Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten/1. Regie-Freuden und Leiden

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Autor: Hugo Müller
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Titel: Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten - 1. Regie-Freuden und Leiden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 292–295
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.
Von Dr. Hugo Müller.


Wie viele Schriftsteller haben nicht bereits das innere Getriebe des Theaters, das Leben hinter den Coulissen in den Bereich ihrer Feder gezogen, wie vielen Romanen, Novellen, Humoresken, Feuilletons etc. gab dieses willkommene Thema Nahrung! Der größere Theil der Leser hat sich daran ergötzt und das ihm interessant Geschilderte gläubig für baare Münze genommen – nur der Künstler selbst schüttelte bei dieser Art Lectüre zumeist den Kopf, weil es ihm unfaßbar erschien, daß man mit so großer Unkenntniß der Verhältnisse dieselben so sicher zu zeichnen unternähme. Auf der zweiten, dritten Seite fielen ihm bereits die entschiedensten Fehler bei Beurtheilung und Behandlung aller technischen Verhältnisse des Theaters in die Augen, und er fragte sich erstaunt, wie es möglich sei, das Alles so unbefangen dem Publicum aufzutischen. Der Grund liegt jedoch sehr nahe: man ist gewöhnt, mit den Schauspielern ohne Umstände zu verfahren, und wo man bei jedem andern Stande vier, fünf Mal vorsichtig nachfragt, ehe man eine Behauptung aufstellt, da spricht man bei uns frischweg ab; es kann ja nichts Uebles daraus entstehen! Der Oeffentlichkeit exponirt, sind wir gewohnt, nicht mit Glacéhandschuhen angefaßt zu werden.

Ich weiß nicht, welcher geistreiche Kopf das Princip verkündet hat: „wer in der Oeffentlichkeit steht, muß sich jedes Urtheil und jede Anschauung gefallen lassen“; es wäre vergebliche Mühe einen logischen Schlüssel für diese Auffassung zu suchen, aber die scandalsüchtige Welt hat diesen Grundsatz adoptiert und somit wird er tagtäglich, namentlich von der kleinen Presse, an uns ausgeübt, gleichviel wie viel Jammer, Elend, Familienunglück etc. dieser Cultus des Waschfasses im Gefolge trägt. Mir ist ein Schriftsteller bekannt, der eine vorübergehende Liaison mit einer Dame vom Theater hatte; die Verbindung löste sich, wahrscheinlich aus Gründen, welche die Dame verschuldet. Aus Rache schrieb er einen Roman, der große Verbreitung fand, indem er den ganzen weiblichen Künstlerstand kurzweg als Canaille schilderte. Ein anderer mir bekannter Schriftsteller hatte ein Stück zur Aufführung gebracht, das er für gut hielt. Das Publicum war anderer Meinung und pfiff es aus. Empört schob er, wie in solchen Fällen gewöhnlich, alle Schuld auf die Darsteller und läßt seitdem keine Gelegenheit vorübergehen, die Schauspieler in seinen Artikeln für dumm, unfähig und lächerlich zu erklären.

Nach solchen Vorkommnissen scheint es in der That nicht unangebracht, wenn ein ganz parteiloser, seit achtzehn Jahren inmitten der zu schildernden Verhältnisse lebender Mann es unternimmt, dem Publicum, das gern hinter die Coulissen blicken möchte, die Wahrheit zu sagen, und zwar im Gewand des heitern Humors und des bittern Ernstes.

Unsere Verhältnisse können begreiflicher Weise nicht mit altbürgerlicher Elle gemessen werden, und in diesen Skizzen wird Manches enthalten sein, was weder für prüde Heilige, noch für Pensionskinder geschrieben ist, aber derartige Rücksichten können bei Besprechung einer solchen Frage auch unmöglich mitreden. Wo es absolut nothwendig sein wird, die schlimme Wahrheit zu sagen, wird es geschehen ohne bitteren Zusatz, denn ich kenne nichts Verächtlicheres, als eine Kritik, welche die Strenge mit Hohn und hämischer Gesinnung paart. Meine Collegen, die diese Blätter lesen, werden am besten zugeben können, daß, was ich hier dann und wann unter dem Geläute der Schellenkappe vorführe, keinen Exceß nach irgend einer Richtung enthält und daß es mir nur darum zu thun gewesen ist, das lesende Publicum davon überzeugen, daß unser Stand zwar einzelne schlimme, meist aber nur harmlose und humoristische Auswüchse aufzuweisen hat, die man uns schon dem Werth der Kunst gegenüber zu gut halten kann.




