Zwei deutsche Nationalfeste

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Autor: S.
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Titel: Zwei deutsche Nationalfeste
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 468–469, 471–473, 476–477
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Vgl. Die Sängerhalle in Dresden. Nach den illustrierten Plänen und Zeichnungen auf Holz übertragen von August Reinhard, in: 1865, Heft 24, S. 381.
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[468–469]

Nach der Natur gezeichnet von Adolf Eltzner in Leipzig.
Antons (Villa Kaskel).   Sängerhalle.   Dresden und der Sängerplatz aus der Vogelschau.  
Felsner’s Villa.   Bautzner Straße.   Linkesches Bad. Schillerschlößchen (früher Felsners).   Waldschlößchen.

[471]
Zwei deutsche Nationalfeste.

Als wäre im lieben deutschen Vaterlande eitel Lust und Glück, eitel Friede und Eintracht zu finden; als gäbe es keinen Bruderstamm im Norden, der noch immer verlassen ist, kein bodenloses Deficit in Oesterreich, kein Bismarck’sches Regiment, keinen Zwiespalt zwischen Krone und Volk in Preußen, keine Mittelstaaten und keinen Bundestag, kein Mecklenburg, kein Kurhessen und kein Nassau, nicht aller Orten und Enden Schmerzensschreie und Schmerzenskinder, keine Rivalitäten und Piquanterien zwischen Nord und Süd – so laut und jubelvoll ist der Monat Juli in’s Land gerückt, ein wahrer Festmond. Noch hallen die Büchsen der deutschen Schützen hinaus in die Niederungen und Marschen am Weserstrande, und schon ziehen von allerwärts, wo die deutsche Zunge klingt und singt, selbst über das Weltmeer herüber, die Vorposten der deutschen Sänger ein in die reizende Königsstadt an der Elbe zu heiterem, liederreichem Feste.

Folgen wir ihren Schaaren, drängen wir einmal zurück Alles, was uns auf der deutschen Brust lastet, zurück die Sorge und Kümmerniß ob unserer staatlichen Wirren und Fesseln; vergessen wir die mancherlei Bedenken, die über das Zeitgemäße einer solchen Doppelfeier in uns aufsteigen wollen, erkennen wir vielmehr an, wie diesen Nationalfesten mindestens das tröstliche Moment nicht abgestritten werden kann, daß sie wieder und immer wieder das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit unter den verschiedenen deutschen Stämmen und Stämmchen wachrütteln und nähren, ein Bewußtsein, das uns schließlich doch zum heißerstrebten Ziele, zur nationalen Einheit, führen muß. Gewiß sind dergleichen von Zeit zu Zeit wiederkehrende Volksfeste, mögen sie ausgehen von Turnern, von Schützen oder von Sängern, ein mächtiger Hebel zur Belebung des Patriotismus, jenes Patriotismus, der sich hinausschwingt über die zwei- und dreifarbigen Schlagbäume und Markpfosten der einzelnen größeren und kleineren Vaterländer und nicht abläßt in seinem Ringen, bis es Wahrheit, lebendige glückliche Gegenwart geworden ist, das tausend und abertausend Male gesungene Wort des alten treuen Arndt: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Und darum grüßen wir die beiden großen Feste, mit welchen sich der ganze Juli von 1865 roth einzeichnet in unsere Kalender und unvertilglich eingräbt in unser Gedächtniß, aus vollem, freudigem, hoffnungsreichem Herzen!

Im gesegneten Franken war es, unter den Burgwällen der alten Veste zu Coburg, wo man am 21. Sept. 1862 den bereits 1861 auf dem Gesangsfeste zu Nürnberg beschlossenen großen deutschen Sängerbund, eine Vereinigung der sämmtlichen einzelnen Gau- und Kreisbünde, wirklich in’s Dasein rief und zugleich Dresden als den Festort für die erste gemeinschaftliche Sangesfeier in Aussicht nahm, obschon den sächsischen Sangesbrüdern, den vielgeneckten „Schmerzenssächsern“, selbst erst im Jahre 1863 der Beitritt zu dem neuen Bunde hochbeustlich gestattet wurde.

