„Zeitungsschreiber“ in Friedens- und Kriegszeiten

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Autor: C. Pz.
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Titel: „Zeitungsschreiber“ in Friedens- und Kriegszeiten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 97–99
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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„Zeitungsschreiber“ in Friedens- und Kriegszeiten.

Die Zeiten, in denen es selbst in gebildeten Kreisen gewöhnlich war, von den „Zeitungsschreibern“ gering zu denken und von ihrem angeblichen Lügenhandwerk verächtlich zu reden, sind erfreulicher Weise auch in Deutschland längst vorüber. Wenn es noch hie und da einmal ein eingebildeter Starkgeist versucht, das Capitel der Tatarennachrichten, Seeschlangen und Zeitungsenten zur Verhöhnung der Journalistik zu benutzen, so belehrt ihn der spärliche Widerhall solcher Witzeleien in besserer Gesellschaft sofort, daß man sich heute der hohen und wichtigen Stellung wohl bewußt ist, welche die Tagespresse in der modernen Culturwelt einnimmt, und daß es widersinnig und unerlaubt ist, Geringschätzung eines Factors der Civilisation zur Schau zu tragen, dem Alle einen mehr oder minder beträchtlichen Theil ihres geistigen Besitzes verdanken.

Bei alledem ist die deutsche Journalistik noch weit davon entfernt, im großen Publicum diejenige Anerkennung und Achtung zu genießen, deren sie in ihren eigentlichen Repräsentanten in hohem Grade würdig ist, und selbst von hochgestellten Persönlichkeiten, denen man eine richtigere Würdigung der Presse sollte zutrauen dürfen, sind in jüngster Zeit ebenso engherzige wie unrühmliche Maßregeln gegen einzelne Zeitungen und Journalisten ergriffen worden. Doppelt unerfreulich sind solche Erscheinungen im Verlaufe eines Krieges, dessen weitgreifende Rückwirkungen auf das Volk gerade von der Presse – mit sehr wenigen Ausnahmen – in jener würdigen und heilsamen Richtung erhalten worden sind, die für die Ehre und Zukunft unseres Vaterlandes so verheißungsreiche Bürgschaften bietet.

Es würde hier zu weit führen, die Höhe und Vielseitigkeit jener Anforderungen, welche man heutzutage an eine große Zeitung stellt, in ihrem ganzen Umfange darzulegen; doch mag das Eine hier betont werden, daß der Leser, wenn er beim Morgenkaffee seine Zeitung zur Hand nimmt und durch bequeme Lectüre des hübsch gedruckten Blattes sein Verlangen nach neuen Thatsachen und Anregungen mit Behagen stillt, wohl nur selten daran denkt, welches Quantum mühsamer Arbeit in solch’ einem leicht übersichtlichen Bilde der Tagesgeschichte niedergelegt ist. Vielleicht ist es Manchen nicht unerwünscht, von dieser Thätigkeit eine etwas nähere Vorstellung zu gewinnen; versuchen wir’s, dieselbe in kurzen Worten zu skizziren.

