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ADB:Buff, Lotte

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Artikel „Kestner, Charlotte“ von Jakob Minor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 662–663, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Buff,_Lotte&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Kestner: Charlotte K. geb. Buff, ist als Urbild der Lotte in Goethes Werther schon bald nach dem Erscheinen des Romanes berühmt geworden. Geboren am 31. Januar 1753 als die zweitälteste Tochter des Deutschordensamtmannes Buff in Wetzlar, war sie seit dem Tode ihrer Mutter (1771), als deren vollkommenes Abbild sie galt, das Haupt einer aus zehn Kindern bestehenden Familie. Goethes Roman schildert ihr liebevolles häusliches Walten getreu nach der Wirklichkeit. Durch ihren Bräutigam Johann Christian Kestner, kurfürstlich hannöverschen Gesandtschaftssecretär bei der Kammergerichtsvisitation in Wetzlar (geb. am 28. August 1741), mit dem sie seit 1768 verlobt war, lernte sie Goethe im Sommer 1772 auf die im Romane (Brief vom 16. Juni) ziemlich genau nach [663] den wirklichen Vorgängen geschilderte Weise kennen. Goethe verkehrte fast täglich im Buff’schen Hause und konnte und wollte seine Neigung zur Braut seines Freundes nicht verhehlen. Die Krisis in ihrem Verhältnisse fand am 16. August 1772 nach einem von Goethe geraubten Kusse statt, wo Lotte ihm erklärte, daß er nicht mehr als Freundschaft hoffen dürfe. Wie Goethe in der Handlung des Werther sein und Jerusalems Schicksal, wie er in der Person des Werther sich und Jerusalem verschmolz, so ist auch die Lotte des Romanes nicht in allem ein getreues Abbild von Charlotte Buff, sondern auch in ihr sind zwei Personen, Charlotte Buff und Maxe Brentano mit einander verschmolzen. Schon die äußere Personsbeschreibung stimmt nicht zu Lotten, welche blondes Haar und blaue Augen hatte. Ebenso widersprechen die sentimentalen Züge durchaus dem lebhaften, fast muthwilligen, allem Romanhaften abgeneigten Wesen Charlottens. Ueberhaupt treten im zweiten Buche des Werther, wo das Schicksal Jerusalems vor Goethes eigenen Leiden in den Vordergrund tritt, gerade auch die Beziehungen auf Charlotte Buff und ihr Verhältniß zu Kestner (beide hatte Goethe nur als Verlobte, nicht in der Ehe gekannt) hinter denen, welche das Haus Brentanos in Frankfurt bot, zurück. Auch nachdem Goethe im September 1772 Wetzlar verlassen hatte (die letzten Gespräche mit Lotte und Kestner verwerthet die dichterische Darstellung am Schluß des ersten Buches des Werther), blieb er in freundschaftlichem Briefwechsel mit Kestner. Er besorgt die Eheringe; der Tag der Hochzeit Lottens mit Kestner (Palmsonntag 1773) muß ihm zwar verschwiegen werden, aber als er von der vollzogenen Heirath hört, schreibt er den in den Werther unterm 26. Februar eingerückten Brief, worin er den zweiten Platz nach Kestner in Lottens Herzen beansprucht. Durch die schonungslose Offenheit auf der einen und auf der anderen Seite durch die absichtliche Umgestaltung, mit der Goethe sein Verhältniß zu Lotte und Kestner dargestellt hatte, durch die Mißdeutungen denen es ausgesetzt war, fühlte sich Kestner nach dem Erscheinen des Werther verletzt, worüber ihn Goethe in einem schönen Briefe beruhigt; in der Ausgabe des Werther vom J. 1787 suchte Goethe die Figur des Bräutigams zu heben. Lotte und Kestner zogen bald nach der Hochzeit nach Hannover, und bis 1776 blieb Goethe in eifrigem Briefwechsel mit dem jungen Ehepaare; von da bis 1800 schrieb er seltner. Nach Kestners Tode (er starb am 24. Mai 1800 als Hofrath und Vizearchivar, Amts- , Lands- und Lehnfiscal) scheint Goethe noch hie und da an Lotte geschrieben zu haben. Im J. 1816 sah Goethe sie in Weimar wieder, wo sie als Mutter von 12 Kindern und sechzigjährige Frau mit wackelndem Kopfe eine verheirathete Schwester besuchte. Noch 1824 sendet ihr Goethe durch Eckermann einen Gruß. Sie starb am 16. Januar 1828.

Ueber das Verhältniß Charlotte Buffs zu Goethe, über die Beziehungen des Romanes zur Wirklichkeit giebt vollständigen Aufschluß die Schrift: Goethe und Werther. Briefe Goethes, meistens aus seiner Jugendzeit, mit erläuternden Documenten, herausgegeben von A. Kestner, königl. hannov. Legationsrath, Ministerresident bei dem päpstlichen Stuhle in Rom. Stuttgart und Tübingen 1854. (Der Herausgeber ist Charlottens vierter Sohn.) Die Irrthümer, welche in Ausdeutung des Romanes auf wirkliche Begebenheiten gemacht wurden, hatte zum Theile schon früher Düntzer widerlegt in der Schrift: „Zu Goethes Jubelfeier, Studien zu Goethes Werken“ (Elberfeld und Iserlohn 1849) S. 89–211. Derselbe berichtet im Morgenblatte 1864 S. 1057 ff. über „Charlotte Buff und ihre Familie“. Ein Artikel „Charlotte Buff und ihre Geschwister und Nachkommen“ in der deutschen Warte III 1872 (von B. Meyer) war mir nicht zugänglich. Neuerdings ist besonders W. Herbst: Goethe in Wetzlar, 1772. Vier Monate aus des Dichters Jugendleben (Gotha 1881) S. 104 ff. zu vergleichen.