1. Regie-Freuden und Leiden.

Die zehnte Stunde hat geschlagen, diese Normalstunde der Proben an allen soliden Theatern. Eifrige Novizen sind bereits auf der Bühne versammelt; sie können den Moment nicht erwarten, in dem sie sich reden hören und agiren sehen dürfen. Andere, von diesem Verlangen bereits Abgekühlte sind noch auf dem Wege zu Thaliens Hallen, denn sie wissen, daß ihnen in Anbetracht der großen Entfernungen eine Respectsfrist von zehn Minuten vergönnt ist; wieder Andere befinden sich um dieselbe Zeit noch bei der Toilette, fluchend über den unanständig frühen Probetermin und in Gedanken die Strafe berechnend, mit der die voraussichtliche Versäumnis ihre Casse schädigen wird. Der Herr Regisseur, begreiflicher Weise ein Mann der Pünktlichkeit, steht seit dem Schlage Zehn auf seinem Posten und verkürzt sich die Respectsminuten durch Instructionen an Theatermeister, Decorateure, Garderobiers und den Souffleur, besonders an Letzteren.

„Lieber Sendelmayer, Sie wissen, wir haben heute die letzte Probe; nicht so laut, nicht so laut, die Herrschaften können ja ihre Rollen.“

Sendelmayer nickt zustimmend mit dem Kopfe; aber indem er sich in seinen Orcus zurückbeugt, überfliegt ein diabolisches Lächeln seine Züge und mit dem Streichen seines Backenbartes scheint er anzudeuten, daß seine Ueberzeugung mit der seines Chefs nicht Hand in Hand gehe. Der Herr Regisseur ist ein feiner jovialer Mann in den besten Jahren, in Kunst und Leben gleichmäßig zu Hause, beiden gleich ergeben und ängstlich darauf bedacht, keinen der beiden Theile durch zu übertriebenen Verkehr mit dem andern zu verletzen. Er liebt ein gutes Stück, einen guten Künstler so aufrichtig, wie einen alten gezehrten Bordeaux, und ein schlechter oder fauler Schauspieler ist ihm so zuwider, wie eine Flasche Sekt, die nach dem Korken schmeckt. Er ist stets darauf bedacht, guten Ton walten zu lassen, sich mit Allen „gut zu stehen“ und jede Uneinigkeit, jedes Gezänk, jede Rohheit zu verhindern, wobei tausenderlei Rücksichten, die er nach oben zu nehmen hat, diese löbliche Absicht in ihrer Ausführung erschweren. Aber er ist bei alledem zufrieden und kommt bei seiner Philosophie niemals zu dem wehmüthigen Ausruf „Diem perdidi!“

Die zehn Minuten sind verstrichen; mit geübtem Strategenblick mustert der Regisseur das inzwischen angewachsene Häuflein und erkennt sofort Mehrere, „die nicht da sind“, darunter Fräulein Heloise, die bei Hofe eingeführt ist und in den ersten Familien der Aristokratie Bilder stellt, Gründe genug, der Dame nichts Verletzendes zu sagen, oder sie gar in Strafe zu nehmen. Er giebt also noch fünf Minuten Galgenfrist, die er jedoch, um es nicht auffällig zu machen, in höchst politischer Weise durch Privatgespräche mit seinen Collegen ausfüllt.

„Guten Morgen, Lehmannchen, altes Haus, wie geht’s Euch denn?“ begrüßt er den Heldenvater, dessen feiste Schultern klopfend und erhält sogleich die geistreiche Antwort: „Ich danke Euch, so so!“

Die Anrede „Ihr“ ist nämlich bei den älteren Mimen, denen aus der sogenannten guten Zeit, noch sehr beliebt und gebräuchlich; die jüngere Generation hat, Gott sei Dank, diesem schauderhaften Brauch entsagt.

„Na, Fritzchen,“ wendet er sich zum jugendlichen Liebhaber, „wie war der Bube gestern Abend? kleines Six durchgebracht?“

„Ach, reden Sie schon gar nicht davon!“ lautet der Bescheid und die krausen Falten auf Romeo’s Stirn geben ein treues Spiegelbild von denen seines Portemonnaies.

Inzwischen ist auch Fräulein Heloise eingetroffen und schwebt sogleich mit unnachahmlicher Grazie auf den Regiestuhl los, dem gestrengen Vorgesetzten drei ihrer Lilienfinger entgegenstreckend, zu welchem Behuf sie den Handschuh bereits auf der Treppe ausgezogen hat. „Mille pardons,“ haucht sie, wenn ich warten ließ, aber ich bin mit entsetzlichen Kopfschmerzen aufgewacht.“ Der Regisseur küßt jeden der drei Lilienfinger einzeln und versichert mit zärtlicher Devotion, daß das nichts ausmache. Während Heloise sich wendet, wirft sie ihm noch die geflügelten Worte zu: „Ich war gestern Abend bei Hofe; Serenissimus sprach sich außerordentlich günstig über Sie aus, – ich glaube – ich glaube – –“ ein Lächeln einerseits, ein Augenleuchten andererseits – große Geister verstehen sich – noch ein Händedruck, und Heloise verschwindet hinter den Coulissen. Der Ernst des Lebens beginnt; der Regisseur nimmt die kleine Amtsmiene an (er kann sie erforderlichenfalls durch drei Potenzen steigern) und winkt dem [293] Inspicienten. Dieser läutet mit der Glocke, deren schauriger Klang durch die Lüfte den zu spät Kommenden verkündet, daß sie den Rachegeistern verfallen sind, und die Probe nimmt ihren Anfang.