Ein großes politisches Journal – und wir wollen zunächst nur von einem solchen sprechen, weil sich ja von ihm auch die genügenden Schlüsse auf kleinere Blätter ziehen lassen – macht vor Allem in seiner einheitlichen Leitung ganz bedeutende Ansprüche. Wenn auch ein Chefredacteur bei der enormen Masse von Manuscripten, Zeitungen und anderen Drucksachen, die er zu lesen und zu studiren hat, nicht im Stande ist, allen einzelnen Fragen auf dem mannigfaltigen und ausgedehnten Gebiete der Tagesinteressen mit solcher Genauigkeit zu folgen, daß er über jede derselben ausführlich und eingehend zu schreiben und dadurch bei seinem Leserkreise auf die Auffassung und Behandlung der Sache bestimmend einzuwirken vermöchte, so ist es doch durchaus nöthig, daß er, als der geistige Leiter eines zur Mitarbeit an den öffentlichen Angelegenheiten berufenen und befähigten Organs der Tagespresse, über das Wesentliche aller allgemeinen politischen und socialen Fragen richtig orientirt und mit der Stellung seines Vaterlandes und Volkes zu denselben genügend vertraut ist. Hierzu ist aber eine vielseitige Beschäftigung mit der wissenschaftlichen und der Tagesliteratur, eine ausgebreitete Bekanntschaft mit den praktischen Bestrebungen der Gegenwart und mit deren bedeutendsten Vertretern, sowie eigene Bethätigung im öffentlichen Leben unumgängliches Erforderniß. Es ist eine reine Unmöglichkeit, mit der Erfüllung aller dieser Anforderungen die tägliche Verabfassung eines auf der Höhe der publicistischen Situation stehenden Leitartikels zu vereinigen, und der Chefredacteur muß für diese Arbeit auf unterstützende Kräfte, namentlich bei mehr technischen und specifisch-wissenschaftlichen – juristischen, finanziellen, militärischen – Fragen zählen können. Dennoch wird Niemand verkennen, wie sehr auch eine publicistische Capacität durch die richtige, tactvolle und gediegene Direction eines Journals schon in der Sorge für den Leitartikel in Anspruch genommen wird.

Der nachrichtliche Theil eines großen Journals setzt sich aus [98] einer großen Menge originalen und fremden Materials und darum nur durch eine ebenso umfassende wie eingehende Sichtung zusammen. Natürlich ist Niemand im Stande, die ganze Masse der Zeitungen und Correspondenzen, welche den täglichen Einlauf eines großen Blattes bilden, für sich allein zu bewältigen, und es sind deshalb Hülfsarbeiter nöthig, welche die einzelnen Departements bearbeiten; indessen muß doch schon der nöthigen Controle und Vermeidung von Wiederholungen und Widersprüchen wegen der eigentliche leitende Redacteur die ordnende Hand für das ganze Sammelsurium bieten, und diese Thätigkeit erfordert abermals, selbst bei einer energischen und wohlgeschulten Arbeitskraft, eine ganz außerordentliche Anstrengung. Die fünfzehn bis zwanzig deutschen Zeitungen ersten Ranges und die zwanzig bis dreißig des zweiten, welche alltäglich ihrem originalen Inhalte nach revidirt werden müssen, bilden zusammen ein Material von der Fülle und Ausdehnung mehrerer gedruckten Bände, und wenn wir dazu noch die speciellen und autographirten Correspondenzen in Anrechnung bringen, die ein Blatt von Bedeutung aus allen wichtigeren Hauptstädten zu erhalten pflegt und deren Inhalt aus innern und äußern Gründen mit doppelter Sorgfalt geprüft werden muß, so kann man sich die Massenhaftigkeit des Stoffes vorstellen, der dem Auge und dem Gehirn eines Redacteurs auf diese Weise zufluthet.

Auch die Arbeit des Rothstiftes und der Scheere, wie sie durch die Mitredacteure eines großen Blattes hauptsächlich zu leisten ist, erscheint aus der Ferne viel leichter, als sie in Wirklichkeit ist, und manches Journal ersten Ranges verdankt seinen ungenannten, in veilchenhafter Verborgenheit thätigen Mit- und Unterredacteuren einen sehr ansehnlichen Theil seiner Achtung und Beliebtheit im Lesepublicum. Aus der ungeheuren Menge von Details, welche in fünfzig bis hundert und mehr Zeitungsnummern täglich zur Auswahl dargeboten werden, das objectiv Werthvollste, formell Bestgefaßte und für den speciellen Leserkreis des eigenen Journals in sachlicher und persönlicher Hinsicht Geeignetste auszuwählen und in derjenigen Ausdehnung und Einkleidung, wie sie dem Zweck des Gegenstandes und der Tendenz und Einrichtung des Journals am besten entspricht, an rechter Stelle zu reproduciren, – diese Thätigkeit verlangt vielseitige Kenntnisse, raschen und gewandten Ueberblick und ein sicheres Tactgefühl, wie sie durchaus nicht jedem beliebigen, selbst dem wissenschaftlich gebildeten Manne nicht überall, zu Gebote stehen. Soll die Arbeit des Hülfsredacteurs dem Journale nicht tausend Anstände und Verlegenheiten bereiten, soll sie dem einheitlichen Geist und Wirken des Blattes in keiner Weise hemmend und verzögernd entgegentreten, soll aus der Kräfte schön vereintem Streben das wahre Leben der Zeitung sich frisch und harmonisch erheben können, so müssen jene Hülfskräfte in ähnlicher Richtung und Tüchtigkeit beanlagt und geschult sein wie die des leitenden Redacteurs. Bei dem Ineinandergreifen der verschiedenen Departements ist ein solcher Gemeingeist die unentbehrliche Bedingung eines einträchtigen und energischen Zusammenwirkens.