Dresden! Weckt nicht der bloße Name schon das günstigste Vorurtheil für die getroffene Wahl? Wir brauchen nicht zu schildern, wie entzückend die Scenerie ist, welche die Natur in wechselreichster Fülle um den Festort gruppirt hat; ein gut Theil unserer Leser kennt aus eigenem Augenscheine – gar viele aus häufigem Augenscheine – die lieblichen Umgebungen, welche, im Verein mit einer Reihe der seltensten Kunstschätze, die sächsische Residenz zu einem Hauptziel der Touristen aller reisenden Nationen, zu einer der bevölkertsten Fremdencolonien auf deutschem Boden gemacht haben. Wer ist nicht schon manch liebes Mal durch das herrliche Stromthal gezogen, das von hier aus sich auf- und abwärts öffnet, durch das romantische Hochland mit den wunderbaren Sandsteingebilden, den grünen Schluchten und weitschauenden Höhen gewandert, welches als „sächsische Schweiz“ Ruf hat weit über Deutschlands Grenzen hinaus? Wem aber noch nicht vergönnt war, sich Aug’ und Herz an dieser Landschaft zu erquicken, den wird ein Blick auf unsere Abbildung mindestens mit einer Ahnung von der Anmuth und Schönheit der erkorenen Festlocalität zu erfüllen im Stande sein.

Wir gehen vom Mittelpunkt der Stadt, dem Schloßplatze aus. Das ist ihr eigentlicher Brennpunkt, hier gruppirt sich fast Alles zusammen, was den Fremden zunächst in Dresden anzieht: Schloß, katholische Kirche, Museum, Zwinger, Theater, Brühl’sche Terrasse und vor Allem auch – Helbig, Helbig die weltbekannte Restauration an der Elbe, mit ihrem Conglomerat von Häusern, mit dem Gewirr ihrer von früh bis spät gefüllten Zimmer, Säle und Galerien und dem langgedehnten prächtigen Platze am Flusse. Hier, vor einer von Helbig’s Thüren, steigen wir in den Omnibus; er trägt uns über die Brücke, die alte berübmte Elbbrücke, – seine „große Brücke“ nennt sie der Dresdener mit Stolz – auf das rechte Ufer in die heitere, weitstraßige Neustadt hinein. Freundlicher und freundlicher werden die Häuser, die Plätze, immer mehr und immer größer drängen sich Bäume und Gärten zwischen die Wohnungen, elegante Lustorte, vornehme Villen winken rechts und links, wir wenden uns näher dem Strome zu, der Wagen hält – wir sind am Festplatze. Ein Blick zeigt uns, wie dieser hinwieder einen der prächtigsten Punkte der prächtigen Gegend einnimmt. Es ist ein imposanter Raum, der sich vor uns ausbreitet, etwa vierundzwanzig Acker groß, und dazu ist jenseits der sogenannten Bautzner Straße behufs Aufstellung der an- und abfahrenden Wagen noch ein Areal von fünfzigtausend Quadratruthen geschlagen, auch die ganze Uferfläche abwärts bis zu dem bekannten Linke’schen Bade in das Bereich gezogen.

