Zum Inhalt springen

ADB:Friedrich Wilhelm IV.

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen“ von Leopold von Ranke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 729–776, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Friedrich_Wilhelm_IV.&oldid=- (Version vom 12. Dezember 2024, 20:24 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 7 (1878), S. 729–776 (Quelle).
Friedrich Wilhelm IV. bei Wikisource
Friedrich Wilhelm IV. in der Wikipedia
Friedrich Wilhelm IV. in Wikidata
GND-Nummer 118535994
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|7|729|776|Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen|Leopold von Ranke|ADB:Friedrich Wilhelm IV.}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118535994}}    

Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. Mit Recht hat es sich die deutsche Biographie zum Gesetz gemacht von den Lebenden zu schweigen. Aber auch unter den Verstorbenen gibt es solche, deren Leben gleichsam noch fortdauert; ich rede nicht von den großen Männern der Vorzeit, deren Thun und Wirken einen wesentlichen Moment der allgemeinen und nationalen Geschichte bildet; selbst die Geschichte Friedrichs des Großen kann in der Hauptsache als eine abgeschlossene betrachtet werden; die unmittelbare Wirkung seiner Handlungen ist vollständig ins Leben getreten; die nachzuckenden Bewegungen der lebendigen Interessen, welche jede bedeutende Existenz begleiten, sind vorlängst vorüber. Anders verhält es sich mit Persönlichkeiten, die unseren Tagen nahe stehen, solchen namentlich, die mit eingeborener Kraft nach eigenem Gesichtspunkt von höchster Stelle in das Getriebe der Zeit einzugreifen unternahmen, so daß nicht allein die Wirkungen ihrer Thätigkeit, sondern und vielleicht noch mehr die Rückwirkungen, die sie hervorgerufen haben, in die Gegenwart unmittelbar eingreifen. Eine solche aber und zwar vor allen Anderen eine solche war Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen.

Viel zu wenig bekannt sind die besonderen Umstände seines Lebens und die Motive seiner Handlungen, um in einer allen Deutschen gewidmeten Biographie [730] eingehenden und genügenden Bericht davon geben zu können. Und mit der Ausdehnung des Gesichtskreises, den dies Leben umschreibt, steht der Mangel an zuverläßiger Kunde über die vornehmsten Handlungen und Ereignisse in schneidendem Widerspruch, und zugleich wird Alles durch entgegengesetzte Sympathien und Antipathien verwirrt und in Frage gestellt. Forschungen, der historischen Methode gemäß, über dies Leben anzustellen, ist mir nur in Bezug auf zwei Punkte möglich gewesen, und zwar durch Mittheilungen authentischer Aktenstücke aus dem königlichen Hausarchiv und aus dem geheimen Staatsarchiv. Es sind aber Punkte von hoher Wichtigkeit; sie betreffen die Erziehung Friedrich Wilhelms IV. und diejenige seiner Handlungen, welche als die wichtigste erscheinen mag, die Berufung des vereinigten Landtages. Ich hoffe, man wird es nicht mißbilligen, wenn ich über diese Momente, welche die größte allgemeine Bedeutung haben, das Nähere, bisher Unbekannte, mittheile, und mir gestatten, über alles Andere mich dem Maß meiner Information nach nur kurz zu fassen.

Am 15. October 1795, früh um 6 Uhr, wurde der Hauptstadt durch dreimaliges Abfeuern von 24 im Lustgarten aufgestellten Kanonen verkündigt, daß dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, in der Reihe der Könige später III., ein Sohn und Erbe geboren worden war. Die Mutter war Louise Auguste Wilhelmine Amalia, geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, die späterhin hochgefeierte Königin Louise. Es war nicht die erste Frucht ihrer Ehe. Eine frühere, weibliche war vorzeitig zur Welt gekommen. Am 28. October hat König Friedrich Wilhelm II. den neugeborenen Prinzen über die Taufe gehalten. Unter den anwesenden Taufzeugen erscheinen die Wittwe Friedrichs des Großen und dessen Brüder, die Prinzen Heinrich und Ferdinand von Preußen. Unter den nicht anwesenden Taufzeugen werden der römische Kaiser und die Kaiserin von Rußland genannt. Um seine Wiege vereinigten sich gleichsam die Oberhäupter des continentalen Europa.

In einem der Glückwunschschreiben lesen wir folgende Worte: „Welcher Prinz muß das werden, entsprossen aus angebeteten Eltern; er gleiche dereinst der großen Bestimmung Preußens“.

Wir fragen nicht in der Weise der Altvordern nach dem Stande der himmlischen Gestirne in diesem Augenblick; höchst bedeutend ist die politische Constellation, unter welcher der künftige Erbe des preußischen Thrones geboren wurde. Das Unternehmen, die bourbonische Monarchie in Frankreich herzustellen, welches seit einigen Jahren die Welt in Bewegung setzte, war aufgegeben. Eben in diesen Kämpfen hatte sich eine republikanische Gewalt daselbst erhoben, welche jetzt von Preußen anerkannt wurde; denn der Friede von Basel war geschlossen. Ein Gratulationsschreiben des Ministers, der denselben unterhandelt hatte, liegt vor, es ist von Basel datirt.

Für das Ministerium in Berlin bildete es einen Gegenstand der Erwägung, ob die Geburt des Prinzen der französischen Republik notificirt werden sollte oder nicht. Man hielt dafür, daß sie sich würde beklagen können, wenn es nicht geschähe; denn auch der Republik der Niederlande und der Schweizer Eidgenossenschaft pflege man Notificationen dieser Art zuzufertigen.

Das neue Weltverhältniß, das hierdurch geschaffen wurde, beherrschte den politischen Gesichtskreis in den letzten Jahren Friedrich Wilhelms II. und in den ersten Jahren Friedrich Wilhelms III., der 1797 den Thron bestiegen hatte.

Die ersten Lebensjahre des nunmehrigen Kronprinzen verflossen in dem Stillleben einer von den äußeren Stürmen ungestörten und ungetrübten Häuslichkeit. Ueber die Erziehung ihres ältesten Sohnes zog die Königin früh den Kanzler Niemeyer, einen der angesehensten Pädagogen der Zeit, zu Rathe. Dieser spricht einmal aus, daß ein Königssohn wenigstens nicht schlechter erzogen werden solle, als es mit [731] Bürgerkindern geschehe. Er empfahl ihr den jungen Dr. Friedrich Delbrück[WS 1], der mehrere Jahre in seinem Hause gelebt und seitdem als Rector einer namhaften Schule in Magdeburg sich allgemeine Achtung und Liebe erworben hatte; Niemeyer versichert, Delbrück werde der Seele des Prinzen keine anderen Grundsätze einflößen, als die einer echten Humanität, einer reinen Moral und einer practischen Religiosität.

Delbrück hat am 24. Juli 1800 sein Amt angetreten. Gleich nach Verlauf der ersten Monate schrieb er an einen Freund, der Kronprinz werde sich, falls die Umstände seine Erziehung begünstigten, einst unter den deutschen Fürsten auszeichnen „durch Kraft des Wirkens, durch Gewissenhaftigkeit im Berufe, durch Edelsinn und Liebenswürdigkeit“. So erschien seine natürliche Anlage.