Bei unsern großen deutschen Blättern erhebt sich die Zahl der Mit- und Unterredacteure meistens nur auf fünf bis sechs; man kann sich also denken, daß Jeder derselben ein gehöriges Päckchen Arbeit zu tragen hat. Auch wenn sich der Chefredacteur noch ein Specialdepartement reservirt hat – meist wird es die hauptstädtische (Berliner) Correspondenz sein – verbleiben noch für fünf Mann recht ausgedehnte Territorien bei dieser „Theilung der Erde“. Beispielsweise übernimmt der Erste Deutschland, der Zweite Frankreich und England, der Dritte das übrige Ausland, der Vierte die localen und provinzialen Angelegenheiten, der Fünfte das Feuilleton, Kunst und Wissenschaft. In jedem dieser Departements ist ein reicher Stoff gegeben, dessen Verwendung und Bearbeitung für ein Journal ein vollgemessenes Tagewerk ehrlich auszufüllen vermag. Die von den Redacteuren für die einzelnen Rubriken druckfertig gemachten und gehörig bezeichneten Manuscripte gehen an den ersten Metteur en pages in die Schriftsetzerei. Dieser vertheilt die Manuscripte in möglichst gleichmäßigen Portionen und in bestimmter, der Folge des Zeitungsstoffes, so gut es geht, angepaßter Ordnung an die Schriftsetzer. Der fertige Satz wird dem Metteur en pages wieder abgeliefert, von demselben sofort ein Bürstenabzug gemacht und dieser den Correctoren zur Emendation abgegeben. Nach dem corrigirten Abzuge wird vom Setzer der Schriftsatz verbessert und das Verbesserte dann vom Metteur en pages zu ganzen Spalten zusammengestellt, von denen auf der Handpresse ein Abklatsch angefertigt und der Redaction zur Revision und definitiven Anordnung vorgelegt wird. Nach dieser zweiten Correctur setzt der Metteur en pages die ganzen Columnen der Zeitung zusammen, die nun in die Druckerei wandern, um nach wenigen Minuten hundert- und tausendfach vervielfältigt ihren Weg in die weite Welt anzutreten.

In Kriegszeiten steigert sich nicht nur die redactionelle, sondern auch die technische und ökonomische Aufgabe der Zeitungen in sehr beträchtlicher Weise, und die schon in ruhigen Zeiten selten an Stoffmangel leidenden Redactionen müssen alle Kräfte anstrengen, um die überreiche Fülle interessanter Neuigkeiten zu bewältigen.

