und der anlaßweise Zusammenhang bei M ist Verlegenheitswendung, dazu bestimmt, einen der vorher mitgeteilten Familienüberlieferung fremden und fremdartigen Zug irgendwie unterzubringen.

Die kritische Prüfung der Adelsberichte über den Mord an Adelheid ist zu Ende geführt. Was jene Berichte als tatsächlich zu verbürgen imstande sind, beschränkt sich, um es zusammenzufassen, auf folgende Züge:

Im 14. Jh., wahrscheinlich erst nach 1350, wurde Adelheid geb. von Rot von ihrem Gemahl, einem Ritter von Ellerbach zu Heubelsburg, auf der Heubelsburg bei Waldstetten (BA Günzburg) verbrecherischerweise durch Brandlegung an einer Scheune ums Leben gebracht. Eine Sühnekapelle hielt die Erinnerung an den Ort der Untat eine Zeit lang aufrecht.

Die nunmehr zu untersuchende Volksüberlieferung vermag dazu, wie hier vorweggenommen sei, nur noch eine geschichtliche Erkenntnis beizusteuern, die nämlich, daß Adelheid Eigenschaften [484] besessen haben muß, die sie beim Volke beliebt machten, also Leutseligkeit und Milde wohl vor allem und selbstverständlich Frömmigkeit und unantastbare Ehrbarkeit.

II.

Wie eben dargetan, hat die Volkssage Einfluß gewonnen auf des Marschalks Bericht. In ihr wird, wie die eingangs mitgeteilte Fassung der Adelheidsage zeigt, das Hervortreten der Heilquellen im Krumbad mit dem Mord an Adelheid in Zusammenhang gebracht, und zwar in engsten örtlichen und zeitlichen und von Gott wunderbar gefügten zum Zeugnis der Unschuld: an der Brandstätte bei der Hiltiboldsburg sprudeln an den drei Zündstellen drei Heilquellen hervor[7].

Das ist echt volksmäßige Zusammenhangsschau, ganz anders geartet als die blutlose, nebelhafte, dem schlichten Denken völlig unvollziehbare Vorstellung eines „Anlaß“-Zusammenhangs, zu dem der Marschalk seine Zuflucht nehmen mußte, um die ihm gewordene Kunde in leidlichen Einklang mit den sonstigen Nachrichten zu bringen: die handfesten, greifbaren Vorstellungen liebt das Volk und an das, was vor Augen steht, knüpft es seine Gedankenfäden. Die Gedächtniskapelle nahe dem Tatort, die das Ereignis immerhin lokalisierte, war nach dem Zeugnis des Marschalks um 1500 schon verschwunden. Damit war die Erinnerung an den Mord für die Volksphantasie frei geworden von örtlicher Bindung, und wenn irgendwo, so beim schlichten Volke gilt in derlei äußerlichen Dingen der Spruch: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Aber nicht entschwand damit auch das Gedächtnis der Adelheid. Dieses wahrte das Volk mit einer Treue, die sich wie „Treue um Treue“ ausnimmt und dazu berechtigt anzunehmen, daß Adelheid als eine lichtvolle Erscheinung in seinem Herzen lebte, [485] daß ihr gewaltsamer Tod nicht einfach bloß die Bedeutung einer häuslichen Tragödie gehabt, sondern das Volk stark in Mitleidenschaft gezogen hatte; bei Lebzeiten schon dem Volke lieb und teuer und innig verbunden durch volkstümliches Wesen und Gebaren, trat sie mit ihrem milden Sinn, ihrer fraulichen Zucht in das verklärende Licht, das ein gräßlicher Tod durch die Wut eines Rohlings darüber ergoß. Nein, vergessen hat das Volk seine Adelheid nicht so schnell, aber der Ort ihres Todes konnte in der Volkserinnerung zurücktreten und seine Stätte sogar wechseln: nachdem einmal der äußere Anhalt, die Kapelle, verschwunden war, konnten andere, dem Volk eingängliche Beziehungen sehr wohl zu einer Verlegung von der wirklichen Stätte an die durch die Beziehungen sich darbietende führen. Als Beispiel für die Leichtigkeit, womit sich solcher Ortswechsel in der Volkserinnerung vollzieht, wenn er durch das, was vor Augen steht, nahegelegt wird, sei aus vielen nur angeführt die in Erpfting verbreitete Volksmeinung, die alte Pfarrkirche des Dorfs, in Wirklichkeit eine Michaels-Bergkirche, eine halbe Stunde westlich vom Ort entfernt (die jüngere, jetzige, wurde um 1475 ins Dorf selbst gebaut, unter Auflassung der Bergkirche), sei die Wolfgangskapelle am Ostende des Dorfs gewesen: die Kapelle stand eben vor Augen, sie wurde erst 1804 beseitigt, während die wirkliche Altkirche auf dem Berg schon um 1500 verschwunden war (Bist. A. 8, 171 f.); das Wesentliche, die Tatsache, daß die Pfarrkirche ehedem anderwärts stand als später, hat sich treu in der Erinnerung erhalten, der Nebenumstand des Ortes aber ist, obwohl Jahrhunderte lang die Pfarrgenossen den weiten Weg zu machen gehabt hatten, so gänzlich der Vergessenheit anheim gefallen, daß sogar ein anderer Ort den wirklichen verdrängen konnte.

„Eingängliche Beziehungen“ jedoch, wie gesagt, mußten in Krumbad vorhanden sein, wenn die Verlegung der Untat von der wirklichen Stätte hinweg nach Krumbad der Volksvorstellung sich empfehlen sollte und in ihr sich sollte vollziehen können; aufnahmefähig hierfür mußte der Boden des Krumbads sein.

An solchen Beziehungen fehlte es nicht. Es gab in Krumbad, also in der Gegend, wo die edle Frau ums Leben gekommen war, einen köstlichen Brunnen, wohltätig durch Heilkraft und als wohltätig und heilkräftig erkannt und benützt, freilich längst schon vor jenem Verbrechen, ein Umstand jedoch der [486] Zeit, der die Volksphantasie so wenig beschäftigte oder gar in ihrem Dichten beirrte wie Ortsumstände. Und in der Volksvorstellung war verbreitet durch Sage und Legende – übrigens in uralten mythischen Gedankengängen wurzelnd – die Annahme, daß Gott für die verfolgte Unschuld eintrete und zeuge durch Quellwunder, durch das Hervorrufen von „Quellen an der Todesstelle unschuldig Getöteter“ (Weinhold 9, mit Belegen). So war die Grundlage gegeben, auf der sich die Verrückung des Mordschauplatzes in der Volksphantasie vollziehen konnte.

Und der Heilbrunn im Krumbad war sehr alt, wie sich noch zeigen wird. Wir dürfen annehmen, daß sich auch an ihn wie an die allermeisten Heilbrunnen von hohem Alter eine Sage knüpfte, daß schon lang vor Ausbildung der Adelheidsage eine edle, keusche Frau mit dem Heilquell verbunden gedacht wurde, da doch überwiegend reine Frauen oder Jungfrauen in den Quellensagen auftreten in sinniger Beziehung zu der Unberührtheit des Wassers an seinem Ursprung und zu den „nährenden, reinigenden, heilenden, begeisternden Eigenschaften des Wassers“ (Weinhold 17).

