ADB:Dyhrn, Konrad Graf von
Hegel’schen Philosophie, als er sich sonst wol gegönnt haben würde, und obwol ihn bald darnach die Geschichte und die schönwissenschaftliche Litteratur, der er schon im Kreise seiner Freunde in Liegnitz beträchtliche Pflege gewidmet hatte, wieder stärker anzogen, so blieb doch von dem dogmatischen Princip und der constructiven Methode jenes Systems, in welchem der Liberalismus jener Jahrzehnte wurzelte, auf seiner Grundanschauung in Politik und Religion das meiste haften. Aber die auf mehrfachen Reisen gewonnenen Eindrücke und der Verkehr in sehr verschiedenartigen Kreisen schliffen alles Kantige und Starre dieser gewonnenen Bildung ab, und insbesondere trugen die völlig disparaten Einflüsse, die er während eines einjährigen Aufenthalts in Paris und während eines beinahe ebenso langen Aufenthalts in Rom empfing, wesentlich dazu bei, ihn harmonisch zu entwickeln und zu einer von seinen Standes- und Landesgenossen sich merklich abhebenden Individualität auszubilden. Und dennoch blieb der Einfluß des Universitätsunterrichts durch das ganze Leben an ihm zu verspüren. Hatte er den Hegelianismus in Berlin in der Urform kennen gelernt, so hörte er in den von ihm eifrig besuchten Vorlesungen Cousin’s die „denaturirte“ Verbildung desselben, und der dogmatisirende Guizot, mit seinen fälschlich Doctrinen genannten Gemeinplätzen, sowie der bei allem Reichthum an Geist doch [511] oberflächliche Villemain konnten doch nur von der formalen Seite her dem jungen Grafen ein tieferes Interesse abgewinnen, zumal ihre Einwirkung ein Gegengewicht in dem Einfluß des schlichten Historikers Eduard Arndt, der ihm als Mentor nach Frankreich beigegeben war, finden mußte. Nach solchem Bildungsgang wäre Graf Konrad sicherlich in die Sphäre des jungen Deutschland gerathen, hätten ihn nicht sein Stand und seine durch ein großes Vermögen bedingte Stellung von dem Kreis der „fahrenden Leute“, aus denen sich jene Schule ja gewissermaßen rekrutirte, ferngehalten. Aber andererseits schützte ihn diese Bildung vor den nebelweichen Fangarmen der Romantik, die sich in Rom nach ihm wie nach so vielen jungen Edelleuten jener Tage ausstreckten, und als er in die Heimath zurückkehrte und von seinem Vater behufs Aneignung landwirthschaftlicher Kenntnisse ein Gut zur Bewirthschaftung erhalten hatte, bildete dieser junge, corpulente „Rittergutsbesitzer“, der außerhalb alles öffentlichen Dienstes einen ungemeinen Fonds idealer Tendenzen mitten zwischen seinen landwirthschaftlichen Tagesarbeiten pflegte, einen eigenartigen Typus unter seinen Standesgenossen. Wie er in Paris und Rom durch den Umgang mit den ausgezeichnetsten Männern seinen Geist zu beflügeln bestrebt war, so suchte er auch jetzt oft die wissenschaftlichen und künstlerischen Zirkel von Breslau und Berlin auf und sein Humor, sein treffender Witz, der Umfang seiner Kenntnisse und sein hochgestimmter Idealismus gewannen ihm namentlich auch in Professorenkreisen ergebene Freunde. Seine nicht eben gerade reiche schriftstellerische Thätigkeit begann er mit einem fünfactigen Trauerspiel „Konradin“ (Oels 1827), in welchem der Patriot und Geschichtsfreund mehr zur Geltung kommt als der Dichter. Dann veröffentlichte er verschiedene Aufsätze in Zeitschriften und namentlich auch in der „Breslauer Zeitung“, die bald Gegenstände der bildenden Kunst, bald allgemeine culturgeschichtliche und dann wieder locale und landwirthschaftliche behandelten. In einem längeren Vortrage, gehalten in der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, lieferte er eine anziehende Beschreibung seiner Reisen. Aber bedeutender als diese feuilletonistischen Arbeiten waren die Aufsätze von