Ueber die Methode und die Gegenstände des Unterrichts finden wir leider keine eingehenden Nachrichten, aber aus einem späteren Aufsatz, den der Kronprinz noch unter Delbrücks Leitung verfaßt hat, erscheint das Jahr 1804 als der Beginn eines bewußten moralischen Lebens und ernstlicher Application. Tief in sein Gemüth drangen einige Sprüche, die ihm beim Abschlusse des 9. Jahres zum ersten Mal zu Ohren kamen, in denen der Gehorsam gegen die Zucht des Vaters eingeschärft und das Zurücktreten aller geistigen Fähigkeiten vor dem Gebot der Liebe betont wird. Von diesem Jahre her datiren seine Uebungen in der deutschen Rechtschreibung und in der französischen Sprache. Unter den Gegenständen des Unterrichts stehen Geographie und Naturlehre oben an.

Eine nicht geringe Schwierigkeit fand Delbrück in der Combination der Erziehung des Kronprinzen mit den beiden jüngeren und ja auch noch nicht so weit vorgeschrittenen Prinzen, dem zweiten Sohn des Königs, Wilhelm, und dem Neffen desselben, Prinzen Friedrich von Preußen[WS 2]. Er drang schon im Jahre 1805 auf die Anstellung eines besonderen Hofmeisters für die jüngeren Prinzen, aber die großen Ereignisse, die sich damals vorbereiteten und bald darauf eintraten, hinderten die Erfüllung seines Wunsches. Und weit über die Wirksamkeit eines Erziehers hinaus reichten die Ereignisse, die sich dann vollzogen. Auf der Treppe des Schlosses in Schwedt hat die Königin dem Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm von dem Unglück Nachricht gegeben, das den König, dem man die Lage seiner Angelegenheiten vortheilhafter vorgestellt habe, als sie gewesen sei, und die Armee betroffen hatte. Der ganze Hof flüchtete nach Königsberg und bald darauf nach Memel, der junge Prinz mußte erleben, daß jene Gewalt, mit der man zur Zeit seiner Geburt paciscirt hatte, zu einem militärischen Imperium umgestaltet, die eine Hälfte der preußischen Monarchie von derselben losriß, für die andere die beengendsten Fesseln schmiedete. Sein Unterricht ist jedoch auch unter diesen Umständen keineswegs vernachlässigt worden. Unter Delbrück wurden die Uebungen im Französischen ununterbrochen fortgesetzt. Im Juni 1807 wurde das Studium des Englischen angefangen. Es unterbricht jene trüben Tage, daß der Kronprinz seinen Fleiß verdoppelte, um seiner Mutter an seinem Geburtstage einen Brief in englischer Sprache schreiben zu können. Der Kronprinz gelangte so weit, daß er gute Autoren in den verschiedenen Sprachen, auch wenn sie etwas schwer waren, verstand. Er liebte es, sie laut vorzulesen, und noch in Memel wurden kleine Gesellschaften veranstaltet, in welchen die jungen Leute ihre Kenntnisse austauschten und auch wol Vorträge unter einander hielten. Man setzte Alles das fort, nachdem der Hof nach Königsberg zurückgekommen war. Im August 1808 fing der Kronprinz auch an lateinisch zu treiben, nach ein paar Monaten hatte er schon einige Stellen der Aeneis auswendig gelernt. An seinen Fortschritten, seiner Bildung überhaupt konnte Niemand etwas aussetzen; dennoch regte sich Besorgniß wegen seines Entwickelungsganges; sein Lehrer schien für das Lebensalter, in welches der Prinz nunmehr [732] trat, nicht zu genügen. Alle Gemüther waren mit der Regeneration des Staates in politischer und in militärischer Beziehung beschäftigt; die Meinung regte sich, daß der Kronprinz, der nun in sein 14. Jahr trat, für den Beruf, dermaleinst an der Spitze des regenerirten Staates zu stehen, erzogen werden müsse. Es war der Minister Stein, der auch hier die Initiative ergriff und eine Veränderung in der Erziehung forderte: denn der Kronprinz trete in die Jahre, wo er für seinen besonderen Beruf vorbereitet werden müsse. Delbrück war keineswegs unempfänglich für die Größe des Momentes und der Aufgabe. Bezeichnend ist, wie er sich über die Eigenschaften seines Zöglings, den er nun seit 8 Jahren kannte, ausspricht: „Er hat einen eindringenden Verstand bei lebhafter Einbildungskraft, Wißbegierde und Lerntrieb bei treuem Gedächtniß, rege Theilnehmung für das Wohl und Wehe der Menschheit und Einzelner bei tiefstem Gefühl und religiösen Sinn.“ Die erwähnten Aufzeichnungen des Kronprinzen stammen aus dieser Zeit. Wie viel darin auch dem Lehrer zugeschrieben werden mag, so haben sie doch den Charakter persönlicher Eigenthümlichkeit. Man sieht daraus, daß der junge Prinz das Entfernte mit dem Gegenwärtigen, und Beides mit dem Unendlichen, Ewigen zu combinieren trachtete. „Meine Hand,“ sagt er, „kann kaum einige Pfund halten, aber mein Gemüth die Welt umspannen“. Delbrück verhehlt nicht, daß aus der großen Lebendigkeit des Prinzen auch manche andere, unangenehme Eigenheit desselben entspringe: Ausgelassenheit, auffahrendes, gebieterisches Wesen, so daß er selbst diejenigen beleidige, die er am meisten liebe.

Gerade dieser Mangel an Selbstbeherrschung, dies Verstoßen gegen gesellschaftliche Rücksichten hatten den Gedanken rege gemacht, daß es an der Zeit sein werde, dem Prinzen einen militärischen Gouverneur zu geben. Delbrück hielt das noch für verfrüht. Er meint, der Kronprinz sei nicht dazu angethan, um sich abrichten zu lassen, aber verständig genug, um Vorstellungen über das, was sein Beruf erfordere, Gehör zu geben; er brenne vor Begier, einst in der Welt eine Rolle zu spielen und sich des preußischen Namens würdig zu zeigen. Seinerseits versichert Delbrück in den letzten unglücklichen Jahren nichts versäumt zu haben, „in ihm, einem deutschen Prinzen aus einem Hause voll deutscher Tugend, der in verhängnißvoller Zeit aufwachse, Liebe für die Deutschheit in Wort und That, Wärme für das Elend und die Knechtschaft von Europa und einen frommen Heldenmuth anzuregen und zu beleben“.

Seine Ueberzeugung war, „die Kunst des Feldherrn und des Staatsmannes, so weit sie sich erlernen lasse, sei doch nichts anderes, als die zweckmäßige und zeitgerechte Anwendung und Ausübung solcher Einsichten, welche nur durch wissenschaftliche Studien und am sichersten durch die gesammte Ausbildung des Gemüthes gewonnen werden“. Allzufrühe Beschäftigung mit den Kleinlichkeiten des Militärdienstes könne eher schädlich als nützlich wirken; auch entspreche das nicht dem Sinne der Staatsverfassung, mit der man soeben umgehe; es werde vollkommen genügen, wenn der Prinz erst im 18. Jahre mit gereiften Kräften des Körpers und des Geistes in den Dienst eintrete. Dann würde er mit eigenen Augen sehen und mit jener Selbständigkeit handeln, die nicht der Rathgeber bedürfe, sondern blos der Vollstrecker des Willens. „Solcher Männer,“ ruft er aus, „bedarf das Vaterland der Deutschen, bedarf Europa. Das preußische Haus ist von der Vorsehung bestimmt, der Welt diesen Retter zu schenken“.