Vielleicht auch hieß seit alters schon unser Quell der „Brandbrunnen“; wenn schon der Name spät erst (um 1600) hervortritt, er kann sehr wohl bereits viele Jahrhunderte hindurch und lange vor jenem Mord im Volksmund gelebt haben im Sinne von „sprudelnde Quelle“[8] (brennen und Brunn gehen auf die gleiche Wurzel zurück), hätte aber in diesem Sinne im späten Mittelalter (zur Zeit also der Ausbildung der Adelheidsage) längst nicht mehr verstanden werden können, ja als Unsinn empfunden werden müssen, so daß die Volksetymologie, immer geneigt und geschäftig sinnlos gewordenen Wörtern einen neuen Sinn unterzulegen, Veranlassung hatte, nach anderer Deutung des Ausdrucks zu suchen, wobei denn der Mordbrand und der Brandbrunnen leicht in der Vorstellung zusammenkommen konnten und der schon vorhandene Name der örtlichen Beziehung des Krumbader Brunnens zu jenem verbrecherischen Brand den Weg öffnen mochte.

Indes, mag es sich mit dem Namen Brandbrunnen verhalten wie immer, die Sache selbst, ich meine der dem heutigen Sinn dieses Namens zugrundeliegende Sachbegriff: die Entstehung [487] des Brunnens aus einem Brand, die ursprungsweise Verbindung der drei Quellen des Krumbads mit drei Zündstellen, stammt jedenfalls aus der Volksphantasie, und in den beiden Adelsberichten findet sich davon nichts. Sollte nicht auch hierzu, zu diesem unmittelbaren Zusammenbringen von Feuer und Wasser im Sinn von Ursache und Wirkung, ein Rest der uralten Brunnensage am Ort den Anstoß gegeben haben, dem umdichtenden Volk die Arbeit zugleich erleichternd, ein Rest, dem seinerseits nun durch solche Umdichtung wieder ein volksmäßiger, ein dem Volksgemüt zusagender Sinn eingehaucht wurde? Ohne eine alte Sage am Ort, die in irgend einer Form den Heilbrunn mit dem Feuer in Beziehung setzte, bleibt jener Zug der Adelheidsage doch recht befremdlich. Die Phantasie schon des hochmittelalterlichen Menschen brachte Feuer und Wasser nicht mehr so leicht miteinander in Verbindung: der Benediktbeurer Mönch, der um 1160 einen so genauen, merkwürdig sachlichen Bericht über die Wiederentdeckung des Heilbrunns bei Tölz verfaßte[9], meldet gleich einleitungsweise, wie sehr sich die Augenzeugen verwundert hätten, als bei der Entdeckung ein hellroter Schein über der Brunnenstube die sich entgegengesetzten Elemente einträchtig hervorbrechend gezeigt habe. Dagegen der mythischen Vorstellung alter Zeiten war es ganz geläufig als Urheber des Quellwassers den in die Erde fahrenden Blitz zu denken. So eng verwandt ist die Vorstellung des an den Zündstellen hervorbrechenden Wassers mit jener mythischen, daß kaum ein Zweifel bestehen kann, dieser Zug sei der Ueberlieferung über den Adelheidsmord hinzugewachsen aus mythischer Sage, die am Krumbader Quell haftete. Drei Feuer mußten ja wohl in der Naturmythe den drei Quellen entsprochen haben; so ergaben sich wie von selbst für die drei Brunnen die drei Zündstellen. –

Beim Marschalk also, wie wir sahen, ist der Zusammenhang zwischen Mord und Quell nur ein anlaßweiser und als solcher höchst verschwommen; die Volksvorstellung, auf das Anschauliche und Greifbare gerichtet, heftete die Meintat an den Quellort selbst, wo uralte Sagen dazu aufforderten. Quellen bevorzugte die Sage weithin als Gotteszeugnisse der Unschuld, und leicht konnte diese Sagenvorstellung ihren Weg nach Krumbad [488] finden; und im Krumbad selbst lebte schon längst vor der Adelheids-Tragödie die Erinnerung an eine reine, milde Frau, die Personifikation der alten Quellgottheit; hier sprach man vielleicht längst vor dem verbrecherischen Brand von einem Brandbrunnen; hier wußte man aus mythischen Vorstellungen noch dunkel etwas von dem Hervorquellen des Wassers an Zündstellen: also verlegte hierher, an den Ort, der die sinnfälligen Merkmale und die einladenden Sagenreste darbot, die Volksphantasie die Stätte des Verbrechens. Ja, so arbeitet sie; so knüpft sie an lebendig Gegebenes an, unbekümmert um die geschichtlichen Gegebenheiten von Ort und Zeit, so legt sie sich die alten, unverständlich gewordenen Mythen- und Sprachreste zurecht und erfüllt sie mit neuem, verständlichem, anziehendem Inhalt, gestaltet das, was tot ist für sie und sie doch beschäftigt, zu einem lebensvollen Gebilde, das dem Volk etwas zu sagen hat. Ein Vorgang ist es, ähnlich, nur dichterisch gehoben und in erweitertem Rahmen sich vollziehend, wie dieselbe Volksphantasie durch die sog. Volksetymologie unverständliche oder unverständlich gewordene Namen umbildet zu Formen, bei denen sie sich wieder etwas Sinnvolles denken kann, indem sie z. B. aus dem apothekarischen Salbennamen Unguentum Neapolitanum einen „umgwendten Napolium“ macht oder aus römischer Augustenstraße (Augusta via) einen Ochsenweg.

Den Ursprung dieser Zusammenhangsschau suche ich also in der dichtenden Volksphantasie. Sie, und nicht Ursberg, hat die Sage von dem Auftauchen der Quellen an den drei Zündstellen und demnach vom Krumbad als dem Ort der Untat auf die Bahn gebracht; Ursberg aber hat diese dem Ansehen des Bades günstige Meinung mit Freuden und wohl auch gutgläubig aufgegriffen und gefördert, hat den Bericht des Marschalks durch freilich nicht einwandfreie, aber auch völlig untaugliche Harmonisierung damit in Einklang zu bringen versucht, hat sich mit literarischen Mitteln für die Ueberlieferung und Verbreitung der Krumbadsage eingesetzt.

Nach all dem kann keine Rede davon sein, daß die Volksüberlieferung über Brand und Brunnen in Krumbad vor der Kritik bestehen könnte als Zeugnis für einen wirklichen Zusammenhang zwischen Mord und Quell. So echt volkstümlich dieses örtliche Zusammenbringen von Mordbrand und Heilquell ist, in diesem Punkt ist die Sage keine echte Sage im kritischen Sinn, im Sinn einer den Tatsachen entsprechenden [489] Ueberlieferung. Und zu diesem Ergebnis hat uns im Grund genommen wieder die Quellenanalyse geführt. Geschöpft hat das Volk die Vorstellung vom örtlich-ursächlichen Zusammenhang zwischen Mordbrand und Heilbrunn nicht aus der Erinnerung an einen wirklichen Zusammenhang, sondern aus weit verbreiteten mythischen Gedankengängen, anknüpfend an die sinnfälligen und wohltätigen Quellen, an mythische Gestalten und Sagenreste am Ort und etwa auch an irreführende und mißdeutete Namen.

