Die Wacht an der See
Als der große Krieg zum Ausbruch kam, der nun hoffentlich bald seinem Ende zugeführt ist, war nur Ein Vertrauen, nur Eine Zuversicht auf die Tapferkeit der deutschen Armee, und darüber, wie herrlich diese ihr Wort eingelöst hat, fest und treu die Wacht am Rhein zu halten, ist heute kein Wort mehr zu verlieren. Eine Sorge aber bekümmerte damals doch gar viele deutsche Herzen, die Sorge um die junge Flotte und die Furcht vor einem Landungsversuche der Franzosen in Hannover oder Schleswig-Holstein oder Pommern, nachdem der Feind doch bestrebt sein mußte, sich die Entblößung dieser Strecken von Truppen und so manches Andere zu Nutzen zu machen.
Zwar war mit der Leitung der militärischen Angelegenheiten in den Küstenlanden vom Bundesfeldherrn der General Vogel von Falkenstein betraut worden, ein Mann, von dem erwartet werden konnte, daß er mit scharfem Blick und rascher Hand einen Landungsversuch des Feindes auch mit wenigen Truppen abschlagen würde. Aber unmöglich konnte man an allen Orten, an denen eine Landung sich ermöglichen ließ, große Truppenkörper anhäufen; deshalb mußte es als ein glücklicher Gedanke des Generals gepriesen werden, als er am 23. Juli 1870 in einem Erlaß zur Bildung einer freiwilligen Küstenbewachung aufforderte. Das Schreiben des Generals wurde in allen Hafenstädten mit Freuden begrüßt und aus allen deutschen Küstenlanden an der Nord- und Ostsee meldete sich eine große Schaar brauchbarer Männer, die freiwillig dem Rufe des Gouverneurs folgten und sich „für die Dauer des Krieges“ für die Bewachung unserer Küsten zur Disposition stellten. In Hamburg war der Hauptmann a. D. Wagemann mit der Aufnahme von geeigneten Persönlichkeiten betraut und hatte die Freude, dem stellvertretenden General des neunten Armeecorps bald ein stattliches Häuflein Küstenwächter zustellen zu können. Da stellte sich denn der Mann, der seinen bedeutenden ländlichen Besitz freiwillig verlassen hatte, neben den Steuermann, dessen treues Fahrzeug träge im Hafen lag; da verließ der Kaufmann sein Geschäft, das seiner Leitung doch durchaus bedurfte, und diente neben dem Führer der Fischersmack der deutschen Nordseefischereigesellschaft. Die Standesunterschiede schwanden vor dem Bewußtsein, daß die Noth des Vaterlandes Männer brauche. Auch ich eilte, meine Dienste anzubieten, da meine Verhältnisse mir vollständig gestatteten, ohne Empfang von Sold zu leben, denn Löhnung und Equipirung ward den Mannschaften, die ja freiwillig dienten, nicht gewährt, und ich wurde nach Auseinandersetzung meiner Lage sofort unter die Zahl der Wächter der deutschen Küste aufgenommen.
Die Uniform, welche der Küstenwächter sich anzuschaffen hatte, war ebenso praktisch als kleidsam. Der Waffenrock von blauer Farbe, mit rothem Kragen, nach österreichischem Schnitt, gab dem kleinen Heere, das in kleinen Abtheilungen von sechs bis zehn Mann ausgesandt wurde, ein keck militärisches Aussehen. Die grauen Beinkleider waren in hohen, fast bis zum Knie reichenden Stiefeln verborgen, und der Kopf wurde durch eine blaue Mütze mit sehr großem Schirm geschützt. Um aber bei dem Aufenthalte an der Küste allen Einflüssen der Witterung Trotz bieten zu können, war jeder Küstenwächter mit einem tüchtigen Gummimantel versehen, und damit der Wächter auch nöthigenfalls ein Vertheidiger werden konnte, führte Jeder eine Zündnadelbüchse neuester Construction. Die Patronen für die Waffen wurden in einer Tasche aufbewahrt, welche die Mannschaften an einem sehr breiten, um den Leib geschnallten Lederriemen trugen.
Ich begrüßte den Tag der Abreise an unsern Stationsort mit vollster Freude. Unser kleiner Trupp von acht Personen kam zum großen Staunen der Einwohner unerwartet in seinem Bestimmungsorte P. an, einem schleswig-holsteinschen Dorfe, das unfern der See gelegen ist, und der kühle Empfang, der uns zu Theil wurde, ließ uns nicht ahnen, mit welcher Leichtigkeit wir uns unter den Dörflern einleben und mit welcher Herzlichkeit sie uns bei unserem endlichen Abmarsche ein Abschiedswort zurufen würden. Unmittelbar nach unserem Einrücken begaben sich zwei Männer aus unserer Mitte an die Küste, um nach französischen [96] Fahrzeugen auszuspähen und die Kunde von einem etwa nahenden Feinde sofort weiter zu verbreiten.
