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ADB:Christlieb, Theodor

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Artikel „Christlieb, Theodor“ von Ernst Christian Achelis in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 483–486, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Christlieb,_Theodor&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:48 Uhr UTC)
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Christlieb: Theodor Ch., Doctor, Professor der praktischen Theologie zu Bonn, geboren am 7. März 1833, † am 15. August 1889, entstammte dem Pfarrhause zu Birkenfeld in Württemberg. Im Lyceum zu Tübingen und im Kloster zu Maulbronn empfing er die Vorbildung zu den Universitätsstudien, die er 1851–1855 als Mitglied des evangelischen Stiftes in Tübingen absolvirte. Nach kurzer Wirksamkeit als Hauslehrer in Montpellier und als Gehilfe seines Vaters in Ludwigsburg wurde er Pfarrverweser in Ruith bei Stuttgart. Von den theologischen Lehrern in Tübingen hatte wohl nur Johann Tobias Beck einen bestimmenden Einfluß auf Ch. gewonnen, in Ruith trat er in nahe Verbindung mit dem Pietismus der Stundenleute: Beck und der württembergische Pietismus blieben die hauptsächlichen Factoren für Christlieb’s theologische und kirchliche Stellung. Auf Grund seiner Dissertation über Johannes Scotus Erigena 1857, aus der sein größeres Werk über denselben Scholastiker hervorging, promovirte er in der philosophischen [484] Facultät in Tübingen. Im J. 1858 folgte Ch. einem Ruf als Prediger an die deutsche Gemeinde in London (Islington), wo er sieben Jahre wirkte. In England wurde sein in der Heimath bereits erwecktes Interesse für die Heidenmission mächtig angeregt, aber auch seine Vorliebe für englisches Christenthum, wie es vornehmlich in der Presbyterianerkirche lebte. Auf den Ruf des Königs von Württemberg siedelte er 1865 als Pfarrer nach Friedrichshafen über. Die Nähe der Schweiz mit ihren zerrütteten kirchlichen Zuständen zeitigte apologetische Vorträge, die er in St. Gallen und Winterthur hielt; aus ihnen ging das größere Werk: „Moderne Zweifel am christlichen Glauben für ernstlich Suchende erörtert“ hervor (1870). Obgleich die Vorträge nicht für wissenschaftliche Theologen, sondern für den weiteren Kreis der Gebildeten überhaupt bestimmt waren, zeigen sie doch die Eigenthümlichkeiten, die Schroffheiten und Halbheiten der religiösen und theologischen Anschauung Christlieb’s deutlich auf. Moderne Bildung und Christenthum sind ihm feindliche Gegensätze, er constatirt zwar den Unterschied zwischen Christenthum und überlieferter Kirchenlehre und will nicht jeden Gegner dieser zu den Gegnern des Christenthums rechnen, er fordert aber von jedem Gläubigen die Zustimmung zu den christlichen Hauptwahrheiten in der überlieferten Lehrform, während er nebensächliche Lehren preisgibt. Die traditionelle Inspirationslehre will er in thesi nicht festhalten, in praxi jedoch wird sie überall, bei Bileams Esel, dem Stillstand der Sonne, dem Wallfisch des Jonas, wie in der gezwungenen Harmonistik der evangelischen Auferstehungsberichte durchgeführt. In der Darstellung der biblischen Gotteslehre bekämpft er den Materialismus, Pantheismus und Deismus, in der Darstellung des Lebens Jesu die Werke von D. Schenkel, D. Fr. Strauß und Renan, in der Darstellung des Urchristenthums die Aufstellungen von Ferd. Chr. v. Baur.