Aber wertvoll ist uns gerade dieser unhaltbare Zug der volksmäßigen Ausgestaltung der Begebenheit deshalb, weil er uns ermöglicht, die Entstehung der Volkssage über Adelheid einigermaßen zeitlich festzulegen. R weiß 1518 noch nichts von einem Zusammenhang des Heilquells mit der Untat; M hat um dieselbe Zeit schon davon gehört. Und er ist der früheste Zeuge für den Volksglauben an einen solchen Zusammenhang, nur daß er, der die Untat doch in Heubelsburg vor sich gehen läßt, lediglich einen anlaßweisen, nicht einen örtlichen Zusammenhang meldet; beim Volk – wenigstens in der nächsten Umgebung des Krumbads – mag trotzdem schon damals der örtliche Zusammenhang die Anschauung beherrscht haben. Aber noch nicht lang, da immerhin die Gedächtniskapelle vorher verschwunden oder doch ihre Bestimmung in der Krumbader Gegend in Vergessenheit geraten sein mußte. Also wohl im späteren 15. Jh. – einer in Sagen- und Legendenbildung auch sonst merkwürdig fruchtbaren Zeit – wird die Volksphantasie den Mordbrand in Verbindung mit dem Krumbader Heilquell gebracht und die alten mythischen Erinnerungen und was sonst noch dort an passenden Beziehungen gleichsam herrenlos umlief, zu der Adelheidsage zusammengeschweißt haben.

III.

Freilich, alt muß der Heilquell in Krumbad und seine Benützung sein, uralt; sonst hätten sich hier der Volksphantasie keine bodenständigen Reste mythischer Vorstellungen der Heidenzeit darbieten können. Gewiß, es haben sich uns Anzeichen hohen Alters des Brunnens und einer Brunnensage schon bisher ergeben, aber in der Hauptsache mußte mit dem hohen Alter doch wie mit einer Voraussetzung gearbeitet werden. Jetzt gilt es die Voraussetzung als zutreffend zu erhärten durch den [490] Nachweis von Spuren, die auf ein hohes Alter des Heilquells führen.

Sehen wir uns da in den Urkunden um, so finden wir unsern Ort als Bad vor 1418 nicht bezeugt. Damals kaufte das Kloster Ursberg vom Ritter Diepold von Aichelberg und seinen Söhnen das „Bad Lechsenried“ mit (dem eine Viertelstunde südlich vom Krumbad gelegenen, seither, längst abgegangenen Weiler) Lechsenried um 1060 Gulden[10]; 1433 lautet der Name: „Bad zu Lächsenried bei Krumbach“, und 1535: „Das Bad zu Lechsenried genannt das Krumbad“ (Urkunden im HStA), wozu bemerkt sei, daß „Lechsenriet“ schon um 1150 durch Schenkung Hiltpolds von Krumbach an Ursberg gelangt, in der Folge aber dem Kloster wieder abhanden gekommen war. Nun freilich dürfen wir bei einem schlichten Volksbad für die bäuerliche Umwohnerschaft, was Krumbad zunächst war und bis ins 16. Jh. hinein verblieb, in den Urkunden frühe Spuren auch gar nicht erwarten. Versteckter sind da die Hinweise, dafür aber bestehen sie in Sitten und Bräuchen, noch dazu gutenteils religiöser Art, und in tief wurzelnden Volksanschauungen, kurz in Erscheinungen, denen vor andern, ob ihres zähen Lebens, die Erfahrung die Herkunft aus grauer Vorzeit zuzuschreiben berechtigt. Und lassen wir sie nur in ihrer Gesamtheit wirken, so machen sie meines Erachtens ein unzerbrechliches Bündel aus.

Da sind zunächst die Kapellen-Heiligen. Die Badkapelle wird 1651 vom Abt von Ursberg als Kapelle der hl. Waltburgis bezeichnet (OA)[11], merkwürdig genug, da Waltburg nach der Weiheurkunde nur Nebenpatronin war. Waltburgistag, der 1. Mai, galt im Volksglauben seit alters als ein besonders wirksamer Badetag. In dem uralten und heute so berühmten Bad Pfäfers z. B. war am 1. Mai große Badekur der Umwohner; man badete die ganze Nacht hindurch (Martin 15). Der „Glaube an die heilende und stärkende Kraft der wiedererwachten Natur“ lag wohl schon ursprünglich dem „Maienbad“, dem Bad am 1. Mai, zugrunde und erhielt die uralte Meinung von der besonderen Bedeutung dieses Tages im Badeleben aufrecht. Waltburg ist ferner an vielen Brunnenorten an die Stelle der Quellgöttin getreten (Weinhold 37), und so deutet auf einen [491] heiligen, in der Heidenzeit verehrten Quell nicht selten ihr Patrozinium. Brunnenwallfahrten, die in heidnische Zeit zurückreichen, fanden und finden heute noch im Frühjahr, im Mai statt (Weinhold 40 f.).

Und nun war in Krumbad der Tag der hl. Waltburg sogar mehrfach ausgezeichnet. Auch als Tag der Baderöffnung und vorab als Kirchweihtag der Kapelle wurde er hochfestlich begangen: die Weiheurkunde der Kapelle vom J. 1510 (HStA) setzt das jährliche Gedächtnis der Kapellenweihe auf den 1. Mai an. Gerade also das Weihefest des Brunnenheiligtums, jenes Hochfest, das mit Vorliebe als Nachfolger heidnischer Hauptfeste auftritt und in der Missionszeit von Rom dazu sogar empfohlen worden war (s. oben S. 245 f.), fiel in Krumbad auf diesen Haupttag heidnischer Quellenverehrung, auf ihn festgesetzt gewiß schon seit alters und bei der Weihe vom 9. Juni 1510 nur eben beibehalten. Ja selbst die Brunnen-Wallfahrt fehlt in Krumbad nicht, und sicher war der 1. Mai einer der Wallfahrtstage; die Weiheurkunde verbrieft Ablaß denen, die „peregrinationis causa“ hierher kommen. Diese Wendung ist nicht rein formelhaft (so wäre sie für den Einzelfall ohne Beweiskraft), vielmehr hat sie bloß statt in Weihe- und Ablaßurkunden für solche Orte, die auch wirklich Wallfahrtsorte waren. Besondere Reliquien, auf die sich die Wallfahrt hätte gründen können, besaß Krumbad nie, auch von einem „Gnadenbild“ verlautet nichts; also wird es sich um eine echte „Brunnen-Wallfahrt“ handeln.

Die Kapellenweihe von 1510 fällt beiläufig in die Jahre, da man in Ursberg und Wettenhausen bei den eingangs genannten Adeligen Erkundigungen über Adelheid von Rot einzog. Damals, so vermute ich, hatte das Bad sich aus einem rein volkstümlichen für die Umgebung zu einem gemischten, auch aus gehobenen Gesellschaftsschichten besuchten zu entwickeln begonnen, was den Bau einer entsprechenden Kapelle nötig machte. Aber ohne Zweifel war schon in den Zeiten des rein volksmäßigen Bades eine Kapelle vorhanden gewesen. Auch sie hatte natürlich ihre Patrozinien gehabt; wir kennen sie nicht, aber daß wenigstens ein Teil davon auf die neue Kapelle (die von 1510) überging, ist selbstverständlich; kehren doch die Patrozinien von 1510 bei der Neuweihe von 1727 sogar sämtlich wieder und auch ohne eine Neuaufnahme. Die Heiligenpatrone von 1510 sind also am Ort viel älter, wenn auch nicht sämtliche. [492] Es sind: Felicitas, Vitus, Urban, Anna, Waltburg (in der Weihe von 1727 ist Waltburg an die erste Stelle nach Felicitas gerückt).