Das Stück, eine Novität, ist der altgriechischen Geschichte entlehnt und spielt in Athen; es hat in hohen Kreisen vielfach Recommandation gefunden, und bei Hofe ist der Wunsch laut geworden, es auf der Bühne zu sehen, Grund genug für den Regisseur, dasselbe seinen Collegen und dem Publicum gegenüber als ein höchst anziehendes und originelles Product zu schildern, dessen Verfasser ein vielversprechendes Talent bekunde, um so mehr, da er ganz eigene Vermuthungen über die Lebensstellung des Autors hegt. Seine Wirthin soll dagegen einem Collegen verrathen haben, daß er sich in seinen vier Wänden öfters vor dem Manuscript bekreuzigt habe. Genug, der erste Act beginnt, nach der Antikenschablone mit einer Scene zwischen dem Helden und dem Vertrauten. Der Held, Herr Mayer, ein schöner Mann von vierzig Jahren, der Alles noch immer sehr gut zu „arrangiren“ weiß, tritt auf. Unglücklicherweise hat er von Jugend auf seine Carrière zumeist seinem Aeußern zu danken gehabt, und da nach seiner innersten Ueberzeugung dieses noch nicht entfernt gelitten hat, so ist ihm auch in späteren Jahren nicht in den Sinn gekommen, daß zur Kunst der Darstellung noch einige andere kleine Requisiten, zum Beispiel die Fähigkeit zu lernen, erforderlich sind. Er beginnt:

„Das ist der Tag, der endlich mich zurück
Zur Heimath führt, die ich so lang entbehrte;
O fühlst du mit mir, wie ein heil’ger Strahl
Von – –“

„Na, von was denn? Schlafen Sie denn, Sendelmayer?“ knirscht der vierzigjährige Adonis.

Sendelmayer taucht mit seiner allerdings verschlafenen Physiognomie aus der Tiefe des Acheron auf und giebt mit etwas schwerer Zunge zu verstehen, daß er auf höchstes Geheiß heute nicht souffliren dürfe, da der Herr Regisseur der Ueberzeugung sei, daß die Herrschaften ihre Rollen könnten, und er als Untergebener auf die Ansicht seines Vorgesetzten schwören müsse. Ein tiefinneres Wohlbehagen leuchtet dabei aus seinen Blicken.

Es entsteht eine längere Disputation, – Mayer contra Sendelmayer! Der Herr Regisseur schlägt den Hemdkragen um; seine Amtsmiene, durch zwei Stirnfalten vermehrt, droht den Weg zur zweiten Potenz einzuschlagen, und der Kalauer „die Woche fängt gut an“ tritt zwar auf seine Zunge, aber nicht über seine Lippen – dazu ist er zu gesittet! Endlich ermannt er sich zu der Bemerkung: „Aber, lieber Mayer, Sie können doch unter keinen Umständen verlangen, daß Ihnen auf der letzten Probe noch jedes Wort soufflirt werden soll?“

„Das verlange ich auch gar nicht, alter Freund; ich kann Gott sei Dank stets meine Rollen, aber der Anschlag, der Anschlag, das ist es, was ich beanspruchen darf, den verlange ich scharf! Und dann die Verbindung, den Mittelsatz, das ist es, wo die meisten Souffleure hapern und nicht begreifen wollen, daß da der Kern der Rede liegt; ebenso mit dem Schluß, wenn mir der nicht deutlich gebracht wird, wie soll ich dann wissen, ob ich zu Ende bin oder nicht? ich bin ja im Stande, weiter zu reden! Weiter verlange ich nichts – im Uebrigen kann er schweigen!“

Der Regisseur schlägt den Hemdkragen wieder in die Höhe. Ein Lächeln umzuckt die schmalen Lippen; der Philosoph in ihm hat gesiegt, und sein physiognomischer Ausdruck wird auf die „kleine“ Amtsmiene zurückgestellt. Sendelmayer, dem Mayer mithin klar gemacht, daß er die Dreieinigkeit als Grundlage des Bestehenden betrachte, brüllt Anfang, Mitte und Schluß gleich einem losgelassenen Stier. Mayer erklärt befriedigt, daß dies das Richtige sei.

Fräulein R. tritt auf, eine interessante Blondine von distinguirten Manieren, bis auf’s Aeußerste nervös und eine vortreffliche Darstellerin sentimentaler Rollen; deshalb liebt sie der Regisseur auch in gewissem Sinne, obwohl ihm sonst ihre Manieren odiös sind. Seitdem sie nämlich vor Jahren einen leider nicht realisirten Heirathsantrag von einem damals hier lebenden Pariser gehabt, hat sie ihre Muttersprache nicht mehr lieb und cultivirt mit besonderer Neigung ein etwas zweifelhaftes Französisch, läßt auch mitunter durchblicken, daß sie die Absicht habe, sich ganz der französischen Bühne zu widmen. Der Herr Regisseur ist aber ein großer Patriot und kann das nicht leiden.

