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ADB:Becker, Karl

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Artikel „Becker, Karl“ von Hans von Scheel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 324–326, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Becker,_Karl&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Becker: Karl B., Statistiker, zuletzt Director des Statistischen Amts des Deutschen Reichs, geboren am 2. October 1823 zu Strohausen, einem Dorfe der oldenburgischen Wesermarsch, Sohn eines Arztes. Er verfolgte ursprünglich die militärische Laufbahn, wurde 1842 Officier, 1849 Oberlieutenant im 1. oldenburgischen Infanterieregiment; trat 1850 zu den neu gebildeten schleswig-holsteinischen Truppen über, bei denen er bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1851 als Hauptmann verblieb. Auf Veranlassung des oldenburgischen Ministers des Innern Frhrn. v. Berg, der ein statistisches Bureau für das Großherzogthum schaffen wollte und B. als eine für die Leitung desselben geeignete Persönlichkeit ins Auge gefaßt hatte, widmete B. sich zunächst staatswissenschaftlichen Studien an der Universität Göttingen und arbeitete dann in Berlin beim königlich preußischen Statistischen Bureau. Im J. 1853 wurde er mit der Einrichtung des großherzoglich oldenburgischen Statistischen Bureaus betraut, mit dem er bei sehr knapp bemessenen Mitteln hervorragend tüchtige Arbeiten lieferte. Im J. 1863 erhielt er den Titel eines Ministerialraths. Als nach der Begründung des Norddeutschen Bundes eine „Commission zur weiteren Ausbildung der Statistik des Zollvereins“ geschaffen wurde, erhielt B. Gelegenheit sich an den Berathungen dieser Commission zu betheiligen, die in den Jahren 1870 und 1871 stattfanden (die Protokolle und Berichte sind abgedruckt im I. Bande der „Statistik des Deutschen Reichs“, Berlin 1873), und damit die Grundlagen zu der Statistik des Deutschen Reichs schaffen zu helfen; denn die Vorschläge dieser Commission wurden zu einem sehr großen Theil für Bestimmungen des Bundesraths betreffs der Einrichtung von statistischen Aufnahmen in allen Staaten des Reichs über mannichfache Gebiete des Volkslebens benutzt, und zur Bearbeitung dieser Statistik für das Reich wurde das „Kaiserliche Statistische Amt“ im J. 1872 geschaffen. Die Leitung dieses Amts wurde zunächst dem Vorstande des königl. bairischen Statistischen Bureaus Dr. Georg Mayr angetragen und als dieser ablehnte, wurde B. der erste Director dieser neuen Behörde. Er trat am 23. Juli 1872 sein Amt in Berlin an; sein Nachfolger in Oldenburg wurde Dr. Paul Kollmann, der dem großherzoglichen Statistischen Bureau noch jetzt (1900) vorsteht.

B. fand als die zunächst gegebenen Aufgaben seines Amtes diejenigen vor, die früher von dem „Centralbureau des Zollvereins“ erledigt worden waren, von dem auch einige Beamte in das Statistische Amt übernommen wurden nämlich die Zusammenstellung der Ergebnisse der Volkszählungen, die Statistik der Bergwerke, Salinen und Hütten und die Statistik des auswärtigen Handels, [325] diese letztere in einem noch recht wenig entwickelten Zustande. Auf Grund der vorhin erwähnten Arbeiten der Commission zur weiteren Ausbildung der Statistik des Zollvereins traten alsbald noch andere Gebiete der Statistik in den Geschäftskreis des Amts; und bis zum Jahre 1891, in dem B. den Dienst (mit dem Titel als Wirklicher Geheimer Oberregierungsrath) wegen erschütterter Gesundheit verlassen musste, kam eine Fülle neuer Aufgaben hinzu. Ihr bedeutendster Zuwachs wurde durch die Reform der Handelsstatistik mit dem Gesetze, betreffend „die Statistik des Waarenverkehrs des deutschen Zollgebiets mit dem Auslande“ vom 20. Juli 1879 herbeigeführt, an welcher, auch bezüglich der technisch-statistischen Ausführung der großherzoglich hessische Bevollmächtigte zum Bundesrath Fabricius einen großen Antheil hatte. Diese Vermehrung der Geschäfte brachte auch eine solche des Personals; während für das Jahr 1872, das erste von Becker’s Geschäftsführung, das Amt mit zwei Mitgliedern (Räthen) und acht Bureaubeamten und einem Geldetat von 31 760 Thalern ausgestattet wurde, waren im Etatjahr 1891/92, bei dessen Beginn B. noch im Dienste war, bereits fünf Mitglieder, 115 Bureaubeamte und eine Geldsumme von 803 155 M. zur Bewältigung der Arbeiten nöthig. (Ueber die Entwicklung der Statistik des Reichs und des Kaiserlichen Statistischen Amts vgl. Statistik des Deutschen Reichs, Band 101. Berlin 1897.) Entsprechend hatte sich die Thätigkeit des Directors erweitert. Am 1. Mai 1891 legte B. sein Amt nieder; er starb am 20. Juni 1896 zu Berlin.