Das Patrozinium der hl. Felicitas (Fest am 23. Nov.) gibt zu denken. Gewiß, es kann einem Zufall seine Wahl und die erste Stelle verdanken, etwa daß einer wohlhabenden Patrizierin der Reichsstadt Augsburg namens Felicitas in diesem Bad Erfüllung ihrer Wünsche geworden sei, was sie veranlaßt habe, die Mittel zum Neubau der Kapelle zu stiften und daran die Bedingung zu knüpfen, daß die Kapelle nach ihrer Namensheiligen benannt werde; derlei Stifterwille hat wohl zu aller Zeiten (vgl. St. Maria-Maggiore) und erweislich auch um 1500 die Wahl von Patrozinien beeinflußt. Aber gleich wieder werden die „Bemühungen aus dem Ungewissen ins Ungewissere verleitet“. Die heiligen Quellen der Heidenzeit, verehrt als Sinnbilder der Fruchtbarkeit, worüber noch zu reden sein wird, und Felicitas, Patronin der Mütter –, als Märtyrin-Mutter von sieben Märtyrer-Söhnen ein heiliges Symbol ehelicher Fruchtbarkeit –, angerufen um Erlangung männlicher Nachkommenschaft –, auch einer ihrer Söhne (Alexander) als Patron gegen die Frauenkrankheit des Blutflusses angerufen![12] Und in alte Zeit geht ihr Patrozinium im Bistum Augsburg zurück, aus alten, zum Teil „römerverdächtigen“ Orten, wie in Roggden (bei Wertingen), in Bobingen, auch in Augsburg findet es sich und in Schäfstall (BA. Donauwört) haftet es an einer „Wandelkirche“ auf einsamer, steiler Höhe, auf der man eine heidnische Kultstätte vermutet (Bist. A. 2, 709).

Der hl. Vitus (15. Juni), ebenfalls von altersher als Patrozinium beliebt, Schutzherr gegen Ungewitter (Blitz), auch in mancherlei Krankheit angerufen, Erbe heidnischer Gottheiten auch an Quellorten (Weinhold 43), gehört schon zum Kreis der Sonnwendheiligen (Panzer 2, 43). Als Blitzheiliger mag er am Brunnenort Krumbad Eingang gefunden haben, auf grund der hier durch die Entstehungssage verbürgten mythischen Vorstellung vom Zusammenhang von Feuer und Wasser, die im Gewitter eine Einheit darzustellen scheinen.

Urban sodann, ein Maiheiliger (25. Mai), steht in naher Beziehung zur Fruchtbarkeit des Bodens, ist Wetter- und Fruchtbarkeitspatron mit uralter Verehrung, die unter Freudenfesten begangen wurde und so fest eingewurzelt war, daß sie [493] sich selbst in protestantischen Gegenden noch Jahrhunderte lang als weltliche Feier erhielt (Runge 221 f.; Panzer 2, 43; Petersen bei Memminger 189). Auch in seiner besonderen Eigenschaft als Weinheiliger mochte er seine Stelle in alten Bädern finden, wo es ja lustig herzugehen pflegte, wie denn gerade auch von Krumbad der Nachbarpfarrer zu Loppenhausen 1652 meldet, daß „allda der Bacchus Haushalter sei“ (OA).

Erst spät jedenfalls ist die hl. Anna (26. Juli) hinzugekommen, deren Verehrung sich ja in Deutschland nicht vor dem 14. Jh. verbreitete; nun aber durfte sie freilich nicht länger fehlen in einem von Frauen viel besuchten Bad.

Es verdient Beachtung, wie durch diese Patrozinien in Krumbad (auch einzelne Zimmer der beiden Badehäuser waren nach den Weiheheiligen benannt) vorab die Badezeit, die früher nur bis in den Juli hinein gedauert zu haben scheint (der Abt von Ursberg spricht 1651 davon, daß gegen Mitte Juli Schluß sei; OA), mit einer Folge von örtlichen religiösen Festen durchflochten war, wie wenn der ursprünglich religiöse Charakter, den der Besuch heiliger Quellen in der Heidenzeit gehabt, hier durch die Jahrhunderte in christlicher Uebersetzung nachgewirkt hätte. –

Nicht unter den Patrozinien erscheint Johannes der Täufer; wohl aber zeichnete eine besondere Art von Feier im Krumbad dieses Sommeranfangsfest aus: das Johannisbad. Es herrschte im Krumbad der merkwürdige Volksbrauch, 24 Stunden hindurch ununterbrochen im Bad zu sitzen von 4 Uhr nachmittag des 23. Juni an. Kenntnis davon gibt uns erst 1651 ein Schriftwechsel (OA), entstanden aus einer Anzeige des Dekans zu Mindelheim. Er erhob bei der oberhirtlichen Stelle den Vorwurf des Aergernisses (wegen Versäumnis des feiertägigen Gottesdienstes) und des Aberglaubens. Denn an das Johannisbad knüpfte sich im Krumbad der Glaube, es sei so wirksam, „als wenn man drei, vier oder mehr Wochen cursu ordinario gebadet hätte“. Wir erfahren ferner, daß es sich da um einen altererbten Brauch handelte, und um einen Brauch, der ganz vorzugsweise, ja ausschließlich bei der ländlichen Umwohnerschaft im Schwange war, nicht bei den eigentlichen Badegästen aus den oberen Ständen. Um jene Zeit war der Zulauf ja nicht mehr stark; von 18 Bädern zu 24 Stunden ist die Rede. Die Klosterherren sahen es wohl selbst nicht gern, es war ihnen dabei nicht recht geheuer, da seit Ende des 16. Jh. derlei Bäder anderwärts, [494] besonders in protestantischen Gegenden, bereits als Aberglaube beanstandet und beseitigt wurden, und so mochten sie Schwierigkeiten machen, die den Zudrang stoppten; wir hören, daß in der Umgebung der eine und andere an Johanni auch wohl zu Hause nach Krumbader Sitte ein 24 stündiges Bad nahm[13], was darauf hindeuten mag, daß man in Krumbad nicht so leicht zum Ziele kam. Immerhin war das „Johannisbad“ im Krumbad 1651 noch Sitte und wurde nun erst auf Einschreiten des Bisch. Vikariates abgeschafft.

Nun war das Johannisbad, wie schon angedeutet, nicht ein nur dem Krumbad eigentümlicher Brauch, man trifft es vielmehr auch an anderen Badstätten, und gerade an alten, meist an solchen, die sich bis in die Römerzeit zurück nachweisen lassen (womit aber nicht römischer Ursprung ausgesagt werden soll). In Baden-Baden z. B. fand Martin Zeiller, wie er in seinem Itinerarium Germaniae 1632 (I 226) erzählt, als er am Vorabend des Johannestages dorthin kam, erst nach langem Suchen Unterkunft, „weiln so viel Badleuthe, sonderlich Bauren, verhanden waren, die wegen der S. Johans Nacht ihnen einbildeten, wann sie selbigen Abent badeten, daß sie hiedurch das gantze Jahr für Krankheiten solten befreyet seyn“. Es handelt sich da um ein weitverbreitetes religiöses Vermächtnis der heidnischen Vorzeit (übrigens nicht germanischen Ursprungs), dem in christlichen Zeiten die Beziehung des hl. Johannes zur Taufe im Jordan ein besonders zähes Leben verlieh (Martin 20 ff. Beispiele für Württemberg bei Memminger). Selbst in Afrika hatte schon der hl. Augustinus abergläubische Wallfahrten von Christen ans Meer mit Bad an Johanni zu rügen[14]. Noch Durandus, der Kanonist des 13. Jahrhunderts, weiß, daß die Feuerfeste an Brunnen zu Johanni heidnischer Herkunft sind (Rationale divin. off. VII 14), und viel zu niedrig griffen die protestantischen Kirchenbehörden, als sie den Brauch als einen „Ueberrest des Papsttums“ bekämpften. Wie nahe die Beziehung [495] des Festes gerade zu den Brunnen war und in welch hohes Altertum die Verbindung: Sonnwendzeit – Quelle zurückgeht, erweist auch der Glaube, nur die Wünschelrute zeige die Quellen an, die in der Johannisnacht unter Gebetspruch mit einem Feuerstein (wie uralt-merkwürdig!) von der Haselstaude (die Hasel ist auch Blitzschutz) geschnitten sei[15]. –