Im J. 1868 wurde Ch. in das Amt des Professors der praktischen Theologie und des Universitätspredigers nach Bonn berufen, wo er bis zu seinem Tode eine reiche Thätigkeit entfaltete. Einen Ruf nach Leipzig (1869), später (1880) einen Ruf an das theologische Seminar der Presbyterianer in London, lehnte er ab; 1870 wurde er von der theologischen Facultät zu Berlin zum Doctor der Theologie honoris causa ernannt. Außer gelegentlicher Vorlesung über den Religions- und Gottesbegriff der neueren Philosophie las Ch. über alle Disciplinen der praktischen Theologie. Seine Hauptvorlesung war die über Homiletik; sie wurde nach seinem Tode (1893) herausgegeben. Der Hauptvorzug dieses Werkes ist der tiefe Ernst, in dem er auf die religiös-sittliche Tüchtigkeit des Predigers dringt, nicht weniger die Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, als dem Worte Gottes, die er seinen Hörern einzupflanzen sucht; bezeichnend ist es, daß er statt des Namens Homiletik die Bezeichnung Martyretik empfiehlt; eine wissenschaftliche Förderung der Homiletik ist von Ch. nicht erzielt, vielleicht auch nicht beabsichtigt. Was er auf dem Katheder vortrug, verwirklichte er auf der Kanzel. Seine imponirende schöne Gestalt, sein kräftiges wohlklingendes Organ, vor allem der Inhalt seiner Predigten, die württembergische exegesirende Art, die Sprache tiefster Ueberzeugung und Ergriffenheit, das Dringen auf völlige und wahrhaftige Bekehrung, alles dies hatte eine große Anziehungskraft und wurde Vielen zu bleibendem Gewinn. Die collegialische Stellung Christlieb’s in Bonn blieb dagegen nicht ohne Trübung. Seine schroffe Ablehnung der biblischen Kritik, die Neigung, Abweichungen von traditionellen Auffassungen auf Unglauben zurückzuführen, namentlich aber der ihm nicht fernstehende Roman: „Die Studiengenossen“, in dem auf dem Hintergrund von Caricaturzeichnungen der theologischen Collegen in Bonn Ch. als der allein gläubige Professor hingestellt wird, machten seine [485] Stellung einsam, besonders nachdem sein College K. B. Hundeshagen, mit dem ihn treue Freundschaft verband, und dem er ein liebevolles biographisches Denkmal errichtete, aus dem Leben geschieden war (1873). Um so mehr wandte sich das Interesse Christlieb’s der alten Vorliebe für englisches Christenthum mit seinem Freikirchenwesen zu; eine Verbindung des deutschen, englischen und amerikanischen Protestantismus schien ihm Lebensbedingung für die Weltstellung der protestantischen Kirche zu sein. Die evangelische Allianz war ihm das geeignete Mittel für diesen Zweck. Mit Friedrich Fabri gründete er den westdeutschen Zweig der Allianz; auf der Versammlung in New-York (1873) hielt er einen weithin bekannt gewordenen Vortrag über die besten Methoden zur Bekämpfung des modernen Unglaubens, in dem er zwar der Hauptsache nach die Gedanken seiner „Modernen Zweifel“ wiederholte, aber auch auf christliches Gemeindeleben und Mitarbeit der Laien kräftig hinwies; auf der Versammlung zu Basel (1879) beschwerte er sich über die „Mission“ der Methodisten innerhalb der deutschen Landeskirchen, betonte jedoch andererseits, daß die Landeskirchen ihre Pflicht nicht erfüllten, und daß die Gewinnung Ungläubiger durch die Methodisten nur zu begrüßen sei; auf der Versammlung in Kopenhagen (1884) sprach er „über die religiöse Gleichgültigkeit und die besten Mittel zu ihrer Bekämpfung“, um die freie Evangelisation durch unterrichtete Laien zu empfehlen.

Die Gedanken, die Ch. dort aussprach, hatten bereits 1883 Gestalt gewonnen. Mit den Grafen Bernstorff und Pückler hatte Ch. den deutschen Evangelisationsverein gegründet; in Bonn wurde eine Capelle der Presbyterianer mit einem großen Hause angekauft und darin die Evangelistenschule, „das Johanneum“, errichtet. Ch. selbst forderte ausdrücklich Anschluß der Evangelisten an das kirchliche Amt; nicht Christlieb’s Absicht, aber die ratio rei führte bald und bleibend zu ärgerlichen Rücksichtslosigkeiten gegen die kirchliche Ordnung, besonders als die Anstalt nach Christlieb’s Tode nach Barmen übergesiedelt war.

Die thatkräftige Liebe zur Heidenmission ging mit diesen Bestrebungen Hand in Hand. Mit G. Warneck gründete er die „Allgemeine Missionszeitschrift“; die meisten seiner Missionsschriften und mehrere biographische und methodische Aufsätze sind in dieser Zeitschrift erschienen. „Der Missionsberuf des evangelischen Deutschlands“ (1876), „Der indobritische Opiumhandel und seine Wirkungen“ (1878), „Der gegenwärtige Stand der evangelischen Heidenmission“ (1879), und seine letzte Schrift: „Die ärztlichen Missionen“ (1889) sind die bedeutendsten.

In voller Manneskraft wurde Ch. im Frühling 1889 das Opfer einer tückischen Krankheit, des Nierenkrebses. Mit Aufbietung großer Kraft versah er sein Amt, bis am 15. August seinem Leiden ein sanftes Ende beschert wurde. Seine letzte Arbeit war die Abordnung von zwei Zöglingen des Johanneums.