Unser Dienst war in der That ein anstrengender. Wir hatten Jeder vier Stunden hintereinander an einem fest bestimmten Punkte der Küste die Wache und mußten durch ein großes Seemannsfernrohr auf das Meer hinausblicken, um jedes nahende Fahrzeug in seinen Bewegungen zu beobachten, jede anscheinende Gefahr aber durch die neben dem Posten befindliche Signalstange weiter melden. Jede Wahrnehmung, welcher Art sie auch sein mochte, mußte von dem Posten in ein Protokoll eingetragen werden, das der jedesmaligen Ablösung ausgehändigt wurde. Außerdem war die ganze Küste vom fernen Norden bis ungefähr acht Meilen nach der Elbe hinein in Patrouillendistricte abgetheilt, und das unserer Station zukommende Revier mußten wir zu Zwei und Zwei abpatrouilliren, um etwa Verdächtiges, das der Posten nicht hatte wahrnehmen können, aufzuspüren. Da marschirten wir denn trotz Sonnenhitze und Regenschauer ruhig an dem einsamen, einförmigen Strande stundenlang hin und her, die kurze Pfeife als unzertrennliche Begleiterin zwischen den Lippen.
Die Seemöve sandte in ihren immer gleichen schrillen Tönen uns die Botschaft, daß noch eine lebende Seele außer uns das Auge spähend über die Fluthen schweifen lasse, und schien sich zu verwundern über die Wanderer, deren Gleichen sie vorher hier noch niemals gesehen.
Ein Mitglied der freiwilligen Küstenwacht führte das Commando über die kleine Schaar auf jeder Station. In der Uniform trug der Commandirende keinerlei Abzeichen vor uns, hatte aber für viele Mühwaltung und große Verantwortlichkeit die Auszeichnung, beritten zu sein. Auf den meisten Stationen hätte es einer Inspection gar nicht bedurft, denn das treueste Pflichtgefühl belebte Alle, die sich die Aufgabe gestellt hatten, auf diese Art dem Vaterlande zu dienen; nur bedurften wir der Anleitung, um unsern Eifer in gehöriger Weise nutzbar zu machen. Der Dienst in der Schlacht, wenn man dem Feinde Auge in Auge gegenübersteht, hat des Aufregenden und Aufreibenden gewiß unendlich viel, aber auch wir, die wir zwar zur Abwehr eines Feindes von unseren Waffen nie Gebrauch machten, dürfen ohne Ueberhebung von uns sagen, gleichfalls mit Angst und Sorge, mit Nachtwachen und Anstrengungen dem Vaterlande gedient zu haben. Da bescheint die grelle Sommersonne die bewegten Wogen und ihre Strahlen fallen von dem unruhigen Elemente blendend in das Auge des einsamen Mannes am Strande, oder der kalte Nebel der Nacht thürmt sich in Gestalten, die dem spähenden aufgeregten Wächter als ein nahendes Segel erscheinen, und immer eifriger gebraucht er sein Fernrohr, um den schattenhaft gleitenden Fremdling besser erkennen zu können. Oft ist’s dem Wächter am Meeresgestade, als sollte er an seiner Signalstange das Tau ergreifen und den schwarzen Korb, der an demselben befestigt ist, eiligst in die Höhe ziehen und so der nächsten Station das Zeichen geben, daß Gefahr von feindlichen Schiffen zu besorgen sei. Oder seine Hand hat in der Nacht den Pechkranz schon auf die Pfanne gelegt, die, auf einem Block erhöht, sich neben seinem Standort befindet. Schon will er, in der Meinung, daß ein feindliches Fahrzeug landen will, den Pechkranz entzünden, da wird ihm wieder die Verantwortlichkeit seiner Stellung klar, er weiß, daß sein Signal von der Station nordwärts und südwärts gesehen werden muß, daß auch dort im nächsten Augenblicke von den sorgsamen Freunden, die mit ihm wachen, das Flammenzeichen sich entzünden wird, ja daß in wenigen Minuten der Alarm allen Stationen der ganzen, viele Meile langen Küste sich mittheilen und Aufregung und ernstliche Maßregeln veranlassen muß. Er wartet noch einen Augenblick und – die Gefahr ist vorüber, das Schiff wendet, es ist kein Kriegsfahrzeug gewesen, sondern das Boot einer neutralen Nation, das friedliche Zwecke verfolgt.