So galten also im Krumbad als Brunntage erster Ordnung der 1. Mai und der 24. Juni; doch auch dem 21. September kam, wenn ich recht sehe, erhöhte Bedeutung zu. Der Pfarrer von Niederraunau nächst Krumbad, vom Dekan zum Zeugnis aufgerufen, weiß zu berichten (Dezember 1651), daß auch am Feste des hl. Apostels Matthäus gebadet worden sei, also am 21. September, zu einer Zeit, da die Badegäste längst abgezogen waren, sonach nur das Landvolk der Nachbarschaft gemeint sein kann.

Demnach waren die drei, in den heidnischen Religionen auch unserer Gegenden besonders ausgezeichneten Jahreseinschnitte: Beginn des Naturerwachens, Sommer-Sonnenwende und Sommerabschluß am Brandbrunnen noch bis ins 18. Jh. herein gehobene Tage, der erste zugleich mit kirchlicher Hochfeier lokalen Gepräges verbunden. Ueberreste der „Wallfahrt zum heiligen Brunnen“ scheinen in dem gesteigerten Badbesuch der Nachbarschaft an jenen drei Tagen vorzuliegen. Die Feier der grauen Vorzeit ist ja sicher vorwiegend religiöser Art gewesen, wenn auch verbunden mit Festen der Lustbarkeit und auch bereits, ja vorab mit Waschungen und Bädern, die aber ebenfalls religiösen Ursprung und Sinn hatten; dem Heilzweck kam in jenen einfachen Zeiten nicht die Bedeutung zu, die sich an ihn bei dem heutigen Begriff „Badeort“ knüpft. Doch als Förderer ehelicher Fruchtbarkeit wird dieser Brunnen schon seit uralten Zeiten gegolten haben, aber ebenfalls und erst recht in Verbindung mit religiöser Weihe; denn das Geheimnis der Zeugung und Mutterschaft – und zwar im weitesten Sinn – stand geradezu im Mittelpunkt religiöser Volksanschauung, und Gottheiten der Fruchtbarkeit vornehmlich waren es, denen an den heiligen Quellen Verehrung zu teil wurde.

Es hieße die Zweifelsucht zu weit treiben, wollte man diese Spuren von Anknüpfung an heidnische Gottheiten und Bräuche, [496] wie sie hier vorliegen in den Patrozinien, in der Hochfeier des Waltburgstages, im Johannisbad, im Wallfahrtscharakter des Ortes und in der religiöser Gesamtweihe des Badewesens, lediglich aus später, ins Mittelalter fallender Uebertragung aus anderen Brunnorten erklären, aus solchen, die ihrerseits in heidnische Zeit zurückreichen. Daran zu denken würde etwa naheliegen, wenn es sich hier um ein Bad im neueren Sinne handelte, um einen Badeort, an dem von weither die Gäste sich einfinden und ihre Beobachtungen an anderen Badeorten austauschen, des Wunsches, das, was sie anderwärts kennen und schätzen gelernt haben, auch am neubesuchten Badeort eingeführt zu sehen. Aber das Krumbad war bis heran an die Neuzeit ein ländliches Volksbad von rein örtlicher Bedeutung, und das schlichte Volk der Umgebung selbst war Träger der Anschauungen, die hier zum Ausdruck gelangten; um bodenständige Dinge also handelt es sich bei jenen Spuren, um Dinge, die im ererbten Glauben und Meinen der Umwohnerschaft ihre Wurzel hatten.

IV.

So einmal aufmerksam geworden auf Spuren hohen Altertums und volksmäßiger Numenverehrung, wird man auch noch andere Erscheinungen am Krumbader Heilquell im gleichen Sinne beachtenswert finden und darin weitere Anhaltshilfen beim Vordringen in die Urzeiten erkennen.

Keinerlei Achtsamkeit hat bisher die Wissenschaft und selbst nicht die Volkskunde, soviel ich sehe, von der Badeliteratur zu schweigen, dem Volksheilbad der mittleren Zeiten zugewendet. Sein Wesen besteht darin, daß es nur von der ländlichen Bevölkerung der Umgebung benutzt wird, also in seinem Kundenkreis gesellschaftlich und örtlich beschränkt ist. Derlei Badeorte gibt es ja heute bei uns kaum mehr, vielleicht da und dort in Alpenländern. Aber gerade diese Erscheinungsform, die des Heilbrunns im Volksgebrauch, war die häufigste im Mittelalter, sicher schon im früheren und bis herab ins späte. Und sie war die ursprünglichste. Selbst unsere Römerbäder – sie näherten sich als solche ihrer Art nach unsern modernen Badeorten –, wie Baden bei Wien, Baden-Baden, Baden in der Schweiz, waren wohl vor der Ankunft der Römer bereits als Bäder der schlichten Landbevölkerung der Umgebung [497] in Gebrauch und wurden nach dem Zusammenbruch der alten Kultur zumeist auf Jahrhunderte hinaus wieder, was sie gewesen. In ganz anderem Umfang als heute machte im Mittelalter das Volk auch in seinen unteren Schichten (die oberen waren ohnehin vor dem Aufblühen der Städte im 12/13. Jh. sehr dünn) vom Heilbad Gebrauch im Anschluß an die aus grauer Vorzeit vererbte Sitte; erst seit dem 16. Jh. ging wie des einfachen Dorfbads so auch des Heilbads Besuch von seiten der Landbevölkerung ständig zurück, und heute ist nur noch in Tirol und Kärnten und sonst etwa in Alpenländern der Gebrauch von Heilbädern bis in die untersten Stände hinein verbreitet (Noë 205 f., 210).

Seitdem nun im Gefolge der Renaissancekultur der Besuch von Badeorten seitens der oberen Gesellschaftsschichten lebhaft in Schwung kam, stiegen viele alte Volksheilbäder zu Kurorten auf. Daneben blieb aber die Benützung derselben Heilbäder durch die Umwohner noch Jahrhunderte lang bestehen. Zumeist half sich die Badeverwaltung durch Einrichtung eines eigenen „Herrenbades“, neben dem das alte Volksbad zum „gemeinen Bad“ oder „Armenbad“ herabsank. Es wäre weit gefehlt, diese „Armenbäder“ auf wohltätige Stiftungen zurückzuführen und sie sich ähnlich wie die Spitäler unserer Städte entstanden zu denken; und eben so wenig kann davon die Rede sein, daß der Besuch von Heilbädern durch das Landvolk auf Nachahmung städtischer Sitten beruht hätte, als habe nun, nach dem Aufblühen des Badekurwesens seit dem späteren 15. Jh., auch das Landvolk seine Badekur haben wollen. Vielmehr ist das „Armenbad“ der verkümmerte Ueberrest eines ehemaligen Volksheilbades, eines nur vom Volk der Umgebung benutzten Bades und stellt lediglich die zeitgemäß veränderte Form dieser uralten Einrichtung dar, die nicht mit einem Schlag verschwinden wollte. Man trifft es darum denn auch gerade an den ältesten Badeorten, an solchen, die schon für die Römerzeit bezeugt sind, und sonst an vorgeschichtlichen, nicht aber da, wo sich die Entstehung des Bades im hellen Licht der Geschichte vollzog.