Wie grandios und malerisch sich die Festhalle selbst, zu deren Erbauung am 23. März d. J. der erste Spatenstich gethan ward, dem Auge darstellt, hat unsern Lesern bereits eine frühere Nummer der Gartenlaube veranschaulicht. Ein gewaltiger Bau ist’s von größten Dimensionen, einschließlich der Vorbauten und der vier Haupt- und acht Nebenthürme über 270 Ellen lang und 120 Ellen breit, und jeder der vier Hauptthürme mißt von der Grundfläche bis zur Spitze nahe an 130 Fuß; das Ensemble vielleicht noch imposanter als die schöne Festhalle des unvergeßlichen großen Leipziger Turnfestes. Daß der Plan zu dem Bauwerk, wie er von der Prüfungscommission schließlich adoptirt wurde, aus einer Combination der Entwürfe zweier Dresdener Architekten, Ernst Giese und Eduard Müller, hervorgegangen ist, auch das haben wir schon früher erwähnt. Dem erstern der genannten Künstler verdanken wir den artistischen Entwurf, die künstlerische Idee des Ganzen, dem letztern namentlich die originelle und zweckmäßige Construction der Bedachung, für welche er hölzerne Gitterträger empfahl, die von Drahtseilen, nach Art des Kettenbrückensystems, gehalten werden. Wohl Mancher schüttelte anfangs bedenklich den Kopf über dies Wagniß, allein die angestellte Probe hat Müller’s Gedanken glänzend gerechtfertigt, die hinreichende Tragfähigkeit seiner Drahtseile hat sich vollkommen bewährt. Wenn man einem der gespannten Drahtseile eine Last von 145 Centnern aufbürden und wenn eine Kraft von fast 150 Centnern an ihm ziehen durfte, ohne daß sich ein Weichen des Seiles bemerken ließ, viel weniger eine Verletzung desselben eintrat, alsdann darf sich wohl jeder deutsche Sangesbruder und Sangesfreund mit Gemüthsruhe niederlassen unter dem gastlichen Festdache, unter welchem eine Menge von dreißigtausend Menschen mehr oder minder bequem Platz finden wird, sei es im eigentlichen Festraum selbst, sei es in einer der vier Bierhallen oder vor einem der vier Bierbuffets, vor den beiden Weinschänkstätten oder bei den Süßigkeiten der Conditorei, die sammt und sonders der große Holzbau beherbergt.

So wäre denn auch für die verschiedensten stofflichen Bedürfnisse gesorgt, welche neben der Kraft ihre Ansprüche geltend machen, wie man, um die fremden Gäste vor Verlusten infolge der verschiedenen vaterländischen Münzsorten zu bewahren und den Verkehr im Allgemeinen zu erleichtern, hunderttausend besondere Sängerzahlmarken im Werthe von je 1/12 oder 1/20 Thaler (den Preisen des Bieres, des kohlensauren Wassers, des Festweines in den Hallen entsprechend) aus vergoldetem Messing mit eingeprägten Tonzeichen beschafft hat, auch nach einem aus dem fünfzehnten Jahrhundert und aus Ingolstadt stammenden Trinkgefäße eigens gefertigte alterthümlich geformte Festgläser, sogenannte „knorrige“ Becher, als zierliche Andenken an die Jubeltage um billigen Preis feilbieten wird. Nur Eines dürfte Mancher beklagen – daß er in der Festhalle seine gastronomischen Studien nur auf kalte Küche beschränken kann, weil das Festcomité, ängstlicher als das vor zwei Jahren in Leipzig wirkende, kein Heerdfeuer innerhalb der Schranken des Festbaues dulden zu dürfen glaubt, obwohl bei [472] der unmittelbaren Nachbarschaft des Stromes uns diese Vorsicht etwas übertrieben und „staatsanwaltlich“ erscheinen will.