So hing augenscheinlich unendlich viel von der Besonnenheit der Küstenwächter ab. Konnte doch durch einen einzigen Zug an dem Tau der Signalstange den mehrere Meilen entfernten Mannschaften der Seewehr das Zeichen zum Sperren des Fahrwassers gegeben werden; lagen doch an bestimmten Punkten der Küste zahlreiche Torpedos bereit, die beim Zeichen von dem Nahen des Feindes in den Flüssen in die gehörige Lage gebracht werden sollten; hatte man doch Hunderte von Schiffen theils gekauft, theils gemiethet, die durch ein einziges Bohrloch schleunigst in die Tiefe sinken sollten, um durch Versperrung des Fahrwassers dem Feinde jede Annäherung an die Hafenstadt abzuschneiden. Und alle diese großartigen Vorkehrungen konnten vielleicht zur Ausführung gebracht werden, wenn nur ein Küstenwächter in leichtsinniger Weise voreilig sein Signal gab. Ich kann sagen, daß ich jedes Mal zufrieden war, wenn ich bei abgelaufener Wachtzeit in das Journal die Bemerkung eintragen konnte, daß sich nichts Ungewöhnliches ereignet habe.
Die Vorschriften für Handhabung des optischen Telegraphen, dessen wir uns zu gleicher Zeit zu bedienen hatten, waren höchst praktisch und einfach. Durch Aufziehen des Korbes, der mit demjenigen große Aehnlichkeit hatte, der an der Signalstange der Wärterhäuser an den Eisenbahnen angebracht ist, konnten wir dem nächsten Wächter unsere Wahrnehmungen mittheilen. Am Top der Stange bedeutete nämlich das Signal: feindliches Fahrzeug in Sicht; das Signal in halber Höhe zeigte an: der Feind hat ein Boot ausgesetzt, eine Landung versucht oder bewerkstelligt. In der Nacht wurde durch einen Pechkranz das Signal weiter gegeben, bei dunklem Wetter sollten Theertonnen angebrannt oder Strohfeuer an den Küsten und auf den Deichen angezündet werden.
Daß es in den ersten Tagen an wunderlichen Irrthümern und Fragen nicht fehlte, versteht sich von selbst. Der Schiffer hat ein geübtes Auge für Alles, was mit der Seefahrt in Verbindung steht, und erkennt schon an dem Bau des Fahrzeuges und an der Art, in der die Segel gerichtet sind, das Land, dem es angehört; ich dagegen und mehrere meiner Genossen mußten erst nach und nach die Kunst erlernen, die Flaggen schon in weiter Ferne zu unterscheiden. Wie oft glaubte ich die französische Tricolore auf einem nahenden Schiffe zu erblicken, und die Flagge, die ich sah, war bei näherer Untersuchung meist der Union Jack, ein Zeichen, daß das Fahrzeug bei John Bull zu Hause gehörte, oder sie trug sogar die herzlich begrüßten Farben des norddeutschen Bundes.
Natürlich richteten wir uns auf unserer Station so gemüthlich wie möglich ein. Eine Hütte, die wir am Strande in der Nähe unseres Wachtortes vorfanden, wurde mit Buschwerk und Faschinen an allen den Stellen ausgestopft, die dem Winde freie Passage gestatteten, und das gemüthliche Leben der Wachtstube und des Lagers, von dem der Bürger in der Rückerinnerung an die Zeit seines Soldatenlebens begeistert träumt, hielt auch bei uns seinen Einzug. Empfingen wir doch in unserm „Blockhause“, wie unser Bretterhäuschen genannt wurde, selbst die Besuche der Honoratioren von P., und so kam es denn wohl, daß wir vom Strande und von dem liebgewonnenen Meere mit schweren Herzen schieden, als uns Ende September, nachdem die französische Flotte aus den deutschen Gewässern verschwunden war, der Befehl zu Theil wurde, unsere Station bis auf Weiteres zu verlassen. Wir konnten dies mit dem vollen Bewußtsein thun, unsere Pflicht gethan zu haben: neben den Vorkehrungen, die zum unmittelbaren Schutze des Fahrwassers getroffen worden, war es vor Allem die Wachsamkeit an den Küsten gewesen, die dem Feinde eine Landung unmöglich gemacht hatte. Wohl war hier und da an den Mündungen der Flüsse auch eine Schanze errichtet worden, auf der schweres Belagerungsgeschütz den Feind erwartete, aber dessen Bronze ist in diesen Monaten niemals durch Pulverdampf geschwärzt worden und an den deutschen Küsten ist während des Krieges niemals ein Feind vor das Rohr einer Kanone gekommen.