Sonach weist das „Armenbad“, wo es sich findet, auf ein hohes Alter des Bades hin. Und nun hatte sein „Armenbad“ auch Krumbad. Vom „Herrenbad“, das sich an die Kapelle anschloß, räumlich getrennt durch Quellen und Teich des Brunnenwassers, erhob sich sein Gebäu weiter unterhalb am Berg, da wo [498] heute das Haus mit den Baderäumen steht. Erst 1812 wurden beide Bäder in einem Haus vereinigt, in dem vom neuen Besitzer Zabuesnig auf der Stätte des Armenbades erbauten „Badhaus“; doch auch in dem damals entstehenden Neubau waren zwei große Badezimmer und sieben Schlafzimmer zu je vier Schlafstätten für „gemeine Leute“ vorgesehen neben den 20 Kabinen und 24 möblierten Zimmern für „bessere Gäste“ (StA). –

Wiederholt schon bot sich Anlaß auf die Gedankenverbindung Quelle und Fruchtbarkeit und deren hohes Alter und mythischen Ursprung hinzuweisen. Unter Beschränkung auf die eheliche Fruchtbarkeit – eine Beschränkung, die wohl auch (vgl. oben S. 495) nur Verkümmerung einer allumfassenden Vorstellung ist – hat sich in Krumbad die Verbindung bis heute erhalten. Schon die frühesten Wirkungsanzeigen betonen mit besonderem Nachdruck die eheliche Fruchtbarkeit[16], und noch 1811 hebt Medizinalrat Wetzler in seiner Schrift über „Das Krumbacher Heilbad“ hervor, daß sich „Das Krumbad in der Unfruchtbarkeit der Frauen sehr berühmt gemacht“ habe und in älteren Zeiten häufig von unfruchtbaren Frauen, meist mit erwünschtem Erfolg, besucht worden sei. Der Neuzeit gilt derlei „als Wirkung besonderer chemischer Substanzen; die Vorzeit schrieb es göttlichen Mächten zu“, wie alle Befruchtung, und nicht wenige Fruchtbarkeitsbrunnen heißen „heilig“ (Weinhold 25 f.). Ein uralter Glaube ist es, daß aus den Brunnen die Kinder kommen, und uralte Bäder sind es, die nach dieser Seite hin einen Ruf genossen, wie das Tobelbad bei Graz (Wichner 103), das Verenenbad in Zurzach (Martin 248; Runge 122).

Und hier kann man sogar über die am Krumbader Brunn verehrte Gottheit eine leise, leise Vermutung wagen, unter der Voraussetzung freilich, daß die Kelten sich an der Verehrung des heiligen Quells beteiligten, deren Hauptträger immerhin das neben ihnen als ältere Unterschicht fortlebende Volk der Räten[17] gewesen sein mag. Stark verbreitet war ja gerade bei den Kelten der Heilbrunnenkult (Drexel 14), und zwar im Zusammenhang auch mit dem für Krumbad anzunehmenden Fruchtbarkeitsglauben, wie man daraus schließen muß, daß sich unter den Weihegaben keltischer Quellheiligtümer auch Säuglingsfiguren fanden, gestiftet von Müttern[18]. Und so mag man denn etwa an Virona denken, eine keltische [499] Schutzgottheit, die ihr Name als Quellnumen, ihr Früchteattribut als Fruchtbarkeitsgöttin auszuweisen scheint (Drexel 29); daß ihr Kult sich auch über Rätien verbreitete, steht ja fest[19]. Falls dann weiter von den Räten und Kelten die im 5/6. christlichen Jh. eingewanderten Alemannen – auch sie, damals noch Heiden, eifrige Quellenverehrer – den Krumbader Brunnen übernommen haben, so werden sie eine der alemannischen Fruchtbarkeitsgöttinnen hier eingeführt haben; welche aber, darüber gibt uns der Name „Frau Holle“, an den sich mancherorts auf deutschem Boden auch auf schwäbischem („Höllbrunnen“, ein Kinderbrunnen in Inzikofen bei Sigmaringen und in Böhmenkirch, OA Geislingen), der Fruchtbarkeitsglaube knüpft (Weinhold 26), so wenig Aufschluß wie „Frau Percht“, da beide der Ammenmythologie angehören und allzu verwaschen sind, als daß sie sich ernsthafter Untersuchung fügten. –

Und beachtenswert ist endlich auch die Dreizahl der Quellen in Krumbad. Nicht erdichtet, etwas Gegebenes, erscheint sie bedeutsam hervorgehoben, gleichsam mit Weihe umkleidet, durch die Beziehung zu den drei Zündstellen, den Ursachen des Todes der schuldlosen Frau; ein Werk der dichtenden Volksseele, wie wir sahen, die auf solche Weise Reste der Naturmythe mit der sie bewegenden Untat in Zusammenhang brachte, zugleich aber ein Hinweis auf eine sakrale Bedeutung der Dreizahl an dieser Stätte. Gerade schon von sich aus, rein als Naturgegebenheit, scheint die Dreizahl der Quellen den Brandbrunnen zu einem Ausgangspunkt mythischen Glaubens und zu einer Stätte religiöser Verehrung vorausbestimmt und empfohlen zu haben. „Heilige Quellen“ sind es denn auch zumeist, bei denen die Dreizahl in den verschiedensten Formen bedeutsam hervortritt.

An Tre Fontane bei Rom darf erinnert werden, an die Kirche, die ihren Namen der Legende verdankt, wonach drei Quellen hervorbrachen an den Stellen, wo das abgeschlagene Haupt des hl. Paulus dreimal aufschlug. Drei Quellen entsprangen auch beim feierlichen Schwur der drei Männer im Grütli unter ihren Füßen (Runge 111), und drei Brunnen entströmen dem mythenumsponnenen Dreistelz bei Brückenau (Panzer 1, 189). Ortsnamen sodann wie Dreiborn im Rheinland bei Scheiden, Dreibrunnen bei Saarburg in Lothringen künden laut von starkem Eindruck, den die Dreizahl von Quellen auf die germanischen Erstsiedler machte, wohl auch schon auf deren Vorsiedler gemacht hatte. Und wiederum: Drei heilige Jungfrauen, [500] glücklicher als Adelheid entgangen der Verfolgung eines Wüterichs, haben sich niedergelassen am „Schwesternbrunnen“ auf Rigi-Kaltbad (Runge 113), und drei „betende Schwestern“ oder auch drei „wilde Fräulein“ hausen an einer Reihe von Brunnen (vgl. Panzer 1, 32; 2, 133). In Tirol bei Klausen gibt es ein Bad mit Namen Dreikirchen, und drei Gaben sind es, die in Cornwall der Brunnen des hl. Ludgvan seinen Verehrern spendet (Weinhold 11). Dreimal muß die nach Segnung verlangende Frau trinken aus dem „Wildfrauborn“, der in Oberhessen bei Einartshausen fließt (Weinhold 26).

