„Punte“ Jagd in England
„Punte“ Jagd in England.
„Die geheimnißvollen englischen Lockteiche“ sind den Lesern der Gartenlaube aus einer früheren Nummer bekannt geworden und hoffentlich geblieben. Wir vergaßen damals, glaub’ ich, zu erwähnen, daß jeder solcher Lockteich eine gute jährliche Ausbeute von allerlei wildem Geflügel liefern muß, wenn sich Boden, Wartung, Wärter und Fänger bezahlt machen sollen, und je nach Lage und Größe und nach den Marktpreisen der wilden, gefiederten Braten von 200 bis 800 Pfund Sterling jährlich aus je einem einzigen solchen Teiche erlistet werden. Ein Geistlicher, Bate Dudley in Essex, steht nicht im Weinberge des Herrn, wohl aber als Vogelfänger auf seinem Teiche oben an und rühmte sich, vor einigen Jahren nicht weniger als zehntausend wilde Enten verschiedener Art binnen zwölf Monaten in die Falle gelockt, erwürgt, verkauft und verzehrt zu haben. Die Eisenbahnen und Dampfschlote und Fabriken und das Geräusch civilisirten Lebens, womit sich England immer dichter bedeckt, haben diese kostbaren, künstlichen Wildnisse allerdings bedeutend eingeengt und die menschenscheuen, listigen, wachsamen Schaaren derselben vertrieben; aber noch immer überlistet der listigere Mensch noch jährlich solche Tausende und Millionen wilden Sumpf- und Wassergeflügels, daß, obgleich alle höheren Classen täglich ihren „Geflügel-Gang“ auf der Tafel haben müssen, doch oft noch ein paar wilde Enten für zwanzig, ein Paar Schnepfen für einen Silbergroschen verkauft werden. Die Menge der Waare und deren Wohlfeilheit hängt großentheils von der Härte und Dauer des Winters ab. Mit dem fallenden Thermometer und Schnee füllen sich die Fallen und Märkte und fallen die Preise.
Die Lockteiche allein würden’s freilich nicht thun. Es blüht daneben noch eine sehr beliebte Art von wilder Geflügel-Jagd, die wegen ihrer Abenteuerlichkeit und Gefährlichkeit und der damit verbundenen Aufregung der verschiedensten Leidenschaften einen ganz besondern Reiz ausübt und deshalb von muthigen Jüngern der Jagd mit vieler Vorliebe ausgeübt wird. Außerdem ist’s ein Vergnügen in schweigender, dunkler, kalter Nacht, ein Kampf der List und Kraft gegen Naturhindernisse und die feinste Diplomatie der wilden Enten und Gänse, wahrer Genies im Vergleich zu unseren dummen Schnatterern auf Bauermisthöfen. Es blitzt und donnert kanonenartig im entscheidenden Momente durch die nächtliche Stille. Lauter Genüsse, die besonders für den noch nicht zum Philister abgematteten, civilisationsmüden Gentleman ungemein einladend sind.
Diese Specialität der wilden Geflügeljagd heißt „punting“, weshalb wir ohne Weiteres „punte Jagd“ sagen, weil sich das Wort eben so wenig in deutsche Sprache, wie das Donnerbüchsen-Boot, genannt „punt“, von welchem aus diese Jagd prakticirt wird, auf deutsche Flüsse übersetzen läßt.
„Punting“ ist die Kunst, wildes Geflügel in einem kleinen Boote, genannt „Donnerbüchsen-Punt“, zu verfolgen und zu erlegen. – Das ist die wahre, wissenschaftliche Definition aus dem „Wildvogel-Buche“ des Henry Coleman Folkard, der das Neueste und Praktischste über diesen interessanten, pyramiden- und mumien- uralten Zweig des edeln Waidwerks geschrieben.
Das Boot des Wild-Voglers ist eine Art Kanonen-Boot, mit der Schrot-Kanone an seiner Spitze, wo sie, auf einem Punkte befestigt, an zwei andern beweglich ist zum Richten. In der Regel wird ein halbes Pfund Schrot geladen, der, im entscheidenden Momente richtig in die Mitte einer wilden Heerde geschleudert, in einem Augenblicke lange Mühsale und gefährliche Kunststücke bezahlt.