Man sieht, Delbrück war von der Idee der Regeneration des preußischen Staates, die damals in Schwung kam, durch und durch ergriffen, er dachte, einen Fürsten zu erziehen, der den großen Anforderungen, welche die Zukunft an ihn stellen werde, vollkommen gewachsen sei. Aber gerade bei dem Manne, in welchem sich diese Ideen am thatkräftigsten repräsentirten, erweckte Delbrück doch [733] nicht die Ueberzeugung, daß er im Stande sei, die Erziehung des Kronprinzen zu diesem Ziele zu leiten. Der Minister Stein glaubte in den geringsten Mängeln eine Zügellosigkeit des Willens zu erkennen, die in dem Alter, wo die Leidenschaften stärker hervortreten, von den nachtheiligsten Folgen werden könne; er traute Delbrück die Fähigkeit nicht zu, diesem Uebel vorzubeugen. Auch vermißte er in ihm die lebendige Auffassung der Geschichte, namentlich des preußischen Hauses, und die Welt- und Menschenkenntniß, die dazu gehöre, dem Prinzen die militärische und politische Bildung zu verschaffen, die dessen künftiger Beruf fordere. Sein Rath ging dahin, dem Prinzen einen militärischen Obergouverneur zu geben und einen neuen Civilgouverneur, wozu bereits Ancillon in Vorschlag gekommen war. Den Antrag Delbrücks, eine Prüfung seines Zöglings zu veranstalten und danach zu urtheilen, verwarf Stein, weil das zu nichts führen könne; denn die Frage sei nur, ob nicht Ancillon wegen des Reichthums seiner Ideen und ihrer Beschaffenheit und wegen seiner Kenntniß der Welt und der socialen Verhältnisse den Vorzug vor dem bisherigen Lehrer verdiene.

In eine nicht geringe Verlegenheit gerieth die Königin Louise, an die sich Delbrück wandte, da sie doch bereits ihr Augenmerk auf Ancillon gerichtet hatte und von der Nothwendigkeit der Veränderung überzeugt war. Charakteristisch sind die Worte, die sie mit flüchtiger Hand einer Bittschrift Delbrücks beigeschrieben hat. „Eine Erziehung,“ heißt es darin, „die den Kronprinzen nur zu einem rechtschaffenen, religiösen, moralisch guten Menschen macht, ist noch nicht genug. Er muß richtige Kenntnisse des Landes haben, er muß deutliche Begriffe der Politik haben, er muß ferner sich eine große Ansicht der Dinge zu eigen machen, die ihn fähig machen, große Thaten zu unternehmen und womöglich zu vollbringen; dieses liegt nicht in Delbrück. Um diese großen Resultate herbeizuführen, muß erstlich der Stamm befestigt werden, auf den man diese Hoffnung stützen darf. Der Kronprinz hat Verstand, hat Einbildungskraft, hat Wißbegierde, aber diese Eigenschaften werden nach den Ansichten kluger Männer nicht genug benutzt. Es muß daher ein Mann kommen, der den Geist des Kronprinzen faßt, ergreift, sich seiner bemächtigt, um ihm diese gewünschte Richtung zu geben. Wie soll ich nun dieses Delbrück sagen?“

Der Beschluß war, den Erzieher nicht etwa durch Andere wissen zu lassen, sondern ihm persönlich auszusprechen, daß die Veränderung nun einmal entschiedene Sache sei. Delbrück bat hierauf um die Erlaubniß, den Kronprinzen von der bevorstehenden Veränderung so lange nichts wissen zu lassen, bis die näheren Bestimmungen getroffen sein würden. Es dauerte noch lange, ehe es hierzu kam. Im März 1809 wurde ein militärischer Obergouverneur des Kronprinzen wirklich ernannt; es war der General Diericke, den noch Stein dazu vorgeschlagen hatte als einen Mann, der dem Guten zustimme und Böses weder thue noch begünstige. Indem nun Diericke bei seinem Amtsantritt sehr plausible Grundsätze über physische, moralische und intellectuelle Erziehung vorlegte, rieth er zunächst, einen militärischen Gouverneur einzusetzen; denn ein Mann sei nothwendig, der auch durch seine äußere Stellung imponiren und einen durchgreifenden Einfluß namentlich auf die Umgebung des Kronprinzen ausüben könne, welche jetzt von Delbrück abhängig sei. Er bracht den Oberst Gaudy dazu in Vorschlag. Gaudy riß sich von den angenehmen und befriedigenden Verhältnissen, in denen er lebte, und nicht ohne Schmerz selbst von seiner Familie los, um dem Rufe des Königs zu folgen. Einige Monate nach seinem Eintritt spricht er sich mit großer Genugthuung über die Fortschritte, Kenntnisse und Neigungen des Kronprinzen aus; zwischen Kopf und Herz finde bei ihm die glücklichste Uebereinstimmung statt, er erfreue sich einer sehr guten physischen Constitution. Dem bisherigen Erzieher läßt Gaudy die Gerechtigkeit widerfahren, daß er den Kronprinzen [734] gut unterrichtet und sein Herz für Wahrheit und Recht entflammt habe; bei seiner wissenschaftlichen Bildung sei ein solider Grund gelegt worden, auf den mit Zuversicht fortgebaut werden könne, doch sei derselbe bis jetzt nicht genug als Prinz in dem Sinne seines künftigen Berufs behandelt worden. Gaudy hielt nun einen besonderen „Instituteur“ nicht mehr für nothwendig; die Zeit sei gekommen, „wo – nächst dem fortzusetzenden Unterricht in allen Fächern der Wissenschaften – des Prinzen weitere Bildung für die große Welt, in welcher er einst aufzutreten bestimmt sei, betrieben werden müsse“; namentlich müsse er für den Soldatenstand erzogen werden, der einst vielleicht seine Aufmerksamkeit ausschließlich fesseln solle. „Wir nähern uns einem Zeitpunkt“, sagt Gaudy, „wo der kriegerische Geist mehr als jemals eine Schutzwehr gegen Unterdrückung von außer her bilden und wo er nothwendig ganze Nationen ergreifen muß, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen“.

Zwischen Delbrück und Gaudy bestand kein Gegensatz in Bezug auf den obersten Zweck; diesen setzten der eine, wie der andere darin, daß der Prinz den Bedürfnissen der Zeit gemäß für seinen dereinstigen Beruf erzogen werden müsse. Aber der alte Schulmann hielt dabei wissenschaftliche und moralische Ausbildung für die Hauptsache, der Oberst kehrte die militärische Seite hervor. Man möchte sagen, auf die Verbindung von beiden kam es bei dem Prinzen an, wie in dem Staate selbst.

Im Einverständniß mit Diericke hatte Gaudy den Entwurf für einen besondern Hofhalt des Kronprinzen gemacht, dessen Leitung er selbständig in die Hände zu nehmen gedachte. Er schlug einen Wechsel in der Dienerschaft vor, den er für höchst wünschenswerth erklärte.