praktischem Interesse, die er als Redacteur der Berichte des „Allgemeinen landwirthschaftlichen Vereins“ zu Oels eben diesen Berichten einfügte, und als er nach dem am 24. Jan. 1842 erfolgten Tode seines Vaters die unter den obwaltenden Umständen nicht leichte Last der Verwaltung des Majorats übernahm, war seine Autorität in wirthschaftlichen Dingen schon so weit begründet, daß ihn der „Landwirthschaftliche Central-Verein für Schlesien“ 1842 zum Generalsecretär und 1843 zum Vicepräsidenten ernannte. Aber eine eigentlich politische Laufbahn eröffnete ihm erst der Eintritt in die „Herren-Curie des ersten vereinigten Landtags“ von 1847. Die Parteistellung, welche er dort einnahm, hat er sein ganzes Leben hindurch eingehalten. Mit Recht nannte man ihn einen der Begründer der altliberalen Partei, aber während er mit keinem einzigen innerhalb derselben in Rücksicht der Freiheit von Doctrinarismus verglichen werden konnte, stimmte er mit allen Parteigenossen in der Empfindlichkeit gegen das Getümmel und unfruchtbare Geräusch des Demokratismus überein. So nah er auch in Bezug auf die Verfassungsfragen und besonders auch in Sachen der Constituirung eines einigen Deutschlands unter preußischer Führung der damals viele Schattirungen umfassenden demokratischen Partei stand – denn innerhalb seiner eigenen stand er auf dem am weitesten linken Punkt, etwa im Gegenpunkt zu Herrn v. Vincke-Olbendorf, seinem schlesischen Landsmann – so sehr war er doch bemüht, alle die Verletzungen des Anstands, der Würde und billigen Gebührlichkeit, für welche die demokratische Partei damals in frivoler Weise die Verantwortlichkeit übernahm, von sich fern zu halten. Im April 1848 saß er in dem „Zweiten vereinigten Landtage“; [512] im J. 1849 in der „Ersten Kammer“; im J. 1850 in der „Zweiten Kammer“ und hierauf in dem „Erfurter Staatenhause“, nach dessen Schluß er wiederum bis zum J. 1852 sich lebhaft an den Arbeiten der zweiten Kammer in Berlin betheiligte. War er auch nicht gerade ein sehr hervortretender Redner, so wurde doch seine Mitwirkung in den Commissionen wegen seines Zutrauen erweckenden Charakters, wegen seiner vielseitigen praktischen Kenntnisse und wegen seiner Kunst, eine Discussion, die „ein verzweigtes Delta“ zu bilden im Begriffe war, durch ein Witzwort oder eine treffende Formulirung wiederum zusammenzufassen, ungemein geschätzt. Seine joviale Körpererscheinung und sein harmonisch dazu stimmender immer unverzagter Witz machten ihn, „den dicken Dyhrn“, zu einer populären Figur in parlamentarischen Kreisen, und für die Kühle und Reserve, mit der ihn Friedrich Wilhelm IV. und die feudalen Standesgenossen behandelten, entschädigte ihn die ausgesprochene Zuneigung des Prinzen Wilhelm von Preußen, des nachmaligen Kaisers. So wie ihn aber die Brutalität des Demokratismus abstieß, ebensosehr widerte ihn die übergreifende Reaction an, und ohne zu verzweifeln, ohne den sichern Glauben an die Erfüllung seiner politischen Hoffnungen aufzugeben, zog er sich vom J. 1853 an von jeder parlamentarischen Thätigkeit zurück und nahm, im J. 1854 zum erblichen Mitglied des Herrenhauses ernannt, seinen Sitz in demselben, so lange der Feudalismus dort sein Wesen trieb, nicht ein. Er widmete sich der Bewirthschaftung seiner Güter, und wenn er nach dem nahen Breslau kam, war der Philosoph Braniß sein Umgangsfreund. Mit diesem theilte er auch den eigenthümlichen Standpunkt in religiösen Dingen, der sich aus einer überfein erdachten und künstlichen Verschlingung der Dogmenlehre mit ungeschlossenen Theilen – Aphorismen gleichsam der Hegel’schen Metaphysik – zusammensetzte. Erst unter dem anregenden Hauch der sogenannten „neuen Aera“ in Preußen fand