Traum und Wirklichkeit

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Autor: Wilhelm Hertz
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Titel: Traum und Wirklichkeit
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aus: Gedichte, S. 93–96.
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Scans auf Commons und Google
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[93]
Traum und Wirklichkeit[1].


Es schläft an meine Brust gesunken
     Das holde, heißgeliebte Weib;
Ich schaue stumm und formentrunken
     Den jungen, hüllenlosen Leib.

5
Wie um den keuschen Schnee der Lenden

     Der Locke dunkle Wege quillt!
Wie unter meinen leisen Händen
     Der weiche Marmor athmend schwillt!

Da lockt mich hohe Wunderahnung

10
     In unbekannte Zeit zurück,

Wie eine rührend holde Mahnung
     An längstvergeßnes Liebesglück.

[94]

Blieb mir aus einem frühern Leben
     Der eine wehmuthmilde Klang,

15
Der sich mit leisem Saitenbeben

     Durch meiner Seele Stille schwang?

Ist das die ew’ge Schönheit wieder,
     Die mir das Herz so trunken macht,
Nach der beim Anblick dieser Glieder

20
     Die heil’ge Sehnsucht mir erwacht?


Und Schöpfungshimmel seh’ ich blauen
     In morgenfrischer Werdelust.
Ich blicke mit erhab’nem Grauen
     In das Geheimniß meiner Brust.

25
Zeigt ihr mir an, ihr Glanzgesichte,

     Wie ich in kühnem Lebensdrang,
Mitewges[ws 1] Licht vom ew’gen Lichte
     Zum Erdentag mich niederschwang?

Und wie umsonst aus seinen Bahnen

30
     Nach seiner Sonne strebt ein Stern,

Zieht machtlos mich ein kindlich Ahnen
     Zum Geiste, der mir jetzt so fern. –

[95]

Da rührt sich leicht auf meinem Schooße
     Vom Traum bewegt das holde Weib,

35
Des Busens weiße Doppelrose

     Streift leis erzitternd meinen Leib.

Es schmiegt ihr Herz mit weichem Schlage
     An meine Brust sich eng und warm: –
Das Götterglück, das ich beklage,

40
     Ruht es nicht lächelnd mir im Arm?


Und muß ich’s erst mit Händen fassen,
     Daß mir in lebender Gestalt
Der ew’ge Geist, den ich verlassen,
     Aus diesem Leib entgegenwallt?

45
Was sucht’ ich ihn in blauer Ferne,

     Der mir die eig’ne Seele schwellt?
Er ist die Harmonie der Sterne,
     Die Schönheit in der Menschenwelt.

Wach’ auf, mein Lieb! Ich hab’ dich wieder,

50
     Die mir ein trüber Traum geraubt;

Da regen sich die zarten Glieder,
     Und lächelnd hebest du das Haupt.

[96]

Bekränze festlich deine Haare,
     Laß dich mit heil’gem Kuß umfah’n!

55
Es blicket mich der Unsichtbare

     Aus deinen Augen grüßend an.


  1. Nach der platonischen Philosophie entspringt die Sehnsucht beim Anblick eines schönen Gegenstandes aus der unwillkürlichen Erinnerung an die ewige Schönheit, mit der wir vor diesem Leben im Reich der Ideen vereinigt waren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Scan: Mit ew’ges. Druckfehler (s. S. 261)