Lasse sich indessen darum Niemand abhalten gen Dresden zum großen Bundesfeste zu pilgern. Er braucht wahrhaftig nicht zu fürchten, daß er nach den Strapazen des Hörens und des Singens mit leerem Magen sein Lager aufsuchen müsse, denn rings um den weiten Festplatz reiht sich Erfrischungszelt an Erfrischungszelt, Restaurationsbude an Restaurationsbude, und in nächster Nähe grüßt von seiner Terrasse herab anheimelnd der stattliche Häusercomplex des „Waldschlößchens“, jene große Labsalsquelle, die Jahr aus Jahr ein Tausende von Eimern goldenen Gerstensaftes spendet und weit hinaus in’s Land schickt. Sicher eine hochwillkommene Nachbarschaft für die, nach dem alten küchen- oder mönchslateinischen Dictum, ewig durstigen Sängerkehlen und eine unvergleichliche Zuflucht für active und passive Festgenossen, falls – was Schutzpatron Apollo gnädig abwenden möge! – der Himmel sich nicht ebenfalls festlicher Stimmung erfreuen sollte, denn die Räume des wohlthätigen Etablissements, Keller und Böden dazu gerechnet, können im Nothfall etwa zwölftausend geduldigen Personen Obdach gewähren. Im Uebrigen bietet die Elbe mit ihren Kähnen, Gondeln, Dampfbooten und Dampffähren stündlich und viertelstündlich vollauf Gelegenheit zur Verbindung mit der kaum eine Viertelmeile weiter thalwärts an beiden Flußufern sich hinstreckenden Stadt, so daß man von der Ausführung des ursprünglich in’s Auge gefaßten Planes, eine Schiffbrücke lediglich zum Behufe des Festes und unmittelbar vom Festplatze auf die andere Stromseite hinüber zu schlagen, füglich absehen konnte.

Ein unvergleichliches Bild wird es geben, wenn sich, umflossen vom erhofften blauen Julihimmel, am Morgen des 24. der gewaltige Festzug entrollt, wenn vielleicht zwanzigtausend Sänger aus allen deutschen Gauen und aus der fernsten Fremde – leider ist es nur den österreichischen Ländern nicht verstattet, sich in Vereinen officiell am Feste zu betheiligen – unter den Klängen von zwanzig starken Musikbanden und umflattert von den zahllosen Fahnen und Standarten ihrer Vereine hinauswallen auf die Feststätte am rechten Elbufer, Allen vorauf das neue große Bundesbanner, auf das sich mit Bewunderung die Augen heften überall, wo sich die Procession vorüberwälzt. Auch wir wollen uns dies kostbare Banner etwas näher beschauen, es hat vollgültigen Auspruch auf unsere Aufmerksamkeit, denn es ist ein Kunstwerk im vollen Sinne des Wortes.

Bereits im Februar des letzten Jahres hatte der Gesammtausschuß des deutschen Sängerbundes eine Concurrenz ausgeschrieben für den Entwurf einer Bundesfahne und fünfzehnhundert Gulden für die beste und in jeder Beziehung annehmbarste Zeichnung bewilligt. Der Maler Adalbert Müller in Berlin war es, der, infolge einer im September des vorigen Jahres zu Dresden abgehaltenen Sitzung dieses Ausschusses, mit dem Preise gekrönt wurde; sein Entwurf ist zur Ausführung gekommen, genau so, wie es unsere Illustration darstellt, welche wir dem Künstler selbst verdanken. Wie man sieht, ist das Banner, das eine Breite von vier Fuß und eine Länge von sechs Fuß besitzt, in altdeutschem, sogenanntem gothischen Style gehalten. Das Bannerblatt selbst besteht aus weißer Moirée antique; in seiner Mitte, umrahmt von einer in Gold auf rothen Sammet gestickten altdeutschen Einfassung, prangt ein von Müller in Oel gemaltes Bild. Wir erblicken darauf einen alten Barden mit lang herabfallendem weißen Barte. Die Linke des greisen Sängers stützt sich auf die goldene Harfe, während seine Rechte in Begeisterung erhoben ist und hindeutet auf das in ein himmelblaues Band gestickte Motto: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Hinter ihm am Meeresstrande wölbt sich der Hügel eines Hünengrabes. Ueber den obern Theil der Fahne hängt ein mit Goldstickerei geschmückter rothsammetner Ueberfall herab, darüber thront auf gothischem Ornament die von Eichenzweigen umlaubte Leier.

Die Rückseite des Banners, wenn auch einfacher, entspricht der vordern; inmitten eines goldenen Feldes wacht hehr und stolz der einköpfige deutsche Adler. Sämmtliche Stickereien machen dem Atelier von Albert Sander in Berlin, aus dem sie hervorgegangen sind, nur Ehre, wie auch die von dem Berliner Bildhauer Schiele ausgeführten Holzschnitzereien unser uneingeschränktes Lob verdienen.