Jedes große Journal sendet im Kriege seine eigenen Berichterstatter aus, die entweder in den Hauptquartieren der einzelnen Armeen accreditirt, oder als „Wilde“, auf eigenes Risico, den Truppen folgen. Um hier gleich die Leistungen der Berichterstatter im gegenwärtigen Kriege zu charakterisiren, so muß zugegeben werden, daß die Referate dieser Männer ihrem Werthe nach allerdings verschieden waren; indessen haben einige deutsche Correspondenten, wiewohl man ihnen die ihren Berufsgenossen zugewandten Bevorzugungen nicht einzuräumen beliebte, anerkannter Maßen Vorzügliches geleistet, und nicht minder haben sich einige militärische Schriftsteller hervorgethan, welche dem großen Publicum das Verständniß der Kriegsoperationen vermittelten. – Zugleich öffnen im Falle eines Krieges die officiellen Blätter die Schleußen ihrer sonstigen Schweigsamkeit und schütten ein unerschöpfliches Füllhorn militärisch-politisch-feuilletonistischer Weisheit auf ihren vervielfachten Spalten aus. Noch reichlicheren Zufluß an Kriegsnachrichten führt das eigene Lesepublicum der Zeitung herbei: häufiger als sonst jemals werden Officiere des heimathlichen Armeecorps auf dem Feldzuge von schriftstellerischen Anwandlungen erfaßt, denen sie sich bald mit Eifer ergeben, und aus den Reihen der Daheimgebliebenen bringt so mancher sonst bis an den Hals zugeknöpfte Philister von Vater „zur gefälligen Benutzung für die geehrte Redaktion“ einen Feldpostbrief nach dem andern herbei, den der liebe Sohn vom Regimente nach Hause zu richten Muße fand. So freundlichem Zuspruch gegenüber nehmen die großen Zeitungen natürlich keinen Anstand, dem Publicum und der vaterländischen Sache zu Ehren ihren redactionellen Theil beträchtlich zu erweitern; die Verleger bringen da oft recht bedeutende Opfer, wie sie überhaupt die Kriegsquartale keineswegs zu den geschäftlich günstigen zu zählen haben. Auch wenn die Abonnements um Tausende steigen, wie es gegenwärtig bei allen großen Blättern der Fall ist, bietet dies bei Weitem kein Aequivalent für die vermehrten redactionellen und technischen Ausgaben und namentlich für den enormen Ausfall an bezahlten Inseraten – dieser materiellen Hauptbasis des Zeitungswesens.

Die Menge des auf den bezeichneten Wegen herbeiströmenden Stoffes nimmt für die Zeitungen um so mehr Arbeit in Anspruch, als derselbe fast durchgehends erst eine weitere redactionelle Behandlung nöthig macht. Abgesehen davon, daß selbst in unserer hochgebildeten Nation die Zahl derjenigen Leute, die druckfertig schreiben, merkwürdig gering ist, und daß fast stets, wo man es nicht mit fachmäßigen Schriftgelehrten zu thun hat, aus den Manuscripten erst eine Menge unnützen Ballastes entfernt werden muß, haben hier besonders oft Widersprüche und Ungenauigkeiten ihre Erledigung zu finden, welche mit den schwächsten Seiten der wissenschaftlichen Durchschnittsbildung zusammenhängen. Hierzu gehören namentlich die in Kriegszeiten beinahe in jedem Berichte vorkommenden geographischen Angaben und die ebenfalls sehr häufigen Citate und Entlehnungen aus fremden Sprachen. Linguistische Zuverlässigkeit ist nun einmal so wenig Jedermanns Sache wie Geographie und Statistik, aber für die Kenner ist gerade in diesen Dingen die strengste Kritik unabweisbar, wenn nicht Salon und Bierbank von lauten Rügen über sie und die Zeitung widerhallen sollen. Der deutsche Spießbürger findet ein gar zu erhabenes Vergnügen darin, seine Weisheit leuchten zu lassen, sobald er in der Zeitung einen Fehler – und sei’s auch nur ein Druckfehler – entdeckt zu haben so glücklich ist.

