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ADB:Bolzano, Bernard

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Artikel „Bolzano, Bernard“ von Karl Werner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 116–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bolzano,_Bernard&oldid=- (Version vom 17. Dezember 2024, 11:54 Uhr UTC)
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Band 3 (1876), S. 116–118 (Quelle).
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Bolzano: Bernhard B., philosophischer Denker, geb. zu Prag 5. Oct. 1781, ebendaselbst gestorben 18. Dec. 1848, beschäftigte sich frühzeitig mit Mathematik, für die er lebenslang besondere Vorliebe beibehielt, und deren bildenden Einfluß er so hoch stellte, daß er zu behaupten gewohnt war, ein [117] schwacher Mathematiker werde niemals ein starker Philosoph werden. Er wählte gegen den Willen seines Vaters aus Beruf und Neigung den geistlichen Stand, und betrieb während der Vorbereitung auf denselben seine wissenschaftliche Ausbildung so eifrig, daß er im Jahre seiner Priesterweihe (1805) auch schon zum Doctor der Philosophie promovirte und unter Einem zum Professor der Religionswissenschaft an der Hochschule zu Prag ernannt wurde, nachdem er das ihm gleichfalls angebotene Lehramt der Mathematik um jenes anderen willen, welches er wünschte und erhielt, ausgeschlagen hatte. Es widerfuhr ihm indeß, daß seine Lehrthätigkeit bereits in ihrem Beginne als neologisch und heterodox beargwohnt und angeklagt wurde; die ihm damals schon drohende Absetzung wurde durch seinen humanen und aufgeklärten Gönner, den Prager Erzbischof Fürst Salm-Salm abgewendet, der eigens nach Wien reiste, um sich zu Bolzano’s Gunsten zu verwenden. Demzufolge übte er nun durch 15 Jahre sein Lehramt unbehindert aus; im J. 1820 aber wurde er plötzlich seines Amtes entsetzt und durch Polizeimaßregeln in seiner schriftstellerischen Thätigkeit gehemmt. Diese Maßnahmen hingen mit den Ergebnissen einer Untersuchung zusammen,welche gegen Bolzano’s Schüler und Freund, den Seminardirector Dr. Fesl in Leitmeritz eingeleitet worden war, und zur Folge hatte, daß auch dieser seines Amtes enthoben wurde. Ohne Zweifel war das Einschreiten gegen diese beiden, sonst höchst ehrenwerthen und achtungswürdigen Männer auf wohlbegründete Indicien gestützt; Fesl hatte sich überdies gewisser Unklugheiten schuldig gemacht, die in dem damaligen Polizeistaate Oesterreich und bei dem Mißtrauen der Regierungen gegen den Geist der studirenden Jugend doppelt verfehlt waren, so unschädlich sie vielleicht auch an sich gewesen sein mochten. Genug, B. wurde in das Geschick Fesl’s hineingezogen und erschien sogar als der moralische Urheber dessen, was im Leitmeritzer Seminare vorgegangen und vorgefunden worden war; er konnte somit nicht länger in seinem amtlichen Wirkungskreise belassen werden, und es scheint in der That, daß die Einwirkung des damaligen sächsischen Rationalismus auf ihn sein Denken in so manchen Punkten des kirchlichen Bekenntnisses auf schiefe oder unzulängliche Anschauungs- und Vorstellungsweisen hingelenkt hatte, denen er in den mit ihm vorgenommenen kirchlichen Verhören nicht entsagen wollte. Er lebte von da größtentheils auf dem Landgute seines treuen Freundes Joh. Hoffmann in Techobuz bei Prag, wodurch seine kärgliche, auf eine dürftige Pension angewiesene äußere Existenz bedeutend erleichtert wurde. Im 1841 begab er sich wieder nach Prag zurück, um bei seinem Bruder zu leben; namhafte Geldunterstützungen, welche ihm in diesen letzten Jahren seines Lebens durch den Grafen Leo Thun zuflossen, setzten ihn in den Stand, nunmehr auch sein Bücherbedürfniß in ausgiebigerer Weise zu befriedigen. Nach seinem letzten Willen kam sein nachgelassener Büchervorrath an den Grafen Leo Thun zurück, der ihn dem wendischen Seminar zuwies. B. war seit dem Beginne seiner Wirksamkeit eine hochgeachtete Persönlichkeit, und sein Mißgeschick wendete ihm die vielseitigsten Sympathien zu; seiner Kirche war und blieb er treu ergeben, auf den Namen eines Theologen mochte er wol selbst keinen Anspruch machen. Obwol Philosoph von Profession, wollte er doch von Speculation im eigentlichen Sinne des Wortes nichts wissen, und hatte gegen die damaligen Vertreter derselben, namentlich gegen Schelling und Hegel viel einzuwenden. Im Uebrigen war er ein klarer, besonnener Denker und Freund einer methodisch geregelten Untersuchung, die er nur in einer ermüdenden, zur Tiefe seines Denkinhaltes nicht im Verhältniß stehenden Breite auszuführen liebte. Dies gilt wenigstens von seiner „Wissenschaftslehre“ in 4 Bänden (1837) – wol sein Hauptwerk, aber schon dadurch für den philosophischen Denkstandpunkt des Verfassers charakteristisch, daß die Wissenschaftslehre nichts anderes, als eben nur eine neue Darstellung der [118] Logik sein will. Wer übrigens weiß, daß in dem damaligen Oesterreich eine über das logistische Denken hinausgreifende Philosophie theils nicht gekannt, theils mit entschiedener Ungunst angesehen wurde, wird sich nur darüber wundern, daß Bolzano’s in seiner Art treffliches und vom damaligen österreichischen Standpunkt gewiß auch ganz unverfängliches Werk im eigenen Heimathlande so wenig Beachtung fand, und daß denn gar nie daran gedacht wurde, einen Mann von so entschiedener Leistungsfähigkeit und vielseitiger Bildung, der überdies ein eben so loyaler Unterthan war, als er wegen der Lauterkeit und Exemplarität seines Wandels und seiner Gesinnung geachtet und geehrt war, in irgend einer geeigneten Weise zu rehabilitiren, und für die Zwecke des Unterrichtes und der akademischen Jugendbildung fruchtbringend zu verwerthen. B. hat außer seiner Wissenschaftslehre eine große Zahl anderer Schriften philosophischen, religionswissenschaftlichen und mathematischen Inhaltes hinterlassen; er zog auch die Probleme der Aesthetik in den Bereich seiner Untersuchung, und wendete den Vorgängen im öffentlichen kirchlichen Leben seiner Zeit seine aufmerksame Theilnahme zu.

Vgl. Wurzbach’s Biogr. Lex.