Bei dem Auseinandergehen der Ansichten über das zunächst Erforderliche war an ein gutes Verhältniß und an ein einträchtiges Zusammenwirken zwischen Gaudy und Delbrück nicht zu denken. Delbrück, der sich bereits in sein Schicksal fand, bat nur noch um Aufschub der definitiven Entscheidung bis zur Rückkehr nach Berlin, die soeben bevorstand; denn auf den Kronprinzen habe die Kunde von der obschwebenden Veränderung, die ihm nicht länger vorenthalten werden konnte, einen selbst für seine Gesundheit nachtheiligen Eindruck gemacht.

Die Bitte Delbrücks wurde in der That bewilligt; seine Trennung von dem Kronprinzen wurde bis nach der Rückkehr nach Berlin verschoben. Auch dann aber dauerte ihr Verhältniß noch eine Zeit lang fort. Im Februar 1810 bringt Diericke die schlechten Folgen des Antagonismus zwischen dem Militärgouverneur und dem bisherigen Erzieher und die Nothwendigkeit, demselben ein Ende zu machen, in Erinnerung. Einige Wochen darauf, im April, erneuert er den Antrag um Entlassung Delbrücks auf das Dringendste. Wir dürfen die Bemerkungen nicht übergehen, mit denen er sein Gesuch begründet. Er glaubt in Delbrück einen Mangel an feinem Gefühl wahrzunehmen; denn sonst würde er vor Augen gehabt haben, daß die Bestimmung des Kronprinzen „die eines kraft- und muthvollen, keine Arbeiten und Beschwerden, keine Anstrengungen und Gefahren scheuenden Regenten sei“; er hätte dann die Erziehung weniger ästhetisch und mehr militärisch eingerichtet; „er hätte zeitig dem Prinzen die schwere Kunst sich selbst, seine Phantasie und Launen zu beherrschen gelehrt; der Prinz hätte in der schönen Tugend, sich mit einer vollkommenen kindlichen Resignation dem Willen seiner erhabenen Eltern zu unterwerfen geübt, zu einem pünktlichen Gehorsam und zu einer willigen Folgsamkeit angehalten werden müssen, die bei einer jeden Erziehung, selbst die eines Thronerben nicht ausgenommen, nothwendig ist“. Daß Delbrück nach dem jetzt herrschenden System der Erziehung, welches den Eigenwillen pflege, dem Kronprinzen zu viel nachgegeben habe, sei die allgemeine Ansicht des Publicums. Unter den Officieren meine man, Delbrück [735] flöße dem Kronprinzen Abneigung gegen den Soldatenstand ein oder begünstige doch, daß derselbe anderen Ständen den Vorzug vor dem militärischen gebe; selbst seine physische Erziehung sei nicht so geleitet worden, wie es für einen Prinzen angemessen wäre, der einmal nicht wie ein Künstler oder wie ein gewöhnlicher Privatmann leben, sondern sich an die Spitze der Heere stellen, Gefahren und Beschwerlichkeiten bestehen solle, zu denen ihn glücklicher Weise eine freigebige Natur mit den erforderlichen Kräften ausgestattet habe. Gaudy, der bei dem Prinzen nichts auszurichten vermöge, weil ihm Delbrück im Wege stehe, fühle sich unglücklich und sei selbst entschlossen, seinen Beruf aufzugeben, da er als ein Hinderniß der Wohlfahrt des Prinzen, für welche zu sorgen sein größtes Glück sei, betrachtet werden könnte.

Dabei tritt aber zugleich auch noch ein anderer Moment hervor. Diericke glaubte, Delbrück stehe mit geheimen Gesellschaften in Verbindung, deren Emporkommen unvermeidlich zur Revolution führen werde. Der Militärgouverneur meint nicht, das beweisen zu können, aber schon der Verdacht war hinreichend, das größte Aufsehen zu erregen; denn was sollte daraus werden, wenn die gewaltig emporkommende liberale Partei den Kronprinzen selbst in ihre Hände bekomme? Schon in diesen Tagen der Erziehung streiten gleichsam zwei Welten um den Kronprinzen. Ewig denkwürdig ist es doch, daß Delbrück daran gedacht hat, Schleiermacher zur Erziehung desselben herbeizuziehen. Auf Illoyalität ist weder bei dem Einen, noch bei dem Andern zu denken; aber sie gehörten der liberalen Tendenz des Jahrzehnts an, von welcher eine entgegengesetzte Partei den Umschlag in die Revolution befürchtete. Delbrücks Entlassung konnte nun nicht weiter verzögert werden. So weit reichte jedoch der Einfluß Gaudy’s nicht, daß man eines Instituteurs, wie er sagte, überhaupt hätte entbehren mögen; und, wie erwähnt, schon lange hatte man den Mann ins Auge gefaßt, der ihn ersetzen sollte und von dem man überzeugt war, daß er den bisherigen Erzieher in Festigkeit der Grundsätze, allgemeiner Bildung, Welt- und Menschenkenntniß bei weitem übertreffe. Es war Friedrich Ancillon. Ancillon war einer der besten Repräsentanten des in den Nachkommen der französischen Refugiés fortlebenden Interesses für die allgemeine europäische Cultur in religiöser und politischer Beziehung, ihrer universalen Bildung und zugleich ihrer herzlichen Anhänglichkeit an das Haus Brandenburg. Er war Pastor an der französischen Kirche, ein sehr beliebter Prediger, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, zugleich Historiograph von Brandenburg. Es hat vielleicht Wenige gegeben, die ihm an guten, ich will nicht sagen tiefen, aber präcisen Kenntnissen der europäischen Staatengeschichte, sowie der Geschichte der Theologie und Philosophie der letzten Jahrhunderte gleichgekommen wären; er war allenthalben zu Hause. Für seine politischen Meinungen ist es, wie ich aus seinem eigenen Munde weiß, maßgebend gewesen, daß er sich in den Tagen, im Juni 1789, in Versailles befand, in welchen sich die Vereinigung der drei Stände durch das Uebergewicht des dritten im Sinne der Nationalsouveränität entschied; das Gefühl durchzuckte ihn augenblicklich, daß damit der alten französischen Monarchie der Todesstreich versetzt werde. An sich konnte er die Monarchie Ludwigs XIV.[WS 3] nicht lieben, aber ihr Sturz führte eine Katastrophe des Königthums herbei, durch welche das europäische System und damit auch die Stellung von Brandenburg-Preußen bedroht wurde. Ancillon nahm Partei gegen die Grundsätze der Revolution, deren emporkommende Macht zugleich alle äußeren Staatenverhältnisse umstieß. In einem besonderen Werke hat er die Geschichte der europäischen Mächte aus dem Standpunkt des für dieselbe nothwendigen Gleichgewichts behandelt. Er stand auf der Höhe der gesellschaftlichen Bildung, besaß eine lebendige Kunde aller politischen Verhältnisse [736] und sah das Heil in der Autonomie der verschiedenen Staaten; besonders schlug sein Herz für die Unabhängigkeit des preußischen. Er sagt einmal, das Beste, was ihm die Vorsehung gegeben, sei eine Seele, diese aber widme alle ihre Sympathien dem Besten der Könige und seinem Hause. Schon im Jahr 1808 hatte Stein ihm angetragen, die Leitung der Erziehung des Kronprinzen zu übernehmen im Einverständniß mit der Königin, dem dann auch der König beitrat. Im Jahre 1809 war die Sache von Ancillon selbst bei dem König in Anregung gebracht worden, eine Entscheidung jedoch bis zur Rückkehr des Hofes nach Berlin verschoben. Dann aber traten die Mißverhältnisse ein, deren wir gedachten. Ancillon sagt, in der Erziehung des Kronprinzen habe gleichsam ein Interregnum stattgefunden; Delbrück habe sich noch immer der vollen Zuneigung seines Zöglings erfreut, aber da sein Ausscheiden bevorstand, habe es ihm an der vollen Autorität gefehlt, die auf der höchsten Anerkennung beruht. Gaudy, der diese besaß, konnte doch keinen rechten Einfluß gewinnen; alle die Mängel, die schon immer bei dem Kronprinzen hervorgetreten, Eigenwille, Unbotmäßigkeit, Mangel an Rücksicht, zeigten sich in so hohem Grade, daß sie die Königin besorgt machten. Ancillon, der auf ein paar Wochen nach Potsdam kam und einige Unterrichtsstunden übernahm, wobei er den Prinzen näher kennen lernte, spricht sein Urtheil dahin aus, daß der Kronprinz Alles das besitze, was die Natur, nichts aber von dem, was die Erziehung geben könne. Es fehle ihm vor Allem an Selbstbeherrschung, sein Hang zur Ungebundenheit und zum Egoismus werde durch richtiges Denken und durch die angeborene Gerechtigkeit seines Herzens gemäßigt werden. Der Prinz habe Empfindung für das Schöne und Würdige, er sei empfänglich für die edle Begeisterung, welche das Prinzip großer Thaten ist. Sein ganzes Wesen erhebe sich, wenn man ihm großherzige Handlungen erzähle. Er habe religiöse Gefühle, wie man sie bei diesem Alter selten in gleicher Lebhaftigkeit finde. Seine Moralität habe nichts Mechanisches, sie quelle aus einem Gefühl des Unendlichen, das er selbst noch nicht kenne. Von der Königin versichert Ancillon, sie sehe ihren Sohn als das Eigenthum und das Kind des Staates an; sie würde unglücklich werden, wenn er Andere nicht ebenso durch seine Verdienste übertreffe, wie durch seinen Rang. Die Zukunft, sagt er, ist glänzend, aber wir müssen sie durch die Gegenwart vorbereiten.

