Verschwörung des Doge Marin Falier gegen Venedig

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Autor: Wilhelm Friedrich Hermann Reinwald
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Titel: Verschwörung des Doge Marin Falier gegen Venedig
Untertitel:
aus: Thalia. 1785–1791. Dritter Band, 10. Heft, 1790, S. 58–71
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[58]
III.
Verschwörung des Doge Marin Falier gegen Venedig.

Marin Falier stammte aus einem der ältesten und reichsten Häuser der Republik. Schon seine Vorfahren erwarben sich im Dienste derselben glänzenden Ruhm, und er selbst hatte noch vor kurzem, als Proveditor auf der Flotte im schwarzen Meere, das Andenken an diese Verdienste durch seine Tapferkeit und Geistesgegenwart erneuert. Mit dem Adel seiner Geburt verband er die glänzendsten Vorzüge des Geistes, war überhaupt ein feuriger, hellsehender, unternehmender Kopf, welcher der Republik die gewisse Hoffnung einflößte, sie werde, unter dem Schutz seiner wirksamen Anschläge, den hartnäckigen Krieg mit den Genuesern vortheilhaft endigen können. Dazu berechtigte sie hauptsächlich sein hohes Alter und die genaue Kenntniß des Staats, die er sich in einem langwierigen und oft veränderten Dienste desselben erworben hatte. Die bewundernswürdige Geschicklichkeit, mit welcher er Unterhandlungen einzuleiten wußte, hatte den Senat erst vor kurzem bewogen, ihn, als Gesandten, an den päpstlichen [59] Hof zu schicken, in der Absicht, Innocentius IV. zu seiner Thronerhebung Glück zu wünschen, und sich seines Beystandes gegen die auswärtigen Feinde der Republik zu versichern. Es fügte sich also, daß er gerade zu der Zeit abwesend war, als sein Vorfahre Dandolo zum größten Leidwesen des Staats, den Thron erledigte, und der Senat, von äussern Umständen genöthigt, ohne Zeitverlust zur Wahl eines neuen Dogen schritt. Desto größer war seine Ueberraschung, als er auf seiner Rückreise erfuhr, daß er selbst der Gegenstand dieser Wahl sey.

Der Senat schickte ihm schleunigst zwölf Edle mit einem glänzenden Gefolg bis Verona entgegen. Diese Stadt wimmelte von Menschen: alles war in Bewegung; überall herrschte die lebhafteste Freude. In Padua erwartete ihn der ganze versammelte Senat, und empfieng ihn mit den schmeichelhaftesten Ehrenbezeugungen. Von hier setzte er seine Reise weiter über Chiozza nach St. Klemens fort, wo er den sogenannten Bucentauro bestieg, der ihn nach Venedig brachte.

Eben wollte das Schiff in den Hafen laufen, als sich plötzlich ein wüthender Sturm erhob, der den ganzen Horizont verfinsterte, so, daß Falier, der auf dem Bucentauro nicht mehr sicher war, mit seinem Gefolg einen gewöhnlichen Kahn besteigen mußte, der ihn sicher und wohlbehalten auf den St. Markusplatz brachte. Hier stieg er ans Land; der versammelte Adel empfieng [60] ihn voll der tiefsten Ehrerbietung, und das Volk strömte ihm aus allen Enden der Stadt mit lautem Frohlocken entgegen.

Das Gewühl war unbeschreiblich. Zum größten Unglück nahm Falier in der Betäubung, dem Gedräng und der Düsternheit der Luft nicht wahr, daß er zwischen den 2 Säulen auf dem sogenannten kleinen Platze durchgieng, wo die Missethäter pflegen hingerichtet zu werden. Ein Umstand der dem gemeinen Mann sehr bedenklich schien. Der neue Doge ward sogleich unter Begleitung des ganzen Adels und einem beständigen Gewühl von Menschen nach der St. Markuskirche, und von da nach dem Herzoglichen Palaste gebracht, wo er mit den gewöhnlichen Zeremonien die Krönung emfieng. Indessen hatte jener Umstand mit den Säulen und der plötzlichen Veränderung der Athmosphäre auf das Gemüth des Pöbels den widrigsten Eindruck gemacht und jene lärmende Freude gar bald durch mißgünstige Ahndungen verdrängt.

Leider bestätigte die Folge nur zu bald diese Ahndungen. Der Staat ward von unzähligen Widerwärtigkeiten heimgesucht. Krieg, Hungersnoth, Seuchen, Erdbeben wetteiferten mit einander, seine Kraft zu erschöpfen. Auf diese ganze Reihe von Unglücksfällen folgte endlich der letzte, härteste Schlag, dem er beynahe erlag. [61] Falier war mit einer jungen, sehr reitzenden Gemahlin vermählt, die unter dem Adel der Stadt viele Verehrer fand.

