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ADB:Brockes, Hinrich

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Artikel „Brokes, Heinrich“ von Wilhelm Mantels in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 346–349, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brockes,_Hinrich&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 02:47 Uhr UTC)
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Brokes: Heinrich B. ward als zweiter Sohn des 1585 verstorbenen Bürgermeisters Johann B. in Lübeck geboren am 3. Oct. 1567 und starb daselbst am 19. Dec. 1623. Von seinem strengen Vater sorgfältig erzogen und mit dem achten Lebensjahre zur lateinischen Schule gesandt, studirte er seit 1586 Jurisprudenz erst in Tübingen, dann in Marburg. Letzteren Ort verließ er im [347] Herbst 1590 in Folge einer Schlägerei der Studenten mit den Hofjunkern, hielt sich ohne viel Studiren in Köln und Straßburg auf, durchreiste die ganze Schweiz und ging 1591 nach Italien, wo er zwei Jahre blieb, abwechselnd in Padua studirend und das Land bis Neapel durchreisend. Den folgenden Winter verweilte er in Genf, durchzog dann trotz des andauernden Krieges mit der Ligue Frankreich und kam nach Paris, woselbst er den Winter auf 1595 sich aufhielt. Im März 1595 schiffte er sich nach Spanien in la Rochelle ein, willens, daß damals mächtigste Königreich der Welt zu sehen, reiste von Bayonne mit spanischen Eseltreibern zu Fuß über die Grenze und gelangte nach Madrid. Vergebens suchte er von hier seinem jüngeren zu Sevilla in Schulden gerathenen Bruder Konrad († 1598) zu helfen – auch ein älterer, Hans, starb einige Jahre später in verkommenen Umständen zu Valladolid. Im Sommer 1596 fuhr B. von Lissabon nach England, reiste auch hier und ging dann über Holland und Bremen nach Heidelberg, seine Studien abzuschließen; im Winter besuchte er Speier des Reichskammergerichts wegen. Er stand im Begriff, sich in einen Hofdienst zu begeben, etwa nach Würtemberg in eine Hofmeisterstelle bei den dortigen Prinzen, da für die Laufbahn eines damaligen Doctor juris sein Vermögen nicht ausreichte. Aber der Tod seiner Mutter rief ihn im September 1597 nach Lübeck zurück, und eine im Mai des nächsten Jahres erfolgende Heirath mit Magdalene, der schönen und vielumworbenen Tochter Bernhard Lüneburg’s, aus vornehmem und reichem Geschlechte, entschied über seine Zukunft und erhielt seiner Vaterstadt Lübeck einen ihrer ausgezeichnetsten Söhne. Offenbar steckte in B. etwas von dem unruhigen Geiste seiner Brüder. Er sollte bald Gelegenheit finden, was er bisher aus Neigung geübt, in amtlicher Stellung zu verwerthen. Seine bedeutenden Anlagen, die Fülle nicht blos gelehrter Kenntnisse, sondern praktischen Wissens, z. B. die völlige Beherrschung fremder Sprachen, sowie seine unabhängige äußere Lage mußten ihn schnell seinen Mitbürgern empfehlen. In den sog. Reiser’schen Unruhen, hervorgerufen durch die Hineinziehung Lübecks in die schwedischen Händel mit König Sigismund und die daraus erwachsende Handelsstockung, welche die Bürger zu Beschwerden über die ganze Verwaltung des Raths veranlaßte, ward B. gleich anfangs erst in das Colleg der Schonenfahrer und dann aus diesem in den Ausschuß gewählt, der mit dem Rath verhandeln sollte. Aber lange bevor die Sache ausgetragen ward (1605), hatten die rührigsten Rathsmitglieder die erste eintretende Vacanz benutzt, um B. 1601 in den Rath zu wählen. Schon 1609 ward er Bürgermeister. Während seiner zweiundzwanzigjährigen Amtswirksamkeit tritt namentlich die bedeutende Führung nach außen hervor. B. wird 1604 einer hansischen Gesandtschaft zur Beglückwünschung des neuen Herrschers Jakob I. von England beigeordnet, welche auch nach Frankreich an Heinrich IV. ging. Bestätigung der Privilegien ward dort wie hier gesucht, denn die französischen waren seit Heinrich II. nicht erneuert worden. B. und der hamburgische Rathmann Vogeler nahmen dabei ihren Weg über die spanischen Niederlande, um Ermäßigung eines neuen Ausfuhrzolles von 30 Procent zu erwirken. Diese zu erreichen, zugleich zur Erneuerung der portugiesischen Privilegien und zur Eintreibung hansischer Geldforderungen von der Regierung, ward zwei Jahre später B. mit Vogeler, dem Rathmann Holte aus Danzig und dem Syndicus Domann über Brüssel nach Paris und durch Frankreich nach Spanien gesandt. Erst im Januar 1608 traf er wieder in Lübeck ein. Sein Rückweg ging über Südfrankreich und die Schweiz nach Süddeutschland, um auch in Regensburg beim Reichstage und an des Kaisers Hof zu Prag der Stadt Bestes wahrzunehmen. Wie es auf dieser Reise gelungen war, französische und portugiesische Handelsfreiheiten zu behaupten und einen spanischen Tractat zu Stande zu bringen, der [348] Aufschwung des hansischen Handels versprach, so ward einige Jahre später die Verbindung mit der Republik der