Indem nun Ancillon, ohne doch seine bisherige Stellung ganz aufzugeben, auf die Wünsche der Königin, die er ihrer Besorgnisse um ihren Sohn zu entledigen für Pflicht halte, einging, verfuhr er doch mit behutsamer Umsicht in Bezug auf den Prinzen. Er vermied als Nachfolger Delbrücks, der jetzt aus seiner Stellung geschieden war, zu erscheinen; denn das könne wohl gar die Meinung veranlassen, als habe er Theil an der Entfernung desselben, was ihn um alles Ansehen bringen würde; er bitte die Majestäten, ihn dem Kronprinzen nur als den Mann ihres Vertrauens zu bezeichnen, dessen Rathschläge er befolgen möge, er wünsche, als der Freund desselben zu erscheinen, nicht eigentlich als sein neuer Lehrmeister. Der Prinz möge in Charlottenburg wohnen und den ganzen Tag mit Studien, Leibesübungen und was dem mehr ist, zubringen, da will Ancillon ihm nicht zu Gesichte kommen, damit er nicht seiner überdrüssig werde oder auch sich allzusehr an ihn gewöhne. Erst um 5 Uhr Abends will er sich einstellen und ihm dann wohl auch Vorträge, nicht allein über Geschichte, sondern auch über die Rechte und Pflichten der Menschen halten, hauptsächlich aber ihn anzuregen und zu unterhalten bemüht sein. Er sprach über seinen Plan mit Diericke und mit Gaudy, ohne sich vollkommen mit demselben zu verstehen, aber doch auch, ohne in Widerspruch mit ihm zu gerathen. Am 12. und 13. Juni 1810 fanden [737] diese Besprechungen statt, die nun als der Anfang einer neuen Epoche der Erziehung betrachtet werden können. Ancillon spricht die Ansicht aus, daß der Prinz mit eben so viel Festigkeit als Güte behandelt werden müsse. Er muß gehorchen lernen, damit er einst würdig sei, den Menschen zu befehlen. Sein Leben muß weniger ein Genuß sein, als eine Vorbereitung. „Er muß an ernste und anhaltende Arbeit gewöhnt werden; die Gewohnheit muß ihm Geschmack an der Arbeit einflößen. Er muß von den Zerstreuungen des Hofes entfernt werden oder selbst auf solche Verzicht leisten. Seine Jugend muß ernsten Beschäftigungen hingegeben sein, ohne ihn traurig zu stimmen; er soll guten Muthes, aber nicht frivol sein. Die charakteristischen Worte sind: qu’une jeunesse laborieuse, soumise, sérieuse sans tristesse, gaye sans frivolité et sans dissipation, lui donne de la trempe et du caractère, et le forme à sa haute déstination.

So ist Friedrich Ancillon in seine Stellung eingetreten und hat das volle Vertrauen des Kronprinzen gewonnen. Dieser vergaß seinen früheren Erzieher nicht; an seinem Schreibtisch hingen die Bilder von Delbrück und Ancillon neben einander.

Von wie hoher Bedeutung für die Geschichte des Staates in der folgenden Zeit sind doch die letzten Handlungen, mit denen die Königin Louise ihre thränenreichen Tage beschloß. Sie trug auf das wirksamste dazu bei, daß Hardenberg Staatskanzler wurde; indem sie ihrem Gemahl den besten Rathgeber, der sich finden ließ, verschaffte, hinterließ sie ihrem Sohn doch wohl auch den besten Erzieher, der sich damals auffinden ließ. Nicht viel über einen Monat später ist die Königin verschieden. Das Bild der liebevollen deutschgesinnten Mutter hat dem Sohne stets vor Augen geschwebt. Unschätzbar war es für ihn, daß Ancillon mit seiner Ruhe, Welterfahrung und Hingebung für die Idee des preußischen Staates ihm zur Seite trat und zur Seite blieb.

Mit Gaudy konnte auch Ancillon nicht zusammengehen. Er bemerkt nach einiger Zeit, Gaudy habe dem Prinzen weder Respekt noch Liebe eingeflößt; ihm sei der Weg, den er eingeschlagen, durch Gaudy nicht wenig erschwert worden. Von sich selbst versichert er, ohne dem Prinzen jemals zu schmeicheln oder zu viel nachzugeben, habe er doch dessen Hochachtung und Freundschaft erworben. Im Jahre 1813 aber erklärte er es für nothwendig, dem Prinzen einen anderen militärischen Mentor zu geben. Soeben begann die große Epoche des Befreiungskrieges.