Der „Punt“-Jäger legt sich im Boote auf den Bauch, Gesicht nach vorn, und treibt es mit ein Paar sehr kleinen, unter dem Wasser gedrehten „Schädeln“, d. h. kleinen, hohlen Rudern. Das ist in dieser Position im nächtlichen Winter auf einem der englischen, stark fluthenden und ebbenden Flüsse schon ein Kunst- und Kraftstück. Während dieser Ebbe darf er sich, in ein paar tüchtigen, mit „Splashers“ oder achtzehn Zoll langen und breiten dünnen Bretern untersohlten Wasserstiefeln, die Mühe nicht verdrießen lassen, das Boot watend und schlammtretend am Ufer leise hinzuschieben, immer oder wenigstens häufig in Lebensgefahr, da er stolpernd und fallend nur dann wieder auf die Beine kommen kann, wenn er genau weiß, wie man’s machen muß und ihm außerdem die Kraft dazu nicht abhanden kam. Mancher, der mit dem Boote glücklich war, fiel hernach bei Verfolgung angeschossener Beute in den Schlamm und wurde Zoll für Zoll von der anbrausenden, mit jeder Minute ein klein Wenig steigenden und erst nach stundenlanger Qual über seinem Haupte zusammenschlagenden Fluth begraben.
„Die einzige sichere Methode, aus dem Uferschlamme wieder auf die Beine zu kommen, ist, sich auf den Rücken zu wenden, die Hände frei zu machen, einen Fuß anzuziehen und fest und flach mit dem „Splasher“ auf den Schlamm zu fixiren, dann mit beiden Händen die Kniee zu umklammern und sich mit einem Sprunge aller Muskeln auf dem so fixirten Fuße empor zu schnellen. Ganz nutzlos ist es, mit Händen und Füßen, knieend und platschend, sich empor bringen zu wollen. Die Arme sinken nur tiefer und tiefer, und wenn der Schlamm sehr verwittert ist, reicht keine Kraftanstrengung hin, sich auf diese Weise zu retten, so daß die Fluth einen bis zum Tode Ermatteten und Halberstickten zu begraben haben wird.“ – Trotz dieser Gefahren und sehr unangenehmen Schlammbäder gilt das „Punten“ doch für eine fashionable Jagdlust.
Der „Punter“ bricht mit dem Abende auf, gut versorgt mit Victualien, Pulver und Schrot. Alle seine Kleidung ist wasserdicht und gut mit Wolle unterlegt. Es muß aber eine ruhige und mondhelle Nacht zu erwarten sein, sonst kehrt er bald um. Der Wind kräuselt und bewegt das Wasser, in dessen Lichtbrechungen dann das Wild nicht zu unterscheiden ist. Der Mond ist nöthig, weil er die Vogel blendet, und an der einen Seite des Ufers schattet. Der Punter legt sich in voller Länge in sein Flach-Boot und treibt es mühsam und langsam, leise und vorsichtig entlang in schattigen Stellen. Die verschiedenen Wasservögel haben jede Art ihre eigene Sprache, die der Punter wohl kennen und unterscheiden muß. Er weiß denn auch, daß jedes verdächtige Geräusch, das er machen würde, daß jeder Wind, der den Geruch eines Menschen in eine Nachtherberge der Vögel wehete, den Warnungsruf des nie fehlenden oder schlafenden Wachpostens zur Folge haben und die ganze Vogel-Colonie davon jagen würde. Hört oder sieht er Beute auf der „unrechten Seite des Mondes,“ d. h. an einer dunkleren Stelle von seiner lichteren aus, muß er oft stundenlang schleichen und laviren, um sie in das rechte Licht zwischen dem Punte und dem Monde zu bringen. Sodann muß er die in der Nacht kommende Fluth zu benutzen wissen. Die Fluth rippelt und dunkelt das Wasser. Die noch unbedeckten Schlammstellen sehen pechschwarz aus, während die leicht bedeckten und die seichten Stellen silbern blenden. Die Vögel bleiben auf den unbedeckten Schlammhaufen, bis das steigende Wasser sie immer mehr zusammendrängt. Erst wenn das Wasser sie wirklich zu heben anfängt, brechen sie auf. Der rechte Moment für den Punter ist nun der, wenn das scheinige Wasser sie auf ihrer dunkeln Ruhestätte zusammendrängt und sichtbar macht. Hat er jetzt Wasser genug unterm Boote, um bis zur gehörigen Schußweite zu nahen, macht er jetzt sein Meisterstück katzenartigen Heranschleichens. Alles ist mäuschenstill, selbst der Schildwachvogel merkt nichts. Auf einmal knallt die Donnerbüchse durch die stille Nacht, mit deren Blitze die ganze schlafende Colonie auffliegt – mit Ausnahme der Getroffenen, 40 – 60 – 100 mit dem einen Schusse, wenn er gut gerichtet war. Freilich das sind nur Früchte der günstigsten Bedingungen und der höchsten Punt-Kunst.