Der Zug ist angekommen auf dem Platze, mit ihm, neben, vor, hinter der Procession eine unabsehbare Menschenmenge, und allstündlich gießen die verschiedenen Eisenbahnen neue Fluthen von Hör- und Schaulustigen über Dresden aus. Die Standarten sind aufgepflanzt und aufgehangen, als der herrlichste Schmuck der mit Fenstermalereien von Sachse und Ritscher kunstvoll decorirten Halle, gewaltig erbrausen die Klänge des großen Concerts, des zweiten, denn schon Tags vorher hatte die Halle erbebt unter mächtigen Männerchören, zweihundert Sänger tragen die Soli vor und zweihundertundneun Militärmusiker der Dresdener Garnison, Infanterie und Artillerie, mit zusammen einundfünfzig Klappenhörnern, fünfunddreißig Waldhörnern, vierzig Trompeten, sechsunddreißig Tenorhörnern, achtzehn Posaunen, zwanzig Tuben und vier Paar Pauken bilden das Orchester.

Inzwischen ist es Abend geworden auf dem Festplatze, ein lauer wonnevoller Sommerabend, darum aber noch nicht still und einsam. Rundum noch Sang und Klang, noch Lust und Jubel, überall noch Drängen und Treiben fröhlicher Menschenschaaren. Von Neuem entzückt schweift unser Auge über das reiche Gemälde, noch einmal suchen wir jeden seiner Züge, jede seiner Tinten uns recht fest in’s Gedächtniß zu prägen, ehe wir scheiden. Links der blauduftige, schon halb im Dämmer liegende Saum eines ausgedehnten Nadelwaldes, darüber hinaus die Höhen des Elbthals mit ihren Weinbergen, Villen, Landsitzen, Schlössern, Dörfern, am linken Ufer Dresdens Altstadt mit der Kuppel des Frauendomes und den Thürmen des Schlosses, der katholischen und der Kreuzkirche – unsern Lesern aus mancher Abbildung längst vertraute Gestalten und Contouren – und näher noch auf hoher Bastei der Rundbau der weltberühmten Brühl’schen Terrasse; dazwischen der Strom mit den vielen buntbeflaggten Schiffen und Fahrzeugen und den beiden Brücken, zu alledem endlich die unzähligen Lichter auf dem Festplatz selbst, in und vor den umher verstreuten Zelten und Buden – ist’s nicht genug, übergenug uns zu dem Rufe zu begeistern: „Auf nach Dresden!“?

Auf nach Dresden also, Ihr Sänger, die Ihr’s vermögt, und wer sonst sich ein paar Tage oder ein paar Stunden, je nach Nähe oder Ferne seiner Heimath, losmachen kann aus dem Tretrad des Werkeltagslebens – Ihr Alle werdet willkommen sein den gastlichen, freundlichen, höflichen Dresdenern, und was Ihr etwa von Massenquartieren und kaiserlich österreichischen Militärdecken gehört und gelesen habt, – fürchtet es nicht. Rastlos ist der Wohnungsausschuß bemüht gewesen, den Gästen es nach Möglichkeit behaglich und heimisch zu machen am schönen Festorte, und Bau-, Empfangs-, Ordnungs-, Wirthschafts- und Preßausschuß – sammt und sonders haben sie unablässig geschafft und gesorgt, alle sind sie noch jetzt gewissermaßen in Permanenz, ein Fest herzustellen, das sich würdig anreihe an ähnliche Vorgänger, zur Ehre Dresdens, vor Allem aber zum Preise deutschen Liedes, Landes und Volkes!




