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ADB:Bullinger, Heinrich

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Artikel „Bullinger, Heinrich“ von Johann Kaspar Mörikofer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 513–514, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bullinger,_Heinrich&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 03:22 Uhr UTC)
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Bullinger: Heinrich B. (geb. 1504, † 1575), von Bremgarten, unter den Reformatoren einer zweiten Ranges, aber wol unter allen der untadelhafteste und maßvollste: denn er war in den mannigfaltigsten Conflicten besonnen und fest ohne Härte, und versöhnlich und vermittelnd ohne Aengstlichkeit und Schwäche. Den am Niederrhein Gebildeten erfüllte die reine, seelenvolle Frömmigkeit eines Thomas von Kempen. Neunzehn Jahre alt als Lehrer für die Auslegung der Schrift in das Kloster Kappel berufen, bewährte er sich als ausgezeichneter Schüler und Mitarbeiter Zwingli’s und zunächst als Reformator des Klosters. 1529 wurde er evangelischer Prediger seiner Vaterstadt und erlangte als solcher im Vaterlande großes Ansehen. Als Bremgarten nach der Schlacht bei Kappel die schwere Hand des Siegers erfuhr, floh B. nach Zürich. Der siebenundzwanzigjährige Mann wurde zugleich von Zürich, Bern und Basel an die erste Pfarrstelle berufen; er fühlte sich aber zunächst verpflichtet, in Zwingli’s Fußstapfen zu treten. Doch als der Rath die Geistlichen Zürichs in der freien Predigt beschränken wollte, erschien B. an der Spitze seiner Collegen vor der Obrigkeit mit der Erklärung, „das Wort Gottes wolle nicht gebunden sein“. Nicht nur erkämpfte er den Grundsatz, im Geiste Zwingli’s predigen zu dürfen, sondern er brachte die Sitte auf, daß die Diener der Kirche und der Schule Zürichs an die „Rathsstube klopfen“ durften, um in Angelegenheiten der Kirche und des Vaterlandes ihre Bitten und Gutachten mündlich vorzutragen. Das Ansehen, das der Vorsteher der zürcherischen Kirche genoß und die dadurch herbeigeführte Einigkeit zwischen Staat und Kirche verminderte den Nachtheil vollkommener Abhängigkeit der letzteren vom ersteren und erleichterte namentlich das einträchtige [514] Zusammengehen der evangelischen Städte der Schweiz. Daher ist die erste helvetische oder zweite Baseler Confession (1536) wesentlich Bullinger’s Werk, und daß dieser Calvin für den zürcherischen Consensus (1549) gewann, gab der reformirten Kirche ein Bekenntniß, in welchem sich zuerst alle derselben angehörige Länder vereinigt fühlten. So blieb, selbst neben dem großen Calvin, der würde- und friedvolle B. lebenslang die erste Autorität und der verehrteste Kirchenvater der reformirten Confession, so daß er endlich die Befriedigung hatte, in seinem reifsten und verdienstvollsten Werke, der zweiten helvetischen Confession (1566), seiner Kirche eine Glaubensnorm zu gewähren, welche für den reformirten Kreis dasselbe geworden und Jahrhunderte geblieben, was die augsburgische Confession für Luther’s Glaubensgenossen war. Bullinger’s Schriftauslegungen wurden sehr geschätzt, mochte seinen Arbeiten auch die Breite Eintrag thun. Auch in den Streitschriften verläugnete sich die Würde des evangelischen Friedensmannes nicht; und so viel ihm am Einverständniß mit Luther und Melanchthon gelegen war, so stand er doch sein Leben lang gegen Luther’s Leidenschaft und Calvin’s Vorurtheil treu und tapfer für seinen Lehrer und Meister Zwingli ein, dessen Werke er herausgab und dem er in seiner Chronik, und namentlich in der zweiten Hälfte derselben, in der Reformationsgeschichte der Schweiz (gedruckt 1838–40, 3 Bde.), ein werthvolles Denkmal gestiftet, durch welches er als Geschichtsschreiber Tschudi an die Seite tritt, indem dieses, eine Hauptquelle für die Schweizergeschichte, durch genaue Kenntniß der Verhältnisse, gesundes Urtheil und treuherzige Sprache sich auszeichnet. Aus dem Jahre 1533 ist uns ein anonym erschienenes Drama von ihm erhalten: „Lucretia“ (Basel 1533; vgl. Weller, Schweizer Volkstheater S. 23 ff.). Die Verführung Lucretia’s ist darin nur oberflächlich behandelt; die Tendenz des Stückes ist vielmehr eine politische. Es ist aus republikanischem Selbstgefühl erwachsen. Dem Tyrannen Tarquin gegenüber erscheint Brutus als Muster staatsmännischer Tugend. Die Verschwörer, welche sich nach der Ueppigkeit und Zuchtlosigkeit des Hoflebens sehnen, heißen Pensioner mit deutlicher Beziehung und mit ausdrücklichem Tadel derer, die das „Vatterland verkaufen“. Der Herold wendet sich geradezu an die Räthe und ermahnt sie „am rechten“ zu „bleiben steht“. Bullinger’s Haus war eine stets offene Zufluchtstätte für verfolgte Glaubensgenossen von nah und fern; zahlreiche Italiener, Franzosen und Engländer verehrten in ihm einen Wohlthäter und Beschützer, und die Briefe der königlichen Johanna Grey bezeugen deren Dank für seinen Trost auf dem nahen Todesgange.

Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche. Bd. V. H. Bullinger von C. Pestalozzi. 1858.