Das Gebiet, auf dem die wissenschaftlichen Leistungen Becker’s liegen ist die Bevölkerungsstatistik und auf diesem hat er sich auch als statistischer Praktiker besonders bewährt. In seinen Arbeiten überhaupt zeichnete er sich durch große Vorsicht und Umsicht bei der Veranstaltung der Erhebungen, durch kritische Schärfe in der Durcharbeitung des Materials, durch Gründlichkeit und völlige Objectivität der Darstellung der Ergebnisse aus. Freilich beschränkten sich sein Interesse und seine Fähigkeit auf die zahlenmäßige Behandlung; wenn die Tabellen correct hergestellt, umfassende Verhältnißzahlen berechnet und die Ergebnisse danach aufgereiht waren, so war die Grenze seiner Thätigkeit erreicht. Die Resultate der Statistik den Interessenten sozusagen menschlich näher zu bringen, insbesondere die volkswirthschaftliche Bedeutung der Zahlen zu erfassen und zu zeigen, lag ihm fern. In dieser Beschränkung, die sich ja auf dem Gebiet der eigentlichen Bevölkerungsstatistik am wenigsten fühlbar macht, muß er als ein hervorragender Gelehrter und Praktiker der Statistik bezeichnet werden.

In seinem oldenburgischen Wirkungskreise brachte er das von ihm geschaffene Bureau durch mannichfache Arbeiten, die hauptsächlich in den seit 1857 erscheinenden „Statistischen Nachrichten über das Großherzogthum Oldenburg“ veröffentlicht sind, bald zu Ansehen; insbesondere sind seine erfolgreichen Bemühungen um Verbesserung der Volkszählungen hervorzuheben. bei denen er schon 1855 die „Haushaltungs-Liste“ einführte, welche von den einzelnen Haushaltungsvorständen auszufüllen war und eine wesentliche Verbesserung gegen frühere unvollkommene Zählungsmethoden darstellte. Sie wurde dann in den deutschen Staaten das allgemeine Volkszählungsinstrument, bis sie 1871 in Preußen und entsprechend in einer Anzahl anderer Staaten durch die „Individual-Zählkarten“ und den „Zählbrief“ verdrängt wurde; eine Methode, die B. mit Recht als technisch unangemessen und die Bevölkerung ungebührlich belastend verwarf. In seinem Wirkungskreise als Director des Kaiserlichen Statistischen Amts hat B. im Verlaufe seiner 20jährigen Thätigkeit 106 Bände der „Statistik des Deutschen Reichs“ herausgegeben; 1877 wurden aus ihnen die „Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs“ als besondere Zeitschrift herausgelöst und 1880 wurde das „Statistische Jahrbuch für das Deutsche [326] Reich“ geschaffen. Unter den speciell als seine eigenen zu bezeichnenden Arbeiten des Kaiserlichen Statistischen Amts ist unzweifelhaft die bedeutendste die Berufsstatistik von 1882. Als zur Vorbereitung der Reichsversicherungsgesetze eine Zählung der Bevölkerung nach Beruf und Erwerb nöthig befunden wurde, bekam B. als Director des Kaiserlichen Statistischen Amts den Auftrag, eine solche Erhebung zu veranstalten. Der Plan zu der Berufszählung, an die eine Erhebung der landwirthschaftlichen und gewerblichen Betriebe angeknüpft war, wurde von ihm, unter Beistand seines Collegen aus Baden, Geheimrath Hardeck, ausgearbeitet und damit die erste streng systematische und erschöpfende Zählung der deutschen Bevölkerung nach ihren Berufsverhältnissen ins Werk gesetzt, die als eine Musterleistung allgemeine Anerkennung fand. Die Art der Bearbeitung der Ergebnisse (Band 2–7, N. F. der Statistik des Deutschen Reichs, Berlin 1884 bis 1886), die zum großen Theil auch von B. selbst ausgeführt ist, beeinträchtigte freilich den Nutzen, der aus dem Werk hätte geschöpft werden können, einigermaßen. Die Darstellung ist, wegen der, oben charakterisirten, Arbeitsweise Becker’s erstaunlich schwerfällig und leblos, so daß die Verwerthung der Ergebnisse dieser 1882er Zählung für weitere Kreise im Verhältniß zur Größe und Güte der Arbeit gering blieb.

Als sonstige Leistungen Becker’s von bleibendem Werth sind die auf Berechnung von Sterbetafeln bezüglichen zu nennen, nämlich: 1) „Preußische Sterbetafeln, berechnet auf Grund der Sterblichkeit in den sechs Jahren 1859 bis 1864, auch Vergleich mit fremden Sterbetafeln“ in der Zeitschrift des Königlich preußischen Statistischen Bureaus, 1869; 2) „Zur Berechnung der Sterbetafeln an die Bevölkerungsstatistik zu stellende Anforderungen“, Denkschrift für die 9. Session des Internationalen Statistischen Congresses 1874 zu Stockholm; 3) „Deutsche Sterbetafel, gegründet auf die Sterblichkeit der Reichsbevölkerung in den 10 Jahren 1871/72 bis 1880/83, nebst Vergleichungen mit anderen Sterbetafeln“ in den Monatsheften zur Statistik des D. R. 1887, XI; auch in der Hauptsache im Statistischen Jahrbuch f. d. D. R. 1891. Endlich sind von den wenigen Veröffentlichungen, die unter Becker’s Namen erschienen sind, zu erwähnen die Aufsätze: „Unsere Verluste durch Wanderung“ in Schmoller’s Jahrbuch für Gesetzgebung etc. 1887 und „Die Jahresschwankungen in der Häufigkeit verschiedener Bevölkerungs- und moralstatistischer Erscheinungen“ in Mayr’s Allgem. Statistischen Archiv 1893.

P. Kollmann, Artikel Becker im Biographischen Jahrbuch und deutschen Nekrolog von A. Bettelheim, I. Bd. Berlin 1897. – Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik 1898 (mit Porträt). – E. Blenck i. d. Zeitschrift des kgl. preußischen Statistischen Bureaus, 1896. – „Zur Geschichte d. Kaiserl. Statistischen Amts“ in d. Vierteljahrsheften z. Statistik d. D. R., 1896.