„Nur um Gotteswillen nicht souffliren!“ ruft sie sofort dem Beherrscher der Unterwelt entgegen, „es macht mich nervös, wenn ich meine Worte immer voraus höre!“

Sendelmayer dankt mit einem vergnügten Lächeln für diese Aufforderung und wirft Mayer einen Blick zu, in dem deutlich geschrieben steht: „Dagegen sind Deine Nerven gleich Schiffstauen, mit Drähten umsponnen.“

Fräulein R. spricht sehr leise, fast unverständlich, so daß die sich gegenseitig überdonnernden Mayer und Sendelmayer einen seltsamen Contrast dazu bilden. Der Regisseur fängt wieder an, unruhig zu werden, er versucht jedoch, seine Aufregung zu bemeistern, und gebraucht seinen bewährten Blitzableiter in solchen Fällen, die goldene Dose mit dem Namenszuge Serenissimi in Brillanten.

Er haucht die Brillanten an, um sie dann mit seinem Taschentuche zu putzen und im Widerscheine der Souffleurlampe tausend bunte Lichter spielen zu lassen, wobei er zum zweihundertsten Male den reellen Werth derselben in Gedanken abschätzt. Dieses kindliche Vergnügen unterhält ihn längere Zeit so angenehm, daß die Liebesscene vor seinen Augen vollständig in Nebelferne entrückt wird und nur ein ganz besonders kräftiger Accent Mayer’s ihn wieder in’s Leben zurückführt.

„Auf die Art bekomme ich ja nicht einmal das Stichwort zu hören,“ donnert Mayer; „ich muß bitten, daß laut und deutlich probirt wird.“

„Mein liebes Fräulein,“ vermittelt sogleich der vorsichtige Regisseur, „in der Sache selbst hat Herr Mayer nicht so ganz Unrecht, obwohl ich die Art und Weise, wie er sich ausdrückt, entschieden ablehnen muß.“

Fräulein R. wird natürlich von einem nervösen Zittern befallen und entgegnet in ihrem weichsten Louisen-Tone, mezza voce mit Thränentremolando: „Mon Dieu, wenn ich heute Abend die anstrengende Rolle spielen soll, so muß ich mich den Tag über schonen dürfen, oder die Vorstellung muß verschoben werden. Auch habe ich gestern so traurige Nachrichten von Paris bekommen, daß ich tout à fait dissipée bin!“

„Himmeldonnerwetter!“ kaut der Herr Regisseur in seinen schönen Schnurrbart, „sieben Jahre ist die Geschichte nun schon her, und noch ist der Sparren nicht curirt!“ Etwas lauter fügt er hinzu: „Ich bedaure von Herzen Ihre unliebsamen Beziehungen zu unserem westlichen Nachbar, aber im Interesse des Ganzen wäre es doch wünschenswerth, wenn Sie ein Bischen mehr bei der Sache blieben. Sie wissen, wir haben ein sehr kritisches Publicum, und der Herr Rath hat neulich nicht gerade günstig über Sie geschrieben.“

Das Wort zündet; die Wangen der Zartblondine glühen auf wie ein schwedisches Streichholz „utan svafvel och phosphor!“; sie vergißt plötzlich das linke Rheinufer und entpuppt sich als echte Germanin mit den Kraftworten: „Der Esel soll über mich schreiben, was er will!“

„Aber, mein geehrtes Fräulein,“ bemerkt mit der nun vollständig gesteigerten Amtsmiene der Regisseur, „ich muß ernstlich bitten, nicht in solchen Ausdrücken sich gegen einen unserer bedeutendsten Journalisten und Kritiker ergehen zu wollen!“

„Ach was, wenn er über mich schimpft, kann ich auch über ihn schimpfen!“

Von dieser überwältigenden Logik, gegen die sich auch nicht das Geringste erwidern läßt, niedergebeugt, verbirgt der Regisseur die Hälfte seines Antlitzes hinter der Dose und läßt in der Probe fortfahren. Inzwischen hat der kleine Auftritt neugierige Gruppen in alle Coulissen gelockt und eine allgemeine Zufriedenheit über Fräulein R.’s kühne Worte macht sich in Reden und Geberden bemerklich. Es zeichnen sich darin namentlich drei in dem letzten Referat des Herrn Rath stark „Verrissene“ aus. Die erste Mutter verspricht, Fräulein R. ein Sophakissen zu sticken, der Komiker proponirt scherzend einen Fackelzug und der jugendliche Liebhaber nimmt sich vor, ihr nach der Vorstellung die Droschke auszuspannen! Plötzlich stockt Mayer, jedoch nicht durch die Schuld Sendelmayer’s, der nach wie vor brüllt und schnauft, wie ein vom Dampf getriebener Blasebalg; er ist nämlich an folgende classische Stelle gekommen:

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„Es naht Eutomina, die Sclavin! Sprich,
Was bringst Du, treue Dienerin des Hauses?“

Indeß, es erscheint keine Eutomina! Mayer, dem die zwei Zeilen glücklich im Gedächtniß haften geblieben sind, wiederholt sie mit besonderer Vorliebe drei Mal in stets wachsender Stimmlage, so daß die letzte „Eutomina“ den Eindruck des dröhnenden Donners macht, der unmittelbar einem Einschlage zu folgen pflegt. Aber selbst diese lufterschütternde Wirkung vermag keine Eutomina herbeizuzaubern, und Mayer, der sich nebenbei für einen großen Humoristen hält, bricht in die Worte aus: „Es scheint, daß Eutomina wegen Mangels an Anwesenheit Nichts bringt.“ Er glaubt damit einen ungeheuren Witz gemacht zu haben und bricht in ein Gelächter aus, daß die alten Prospecte zu tanzen und zu wackeln beginnen. Niemand der Umstehenden theilt seine Ansicht. Der Herr Regisseur hat sich inzwischen durch Einblick in das Regiebuch davon überzeugt, wer von dem darstellenden Personal mit dieser Eutomina behaftet ist, und herrscht demzufolge den Inspicienten mit der Amtsmiene Nr. 3 an: „Wo ist denn Fräulein Lampe? – warum rufen Sie dieselbe nicht?“

Der Inspicient, der wie neunzig Procent seines Zeichens ein schnoddriger Berliner Junge ist und bei seinen Antworten sich stets so zu stellen weiß, daß ihm ein möglichst schneller Rückzug gesichert ist, steckt die Hälfte seines Kopfs durch die Prospectthür und entgegnet: „Madame Aronsohn ist noch nicht da!“

Ein schallendes, einstimmig angestimmtes Gelächter belohnt den Einfall des sarkastischen Burschen. Der Regisseur, der solche Scherze zwar im Wirthshause, aber nicht auf der Bühne liebt, untersagt ihm dergleichen Ausfälle auf’s Entschiedenste. Der Inspicient, durch die vorherige Beifallsbezeigung ermuthigt, versichert, daß er annehmen müsse, daß Fräulein Lampe die Gemahlin des Baron Aronsohn sei, da sie an seinem Arme ginge und in seiner Equipage führe. Erneute Freudenbezeigungen der versammelten Collegen und Colleginnen – der Herr Regisseur, der seinen Hemdkragen schon wieder umgeschlagen hat, bekommt ein Zinnobercolorit und will sich eben zu einer längern Rede über den Respect, den man den der Kunst geweihten Räumen schulde, anschicken, als diese pathetische Scene durch die Ankunft von Fräulein Lampe abgeschnitten und die Nachwelt um einen gediegenen Vortrag beraubt wird. Daß Fräulein Lampe nach allem Vorhergegangenen sich keines besondern Willkommens erfreuen dürfte, stand zu erwarten; doch hält unser Regisseur auch in diesem kritischen Moment Tact und Anstand aufrecht und sagt nur mit einer Miene, marmorn und eisig, wie die des steinernen Gastes: „Es ist elf Uhr vorüber!“

Fräulein Lampe, die inzwischen dreimal mir ihrer Schleppe hängen geblieben ist, entgegnet mit schrillem Tone, der in jeder Silbe das Bewußtsein der „guten Situirung“ durchblicken läßt: „Ich kann nicht dafür; unser Sattelpferd lahmt!“

„Aha, – unser?! Hatte ich Recht, Herr Regisseur?“ ertönt es aus dem Munde des Inspicienten, der sofort wieder hinter der halb geöffneten Prospectthür verschwindet.

„Was geht mich Ihr Marstall an!“ erwidert der Regisseur, mit einem Griff den Hemdkragen emporschleudernd und unheimliche Blicke über den Nasen-Kneifer sendend.

„Uebrigens,“ flötet Fräulein Lampe weiter, „was ist da weiter zu reden! Nehmen Sie mich in Strafe und damit gut!“

Das ist nun allerdings selbst unserm Apostel der Sanftmuth und des Anstandes zu viel; mit unnachahmlicher Majestät erbebt er sich vom Sitze, und das redliche Kunstgefühl, das die eigentliche Grundbasis seines Innern bildet, macht sich Luft.