In der dritten Gruppe dieser aus vielen herausgegriffenen Beispiele kündigt sich eine Numendreiheit an, die an heiligen Brunnen verehrt und als Gabenspenderin gedacht wurde. Die Neigung zur Bildung von Götterdreiheiten läßt sich wie in Galliens Götterkult so in dem des rheinischen Germaniens erkennen (Drexel 15; 45). Die Drei galt als heilige Zahl.

Und so mag denn gerade die Dreizahl der Quellen im Krumbad schon recht früh den Ruf und die Verehrung des Brandbrunnens begründet haben: aus der Legion von Quellen werden, wie die enge Verflechtung der Dreizahl mit altem Quellenkult nahelegt, am frühesten (neben den heißen und den geruchstarken) jene besonders die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, die in der Dreizahl hervorsprudelten; in erhöhtem Maße an solchen mußte das Geheimnisvolle der Quelle ins Bewußtsein treten, und williger noch stellte sich die religiöse Verehrung ein, wenn der dreifache Quell ob heilkräftiger Eigenschaft ohnehin schon als vom Numen beseelt galt. – –

So verdichten sich die Anhalte und Hinweise zu höchster Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Krumbader Brandbrunnen seit uralter Zeit bekannt war und daß er ursprünglich und bis in die christliche Zeit herein als heiliger Quell galt, verehrt und besucht und mit Festen ausgezeichnet vom Volk der Umgebung.

V.

Welches Volkstum es war, das zuerst den Brunnen in solcher Weise heraushob, und wie weit sonach der Quellkult hier zurückreichen mag: was hindert, auch darüber eine Untersuchung zu wagen? Nur bewußt bleiben [501] müssen wir uns, daß wir damit „ins Ungewissere“ vorstoßen.

Schon lange vor der Römer Zeiten war das Kammeltal im Krumbacher Abschnitt besiedelt, ja verhältnismäßig stark bevölkert. Die Umgebung des Krumbads auf zwei Stunden im Umkreis hat auffallend zahlreiche und heute noch zum Teil umfassende Gruppen von Hügelgräbern aufzuweisen, es mögen acht bis zehn Gruppen sein, zwei davon in nächster Nähe südlich und nördlich. Sie sind nicht mit der wünschbaren Genauigkeit untersucht, aber schon als Hügelgräber an sich und auch durch das, was von ihrem Inhalt bekannt ist, deuten sie auf die jüngere Bronze- und die Hallstattzeit hin, also rund auf die Jahrhunderte von 1300–500 v. Chr. Sicher hat auch in der Folge die Besiedlung nie ganz aufgehört, nur ihre Spuren sind ausgelöscht, unter der Herrschaft der Flachgräbersitte völlig verwischt.

Ueber das Volkstum der Siedler in der Zeit von 1300 v. Chr. bis herab zur Verbreitung des Christentums im 7. und 8. Jh. gibt uns die Ur- und Frühgeschichte einigen Aufschluß. Kelten saßen schon an die fünf Jahrhunderte lang im Land zu der Zeit, als die Römer ihre Herrschaft in Rätien aufrichteten (15. v. Chr.). Aber, wie schon beiläufig erwähnt, das ältere Volkstum, das vor dem Einbruch der Kelten hier gehaust hatte, das Volkstum der Zeit von etwa 1300–500 v. Chr., oder richtiger die während dieser Zeit sich hier übereinanderschiebenden Völker – nennen wir sie mit einheitlichem Namen das rätische Volk nach dem (späteren) Namen des Landes, da wir ihre Stammeszugehörigkeit nicht kennen –, dieses ältere Volkstum wurde von den Kelten nicht aufgesogen, so wenig als nachmals die Kelten von den Römern, es bestand als schlicht-bäuerliche Bevölkerung neben der keltischen Oberschicht fort. Das Völkergemisch in Rätien verbunterte sich noch weiter durch Hinzutritt der Römer, und zu stammesartiger Einheit verschmolz es allmählich erst, nachdem um 500 n. Chr. auch noch die Germanen hier erschienen waren, die Alamannen, die nun im Lauf der Jahrhunderte die Reste der älteren Siedlerschichten in sich aufnahmen und germanisierten.

Sollen wir uns nun also äußern zu der Frage nach dem Volkstum, dem als dem ersten die Verehrung des Brandbrunnens zuzuschreiben sein dürfte, so scheiden die Römer von vornherein aus. Es sind keinerlei bedeutendere Reste römischer [502] Niederlassung in der ganzen näheren Umgebung nachgewiesen. Auch pflegten die Römer an den Bädern selbst Kunstbauten aufzuführen, dazu Tempel und Weihesteine ihren Heilgottheiten zu widmen; aber nicht eine Spur davon trat je in Krumbad zu Tage, nicht einmal eine römische Münze. Eben so wenig kommen die Kelten als Urheber und Hauptträger des hiesigen Quellkults in Betracht, mögen sie auch gelegentliche Mitbenützer des Quellheiligtums gewesen sein; denn auch sie errichteten den Quellgottheiten Tempelchen und Weihesteine, und nichts derart ließ sich auch nur in schwachen Resten hier entdecken. Vielmehr wird auf die vorkeltische Bevölkerung Rätiens der Ursprung der Quellenverehrung in Krumbad zurückgehen, und dieses „rätische“ Volk wird auch während der Kelten- und Römerzeit als deren Hauptträger anzusehen sein. In beträchtliches Altertum wohl also reicht hier der Quellkult zurück, in die 1000 und mehr Jahre vor Christi. Von den Rätoromanen wurde er schließlich den ins Land kommenden Alamannen übermittelt und vererbt und im Lauf des frühen Mittelalters des heidnischen Charakters entkleidet, teils durch Beseitigung heidnischer Bräuche, als deren letzter erst 1651 das Sonnwendbad an Johanni fiel, teils durch Christianisierung der Schutzgottheiten und ihrer Feste.

So wird es auch verständlich, warum keinerlei Denkmalüberreste von dem alten Quellkult zeugen. Es gab keine Denkmäler (außer etwa höchst schlichten und vergänglichen Weihegaben) und keine Tempel bei diesem einfachen und völlig unliterarischen rätischen Landvolk, und so ist sein „Glauben und Hoffen, nie in Wort und Bild gefaßt, für uns … verschollen“ (Drexel 25). Vielleicht, daß die Brunnensage Bestandteile davon auf uns gebracht hat; aber wer will sich unterfangen, die ihr zugrundeliegenden naturmythischen Vorstellungen zu scheiden, die auf die alte Bevölkerung Rätiens zurückgehenden herauszuschälen und denen gegenüberzustellen, die aus anderer Vorstellungswelt die Kelten vielleicht und nachmals die Alamannen hineingebracht haben?

Das Quellheiligtum der Lebenden inmitten der Hügelheiligtümer der Toten!

Damit schließt sich der „magische Kreis“, in den ein Besuch des Krumbads den Freund heimatlicher Altertümer hineinzieht. [503] Möge er seine Ringe bilden! Noch so gut wie unerforscht auf alte Sagen hin sind unsere Heilquellen. Und doch bergen diese Sagen oft vorzeitliche Ueberreste, die als geistige Gebilde kostbarer sind als die so eifrig verfolgten Bodenfunde und zur historischen Volkskunde wohl einen Beitrag von Wert zu liefern vermöchten, und wer sich forschend darein vertieft, wird leicht das Wort Goethes, um mit einem solchen, wie begonnen auch zu schließen, bestätigt finden: „Höchst reizend ist für den Geschichtsforscher der Punkt, wo Geschichte und Sage zusammenstoßen. Es ist meistens der schönste der ganzen Ueberlieferung“ (Geschichte der Farbenlehre II 1).