Unter andern zeichnete sich ein gewisser Michael Steno aus, dessen stille Leidenschaft von Seiten der Dogareßa, wie man sagt, die schmeichelhaftesten Ermunterungen bekam. Dieser Michael Steno war ein schön gebildeter Mann, Mitglied der Quarantie, besaß einen mächtigen Anhang in der Stadt, und lebte mit dem Hause des Dogen auf einem sehr vertrauten Fuß: um so viel mehr wandte er alles an, seine Wünsche zu befriedigen. Indeß konnte dieser Umstand den scharfsichtigen Blicken des Falier nicht lange verborgen bleiben. Die Eifersucht erwachte bey ihm mit ihrem ganzen Gefolge von Unbesonnenheit und Uebereilung. Bis jetzt tobte sie nur in geheim, bey der ersten Gelegenheit brach sie aber mit dem heftigsten Ungestüm aus. Diese Gelegenheit brachte der erste Donnerstag in der Fastnacht. An diesem Tag pflegt der Doge sich mit seinem Gefolge auf einem, dem kleinen Platz gegenüberstehenden, Gang einzufinden, um den Ergötzungen des Volks beyzuwohnen, welches sich beeyfert, ihn mit mancherley Zeremonien zu beehren. Ist der Doge verheirathet, so nimmt die Dogareßa ebenfalls an diesen Feierlichkeiten Theil, und dieß war hier der Fall. – Der Doge erschien in Begleitung seines Hofs und seiner Gemahlin, und auch Steno erschien mit ihm. Dieser wußte seine Stellung so vortheilhaft zu nehmen, daß er die schöne Dogareßa beständig vor Augen hatte. [62] Falier bemerkte dieses kaum, als er in den heftigsten Ausdrücken den Befehl gab, man solle den Steno vom Gerüste werfen. Es geschah. Steno entfernte sich, aber mit den lebhaftesten Empfindungen des Schmerzens und der Rache über diese schimpfliche Begegnung. Er eilte geradeswegs nach Haus, maskierte sich, und erschien zum zweyten mal auf dem Geruste. Bey dem Gedränge, und der gespannten Aufmerksamkeit der Umstehenden gelang es ihm, unvermerkt ein Zettelchen folgendes Inhaltes an den Sitz des Dogen zu heften:

„Falier besitzt eine schöne Gemahlin; was hilft es ihm aber? – Er unterhält sie, andre genießen sie.“

Nach geschehener That schlich er sich eilends davon. Nur seine vertrautesten Freunde wußten etwas von dieser Sache. Kaum fiel dieses Zettelchen den Umstehenden in die Augen, so machten sie den Falier darauf aufmerksam. Dieser spie Feuer und Flammen, beschwor Himmel und Erde, ihm den Thäter in die Hände zu liefern. Die Signorie gab sich zwar alle ersinnliche Mühe, ihn auszukundschaften, und die Beleidigung ihres Dogen zu rächen; damit war ihm aber nichts geholfen: er verlangte Genugthuung, und diese konnte man ihm nicht eher verschaffen, bis der Thäter entdeckt war. Steno zögerte nicht. Unverzüglich eilte er in den Senat, bekannte sich öffentlich für den Urheber, und brachte zu seiner Entschuldigung nichts als die erlittne Beschimpfung vor. Jedermann gab [63] ihm im Stillen Recht und doch mußte der Doge Genugthuung haben. Die Signoria befand sich in nicht geringer Verlegenheit, wie sie den Steno bestrafen sollte, ohne ihrem Gewissen zu nahe zu treten. Endlich brachten es seine Anhänger dahin, daß die Entscheidung dieser Sache der Quarantie übertragen wurde. Steno war eins von den Oberhäuptern dieses Tribunals; folglich fiel das Urtheil desselben sehr gelind aus, und erkannte bloß auf eine monatliche Gefangenschaft. Durch diese Bestrafung aber war Faliers Rache nicht befriedigt. Es schmerzte ihn tief, sich unter die Willkühr der Aristokratie schmiegen zu müssen, da er von Jugend auf an die unbegränzteste Ehrerbietung gewöhnt war. Sein Zorn brach in laute Verwünschungen über die Ungerechtigkeit des Adels aus. Er fieng an, den Steno und die gesammten Beysitzer der Quarantie öffentlich zu verfolgen, und sein Haß verbreitete sich über alle Vornehmen der Stadt, die seinen Absichten entgegen waren. Bey jeder Gelegenheit gab er die lautesten Beweise davon, daß im kurzen die ganze Stadt aufrührisch wurde, und man eine allgemeine Gährung befürchtete. Bald darauf eräugnete sich ein Umstand, der den geheimen Absichten des Falier auf die vortheilhafteste Art entsprach.