„Mein Fräulein,“ donnert er, „es handelt sich hier nicht um die Strafe, die Sie freilich wenig drücken würde, wie mir bekannt ist, es handelt sich um die Beleidigung, die Sie Ihren gesammten Collegen nun schon zum so und so vielsten Male anthun, die doch, weiß Gott, nicht dazu da sind, regelmäßig auf eine Künstlerin Ihres Ranges zu warten.“

„Oho!“ entgegnete Fräulein Lampe, während ihr allerdings hübsches, aber breit und ausdruckslos angelegtes Gesicht sich in eine recht ordinäre Larve verwandelt, „ich wußte nicht, daß hier eine Rangliste für die Künstlerinnen existirt; übrigens gehen meine Privatverhältnisse Niemanden etwas an!“

„Darin haben Sie Recht,“ bemerkt der Herr Regisseur, der bereits fühlt, daß er sich weiter hinreißen ließ, als es der gute Ton gestattet; er zergliedert sie in Folge dessen mit eisiger Kälte folgender Gestalt: „Ich bekümmere mich freilich nicht um die Privatverhältnisse meiner Collegen und Colleginnen; ich wäre der Letzte, der einem Mädchen eine Herzensbeziehung zum Vorwurfe machen würde; im Gegentheil, ich würde es Jeder verdenken, die, mit ehrlicher Neigung im Herzen, ihre Jugend vertrauern wollte; aber diese Sorte von Dämchen, die sich seit einiger Zeit so breit beim Theater macht, die eine mindestens zweifelhafte Vergangenheit mit einer Flucht in die Hallen der Kunst abschließen will, diese Damen mit dreihundert Thalern Gage und zehntausend Thalern Brillanten sollten doch wahrlich selbst einsehen, daß sie der Kunst nicht gerade zur Ehre gereichen, und wenn sie schon geduldet werden müssen, sollten sie am allerersten die Pflicht des Anstandes und der Ordnung erkennen. Sie werden also nicht nur Ihre Strafe zahlen, sondern auch Ihre gesammten Collegen um Verzeihung für Ihr beleidigendes Benehmen bitten!“

„Das werde ich gewiß nicht thun!“

„Das werden Sie thun, so wahr ich hier Regisseur bin! Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit; alsdann wird der Herr Intendant ein Wort mit Ihnen reden!“

„Na dann!“ lacht Fräulein Lampe, schluckt jedoch die beabsichtigte Bemerkung vorsichtig herunter. Ein infernalischer Zug belebt plötzlich das geistlose Gesicht; man sieht, es ist ihr ein böser Gedanke durch’s Gehirn gefahren. Und so ist es auch; sie hat in diesem Augenblick beschlossen, Rache zu nehmen. Rache ist ein Gericht, das, nach Talleyrand, kalt verzehrt werden muß: sie wird also die Speise abkühlen lassen, bis sie nach Hause kommt; dann aber wird ihr Freund Aronsohn, der rechts einen Höcker und links zwei Millionen trägt, sämmtliche Wechsel des Regisseurs aufkaufen und ihn finanziell ruiniren. Fräulein Lampe schweigt mithin und probirt weiter. Abermals haben sich in allen Coulissen Gruppen Neugieriger gebildet, und ein Gemurmel der Zufriedenheit durchläuft ihre Reihen; selbst die so schwer zu befriedigenden Männer stecken die Köpfe zusammen und resümiren deutlich: „Es ist doch ein famoser Kerl!“ Fräulein Heloise schwebt mit den Elfenfüßchen zum zweiten Male zum Regiestuhle, reicht die drei Finger zu zärtlichem Drucke, legt die Hand auf’s Herz und verschwindet, wie sie gekommen. Fräulein R., die auf der Probe einen ständigen Schmollwinkel in der ersten Coulisse gepachtet hat, wirft ihm ihren wärmsten Gretchenblick zu und seufzt ziemlich vernehmbar:

„O daß mich’s ewig daran mahnen muß,
In meinem Frankreich war’s doch anders!“

Fräulein Lampe ist nach höhnischer Verbeugung mit dem lahmen Sattelpferde abgefahren; es tritt Ruhe ein. Mayer hat einen ganzen Act Nichts zu thun; der Regisseur athmet auf und streichelt seine erschütterten Ohren; Sendelmayer lehnt sein müdes Haupt zurück und entschläft sanft, nur von Zeit zu Zeit aus der Versenkungstiefe ein Fläschchen Lethe an die trocknen Lippen führend. Die übrigen Herrschaften haben sämmtlich ihre Rollen inne, nur selten giebt es Etwas zu erinnern, und Jeder folgt bereitwillig den Intentionen des kunstverständigen und praktischen Regisseurs. Er ist glücklich – ihm ist rosenroth und goldgelb zu Muthe. Nur eine Prüfung hat er noch zu überstehen, und sie tritt näher und näher an ihn heran; es ist die Schlußscene des zweiten Acts, in der Herr von Petrutzky auftritt, der Charakterspieler. Herr von Petrutzky gehört zu der großen Kategorie der heutigen Mimen, die sich aus eigener Souverainetät den Adelsbrief ausgestellt haben, und da seit Dawison, dessen einziger Nachfolger und Erbe zu sein Herr von Petrutzky selbst in allen Theaterzeitungen unumstößlich feststellt, alle großen Charakterdarsteller Nichtdeutsche sein müssen, so kennzeichnet er sich als einen edlen Sarmaten, obwohl er aus einer ganz ehrbaren westpreußischen Bürgerfamilie stammt, nicht eine Silbe slavisch versteht und in die bitterste Verlegenheit gerathen würde, wenn ihn auch nur ein polnischer Jude als Landsmann begrüßen würde. Diese allerdings immer mehr um sich greifende Sucht ekelt unsern Regisseur im Innersten an und mit Recht; man sollte diese Patrone, die ihr Deutschthum verleugnen wollen, während ihnen die deutsche Kunst das Brod der Existenz gewährt, überall mit der Verachtung behandeln, die ihnen gebührt.