Ueberhaupt ist unser Publicum in seinen Anforderungen an die Zeitungen ebenso anspruchsvoll wie an die Redacteure selber. In unbescheidenster Mißachtung des für beschäftigte Menschen so eindringlich fühlbaren Satzes, daß Zeit Geld ist, glaubt sich so mancher Abonnent und Leser, ja sogar mancher Nichtleser eines Journals berechtigt, durch Aufdrängen unnützer Besuche, Zuschriften, [99] Anfragen und Aufträge dem Redacteur seine kostbare Zeit oft in unverantwortlichster Weise zu verkürzen, und ihn so um theures geistiges und wirthschaftliches Gut zu prellen. Daß man mit den Elementen der Logik und der Statistik nicht mehr auf gespanntem Fuße stehen dürfe, wenn man mit seinen Geistesproducten vor die Oeffentlichkeit treten und dieselben in zehn- oder zwanzigtausend Exemplaren gedruckt sehen will, und daß man mit Quartaneraufsätzen einem Redacteur eine Augenqual und Schulmeisterarbeit zumuthet, die man von einem für höhere Interessen in strenger Dienstpflicht stehenden Manne nicht beanspruchen darf, das Alles fällt solchen zudringlichen Cameraden kaum ein. In Kriegszeiten sind namentlich die Reimschmiede eine furchtbare Plage jeder Redaction: ohne meist auch nur eine Ahnung von echter Poesie zu besitzen, überschütten diese Quälgeister beiderlei Geschlechts die Zeitungen mit ihrer frech drauf los gereimten Prosa, nicht selten mit der Zumuthung, das Zeug zu lesen und aufzunehmen, noch die weitere von Honorargewährung verbindend, so daß man also einen Verlust an Zeit, Geld und gutem Ruf tragen müßte, wenn man den unnützen Verskünstlern zu Willen wäre.

Von dergleichen Allotrien zum eigentlichen Zeitungsstoffe zurückkehrend, wenden wir uns jetzt demjenigen zu, welcher vor Allem die sorgsamste und strengste Behandlung verlangt, und doppelt gebieterisch in Kriegszeiten: dies sind die telegraphischen Depeschen. Bei ihnen muß nicht blos für die correcte Wiedergabe des Textes, sondern auch für die richtige Erfassung der Tragweite ihres Inhaltes eine so strenge Kritik geübt werden, daß oft geradezu jedes Wort, ja das einzelne Laut- und Sinnzeichen auf die Wagschale gelegt werden muß. Eine falsche Ziffer, ein unrichtiges n oder s, wo es Einheit oder Mehrheit, Grund- oder Ordnungszahl gilt, die falsche Bezeichnung der Zahl einer Division oder eines Regimentes, die Verwechselung ähnlich lautender Ortsnamen etc. kann hier Anlaß zu den schlimmsten Mißverständnissen werden, kann Tausenden von Familien Grund zur äußersten Beunruhigung bieten. Die in Telegrammen gebotene Kürze der Fassung gegenüber der Wichtigkeit des Inhalts erfordert die vorsichtigste Ueberlegung bei ihrer dennoch sofort nothwendigen Wiedergabe, Beurtheilung und Erörterung. In wenigen, zur Erläuterung, ja scheinbar nur zur ordentlichen Stilisirung eines Telegramms beigefügten Zusätzen der Redaction ist zuweilen eine ganz respectable Summe publicistischer Arbeit enthalten, die gerade um so größer sein kann, je weniger sie sich äußerlich erkennbar macht.

Man wird vielleicht sagen, daß die meisten der geschilderten Schwierigkeiten und Mühen Analogien in mancherlei gelehrter Thätigkeit finden, und für viele wissenschaftliche Leistungen wird man dies auch gerne zugeben. Nur giebt es eine Seite der publicistischen Thätigkeit, welche derselben wenigstens den freilich nicht beneidenswerthen Vorzug der größten Anstrengung und Anspannung der geistigen Kräfte unbedingt sichern muß, und auch dieser lästige Vorzug tritt in kriegerisch bewegten Zeiten mehr als sonst hervor. Es ist dies die Raschheit, mit welcher der größte Theil der Zeitungsarbeit, die fliegende Eile, mit welcher gerade so manches äußerst Wichtige bewältigt und erledigt werden muß.

Ist diese Nothwendigkeit schon einleuchtend aus der geringen Stundenzahl, welche zwischen dem Empfange der Posten und der Ausgabe der nächsten Zeitungsnummer in der Mitte liegen, so haben in neuester Zeit namentlich die Extrablätter die Sache noch sehr wesentlich verschärft. Dieser Fortschritt unserer modernen Presse läßt keine Redaction mehr mit Sicherheit auf eine ruhige Thätigkeit innerhalb gewohnter Stunden rechnen. Zu allen Tageszeiten und bis spät in den Abend hinein muß der Redacteur darauf gefaßt sein, mit größter Beschleunigung eine außerordentliche Ausgabe der Zeitung herzustellen. Da muß Manches nach flüchtigster Ansicht in Satz und Druck gegeben werden, was doch später auch vor ruhiger Kritik Stand halten soll. Eine Verspätung von wenigen Minuten kann die Benützung eines ganzen Postenlaufes für das Blatt unmöglich machen, und an dem Orte der Ausgabe dem flinkeren Rivalen die vollständige Beherrschung des Terrains sichern.