Die Zeiten des Gleichgewichts, der Niederlage und ihrer unmittelbaren drückenden Folgen waren vorüber, die Zeit der Wiedererhebung trat ein. Der Kronprinz nahm an derselben auf das lebendigste Theil. Die Sache der Welt war persönlich seine eigene. Und wenn nun Ancillon darauf drang, daß ihm ein neuer Militärgouverneur gegeben werden müsse, der den veränderten Umständen gewachsen sei, so war der König diesem Wunsche bereits zuvorgekommen, er hatte den Major Luck zum Nachfolger Gaudy’s ausersehen. Es sollte ein Mann sein, der das Militärwesen nicht allein im Kleinen verstehe, sondern über die Operationen Rede und Antwort geben und zugleich den Prinzen vor den mancherlei Gefahren verschiedenster Art beschützen könne, ohne ihn jedoch im Mindesten zu schonen. Unter dem neuen Gouverneur, zur Seite seines Vaters, hat nun der Kronprinz den Befreiungskrieg eben in den Jahren der Entwicklung seiner Kräfte mitgemacht. Durch die Herzhaftigkeit, die er in der Schlacht von Groß-Görschen bewies, hat er sich einen schönen poetischen Lobspruch von Schenkendorf verdient. Man erzählt, bei einem Vorpostengefecht in Frankreich habe ihm Luck, als er sich bei einem muthigen Angriff dem feindlichen Kugelregen aussetzte, in Erinnerung gebracht, daß er sein Leben nicht muthwillig in Gefahr bringen dürfe, [738] da er der Kronprinz von Preußen sei; der junge Prinz habe geantwortet: daran liege nicht so viel, denn wenn ihn eine Kugel treffe, so sei sein Bruder Wilhelm Kronprinz. Der Lauf der Ereignisse führte ihn nach Paris und in Begleitung seines Vaters nach London. Ancillon, den wir in Paris in seiner Umgebung finden, versichert, bei alle den Zerstreuungen, welche die französische Hauptstadt ihm bot und für die er sehr empfänglich zu sein schien, habe der Kronprinz doch immer gewünscht, zu seinen Studien nach Berlin zurückzukehren. Als ein Knabe war er gegangen; als ein junger Mann, der die Welt gesehen und den großen Entscheidungen in nächster Nähe beigewohnt hatte, kam er zurück. Niebuhr, der ihm dann einige Vorlesungen hielt, weiß die Wißbegierde, Empfänglichkeit und edle Sinnesweise des Prinzen nicht genug zu rühmen. Noch einmal erscholl der Ruf zu den Waffen, als Napoleon von Elba zurückkam, und der Kronprinz erhielt die sehnlichst begehrte Erlaubniß an dem Kampfe theilzunehmen. Er führte sein Bataillon nach Friedberg und begab sich von da zunächst zu dem Bülow’schen Corps. Aber in diesem Augenblick war schon die große Entscheidung bei Waterloo gefallen. „Meine ganze Seele,“ schreibt er an Blücher am 8. Juli, „ist unaufhörlich bei Ihnen und den Ihrigen gewesen. Wie glücklich müssen Sie sein, theuerster Fürst, wie glücklich sind wir, Sie den Unsrigen zu nennen.“

Die Wiedererhebung Preußens war nun vollbracht, der Staat umgestaltet und in eine Machtstellung gesetzt, wie er sie noch niemals gehabt hatte. Die Allianz bestand noch, welche die verschiedenen Mächte, Bekenntnisse und Nationalitäten zu einer einhelligen, großen Handlung vereinigt hatte. Das alte Königthum in Frankreich war wiederhergestellt; die Aufmerksamkeit wurde dann vor allem Anderen auf die innere Organisation gerichtet.

Der Kronprinz hat später gesagt, mit jenem Edikt vom 22. Mai 1815, welches dem Lande eine neue ständische und repräsentative Verfassung verhieß, sei er sehr einverstanden gewesen, aber er habe auch seinem Vater beigestimmt, als dieser doch zögerte, es in Ausführung zu bringen; denn wenn man sich geschmeichelt hatte, die revolutionären Tendenzen vielleicht vernichtet zu haben, so erwies sich das bald als ein Irrthum. Ueberall, wo Constitutionen eingerichtet wurden, entspann sich ein Widerstreit zwischen Regierung und Volk, den man in Preußen nicht auch erwecken wollte. Zur inneren Beruhigung und zum finanziellen Bestand des Staates gehörte es, daß der Staatskanzler durch das Edict vom 17. Januar 1820 die Berufung von Reichsständen in Aussicht stellte. Aber bei dem Versuch eine Gesammtverfassung anzubahnen, zeigten sich so mannigfaltige Schwierigkeiten, daß man sich fürs erste damit begnügte, provincialständische Einrichtungen zu treffen, bei denen Ritterschaft, Bürger, Bauern nach dem Grundsatz, daß die Standschaft auf dem Eigenthum beruhe, vertreten wurden. Dem Kronprinzen fiel ein nicht unbedeutender Antheil bei der Einführung der provincialständischen Institutionen zu, er übernahm eigentlich die Leitung derselben. In der Anerkennung der wohlerworbenen Rechte mit einem beschränkten Antheil der Stände an der Administration sah er den zunächst einzig möglichen Fortschritt, ganz im Einklang mit den Tendenzen, die den Krieg möglich gemacht und belebt hatten, Vereinigung der Legitimität mit den Landschaften, ohne Willkür. Noch einmal triumphirte die große Allianz über die revolutionären Bewegungen, die sich in Italien und in Spanien erhoben hatten. Der Zustand von Europa konnte unerschütterlich befestigt erscheinen.

Gegen Ende des Jahres 1823 vermählte sich der Kronprinz, nicht einer Convenienz zu Liebe, sondern nach den Gefühlen seines Herzens mit der Prinzessin Elisabeth von Baiern[WS 4]. Er fand in ihr eine Gemahlin, die sich auch ihm von ganzem Herzen anschloß; es war eine Ehe von vollkommenem Einverständniß in allem [739] Thun und Lassen, Dichten und Trachten, den höchsten Prinzipien und den Maximen des täglichen Lebens. Nach einigen Jahren sorgfältiger und gewissenhafter Vorbereitung empfing die Prinzessin das Abendmahl nach evangelischem Ritus. Die Ehe war kinderlos. Das hinderte aber nicht die Vollkommenheit des häuslichen Glückes. Die Kronprinzessin hatte Sinn und Verständniß für den eigenthümlichen Geist ihres Gemahles und seine Originalität. Sie wußte seine Aufwallungen zu mäßigen; sie war alle Zeit ruhig und gelassen, durch und durch wahrhaftig; von ganzem Herzen hing sie den Grundsätzen der legitimen Monarchie an, sie konnte die innigste Freundin sein, ohne doch vergessen zu lassen, daß sie die geborene Fürstin war, sie verband Würde mit Anmuth, tiefen religiösen Sinn mit allgemeiner Bildung. In Folge des methodischen Unterrichtes, den sie empfangen, bei welchem Litterargeschichte mit Lectüre der vornehmsten Autoren verbunden war, besaß sie eine gute Kenntniß der Litteratur aller Jahrhunderte und Geschmack dafür; an den neuen Hervorbringungen, die damals in Frankreich, Deutschland und England zahlreich zum Vorschein kamen, nahm sie lebendigen Antheil.