Seine Schriften: „Die Auflegung des Namens Gottes auf die Gemeinde oder der Segen des Herrn. Vier Predigten über 4. Mose 6, 22–27“. Ludwigsburg (Basel) 1860. Zweite Auflage. Bonn 1878; „Das Gleichniß vom ungerechten Haushalter oder was sollen wir von den Kindern dieser Welt lernen? Eine Predigt über Luc. 16, 1–12“, ebendaselbst 1861; „Leben und Lehre des Johannes Scotus Erigena in ihrem Zusammenhang mit der vorhergehenden und unter Angabe ihrer Berührungspunkte mit der neueren Philosophie und Theologie dargestellt. Mit Vorwort von Landerer“. Gotha 1860; „Abschiedsworte an die Gemeinde“. Stuttgart 1868; „Predigt am 20. Sonntag nach Trin. 1868 zum Antritt des Universitätspredigeramtes [486] in der evangelischen Kirche zu Bonn gehalten“. Bonn 1868; „Vorwärts im Werke des Herrn. Predigt am Jahresfeste der rheinischen Missionsgesellschaft, gehalten in Barmen am 11. August 1869“. Barmen 1869; „Was thut der Christ im Anblick ernster Entscheidungen? Predigt, am 17. Juli 1870 in der evangelischen Kirche in Bonn gehalten.“ 1. und 2. Aufl. Bonn 1870; „Moderne Zweifel am christlichen Glauben in Vorträgen für Gebildete.“ 8 Hefte. Basel 1866–1868; „Moderne Zweifel am christlichen Glauben für ernstlich Suchende erörtert.“ 2., erweiterte Auflage. Bonn 1870; „K. B. Hundeshagen, eine Lebensskizze.“ Gotha 1873; „D. K. B. Hundeshagen’s ausgewählte kleinere Schriften und Abhandlungen. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß ergänzt und neu herausgegeben von Th. Christlieb.“ Zwei Abtheilungen. Gotha 1874 und 1875; „Die besten Methoden der Bekämpfung des modernen Unglaubens. Vortrag, gehalten bei der Versammlung der evangelischen Allianz in New-York.“ Neue deutsche Ausgabe. Gütersloh 1874; „Der Missionsberuf des evangelischen Deutschlands nach Idee und Geschichte. Eine vergleichende Studie.“ Gütersloh 1876; „Alles ist euer, oder der Königsblick des Christen über sein unermeßliches Eigenthum hin.“ 7. deutscher Abdruck. Hamburg 1882; „Das Evangelium von Mara: „Ich bin der Herr, Dein Arzt (2. Mose 15, 22–26).“ Neue deutsche Ausgabe, Elberfeld 1877. 4. deutsche Ausgabe, Neu-Erkerode 1877. 5. deutscher Abdruck, Hamburg 1881; „Der indobritische Opiumhandel und seine Wirkungen. Eine Ferienstudie.“ Neue Ausgabe. (Erweiterter Abdruck aus der Allg. Missionszeitschrift.) Gütersloh 1878; „Reich Gottes, Gemeinde, Kirche nach biblischem Begriff.“ Mülheim 1882; „Der gegenwärtige Stand der evangelischen Heidenmission. Eine Weltüberschau.“ 4., des Separatabzugs 2. ergänzte Auflage. Gütersloh 1880; „Zur methodistischen Frage in Deutschland.“ 2. Auflage. Bonn 1882; „Zum Gedächtniß des Lutherjubiläums. Predigt über Hebr. 13, 7–9.“ Bonn 1883; Christlieb und Krummacher, „Ein Gottesdienst auf der Höhe des Teutoburger Waldes. Predigt und Schlußwort bei dem ersten deutsch-nationalen Jünglingsfest am Hermannsdenkmal bei Detmold am 24. September 1882. Predigt von Ch. über Math. 5, 13–16. Schlußwort von Krummacher über 1. Chron. 13, 8–18.“ Elberfeld 1883; „Die Bildung evangelistisch begabter Männer zum Gehülfendienst am Wort und dessen Angliederung an den Organismus der Kirche. Vortrag.“ (Aus „Kirchliche Monatsschrift.“) Cassel 1888; „Aerztliche Missionen. Neuer, vielfach ergänzter Abdruck aus der „Allg. Missionszeitschrift“. Gütersloh 1889; „Deine Zeugnisse sind mein ewiges Erbe.“ Predigten, nach seinem Tode gesammelt. 7 Hefte, Cassel 1890; „Homilet. Vorlesungen. Herausgegeben von Th. Haarbeck.“ Basel 1893. Außer mehreren kleineren Abhandlungen in der „Allg. Missionszeitschrift“ sind die von Ch. verfaßten Artikel in Herzog-Plitt-Hauck’s Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 2. Aufl., Leipzig 1877–1888 zu nennen, nämlich 12 Biographien englischer Theologen und die Artikel: Apologetik, Homiletik, Homiliarium, Geschichte der christlichen Predigt, Scotus Erigena, praktische Theologie.

Fr. Fabri, Zum Gedächtniß Th. Christlieb’s. Bonn 1889. – Theodor Christlieb of Bonn. Memoir of his Widow. London 1892. – Album professorum der evangel.-theol. Facultät in Bonn. – E. Sachße, Artikel Christlieb, Theodor in Hauck’s Real-Encyklopädie f. prot. Theologie u. Kirche. 3. Aufl. 4. Bd. (1898), S. 1 ff.