Ein gewisser Dandolo, mit dem Zunahmen Johannes, Aufseher über die Zurüstung der Flotten entzweite sich mit dem verdienstvollen Admiral Bertuccio Israel. In der Hitze des Streits schlug Dandolo den Admiral ins Gesicht. Dieser kochte Rache. Von [64] Stund an war er auf nichts weiter bedacht, als eine Bande zusammenzurotten, welches ihm um so leichter war, da er unter dem Pöbel viele Anhänger hatte. Sobald die Bande zusammengetrieben war, zog er an ihrer Spitze auf den kleinen Platz hin, marschierte unter den Fenstern des fürstlichen Palastes auf und ab, und stellte dem Dandolo öffentlich nach dem Leben. Dieser nahm seine Zuflucht zu der Signorie und dem Dogen selbst, beschwor sie aufs dringendste, ihn von dieser lästigen Nachstellung zu befreien.

Unterdessen schloß er sich mit aller nöthigen Vorsicht in den Palast ein, und erwartete zitternd die Entscheidung. Bertuccio ward vorgerufen. Der Doge machte ihm die bittersten Vorwürfe über sein unbesonnenes Betragen, ermahnte ihn aufs nachdrücklichste, nie wieder die Sicherheit des Staats durch ein so freches Unternehmen zu stöhren, und zwang ihn sogar, sich eidlich zu verpflichten, daß er nie wieder etwas nachtheiliges gegen das Leben des Dandolo vornehmen wolle.

Der Admiral gieng murrend davon, und berathschlagte sich mit seinem Gefolge, was weiter zu thun sey. Unterdessen langte ein Bedienter des Doge bey ihm an, und bestellte ihn unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit auf das Zimmer seines Herrn. Bertuccio erschien zur gesetzten Zeit; aber wie groß war sein Erstaunen, da er den Falier aus einem ganz andern Ton reden hörte, als vor wenigen Stunden. Dieser schlaue Kopf hatte sich jenes Betragens nur als [65] einer Maske bedient, seine wahren Gesinnungen darunter zu verbergen. Jetzt überließ er sich ohne Zurückhaltung dem Ausbruche der heftigsten Rache, die er schon so lange in seiner Brust genährt hatte, und wandte alles mögliche an, diese nämliche Flamme in dem Busen des Admirals anzufachen. Was konnte diesen erwünschter seyn, als die zufällige Zusammenstimmung der Absichten des Dogen mit den seinigen? – Es bedurfte keiner lange Ueberredung. – Dandulo war mit Leib und Seele der seinige, und in wenig Stunden war der Plan zu einer Verschwörung geschmiedet, die nichts geringeres, als den Untergang des ganzen Staats zum Gegenstand hatte.

Der erste Schritt zum Ziele war, daß man alles mögliche anwendete, um den Haß des Pöbels gegen den Adel, der sich durch Stolz und Despotismus bey diesem schon äußerst verhaßt gemacht hatte, zu nähren. Zu dieser Absicht taugte niemand besser, als Bertuccio selbst, der des Pöbels Abgott war. Er wußte bald einige Matrosen und Schiffsleute auf seine Seite zu bringen, und stellte sie alle dem Falier vor. In kurzer Zeit hatte er schon eine kleine Bande von 20 Personen zusammengezogen, wovon es aber nur vieren bekannt war, daß der Doge selbst die Hand mit im Spiel habe. Jeder von diesen Leuten mußte auf seinen Befehl sich um 60 andre bewerben, welches, wie er vorgab, um so leichter seyn würde, da es bekannt genug wäre, daß der Staat eine Flotte gegen die Genueser in See stellen müßte, wozu man Leute nöthig [66] hätte. Ueberhaupt sollten sie sich so stellen, als ob irgend ein großes Unternehmen im Werk wäre.