Diese Epoche, welche die Restauration vollendete, unmittelbar vor dem Ausbruch neuer Stürme, ist von der folgenden Generation meistentheils unterschätzt worden. Was darin lebte, war Ahnung und Studium des inneren Zusammenhanges der geschichtlichen Bildungen der Vorzeit unter einander, Freude an dem Ursprünglichen, Volksthümlichen, Förderung des religiösen Lebens, das sich mit spontaner Kraft regte, aber zugleich hohe Cultur in Wissenschaft und Kunst. Der kronprinzliche Hof war empfänglich für alles Schöne und Gute.

Im Jahre 1828 unternahm der Kronprinz eine Reise nach Italien, bei deren Verlauf wir einen Augenblick verweilen, soweit die vorliegenden, zwar authentischen, aber lange nicht ausreichenden Nachrichten es gestatten. Er hatte seine Gemahlin nach Tegernsee, wo sie ihre Jugend größtentheils verlebt hatte, begleitet; dann nahm er seine Reise über Innsbruck, Bormio, Como nach Mailand.

In Genua, wo sechs Jahre vorher Hardenberg gestorben war, wurde der Prinz in der Nacht vom 9. zum 10. October durch einige Erdstöße aufgeschreckt; das hatte aber keine weitere Folge, als daß er früh aufbrach. Nach einem Spaziergang an der Promenade, wohin ein Theil der Bevölkerung in der übrigens stillen und schönen Nacht sich zurückgezogen hatte, erschienen die Wagen, die ihn weiter führten. In Florenz kam ihm Bunsen entgegen, mit dem er dann die Reise nach Rom machte. Er reiste unter dem Namen eines Grafen von Zollern, doch schützte ihn sein Incognito nicht vor den Bewillkommungen der päpstlichen Behörden und Garden. Er wurde von den festen Plätzen mit Kanonenschüssen begrüßt.

Am 23. October gelangte er auf der Straße, die über den Monte Mario führt, nach Rom. Er genoß gleich im Beginn die großartigste Aussicht nach den sieben Hügeln der Stadt, die es überhaupt gibt. Am folgenden Tag überblickte er vom Thurm des Capitols aus das Forum Romanum, dessen ursprüngliche Gestalt ihn lebhaft beschäftigte. Er kam nicht als ein Neuling nach Rom, sondern von Allem, was er sah, hatte er sich bereits so genaue Vorstellungen gebildet, daß er die Veränderungen bemerkte, die in den letzten Zeiten hie und da vorgenommen worden waren. Der wirkliche Anblick der Alterthümer und der in den Gallerien vereinigten Kunstwerke erfüllte seine Seele noch mit größerer Bewunderung. Auch seinerseits erweckte er durch die Kenntnisse, die er an den Tag legte, seine Beobachtungsgabe und sein Urtheil bei Allen, die ihn sahen, bewundernde Anerkennung. Man braucht nicht auszuführen, wie sehr ihn die berühmten [740] Villen Borghese und Pamfili im October, wo sie sich am schönsten darstellen, hinrissen. Er besuchte die Ateliers der großen lebenden Künstler. Eine besondere Ausstellung der Produktionen der deutschen Kunst in den letzten Jahren wurde veranstaltet: unter den Werken, die auf den Kronprinzen Eindruck machten, wird der Prophet „Elias“ von Overbeck ausdrücklich genannt. In dem Gottesdienste in den Kirchen von Rom erfreute sich sein Herz an der alten Musik, an den Motetten von Palestrina; er war zugleich aufmerksam auf die Abweichungen des Ritus der päpstlichen Kapelle von den anderwärts herkömmlichen Gebräuchen. Den modernen Umbauten, welche sein Mißfallen erweckten, zum Trotz wußte er sich eine Ansicht von den ursprünglichen Verhältnissen der großen Basiliken zu verschaffen. Den Aufenthalt in Rom unterbrach der Kronprinz durch einen Ausflug nach Neapel, der ebenfalls auf das beste verlief und nur zu kurz war; dann wurde in Rom der Cursus der Besichtigungen, welchen Bunsen entworfen hatte, vollendet. Bunsen war glücklich, daß auch seine in der Kapelle des Palastes Casarelli eingeführte liturgische Ordnung des Gottesdienstes den Beifall des Prinzen erwarb.

Die Rückreise wurde über Ravenna, Assisi, Ferrara, Venedig genommen. Hier sah der Schreiber dieser Zeilen, der in der Marciana arbeitete, sehr unerwartet den Kronprinzen mit seiner Gesellschaft, zu der auch Ancillon gehörte, mit dem lebendigen Eifer eintreten, den der Anblick des Palastes der Dogen nothwendig hervorruft. Die Gesellschaft war sehr animirt und keineswegs einseitig: denn Ancillon und Bunsen waren doch sehr verschiedene Naturen. Alles bekam seinen Charakter durch die Anwesenheit des Prinzen, der ebenso viel Geist wie Wissen an den Tag legte. Bunsen verließ den Prinzen in Verona. Dieser traf dann Mitte December wieder in Tegernsee und bald darauf in Berlin ein.

Was der Kronprinz in Italien gesehen, gelernt, überhaupt erfahren hatte, bildete für seine späteren Jahre einen Hintergrund seiner kunsthistorischen Anschauungen, die oft Kennern und Meistern imponirt haben. Ueberhaupt hatte er die umfassendste Empfänglichkeit für Alterthum und Kunst aller Epochen. Man könnte sich wohl versucht fühlen, auch der kleineren Reisen zu gedenken, die er in den preußischen Gebieten ausführte. Dann ergötzten ihn die Erinnerungen an Luther und den alten Wittekind, die wohlgeordneten Meierhöfe und die Bibelsprüche, die er über dem Eingang der Häuser angebracht fand, und die alten Kirchenbauten. Ein ander Mal erfreute er sich an der Stammburg der alten Markgrafen und an den askanischen Denkmälern in der Altmark, auch wohl einmal an hoch gewachsenen Eichen auf dem freien Platz in einem Dorfe, aber nicht minder an der Dampfschifffahrt auf dem Rhein, der er eine glückliche Fortsetzung auch auf Stein und Eisen wünschte; denn wenn Alles Alte ihn anzog, so lagen ihm auch Gegenwart und Zukunft am Herzen. Bei der guten Aufnahme, die er fand, vermißte er wol zwei Augenpaare, die das mit ansehen sollten, das seiner Gemahlin und das seines Vaters.

Aber der friedlichen Entwicklung auf gesetzlichen Wegen, die man angebahnt zu haben meinte, war indeß durch ein großes Ereigniß ein Eintrag geschehen, der Alles in Frage stellte.

