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ADB:Cholevius, Karl Leo

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Artikel „Cholevius, Karl Leo“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 478–480, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Cholevius,_Karl_Leo&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 09:36 Uhr UTC)
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Cholevius: Karl Leo Ch., Schulmann und Litterarhistoriker, wurde am 11. März 1814 in dem kleinen ostpreußischen Städtchen Barten, wo sein Vater Kaufmann war, geboren, erhielt seine Schulbildung auf dem Gymnasium zu Rastenburg und bezog Ostern 1833 die Universität Königsberg, um Philologie und Geschichte zu studiren. 1837 bestand er die Prüfung pro facultate docendi, absolvirte dann sein Probejahr in Rastenburg und siedelte, nachdem er dort noch einige Zeit weiter beschäftigt worden war, Michaelis 1839 als Hülfslehrer an das Kneiphöfische Gymnasium in Königsberg über. Dieser Anstalt, an der er 1842 als ordentlicher Lehrer fest angestellt wurde, ist er treu geblieben, bis ihn im Herbst 1878 körperliche Hinfälligkeit zwang, aus dem Schuldienst auszuscheiden. 1857 war ihm der Titel Professor verliehen worden, 1862 (am 21. Juli) hatte ihn die philosophische Facultät der Albertina durch Verleihung der Doctorwürde honoris causa ausgezeichnet. Seine Pensionirung bot dankbaren Schülern aus seiner langjährigen Lehrthätigkeit den Anlaß, ihm in großer Zahl vereint ihre anhängliche Verehrung zu beweisen. [479] Um wenige Wochen nur hat Ch. den festlichen Tag überlebt; am 13. December 1878 ist er gestorben.

Ch. war ein Lehrer von tiefem wissenschaftlichen und sittlichen Ernst, dem seine Schüler zugleich ein feinfühlendes Verständniß für ihre Individualitäten nachrühmen. Wie hoch ihm sein Beruf stand, davon legt seine nicht unbeträchtliche litterarische Thätigkeit Zeugniß ab: denn direct und indirect sind wol alle seine Bücher aus den Anregungen und Aufgaben erwachsen, die ihm seine Wirksamkeit als Lehrer der Geschichte und insbesondere des Deutschen in den obersten Gymnasialclassen brachte. Nicht nur die „Dispositionen und Materialien zu deutschen Aufsätzen über Themata der beiden ersten Classen“ (2 Theile, 1860 u. 1862), von denen er noch die 8. Auflage erlebt hat, oder die „Aesthetische und historische Einleitung nebst fortlaufender Erläuterung von Goethe’s Hermann und Dorothea“ (1863), sondern auch sein großes zweibändiges Hauptwerk „Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen“ (1854, 1856). Es ist wenig bekannt, daß der Verfasser dieses Buches, das bisher noch durch kein ähnliches überholt ist, gar nicht classischer Philologe war: Ch. hat kaum je griechischen Unterricht gegeben und vom Lateinischen bald nur noch die Vergilstunden, wie es scheint aus besonderer Neigung, beibehalten. Der Wunsch, sich und anderen über das Verhältniß unserer litterarischen Cultur zur Antike und zum Humanismus historische Klarheit zu verschaffen, wurde ihm gleichmäßig durch die Aufgaben des litterargeschichtlichen Vortrags und durch die anscheinende Zerfahrenheit in den Litteraturzuständen der Gegenwart nahegelegt. Statt sich mit einer Studienreihe zu begnügen, hat Ch. eine vollständige deutsche Litteraturgeschichte unter dem einen Gesichtswinkel des antiken Einflusses und der künstlerischen Maaßstäbe der Alten geschrieben, ein sehr ernsthaftes, aber ein wenig fesselndes Werk, das doch nicht tief genug greifen konnte, um durchgehends die historische Erkenntniß zu fördern, und das in der Beurtheilung der zeitgenössischen Litteratur gänzlich fehlgriff, wenn es im Drama Hebbel’s nur „den vollendeten Abfall von der Tragödie der Alten und der Classiker“ erblickte oder, den Unterschied zwischen Auerbach und J. Gotthelf kaum beachtend, in beider Dorfgeschichten, „die Unschuld des Idylles verletzt“ fand. Hätte sich Ch., wozu er wohl im Stande war, entschlossen, an den wichtigsten Punkten tiefer zu graben, und dafür auf die Gesammtdarstellung zu verzichten, er würde einen nachhaltigern Erfolg erzielt haben. Aber das Werk verdient auch so unsern Respect, und mit Wehmuth gedenken wir gerade im Jahre 1901 der Lehrergeneration, aus deren Berufsauffassung solche Bücher hervorgehen konnten.

Die oft recht mühseligen Vorarbeiten für sein Hauptwerk hatten Ch. überzeugt, daß es auf manchen Gebieten unserer Litteraturgeschichte noch an der ersten Urbarmachung fehle. Und so setzte er, energisch und entsagungsvoll, selbst an einem Punkte ein, wo sauere Pionierarbeit Noth zu thun schien, und schrieb über „Die bedeutendsten deutschen Romane des 17. Jahrhunderts“ (1866) ein Buch ohne eingehende Detailforschung, aber mit brauchbaren Analysen und Charakteristiken. Die innere Verwandtschaft mancher dieser Erzeugnisse mit den spätgriechischen Romanen war ihm schon früher aufgegangen, und so hängt auch dies Werk mit seinen centralen Interessen eng zusammen.

Daneben bewahrte der Königsberger Gymnasiallehrer, der seine Heimathsprovinz kaum je verlassen haben dürfte, den bedeutenden und charakteristischen litterarischen Erscheinungen Ostpreußens eine dauernde Vorliebe. Eine Gratulationsschrift zum Universitätsjubiläum, „Herders Bestrebungen innerhalb der schönen Litteratur“ war (1844) sein Debut gewesen, und mit einem Programm [480] über „Die Verkehrssprache in Sophiens Reise von Memel nach Sachsen“ schloß er (1873) seine litterarische Thätigkeit ab.

Nekrologe von Ernst Wichert in der Königsberger Hartung’schen Zeitung 1878, Nr. 301, von Paul Schlenther in der Königsberger Allgem. Zeitung 1878, Nr. 298.