Zum Inhalt springen

ADB:Blefken, Dithmar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Blefken, Dithmar“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 17–19, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Blefken,_Dithmar&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 22:57 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Bleek, Wilhelm
Nächster>>>
Bleibtreu, Georg
Band 47 (1903), S. 17–19 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand September 2013, suchen)
Dithmar Blefken in Wikidata
GND-Nummer 129029742
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|17|19|Blefken, Dithmar|Viktor Hantzsch|ADB:Blefken, Dithmar}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=129029742}}    

Blefken: Dithmar B., Nordlandsreisender des 16. Jahrhunderts, stammte vermuthlich aus Niederdeutschland. Ort und Jahr seiner Geburt sind unbekannt. Er scheint entweder Theologie oder Chirurgie studirt zu haben und begab sich dann nach Hamburg. Daselbst fand er, wenn man den Angaben seines Reisewerkes Glauben schenken darf, eine Anstellung als Schiffsprediger auf einem Kauffahrer, mit dem er 1563 nach Island fuhr. Hier mußte er wegen einer längeren Krankheit, die ihn an der Rückreise hinderte, überwintern. Nachdem er neun Monate auf der Insel gelebt und dieselbe nebst ihren Bewohnern genügend kennen gelernt hatte, wünschte er auch die übrigen Länder des hohen Nordens zu besuchen. Während seiner Krankheit kam nämlich ein blinder Mönch zu ihm, der in seiner Jugend angeblich in einem Kloster des h. Thomas auf Grönland erzogen worden war und ihm allerlei Wunderbares über die Beschaffenheit dieser Insel, insbesondere über die Eisbären und die zwerghaften Menschen erzählte. B. beschloß nach seiner Genesung, sich durch eigenen Augenschein von der Wahrheit dieses Berichtes zu überzeugen. Im Frühjahr 1564 steuerte er mit einem kleinen aber festen Schiffe nach Westen zu und erreichte nach drei Wochen die grönländische Küste, da er aber keinen eisfreien Hafen fand, der ihm die Landung gestattete, kehrte er um, verfehlte aber Island und gerieth nach langer gefahrvoller, immer östlich gerichteter Fahrt an die Küste einer großen Insel, die von einem zwerghaften Fischervolke bewohnt war und die er für das 1553 von Sir Hugh Willoughby gesichtete Nowaja Semlja hielt. Da sich das Land als eine trostlose Eiswüste erwies, segelte er weiter, um die von den Geographen und Kartenzeichnern längst theoretisch vorausgesetzte nordöstliche Durchfahrt nach China zu entdecken, sah sich aber bald durch ungeheure Eismassen am Vorwärtskommen gehindert und kehrte deshalb unter großen Gefahren nach Island zurück. Hier traf er ein portugiesisches Schiff, auf dem er sich nach Lissabon begab. Von hier aus wollte er eine Fahrt nach Indien antreten, ging aber bereits in Goletta an der Barbareskenküste ans Land und traf einen Niederdeutschen, der in der Gefangenschaft der Seeräuber zum Islam übergetreten war. Er schloß sich diesem als Diener an und zog mit ihm durch Tunis und Algerien nach Marokko, wo er fünf Jahre lang bei ihm blieb. Von hier aus kehrte er nach Deutschland zurück und verfaßte auf Grund seiner Tagebücher eine Beschreibung seiner Reisen und der von ihm besuchten Nordländer. 1582 trat er in den Dienst des Erzbischofs von Köln, gerieth aber während einer Wanderung in der Nähe von Bonn unter eine Bande von Straßenräubern, die ihn völlig ausplünderten und ihm sogar sein Reisewerk wegnahmen. Erst 1588 erhielt er dasselbe durch Zufall von einem Soldaten wieder, der es in einem von den Bewohnern verlassenen Hause gefunden haben wollte. B. begab sich nun nach den Niederlanden, überarbeitete sein [18] Werk nochmals und ließ es 1607 mit einer Widmung an die Generalstaaten von Holland und Westfriesland drucken. 1608 wird er als Dorfpfarrer zu Gießen in Nordbrabant erwähnt. Ueber sein Lebensende ist nichts bekannt.