Niederlande benutzt, um für den kleinen Rest norddeutscher Handelsstädte einen Anhalt gegen fürstliche Gewalt zu gewinnen und namentlich den Uebergriffen Christians IV. von Dänemark und der Herzöge von Braunschweig zu wehren. Die Seele aller Verhandlungen war wieder B., welcher persönlich 1612 und 1613 im Haag das Beste gethan hat, um eine Conföderation zum Schutz der Freiheit des Seehandels mit den Generalstaaten zu schließen und auch ihren gewaffneten Beistand gegen den Herzog von Braunschweig zu gewinnen. Derselbe setzte am 21. Dec. 1615 den Steterburger Vertrag durch zwischen dem Herzog und der lange umlagerten, in die Reichsacht gefallenen Stadt. – Man bewundert die gewundenen Gänge diplomatischer Kunst, welche B. einzuschlagen weiß. Die Gunst Schwedens, namentlich später Gustav Adolfs, wird gegen Dänemark verwerthet, Englands Vermittlung angenommen, die kleineren Fürsten Norddeutschlands durch Hinweis auf den drohenden dänischen Einfluß gewonnen. Es gilt die Generalstaaten zu Freunden zu haben und doch später nicht in den Kampf gegen Spanien, der damals ruhte, hineingezogen zu werden, die Unabhängigkeit der Stadt Braunschweig möglichst zu wahren und den fürstlichen Hoheitsrechten nicht zu nahe zu treten, den katholischen Kaiser für die evangelischen Städte zu interessiren und doch durch Gehorsam gegen seine Mandate und Geldforderungen die evangelischen Stände nicht zu entfremden. Dabei hatte der Bürgermeister zu kämpfen mit der Lauheit der hansischen Bundesgenossen, der Zahlungsunlust seiner Bürger, den Verdächtigungen der lutherischen Geistlichkeit gegen Bündnisse mit Reformirten. Aber B. war diesem allem gewachsen. Die früh gewonnene Lebenserfahrung, die eigene Einsicht in fremde Zustände, die Personalkenntniß und namentlich die Bekanntschaft mit allen leitenden und vielen fürstlichen Persönlichkeiten halfen über jedes Hinderniß hinweg. Noch bedenklichere Aufgaben stellten ihm die letzten Lebensjahre, insofern Anforderungen der Unirten sowol als des Kaisers und der Ligue, auch fremder Potentaten, an die noch immer wohlhabende und für unermeßlich reich gehaltene Stadt kamen, sich an die eine oder andere Partei anzuschließen. Die Aufrechthaltung ihrer Neutralität unter solchen Umständen und der Schutz der eigenen und Bundesinteressen erforderte zudem die Aufwendung einer bedeutenden Kriegsmacht. Auch hierfür sehen wir B. thätig, er besorgt die Kriegsverträge und Matricularumlagen, wirbt die Führer und ihre Compagnien, schafft die Gelder an etc. Auch die Stadtvertheidigung, Ausbau der Fortificationen, Befestigung des Hafens, Austiefung des Fahrwassers werden vorgesehen und die Baumeister zum Theil von fern her verschrieben. Mit gleichem Geschick ebnet er die unaufhörlichen Schwierigkeiten, welche die Plackerei der Nachbarfürsten der Stadt oft in unmittelbarster Nähe, zur Geltendmachung ihrer landesherrlichen Rechte, aufhäuft. Auch mit den aufsätzigen Elementen in der Stadt bei Bürgerschaft und Geistlichkeit wird er immer leicht fertig. In jedem Zweige der Verwaltung zeigt er sich thätig, eine ganze Reihe veränderter Einrichtungen sind ihm zu danken. Während ihn die einträglichere Ausnutzung der städtischen Mühlen und die Hebung der Intraden der Stadtgüter beschäftigt, betreibt er die Besserung der gelehrten Schule, durchgreifende Umordnung des Archivs, eigenhändige Zusammenstellung und Fortsetzung chronikalischer Nachrichten über die Geschichte der Stadt. So dürfen wir B. unbedingt einen der größten Bürgermeister nennen, den unsere Stadt je gehabt hat. Man möchte wünschen, daß er ein Jahrhundert früher gelebt hätte, um sich eines glänzenderen Erfolgs seiner Thätigkeit erfreuen zu können. Aber abgesehen davon, ob sein Wirken, das vorwiegend auf umfassender weltmännischer Bildung beruht, dann ebenso bedeutungsvoll hervorgetreten wäre, würden wir ohne diese Bildung [349] schwerlich ausreichend darüber unterrichtet sein. Denn der Berichterstatter ist B. selbst, der ein umfangreiches Tagebuch von 1603–1620 niederschrieb, dem gleichzeitig gemachte kurze Aufzeichnungen zum Anhalt dienten. Diese letzteren, im vorigen Jahrhundert noch vorhanden, werden jetzt vermißt. Das Tagebuch aber ist nach dem Aussterben der Familie in den Besitz des Vereins für Lüb. Geschichte gelangt. Aus demselben ward die spanische Gesandtschaft 1774 in Hamburg veröffentlicht in Dr. Nik. Wilken’s Nachricht von der 1606 und 1607 an den König von Spanien abgeordneten Gesandtschaft etc. Den vollständigen Inhalt in lebensfrischer Zusammenstellung theilt Pauli mit: „Aus dem Tagebuche des Lüb. Bürgermeisters H. B.“ in Zeitschrift des Vereins für Lüb. Geschichte 1, S. 79 ff. 173 ff. 281 ff. 2, S. 1 ff. 254 ff. 367 ff. Vgl. außerdem: H. Brokes (der Jurist), De praeclaris H. Brokes consulis in gymn. Lubecense meritis. Lub. 1763. 4. v. Seelen, Athenae. Lub. 1 p. 125 sqq.