Herr von Petrutzky ist natürlich unfehlbar; er hat festgestellt, [295] und Jeder kann es gedruckt lesen, daß er der einzige Shakespearekenner und -Interpretator unter den versammelten Mimen Europas ist. Was ist dem gegenüber anzufangen!? Für jede Anordnung des Regisseurs hat er nur ein vornehmes Mitleidslächeln, um schließlich Abends doch zu thun, was er will; der Regisseur hat es deshalb auch längst aufgegeben, ihm Etwas zu sagen, und läßt ihn „in Geduld über sich ergehen“.

„Der kommt nicht mehr,“ sagt dagegen der große Petrutzky, „den habe ich klein gekocht, wie wir Polen sagen!“ Auf die Bemerkung des jugendlichen Liebhabers, daß es ihn interessire dieses Sprüchwort in der Ursprache kennen zu lernen, dreht sich Petrutzky um und beginnt von anderen Dingen zu sprechen. Der Charaktermime legt los; unser Regisseur windet sich, wie ein Aal in den Händen der Köchin, unter den haarsträubenden Cäsuren und Accentuationen; er betrachtet es aber als eine, und zwar eine der größten zeitlichen Bußübungen für seine zahlreichen Jugendsünden, und nach jeder Probe kommt er sich nun um so und so viel entsühnter vor.

Auch Petrutzky hat endlich ausgerungen – wieder ein Schritt näher zur Vollendung, aber „die Todten reiten schnell!“ Im dritten und letzten Act erscheint eine gefangene Phönicierin, die ungefähr drei bis vier Sätze zu sprechen hat. Leider ist die Repräsentantin dieser Rolle Morgens erkrankt, und man hat daher Fräulein Zellenhuber, die erste Soubrette von der schönen blauen Donau, ersucht, die Rolle zu übernehmen, um die Vorstellung zu ermöglichen. Die gutmüthige Wienerin hat sogleich zugesagt, aber der fünffüßige Jambus ist ihr ein böhmisches Dorf. So gleicht ihre Recitation der Fahrt über einen jener seligen Knüppeldämme, die uns in unserer Jugend so wohlthätig die Eingeweide durcheinander geschüttelt. Der Regisseur fügt sich in männlicher Entsagung und denkt mit Caspar im „Freischütz“: „So etwas sieht ein Gescheidter gar nicht!“ – Plötzlich aber schlägt das Wort „These-us“ an sein Ohr. Wie gestochen springt er empor: „Verzeihung, mein Kind, es heißt Theseus!“

„I bitt’,“ entgegnet das Fräulein, „es heißt These-us! – Meinen’s, daß i nix g’lernt hab? Mei Vada war Oberlieutenant und i bin in einer errschten Wiener Pension erzog’n wor’n. Da ham mer einen Lehrer g’habt, der uns das Oldgrichische beig’bracht hat, und der hat alleweil These-us g’sagt, und dös sag i aa.“

„Bei uns sagt man aber Theseus, Ihre Ansicht mag ja die richtige sein, aber ich muß schon bitten, sich den norddeutschen Gebräuchen zu fügen.“

„Dann lassen’s mich überhaupt aus mit den ganzen Roll’n! Was hab’ i in a so’nem Schmarr’n zu thun; anblasen thun’s mi doch nur! Geben’s Acht, der Lieutenant von Prittwitz da unten in der Logen, wann der mich sicht in grichchischen G’wandel, da fangt er glei zum Singen an: Aber so classisch, classisch, classisch nicht wie wir! Er sagt, es giebt nur mehr ein Stück und dös is die Galathee, weil i darin in der Tunique komme!“

„Aber, mein geschätztes Fräulein, das gehört ja gar nicht hierher; wir sprechen ja vom Theseus!“

„Hol ihn der Deixel und die ganze dalkete Rollen! I kann des nit, dös kann man net von mir verlang’n.“