Blefken’s Beschreibung von Island war eins der gelesensten und merkwürdigsten Reisewerke des 17. Jahrhunderts. Es erlebte nicht weniger als 17 verschiedene Drucke. Die Originalausgabe erschien 1607 zu Leiden in lateinischer Sprache unter dem Titel „Islandia, sive populorum et mirabilium, quae in ea insula reperiuntur, accuratior descriptio, cui de Groenlandia sub finem quaedam adiecta“. Ein Neudruck kam 1609 ebenfalls in Leiden heraus. Kurz nach seiner ersten Veröffentlichung wurde das Buch, vermuthlich vom Verfasser selbst, ins Holländische übersetzt und erschien zuerst als „Een corte ende waraechtige Beschrijving der twee Eilanden Jislandt ende Groenlandt“ 1608 zu Groningen, dann unter verschiedenen Titeln ohne Jahr und 1615 in Amsterdam, 1651 in Dordrecht, 1652 ebendort in Adrian van Nispen’s Sammelwerke Verscheyde Voyagien ofte Reysen, in demselben Jahre in Amsterdam als Anhang zu der holländischen Ausgabe des Olaus Magnus, nach 1660 ebendort in der Saeghman’schen Reisesammlung Beschrijvinghe van de Noordtsche Landen, 1706 in Leiden als 17. Band von Pieter van der Aa’s Naaukeurige Verzameling der Reysen, sowie 1716 und 1720 in Leeuwarden. Ins Deutsche wurde es durch den Leipziger Geographen Hieronymus Megiser als „Beschreibung der mitternächtigen Insel Island“ übersetzt und seinem Werke Septentrio novantiquus oder die newe Nortwelt (Leipzig 1613) beigefügt. Andere deutsche Ausgaben erschienen zu Leipzig 1653, Frankfurt 1727 und Leipzig 1728. Eine englische Uebersetzung findet sich im 3. Bande von Purchas’ Pilgrims 1625.

Was den Inhalt des Buches anbelangt, so beschreibt B. darin zunächst seine Reiseerlebnisse, dann die natürliche Beschaffenheit der Insel Island, ihre Geschichte und ihre Bewohner, endlich die übrigen von ihm besuchten Nordländer. Wenn man seine Schilderungen liest, so gewinnt man den Eindruck, daß er Wahrheit und Dichtung mischt und sich namentlich nicht frei von Uebertreibungen hält. Als das Buch unter den nordischen Gelehrten bekannt wurde, bemerkten sie, daß es die Sitten ihres Volkes verdächtigte, indem es eine Menge theils lächerlicher, theils boshafter Geschichten von den Isländern erzählte. Damit so schimpfliche Behauptungen nicht unwidersprochen blieben und geglaubt würden, verfaßte der isländische Prediger Jonas Arngrim unter dem Titel Anatome Blefkeniana eine geharnischte Gegenschrift, welche 4 Auflagen erlebte (Kopenhagen 1612 und 1617; Hamburg 1613 und 1618) und nicht nur B. als einen boshaften Lügner bezeichnete, welcher statt der auf dem Titel seines Werkes versprochenen Beschreibung Islands weiter nichts geliefert habe als eine Sammlung von frechen Verleumdungen und Beschimpfungen, sondern auch Satz für Satz die angeblichen Unrichtigkeiten in seiner Darstellung zu widerlegen sich bemühte. Zum Schlusse kommt er zu dem Ergebniß, daß B. wahrscheinlich weder Island noch die übrigen nordischen Inseln jemals besucht, sondern sein Buch in Deutschland aus mangelhaften Berichten älterer Reisenden und auf Grund unzuverlässiger Schiffergeschichten zusammengeschrieben habe. Dieses harte Urtheil, das neuerdings auch von Seelmann und Baasch wiederholt wurde, erscheint wenigstens theilweise ungerecht. Allerdings steht fest, daß sich B. zahlreiche Uebertreibungen und Entstellungen zu Schulden kommen ließ. Zu vermuthen ist auch, daß er seine angebliche Reise nach Grönland und Nowaja Semlja nie ausgeführt hat, da die von ihm gelieferte Beschreibung dieser Länder alle individuellen Züge vermissen läßt und aus den Werken des Saxo Grammaticus, Albert Kranz, Olaus Magnus (1539) und des Niccolo und Antonio Zeno (1558), aus der Ausgabe des Adam von Bremen von 1595 und aus den [19] Berichten englischer und holländischer Schiffer über ihre Versuche, eine nordöstliche Durchfahrt nach China und Indien aufzufinden, abgeschrieben ist. Dagegen kann nicht geleugnet werden, daß seine Nachrichten über Island den Eindruck eigener Erlebnisse hervorrufen und zum großen Theil mit den Thatsachen übereinstimmen, wenn sie auch theilweise einem 1561 in Hamburg erschienenen niederdeutschen Gedichte von Gories Peerse über jene Insel entlehnt sind.

Hantzsch, Deutsche Reisende des 16. Jahrhunderts, 1895, S. 101–5. – Beckmann, Litteratur der älteren Reisebeschreibungen, 1807, I, 114–23. – Forster, Geschichte der Entdeckungen und Schiffahrten im Norden, 1784, S. 534. – Seelmann, Gories Peerse’s Gedicht Van Island (Jahrbuch des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung 1883, IX, 110). – Baasch, Forschungen z. Hamburgischen Handelsgeschichte I: Die Islandfahrt der Deutschen, namentlich der Hamburger, vom 15.–17. Jahrh. Hamburg 1889, S. 108.