Unter solchen Hetzereien darf sich ein Redacteur in Kriegszeiten wohl als einen der bestgeplagten Männer betrachten. Ein von der Bedeutung seines Berufes durchdrungener Journalist hat vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht mit dringender Arbeit zu thun, und in kriegsbewegten Zeiten wird selbst seine nächtliche Ruhe sehr beeinträchtigt, wenn das aufgeregte Gehirn noch im Traume von telegraphischen Depeschen, von Generalstabskarten und Kriegsbildern verfolgt wird. In solchen Zeiten muß der Journalist auf die Bequemlichkeiten und Genüsse eines bürgerlichen Friedenslebens, auf die Wahrnehmung seiner Privatinteressen, die Schonung seiner Gesundheit, die gewohnte Ordnung seiner Häuslichkeit und Familie zu verzichten wissen. So mancher „Zeitungsschreiber“ hat in solchen Kriegsmonaten ein Leben der Aufregung und Anstrengung geführt, das ihm vielleicht für alle Zukunft eine empfindliche Einbuße an Gesundheit und Kräften verursacht hat. Auch dies sind Kämpfe und Opfer für das Vaterland – um so weniger zu mißachten und zu unterschätzen, als für sie nur höchst selten jene Ehren und Anerkennungen blühen, mit welchen in anderen Berufen oft die geringfügigsten Verdienste sich belohnt sehen!

Ein bezeichnender Contrast im Leben und Wirken des Journalisten hat mich mehr als einmal auf’s Tiefste ergriffen. Bei der Feier unserer großen Siege und Erfolge gegen den wälschen Erbfeind hatte der Journalist so oft Festberichte zu schreiben und drucken zu lassen in jener bekannten Manier: „Die freudige Erregung unserer Stadt über die Siegesbotschaft (von Wörth, Sedan, Straßburg, Metz etc.) fand bei uns ihren begeisterten Ausdruck in einem allgemeinen Festzuge, einer glänzenden Beleuchtung, überaus zahlreich besuchten Versammlungen etc., wo enthusiastische Reden gehalten, jubelnde Hochrufe auf unser treffliches Heer, auf das geliebte Vaterland etc. ausgebracht wurden. Die ganze Bürgerschaft betheiligte sich an diesen patriotischen Kundgebungen“ etc. etc. Und zur selben Stunde, wo Alles jubelnd die glänzenden Straßen durchzieht oder die schäumenden Becher schwingt, sitzt der Journalist, dessen Herz an Gluth für alles Hohe, Edle und Vaterländische hinter keinem zurücksteht, einsam beim Lampenlicht mit erhitztem und müdem Auge über der Revision der von der Presse feuchten Columnen des zum Drucke gehenden Morgenblattes, bis er in mitternächtiger Stunde sein Lager aufsucht, um nach kurzer, oft sehr zweifelhafter Ruhe in aller Frühe wieder auf das Bureau zu eilen und den Kreislauf seiner täglichen Mühen auf’s Neue zu beginnen. Wenn von fernher das Geräusch der Straße, der Festjubel der Tausende seiner Mitbürger, der helle Klang der Musik und Gesänge an sein Ohr tönt, dann ist es ihm wohl schwer, sich eines wehmüthigen, fast bitter ironischen Gefühls zu erwehren. Aber es sind ja Vaterlandslieder und Siegesmärsche, die dort unten ertönen, – und mit freudig gehobenem, wenn auch ernst bewegtem Herzen verzichtet der Zeitungsschreiber auf die persönliche Theilnahme an dem Festjubel und fährt fort, seine Pflicht zu thun im Dienste des Vaterlandes, der Freiheit, der Bildung und der Humanität.
C. Pz.