Unterdessen fuhren sie fort, das Volk aufrührisch zu machen. Zu dem Ende schlichen sich bey Nachtzeit ganze Haufen Verschworner unter die Fenster der Bürger, klopften mit Ungestüm an, und begehrten zu ihren Weibern und Töchtern gelassen zu werden. Dabei lachten sie auch und zischelten, und riefen einander halb laut bei dem Nahmen dieses oder jenes Edelmanns zu. Das Mittel schlug ein, in kurzem war die ganze Stadt in Gährung. Das ganze Komplott war nun eingeleitet, und bedurfte nur noch der Ausführung. Jetzt berief Falier den Nikolaus Cucholo, einen angesehenen Kaufmann und sehr vertrauten Freund zu sich, ließ auch die übrigen herbeirufen, und eröffnete ihnen den Plan der ganzen Verschwörung, welcher folgender war. Eilfe von ihnen sollten an einem festgesetzten Tage in der Stadt ausbreiten, die genuesische Flotte nähere sich den Lagunen. In der Nacht sollten sie Lärm machen, auf dem St. Markusthurm die Glocken stürmen, und die Stadt zur erdichteten Vertheidigung aufrufen. Dieses sollte das Signal zur Empörung seyn, auf welches sich die sämmtlichen Verschwornen versammelten, einige den St. Markusplatz besetzen, andre sich der Hauptplätze der Stadt versichern, die angesehensten Edlen ermorden, und den Falier zum Souverän von Venedig ausrufen sollten. Alles war verabredet und der 15 Aprill zur Ausführung dieses schrecklichen Vorhabens festgesetzt. Unterdessen [67] waren dem Rathe der Zehen die heimlichen Zusammenkünfte des Pöbels nicht entgangen. Er hatte längst ein wachsames Auge auf alle Bewegungen desselben gehabt, nur konnte er noch nichts entscheidendes herausbringen, bis zufälligerweise einer von den Verschwornen selbst der Verräther dieses schändlichen Vorhabens wurde.

Beltrand – nach andern hieß er Bential – ein Pelzhändler aus Pisa, hatte in dem Rath der Zehen einen vertrauten Freund und Gevatter, dessen Erhaltung ihm sehr am Herzen lag.

Freundschaft und Gewissen foderten ihn auf, das Leben dieses Mannes zu retten, je näher die schreckliche Stunde der Entscheidung heran rückte. Als die Dämmerung hereinbrach, konnte er diesem heftigen Drange nicht länger widerstehen. Mit Furcht und Zittern schlich er sich in das Haus des Leoni – dieß war der Name seines Freundes – verlangte ihn zu sprechen, und beschwor ihn, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, sich diese Nacht ja nicht aus seiner Wohnung zu entfernen, es möchte geschehen, was da wollte. Leoni, dem die Sache so schon verdächtig vorkam, drang heftig in ihn, die Ursache dieser Warnung zu entdecken; unter den heiligsten Versicherungen seines Schutzes gelang es ihm endlich, dem Beltrand das furchtbare Geheimniß zu entreißen. Kaum war dieß geschehen, so suchte Leoni ihn unter allerlei Vorwand zurückzuhalten, und befahl seinen Bedienten [68] aufs nachdrücklichste, ihn ja nicht entwischen zu lassen, während daß er selbst unverzüglich zu einigen Senatoren eilte, denen er diese wichtige Entdeckung mittheilte. Sogleich berief man in aller Stille den Rath der Zehen nach St. Salvatore zusammen, weil man sich im Pallast des Doge nicht mehr sicher glaubte. Sobald sich das Kollegium der Zehen am bestimmten Ort versammelt hatte, wurden auch die Häupter der Quarantie berufen. Diese letztern ersuchte man die Vorsteher der Sestiere auch dazu zu ziehen. Sobald dieses geschehen war, fügte man ihnen die sogenannten Arsenaloten bey, die Künstler nemlich, die Handwerker und Handlanger, die im Zeughaus der Republik arbeiten, lauter rüstiges, handvestes Volk, mit deren Beystand sie die Verschwornen augenblicklich in Verhaft bringen sollten. Auch trug man Sorge, den S. Markus Thurm in aller Stille besetzen zu lassen, um das Sturmläuten zu verhüten.

So geheim diese Anstalten auch betrieben wurden, so konnte man doch nicht verhindern, daß nicht einige der Verschwornen dadurch aufmerksam wurden. Kaum schöpften diese Verdacht, so ergriff der größte Theil von ihnen die Flucht. Unter diesen befanden sich fast alle Edle, die mit in die Verschwörung verflochten waren. Sobald ihre Flucht bekannt war, setzte der Senat einen Preiß auf ihren Kopf, und verbannte sie auf ewig aus ihrem Vaterlande. Nur zehen von ihnen hatten das Unglück, von den Häschern ergriffen, und ins Gefängniß geworfen zu werden. Bettuocio [69] selbst war unter diesen. Auch dem berühmten Bildhauer Skalanderio, oder wie ihn andre nennen, Skalanditto, wiederfuhr dieses Schicksal.

Hierauf versammelte sich der Rath der Zehen in dem fürstlichen Palast, der von einer hinlänglichen Anzahl Bewaffneter besetzt wurde, damit der Doge selbst nicht entrinnen möchte.