Der Punter muß ein eben so feines Ohr für die Tonsprache der Vögel haben, wie der beste Musiker für Harmonie und Melodie. Jeder Wildvogler kennt die gewöhnliche Umgangssprache jeder Art von wilden Enten und Gänsen, das trompetenartige Gegackel der letzteren, das in der Ferne wie Chorgebell aufgeregter Fuchshunde klingt, das sonore und kecke Quakquak der gewöhnlichen wilden Ente, das milde, anmuthige Whiu, Whiu der rothhalsigen, [224] scheckigen Pfeifente, den scharfen melancholischen Pfiff des Regenvogels, den schrillen, unheimlichen Schrei des Steinwälzers, das simple Kibit des Kibitzes und das majestätische Frank! – Frank! des hochbeinigen Reihers. – Das ist bekannt und keine ornithologische Philologie, keine Vogelsprachgelehrsamkeit. Aber die Vögel reden von Lust und Schmerz, von Sicherheit und Gefahr, von Hunger und Fülle und halten ihre Parlamente und stimmen ab, wenn es gilt, etwas Gemeinsames zu thun. Nur Wenige verstehen etwas Weniges von dieser Sprache und die Besten nicht mehr, als um eben zu merken, was für Art von Vögeln Töne der Warnung oder der Beruhigung ausstoßen. Doch wird man mit der Zeit auch in dieses Sprachgebiet näher eindringen. Jetzt kennt der gewöhnliche Punter nicht viel mehr, als die Warnungs- und Sicherheitsrufe, z. B. daß die Solan- oder schottische Rothgans nur von steifem „Grog! Grog!“ spricht, wenn sie sich sicher fühlt und auch ihren Colleginnen Vertrauen einflößen will. Der Vogler erfährt damit auch, daß er sicher ist und weiter fortschreiten darf. Aber ein „Birr! Birr!“ der Schildwache trifft ihn wie ein tödtender Blitz. So wie er die Wächterin „birren“ hört, steht oder liegt er wie todt, bis ein tröstendes „Grog! Grog!“ ihm wieder sagt, daß sie sich für sicher halten und wieder schlafen. Der Warnungsruf des Schildwachvogels (die wilden haben immer eine Wache, Nacht und Tag, die so regelmäßig abgelöst wird, wie der Posten an einem preußischen Schilderhaus) durchzuckt immer wie ein galvanischer Ruck in einem Augenblicke die ganze Gesellschaft auch im tiefsten Schlafe. Im Nu sind alle Köpfe in der Luft, alle Ohren horchend, alle Augen blitzschnell in allen Richtungen forschend und prüfend. Bestätigt sich der Warnungsruf nur in einem Auge oder Ohre der Hunderte durch die leiseste Entdeckung einer Gefahr, ist die ganze Gesellschaft sofort auf Flügeln der Flucht, und der Vogler hat das Nachsehen.
Der erfahrene Punter oder Lockteich-Mann versteht so viel von seinen Untergebenen, daß er weiß, wenn diese oder jene Art von Wasser- oder Sumpfvögeln vom Aufbruche, von Ruhe, von Gefahr, von Sicherheit, Liebe, Zorn etc. redet. Vor dem üblichen Aufbruche des Morgens (vor Tagesanbruch) nach dem Meere, nach Sümpfen und Wiesen findet in der Regel eine lebhafte Discussion statt, wobei die Damen von wilden Enten immer das große, lauteste Wort führen und auch immer, wie viele Schönen unter den Menschen, das letzte Wort haben zu müssen scheinen. Die Discussion dauert freilich nicht so lange, wie in unseren Kammern: nach 10–20 Minuten ist immer Alles abgemacht und geordnet, sodaß sofort gehandelt wird. In Häufchen von 10 bis 20 Stück, jedes mit einem Anführer, verlassen sie nach einander ruhig den Fluß oder Lockteich und kommen Abends ebenso ordentlich und vorsichtig wieder. Mr. Folkard, der Wild-Vogel-Schriftsteller Englands, meint sogar, daß die Menschen viel von diesen Wilden lernen könnten. Im Uebrigen bedauert er häufig in seiner wissenschaftlichen Genauigkeit, daß gewöhnliche Dilettanten die edle Waidsprache auf diesem Gebiete so barbarisch verhunzen und z. B. überhaupt von Heerden wilder Vögel sprechen, da doch für jede Art mindestens doppelte Bezeichnungen zum Unterschiede, ob sie auf Flügeln seien oder säßen, gebraucht werden müßten. Ein Heerde wilde Gänse auf dem Wasser ist ein „Gaggle“, auf den Flügeln ein „Skein“. Wilde Enteriche unter sich bilden ein „Gefolge“, Schnepfen einen „Gang“, Brausenhähne und Kragenhühner „Hügel“. Und so geht es fort. Doch das ist uns zu waidlich. Wir begnügen uns damit, kurz und vorübergehend gesehen zu haben, wie die Engländer in kalten Winternächten auf Sumpf und Wasser „punte Jagd“ machen.