er wieder Geschmack an der Politik, begab sich Januar 1861 auf seinen Platz im Herrenhause und nahm an den Berathungen desselben bis zum J. 1867 einen zwar öfters unterbrochenen, aber doch nicht lässigen Antheil. Er gehörte der kleinen Fraction der liberaleren Mitglieder an, die bis an die äußerste Grenze des Verfassungsgesetzes in dem Conflict zwischen Regierung und Parlament zu der ersteren hielten, und erst, als diese Schranke durchbrochen wurde, sich an ihr irre werden fühlte. Als aber das J. 1866 mit seinen großen Umgestaltungen die Räthsel der Regierungspolitik enthüllte, begrüßte er der Ersten Einer im August 1866 mit freudiger Begeisterung im Herrenhause die Neubildung eines deutschen Reichskerns und mit hoher Genugthuung erfüllte es ihn, daß ihm das Glück noch beschieden war, im J. 1867 als Mitglied des constituirenden Reichstages des norddeutschen Bundes gewählt zu werden. Eine erfolgreiche eingreifende Thätigkeit in demselben war ihm aber nicht mehr vergönnt, denn von da an begann seine Gesundheit wankend zu werden; eine Karlsbader Cur im J. 1868 und wiederholte Reisen an den Rhein 1868 und 1869 kräftigten ihn nur scheinbar. Er starb zu Reesewitz am 3. Decbr. 1869. Graf Konrad D. war nie verheirathet gewesen. In dem Majorat folgte ihm der einzige Sohn seines Bruders Graf Konrad Johannes v. D.
Dyhrn: Konrad Adolf Graf v. D., geb. am 21. Novbr. 1803 zu Reesewitz, Kreis Oels in Schlesien, † 1869, war der älteste Sohn des Generallandschaftsdirectors von Schlesien und Majoratsherrn von Reesewitz, Grafen Konrad Adolf v. D., Freiherrn zu Schönau, und der Charlotte geb. v. Debschütz aus dem Hause Pollenschine in Schlesien. Die Angabe in Ersch und Gruber’s Encyklopädie, daß seine Mutter eine, übrigens dort nur mit „N.“ bezeichnete, Gräfin Nostiz gewesen sei, ist darnach unrichtig. Ausgezeichnete Hauslehrer, die Theologen Fäsler, nachmals Pfarrer in Schmollen, und Cachlovius, nachmals Pfarrer in Reesewitz, leiteten seine Vorbildung für das Gymnasium. Unter der Leitung des Predigers Wunster, der 1837 als Superintendent starb, bezog er das Reformirten-Gymnasium zu Breslau und, als daselbst die Conflicte über die Turnerei ausbrachen, die Ritterakademie zu Liegnitz, wo er im 21. Lebensjahre das Abiturientenexamen mit Auszeichnung bestand. Ohne allen Zweifel würde Graf Konrad nach der Gewohnheit des protestantischen Adels in Preußen in die Armee eingetreten sein, zumal es der lebhafte Wunsch seines Vaters war, daß er Soldat würde, aber der Umstand, daß der junge Graf schon an auffälliger Corpulenz und in seiner Jugend an bedeutender Kurzsichtigkeit litt, schloß ihn von dieser Laufbahn aus und befreite ihn sogar von der Ableistung der allgemeinen Dienstpflicht. Als er daher im J. 1823 auf die Universität Berlin, um die Rechte zu studiren, abging, schwebte ihm noch die Absicht vor, sich dem Civildienst zu widmen, aber sehr bald leuchtete ihm doch die Ueberzeugung ein, daß er mit seiner anomalen Körperbeschaffenheit auch auf diesem Boden keine passende Figur machen würde, und einmal von dieser Erkenntniß durchdrungen, gab er es auf, seine Studien von den durch die Staatsexamina gesteckten Zielen beschränken zu lassen und warf sich auf Disciplinen, die seinem Geschmack entsprachen und seinem Wunsche sich auszubilden, statt sich vorzubilden, besser dienten. Unter solchen Umständen that er einen tieferen Zug aus der damals in Berlin souverän herrschenden- Handschriftliche Mittheilungen seines Neffen. Oelsner, Nekrolog im Jahresbericht XLVII. der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur vom J. 1870 und zu seiner schriftstellerischen Thätigkeit Nowack, Schlesisches Schriftsteller-Lexikon Heft II. 1838.