Fräulein Zellenhuber beginnt zu weinen; Mayer zuckt vornehm die Achseln; der Regisseur wünscht im Innern, daß Griechenland, namentlich das alte, in’s Pfeffergebiet verlegt werde. Endlich gelingt es Fräulein Heloise, die im Leben eine große Freundin der Wienerin ist, Letztere zu beruhigen, und unter vereinzelten Nachschluchzern reitet sie glücklich den Knüppeldamm bis zu Ende. Auch dieser Sturm ist abgeschlagen, die Kräfte unseres Regisseurs fangen aber an, zu erlahmen. Nach einer Scene, die Fräulein Heloise mit einem jungen Anfänger gespielt, sagt er in verbindlichster Weise zu ihr: „Mein liebes Fräulein, Sie machen wohl die Scene mit dem jungen Mann noch einmal, bitte, achten Sie ein wenig auf ihn und unterweisen Sie ihn, wo es nöthig ist! Ich muß einen Augenblick auf’s Büreau!“

Damit verschwindet er. Scharfsinnigeren Beobachtern würde es nun freilich nicht entgehen, daß dieses Bureau die am Ende des Logenganges befindliche Restauration ist, wohin der dramatische Scepterschwinger seine Schritte lenkt, um den leidigen Adam zu stärken. Dasselbe herzliche Wohlwollen, dasselbe tiefinnige Verständniß, das er noch vor wenigen Minuten seiner Kunst und seinen Collegen bewiesen, trägt er jetzt einer Pastete und einem Glase alten Portweins entgegen, und die befriedigten Gourmandwinkel an seiner Lippe sprechen deutlich: „Jedes Ding zu seiner Zeit!“ Auf die Frage des Conditors: „Wie wird’s heute Abend?“ entgegnet er selbstverständlich: „Vortrefflich! gutes Stück! großes Talent!“ – denn er weiß, daß der Conditor das im Lauf des Nachmittags sämmtlichen Gästen erzählt, und unter diesen befindet sich der Hofmarschall nebst einigen Kammerherren von Dienst. Einer davon ist entschieden nach seiner Ansicht der Autor! Gestärkt tritt er den Rückweg an, die Tragödie liegt in den letzten Zügen; er hat nur noch Mayer’s Tod vor sich, der allerdings ohne vorangegangene Magenstärkung nicht zu überwinden gewesen wäre, also nur Muth. Auf dem Corridor steht Fräulein Zellenhuber; er geht stolz und gekränkt an ihr vorüber; die gute Seele aber, die Alles vertragen kann, nur keinen „Remasuri“, eilt ihm nach, zerrt ihn am Arm zurück und plauscht in ihrem verführerischen und reizenden Oesterreichisch:

„Geh’st her, bist noch bös, Buzi? Schau, die Susi is halt a Krauskopf und redt’ manchmal dumm daher, aber sie meint’s net so. I wer’ Dir auch heut Abend den Theseus und all’ die griechischen Trotteln bringen, wie’s Du’s willst, nur sei wieder gut! Geh’ her, ich geb Dir aa ’n schön’s Busserl!“ Damit drückt sie ihre frischen schwellenden Lippen herzhaft auf die seinigen und fliegt davon, wie eine Gazelle. Der Herr Regisseur streicht wohlgefällig seinen Schnurrbart und beschließt, die Susi öfter zu kränken, damit er öfter Gelegenheit habe, so angenehme Versöhnungsscenen feiern zu können. „Regiesporteln“ nennt man das in der Kunstsprache! Die Probe geht zu Ende. Mayer ist „hurtig mit Donnergepolter“ eines sanften Todes verblichen. Man drängt von allen Seiten zum Schluß; rechts und links werden Uhren auf und zu gekappt.

„Die Kinder müssen zur Schule,“ seufzt der Heldenvater.

„Wenn die Gans anbrennt, krieg’ ich einen Höllenlärm von meinem Mann; der ist Bassist und kann nie begreifen, warum die Proben im Schauspiel so lang dauern,“ jammert die Anstandsdame.

Unseres Regisseurs Sehnsucht steht endlich auch auf Schluß, und nachdem er Mayer im Triumph hat abtragen und eine natürliche Ermahnung zum nochmaligen Durchlesen der Rollen hat ergehen lassen, spricht er die heißersehnten Worte aus: „Ich danke, meine Herrschaften; die Probe ist beendet!“

Allgemeiner stürmischer Aufbruch. Beim Passiren der Treppe ertheilt er noch hie und da kleine Winke, als da sind: „Nur nicht zu zaghaft, Fräulein! – nicht überstürzen, lieber Schulze! – mehr Mienenspiel, bester Müller!“ etc etc. An der Thür angelangt, küßt er Fräulein Heloise devot die Hand, giebt als guter Hirt der übrigen Heerde seinen Segen, bleibt so lange beobachtend stehen, bis sich sämmtliche Schäflein in den Nebengassen zerstreut haben und schlägt dann eine der vier Windrichtungen ein, je nachdem sein Barometer auf Bairisch- oder Weißbier, Roth- oder Schaumwein gestiegen, respective gesunken ist.