Noch in dieser nämlichen Nacht wurde das Urtheil über die Gefangenen gefällt, und auch sogleich an ihnen vollzogen. Einige wurden erdrosselt, andre mit dem Beil hingerichtet, und noch andre ersäuft. Nur Skalanditto und sein Sohn wurden verschont, aus Achtung gegen ihre Kunst, die viele Häuser der Edlen und selbst den fürstlichen Pallast mit trefflichen Meisterstücken ausgeziert hatte. Der Senat begnügte sich sie bloß zu ewiger Gefangenschaft zu verurtheilen. Die ganze Nacht war unter Blutvergießen verflossen, jetzt näherte sich der Morgen: die schrecklichste Scene stand den Vätern der Republik noch bevor: die Bestrafung ihres Oberhaupts. Lange waren sie unentschlossen, bis endlich die dringende Gefahr des Staats und die politische Nothwendigkeit ihre Zweifel besiegte.

Der Doge ward vorgefodert, und erschien in nachlässiger Hauskleidung, ohne das mindeste Zeichen seiner Würde. Man legte ihm die unleugbarsten Beweise vor, und entriß ihm mit Gewalt das Geständniß seines Verbrechens. Nun wurde er entlassen, und [70] die Stimmen über ihn gesammelt. Bald darauf begiebt sich der Rath der Zehen auf sein Zimmer und kündigte ihm das Urtheil an. Sogleich wurde ihm die fürstliche Mütze abgenommen, mit dem Bedeuten, sich zum Tode anzuschicken. Aus besonderer Nachsicht erlaubte man ihm noch, ein Testament aufzusetzen, und entweder zu Seelmessen oder zu mildthätigen Zwecken eine gewisse Summe Geldes, wem er wollte, zu vermachen, mit der Bedingung, daß sich dieselbe nicht über 2000 Dukaten erstreckte. Nach diesem führte ihn der Rath der Zehen auf die sogenannte Riesentreppe, wo der jedesmalige Doge gekrönt wurde. Hier stand er voll schrecklicher Erwartung, tiefe Stille herrschte rings umher, und ein Streich trennte den Kopf von dem Rumpfe.

Der Leichnam wurde in einen Sarg gelegt und in sein Erbbegräbniß gebracht. Unmittelbar nach geschehener Hinrichtung begab sich das Oberhaupt des Raths auf die sogenannte Tribune, die aus dem großen Rath nach dem kleinen Platz führte, und zeigte dem versammelten Volke das bluttriefende Schwerdt, mit den Worten: „Der Verräther des Vaterlandes ist gerichtet.“

Der Anzeiger dieses schrecklichen Vorhabens erhielt nicht nur die Freyheit, sondern man bestimmte ihm noch einen jährlichen Gehalt von 1000 Dukaten, vermachte ihm das Privathaus des Falier, und erhob ihn in die Klasse der Patrioten. Dieser unverschämte [71] Mensch aber, der sich auf eine so unerwartete Art so reichlich belohnt sah, glaubte durch Trotz noch mehr erpressen zu können, und drohte seinen Richtern öffentlich, sie ihrer Kargheit und Unbilligkeit halber nirgends zu verschonen, vielmehr, wo er könnte, ihren Namen mit Schimpf und Schande zu brandmarken.

Diese schändliche Undankbarkeit entrüstete die Richter so sehr, daß sie im Begriff standen, den Verbrecher diese Tollkühnheit mit dem Leben büßen zu lassen. Aber zu seinem Glück bekämpfte das Andenken an jene Wohlthat, die er vor kurzem noch dem Staat erwiesen hate, ihren Zorn, und sie begnügten sich, ihn auf ewig aus der Republik zu verbannen.

Noch jetzt ist das Andenken an diese merkwürdige Begebenheit in einem Denkmal zu Venedig vorhanden. In dem Saale, welchen die Bildnisse der Dogen, nach der Ordnung ihrer Thronfolge schmücken, findet man da, wo Falier’s Bildniß hingehörte, einen schwarzausgeschlagenen Thron, mit der Ueberschrift:

„Locus Marini Falieri decapitati.“[1]

Sein Grabstein enthält folgende fast gleichlautende Worte:

„Dux Venetum jacet hic, patriam qui del perdere tentans,
Sceptra, Decus, Censum perdidit atque Caput.”[2]
Bg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ort für den enthaupteten Marinus Falierius
  2. Hier liegt der Doge von Venedig, der beim Versuch, das Vaterland zu vernichten, sein Szepter, seine Würde, seinen Reichtum verlor – und sein Haupt.