Minder bunt, minder reizend, minder heiter stellt sich die Scenerie dar um das andere große deutsche Nationalfest, von dem wir, zumeist für die Menge unserer Leser jenseit des Oceans, noch einige Worte sagen wollen, wie das Fest selbst und seine Bedeutung gewissermaßen ernsteren Charakters sind. Wenn diese Blätter aus der Presse hinausflattern in alle Welt, ist schon der Jubel verklungen, mit welchem die Feier des zweiten deutschen Bundesschießens die alte Hansestadt an der Weser erfüllte, knattern nicht mehr die Büchsen und Stutzen nach den Feld- und Standscheiben, sind die Preise gewonnen, ziehen Sieger und Nichtsieger mit vollen und mit leeren Händen wieder ab in ihre Heimath, in die Berge von Steiermark und Tirol, nach Sachsen und nach Schwaben, nach Pommern und nach Oesterreich, nach Brandenburg und nach Thüringen, ja über die See hinüber nach England und nach Amerika, erfrischt, erhoben, gefestigt von dem Stück deutschen Volkslebens, das sie soeben mit gelebt; haben die Zeitungen und Zeitschriften, voran das Festblatt des zweiten deutschen Bundesschießens selbst, schon ausführlich berichtet über Gang und Verlauf, Einzelheiten und Zwischenfälle des Festes. Wir können daher den deutschen Schützen kein „Auf nach Bremen!“ zurufen, wie wir den deutschen Sängern unser „Auf nach Dresden!“ zuriefen, wir können uns auch kurz fassen und wollen blos die Ansicht, die wir von Festplatz und Festhalle bringen, mit wenigen Zeilen der Erläuterung begleiten.

Wie Bremen selbst nicht das Centrum zahlreicher Bahnen und Verkehrswege bildet, wie es nur durch einen einzigen Schienenweg [473] mit Binnendeutschland verbunden am äußersten Nordwestzipfel des Vaterlandes sich einsam aus kahler Weserniederung erhebt, so läßt sich auch Bremens Natur nicht im Entferntesten vergleichen mit der herrlichen Landschaft um Dresden; der Schützenfestplatz liegt verhältnißmäßig öd und reizlos, nur umgeben von dem saftigen Grün weitgedehnter Weideflächen. Es mußte denn die Kunst versuchen, einigermaßen schadlos zu halten für die Kargheit der Natur. Und das ist trefflich gelungen, die Festhalle ist ein Bauwerk von wahrhaft monumentalem Charakter geworden, und der große grüne Platz darum bot mit seinen üppigen Laubgewinden, seinen Bäumen, Fahnen und Kränzen einen höchst grandiosen und zugleich lieblichen Anblick, in seinen sämmtlichen Bauten und Anordnungen durch und durch harmonisch, Alles das Werk des Bremers Heinrich Müller.

Die Sängerbundesfahne.
Nach dem Entwürfe von Adalbert Müller in Berlin.

Mitten auf dem eine Million Quadratfuß bedeckenden Festplatze, der Bürgerweide, fesselt uns zunächst ein elegantes Achteck, das sich nach oben zu einem Thurme verjüngt. Es ist der Gabentempel, der Ort, in welchem die von allen Theilen der Welt, von überall her, wo Deutsche siedeln, eingelaufenen Siegespreise aufgestellt sind. Wir schauen durch die Fenster hinein, wahrhaft geblendet von dem Glanz da drinnen, der eine Summe von nahe an 27,000 Thalern repräsentirt, und schreiten auf breiter Treppe von der Terrasse hinab, von der sich das Octogon erhebt. Da prangt sie, einhundert und dreißig Schritte vor uns in ihrem vollen reichen Schmucke, die Festhalle. Ihre Façade, die Vorhalle, ist von rein griechischer Architektur, imposant in ihren einfach edlen Verhältnissen.