Tafel der Zitatsabkürzungen.

Die im Text abgekürzt angeführten Belegstellen (Literaturangaben, Quellennachweise) und die Siglen sind also zu ergänzen:

Bist.A = Das Bistum Augsburg, historisch und statistisch beschrieben von A. v. Steichele, fortgesetzt von A. Schröder.

Clm = Codex latinus Monacensis (Lateinische Handschrift der Staatsbibliothek München).

Drexel = Fr. Drexel, Die Götterverehrung im römischen Germanien. 14. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 1922. Frankfurt a. M. 1923.

HStA = Haupt-Staatsarchiv München.

Kornmann = P. Grimo Kornmann, Chronik von Ursberg. Handschrift Nr. 133 im Archiv des Bisch. Ordinariates Augsburg, II. Band.

M = Matthaeus Marschalk von Biberbach, Bericht über den Tod der Adelheid, erstattet an das Kloster Ursberg um 1510, abschriftlich erhalten bei Kornmann II, Documenta S. 105 Nr. 25.

Martin = Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906.

Memminger = Würtembergische Jahrbücher, herausgeg. von J. D. G. Memminger, Jahrgang 1823. Im besonderen der Beitrag S. 190 f.: „Die Johannisbäder oder der Gebrauch, 24 Stunden lang in ein Bad zu sitzen.“

Noë = H. Noë, Bäder in Tirol und Kärnten. Zeitschr. d. DOe. Alpenvereins 20 (1889).

OA = Ordinariatsarchiv Augsburg, Pfarrei Edenhausen, Akt: Beschwerden gegen den Prälaten von Ursberg a) Mißbrauch im Krumbad betr. 1651/2 (1655).

Panzer = Friedr. Panzer, Bayerische Sagen und Bräuche. Beitrag zur deutschen Mythologie. 2 Bände. München 1848. 1855.

[504] R = Georg von Rot, Bericht über den Tod der Adelheid, erstattet an das Kloster Wettenhausen 1518, erhalten in lateinischer Uebersetzung in Clm 2220, 91 f.

Runge = H. Runge, Der Quellkultus in der Schweiz. Monatsschrift des Wissenschaftl. Vereins in Zürich 4 (1859), 103–124. 202–226.

StA = Staatsarchiv Neuburg in Neuburg a. D., Akt: Regierung 1436 „Das Krumbacher Bad 1805–1812“.

Weinhold = Karl Weinhold, Die Verehrung der Quellen in Deutschland. Berlin 1898. (Aus den Abhandlungen der Königl. Preuß. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1898.)

Wichner = P. J. Wichner, Zur Geschichte des Heilwesens, der Volksmedizin, der Bäder und Heilquellen in Steiermark bis inclus. Jahr 1700. Mitteilungen des Hist. Ver. f. Steiermark, 33. Heft 1885, 1–123.

Zeiller = Martin Zeiller, Chronicon parvum Sueviae 1653, S. 568 ff. Von Zeiller auch der Text zu Merian, Topographia Sueviae, wo im Anhang (1653), S. 63 vom Krumbad die Rede ist.


  1. Ellerbach ist nicht das Dorf dieses Namens im BA Dillingen, sondern Erbach im württ. OA Ehingen; Rot ist Ober-Unterrot, BA Illertissen.
  2. Ob der Klammersatz von Rot oder von Fabri herrührt, bleibt dahingestellt.
  3. Die Gedenktafel von 1692 zu Ehren der „hier ruhenden“ Mitglieder der Familie Rot, besonders für Adelheid, kommt natürlich als Geschichtsquelle nicht in Betracht.
  4. M will mit 1390 nicht gerade das Ereignisjahr angeben, sondern die Zeit, da Ulrich lebte. Eine zweite Zeitangabe, 1397, bezieht sich auf sein Todesjahr und ist der Nachprüfung unzugänglich.
  5. Noch im Lauf des 15. Jh. verschwanden die Ellerbacher vollends aus dieser Gegend; der letzte, der in der Familiengrablege des Klosters Wettenhausen seine Ruhestätte fand, war Georg von Ellerbach, † 1498.
  6. Es verdient angemerkt zu werden, daß die Annales Wettenhusani von P. Franz Petrus (um 1684) I 1, 368 (Hs im HStA) den Herrnsitz Ulrichs „Hifelsburg“ d. i. Heubelsburg nennen und die Form „Hilpelsperg“ nicht kennen.
  7. Die eingangs mitgeteilte neuzeitliche Fassung hat sich einigermaßen der flachen rationalistischen Deutung angeschlossen, die von Dr. J. E. Wetzler (Das Krumbacher Heilbad, 1811) auf die Bahn gebracht wurde und die, um das Wunder beiseite zu schieben und die Sage zu retten, die Quellen beim Abräumen der Brandstätte entdeckt werden läßt. Die ältere Fassung, wie sie z. B. die „Neue Beschreibung des altberühmten … Krummbades“ von 1758 (Verfasser Dr. G. Fr. Gutermann) bietet, drückt sich dahin aus, daß Gott an dem Platz, wo die an drei Orten angesteckte Scheune gestanden, drei Quellen habe entspringen lassen.
  8. Herrn Dr. Dertsch verdanke ich diesen Hinweis.
  9. Mitgeteilt von B. Pez, Thesaurus anecdotorum novissimus III 3 (1721), 647–656.
  10. Die Urkunde ist weder im Original noch in Abschrift erhalten; nur ein Repertorienauszug (Sciagraphia Archivi Urspergensis, um 1745 angelegt, im HStA München, S. 365) gibt davon Kunde.
  11. Ebenso bei C. Khamm, Hierarchie Augustana III (1715), 514.
  12. Vgl. D. H. Kerler, Die Patronate der Heiligen, 1905, 256 und 45.
  13. Derlei kam indes auch anderwärts vor, z. B. im Unterelsaß (Martin 21).
  14. Augustinus, Sermo 196, 4: .„Natali Joannis… de sollempnitate superstitiosa pagana Christiani ad mare veniebant et ibi se baptizabant.“ Ohne Anführung einer Stelle sagt Weinhold 44, Augustin eifere gegen den schlechten, aus dem Heidentum zurückgebliebenen Brauch, in der Nacht und am frühen Morgen des Johannisfestes sich in Quellen, Teichen und Flüssen zu baden; mir ist eine solche Stelle nicht bekannt.
  15. Panzer 2, 296; der Feuerstein erwähnt im „Sammler“ der München-Augsb. Abendzeitung, 1924, Nr. 120.
  16. Sie meint auch der Marschalk, wenn er von „balneum salubre praecipue mulieribus“ spricht.
  17. Von rätischen Gottheiten diesseits der Alpen kennen wir nicht eine mit Namen.
  18. Römisch-Germanisches Korrespondenzblatt 9 (1916), 32.
  19. Weihesteine aus Baumburg BA Traunstein, aus Faimingen BA Dillingen: Fr. Vollmer, Inscriptiones Baivariae Romanae (1915), n. 33, 222.