Durch die Vorhalle führt das Hauptportal über mehrere Stufen hinauf in das Halbrund der eigentlichen Festhalle selbst, einen Riesenraum, in welchem viertausend Festgenossen tafeln konnten. Das Centrum dieses gigantischen Speisesaales nimmt die Rednerbühne ein, von der so manches tapfere Wort hinausscholl in das Volk; darunter reihen sich zunächst die Plätze für vierundzwanzig Berichterstatter aneinander, weiterhin die Tafel für den Bundesvorstand und die Ehrengäste und nun strahlenförmig auseinander laufend die übrigen Festtische. Auch die Nebenräume der Festhalle, die Weinlager, die Küche mit ihrem Dampfkessel, welcher den großen Heerd mit seinen achtzehn Bratröhren fortwährend in der nöthigen Röst- und Siedehitze erhält, die kleineren Räume, die sich zu beiden Seiten an die Halle anbauen, als Conditoreien und Restaurationen, als Lesesaal, als Post- und Telegraphenbureau benützt, sind einer Besichtigung werth. Vor Allem aber haben wir unsere Schritte noch einem anderen Bauwerke zuzulenken, das den Festplatz ziert und den besten Ueberblick gewährt über das muntere Getümmel, welches sich hier von früh bis spät entfaltet. Wir meinen die Sänger- und Fahnenhalle, gleichfalls in antikem Style errichtet, wie die anderen Gebäude des Festplatzes alle. Wir möchten sie die Perle der gesammten Festbauten nennen, und ihr plattes Dach wird nimmer leer von Schauenden, die sich an dem Fluthen und Wogen ergötzen, das sich unter ihnen nimmer erschöpfen und leeren will. Mitten in dieser Fahnenhalle, dem großen Eingangsportale gegenüber, ragt, von dem Bremer Bildhauer Kropp modellirt, das Standbild der Germania empor, mit vorwärts blickendem Antlitz, den Eichenkranz auf dem langen Lockenhaare, unter den Falten des Mantels den Kettenpanzer auf Brust und Leib, die Rechte am Schwerte, die Linke auf das Schild gelegt – ein Bild ruhiger Majestät. An die Rückseite der Fahnenhalle fügt sich endlich die Schießhütte selbst, sechszehnhundert Fuß lang; von ihr aus können wir die Ziel- und Angelpunkte des ganzen Festes wahrnehmen, die neunzig Feld- und die sechszig Standscheiben, die erstern dreihundert, die letztern einhundertundfünfundsiebenzig Meter entfernt. Von diesen Scheiben, von Feld- wie von Standscheiben, sind je fünf der Ehre theilhaftig geworden als specielle Festscheiben zu gelten. Die Hauptfestscheibe – wie konnte sie anders heißen, als „Deutschland“? Auch die andern führen Namen, die das deutsche Herz bewegen, „Hermann“, „Barbarossa“, „Guttenberg“, „Stein“.

Jenseits des Schützenfestplatzes öffnet sich der Volksfestplatz, ein ungeheures Areal von 500,000 Quadratfuß. Hier steht unter Anderm das Gebäude für die Gewerbe-, Marine- und Productenausstellung, hier giebt es Restaurationen und Trinkbuden in Menge.

Das war der Schauplatz, auf welchem sich das zweite große deutsche Bundesschießen bewegte. Sein Gewühl ist verrauscht, seine Fahnen und Wimpel wehen nicht mehr – aber seine Wirkung wird nicht enden mit den Tagen der Feier, nicht versprühen wie die Begeisterung des Momentes, nein, jeder der heimkehrenden Schützen wird, das hoffen wir, wie unvergängliche Erinnerungen, so neubelebt und neugekräftigt das Bewußtsein rücktragen an seinen häuslichen Heerd und in die Kreise, in welchen er lebt und strebt, daß wir Alle Eins sind, wohnen wir in Süd oder Nord, Eins durch nationale Sitte und Denkweise, daß uns endlich werden muß das Schwarz, nach dem wir lange zielen, die staatliche Einheit, und daß Jeder einzutreten hat mit seiner Büchse und seinem Stutzen, „mit kaltem Blick und fester Hand“, wenn es gilt, im blutigen Ernste dies hehre Ziel zu erkämpfen.
S.

[476–477]

Gabentempel. Schützenfestplatz in Bremen. Festhalle.
Aufgenommen von der Galerie der Fahnen- und Sängerhalle.