Die Combination, auf welcher die Friedensschlüsse von 1814 und 15 beruht hatten, zwischen dem legitimen Königthum und einer constitutionellen Verfassung in Frankreich gleichsam der Schlußstein des ganzen Systems, das seitdem vorgewaltet, wurde im Jahr 1830 plötzlich zertrümmert. Daß in dieser Combination ein Widerspruch des Princips lag, in wiefern das legitime Königthum, homogen mit den anderen Kronen, der alten Ordnung der Dinge in Europa angehörte, während die constitutionellen Bestrebungen aus den Ideen von 1789 und 1791 und ihrem Gegensatz gegen die alte Monarchie erwachsen waren, liegt am Tage. Gerade die [741] Vereinigung der beiden Principien durch eine gemäßigte Realisirung des einen und des andern war der Zweck der Combination von 1814, und insofern von allgemeinster Bedeutung, als auch die constitutionellen Bestrebungen allenthalben tiefgreifende Analogien in Europa hatten. Es war nun ein Ereigniß von universaler Wichtigkeit, wenn eben über die Punkte, welche die beiden Systeme ausgleichen sollten, in Frankreich ein Hader entstand, in welchem die constitutionelle Tendenz das alte legitime Königthum von sich abwarf und einen Bund mit der Revolution schloß, dessen Ausdruck das Julikönigthum war. Anfangs schien es sogar, als würden sich jene Eroberungsgelüste, die sich seit dem Jahr 1795 mit den revolutionären Aspirationen verbunden hatten, wieder erneuern, wogegen sich alsdann in den großen continentalen Mächten die Idee regte, auch ihrerseits den alten Kampf wieder aufzunehmen und das restaurirte Königthum aufrecht zu erhalten. Allein weder auf der einen noch auf der andern Seite drangen diese Absichten durch; der neue französische König war nicht geneigt, einen allgemeinen Krieg zu provociren, König Friedrich Wilhelm III. setzte die Autorität seiner Macht und seines Alters ein, um einen solchen zu vermeiden. Auch wäre es schon deshalb unmöglich gewesen, weil eine innere Bewegung in England, die schon lange in Gang gesetzt durch die Ereignisse des Nachbarlandes zu voller Flamme angefacht wurde, zu einer Trennung der englischen Politik von der alten Coalition führte und eher einen Gegensatz erwarten ließ als eine Mitwirkung. Man kam in England auf Ideen zurück, welche im 17. Jahrhundert für republikanisch gegolten hatten; der allgemeine Eindruck der Reform, die man daselbst unternahm, stimmte mit dem, was in Frankreich geschehen war, überein; die constitutionellen Ideen bekamen überall die Oberhand. Eine andere Nachwirkung, welche die äußeren Verhältnisse des europäischen Systems unterbrach, knüpfte sich daran. Die mit Holland vereinigten belgischen Provinzen erhoben sich zur Selbständigkeit und bildeten ein neues Königreich. Es war der unvermeidliche Erfolg der Verwickelungen jener Zeit, dem man nicht entgegentreten konnte, wenn man ihn auch nicht wollte. Doch kam dabei noch ein anderes Motiv zu Tage, als das eigentlich politische, es war das religiöse; den Hauptanstoß der Bewegung gab die Erhebung der kirchlichen Antipathieen, die in der constitutionellen Verfassung Anhalt fanden, gegen eine von protestantisch-propagandistischem Eifer erfüllte einseitige Regierung, ein Ereigniß, das bei der Nähe der Landschaften und den intimen Beziehungen nicht verfehlen konnte, auf Preußen eine große Einwirkung auszuüben.

Zunächst war es nicht unmittelbar die Revolution, mit welcher Preußen in Conflict gerieth; ganz im Gegentheil, es war die katholische Kirche, die, an und für sich der Revolution ebenfalls entgegengesetzt, doch alle Zeit ihr eigenes Princip wahrte. Dieses aber stieß mit dem Interesse des preußischen Staates so eben hart zusammen. Ihrer Natur nach suchte die römische Kirche die Rheinlande in ungebrochener Unterwerfung unter die Curie zu halten; der preußische Hof und die preußische Regierung hatte die natürliche Tendenz, die Verbindung dieser Landschaften mit den übrigen Provinzen der Monarchie zu fördern. Die Frage über die gemischten Ehen, welche den Kern dieser Streitigkeiten bildete, führte zu einer Differenz zwischen dem preußischen Staat und dem römischen Stuhl, die Schritt für Schritt anwachsend einen offenen Bruch hervorrief, der die letzten Jahre Friedrich Wilhelms III. trübte. Auch in der protestantischen Kirche war aus den Unionsbestrebungen dieses Königs ein Hader der Parteien entsprungen, der den inneren Frieden bedrohte. Diese kirchlichen Entzweiungen beschäftigten beide Confessionen und standen einander ungelöst gegenüber, als der Kronprinz den Thron bestieg (7. Juni 1840).

Es gab damals auch eine große politische Verwicklung, welche den Orient betraf. [742] Nachdem Frankreich und England in den Angelegenheiten der pyrenäischen Halbinsel in die engste Verbindung getreten waren, im Gegensatz gegen die drei Continentalmächte, entzweiten sie sich doch wieder in der orientalischen Frage, welche durch die selbständige Aufstellung des Vicekönigs von Aegypten gegen den Sultan in eine neue Phase trat. Das hatte in sofern eine wesentliche Beziehung auch zu den inneren Angelegenheiten Europa’s, als die damalige französische Regierung das constitutionelle Princip rein und vollständig zur Herrschaft zu bringen suchte. Sie nahm sich der Sache des Vicekönigs an und würde, wenn sie ihre Absicht erreicht hätte, eine doppelte Stärke in der Welt erlangt haben. Die französische Regierung erschien darin ungewöhnlich fest; sie meinte durch eine Krieg drohende Haltung die beiden deutschen Mächte von einer Verbindung mit England und mit Rußland, die jetzt wieder zusammenhielten, abzuhalten. Es war die erste große Angelegenheit, die König Friedrich Wilhelm dem Vierten vorgelegt wurde. Allein sein Sinn und seine Stimmung waren es nicht, vor den französischen Drohungen zurückzuweichen; er ergriff vielmehr die Gelegenheit mit Freuden sich England wieder zu nähern, voll von dem Gedanken, dem christlichen Namen im Orient eine größere Geltung und den glaubensverwandten Bevölkerungen größere Sicherheit zu verschaffen. Er trat also den Erklärungen der drei andern Mächte zu Gunsten des Sultans bei, und da zugleich der König Louis Philipp[WS 5], unzufrieden mit dem ihm von seiner damaligen Regierung auferlegten Zwange, die Rechte der Monarchie wieder in Aufnahme und zur Geltung brachte, so verlor der Streit, der zu einem allgemeinen Kriege hätte führen können, seine Spitze; das System der vier Mächte bekam vollkommen die Oberhand.

Der rasch vorübergezogene Sturm und dieser Erfolg gab dem neuen König eine gewisse Zuversicht zu der äußeren Lage, in der er sich befand, die nun wieder den alten Vorgängen und Traditionen entsprach. Mr. Thiers[WS 6], der eben aus dem französischen Ministerium hatte ausscheiden müssen und bald darauf nach Berlin kam, sagte dem Verfasser: „La coalition existe encore“.[WS 7] Wörtlich verstand er das nicht, aber unter gewissen Modificationen hatte es seine Wahrheit. Mit den alten Alliirten verbündet, von Frankreich nicht bedroht, richtete der König seine Gedanken einzig auf die innere Entwicklung seines Staates, seiner inneren Eintracht und seiner Einheit nach außen.

In diesem Sinne waren die ersten Akte, mit denen er seinen Regierungsantritt bezeichnete; den wieder erwachten Streit der Confessionen meinte er dadurch zu beseitigen, daß er die Zwangsmaßregeln abstellte, welche in den letzten Jahren vorgekommen waren; denn dahin ging die ihm von Natur innewohnende und durch seine Studien genährte Meinung, daß den religiösen Ueberzeugungen ein möglichst freier Spielraum gelassen werden müsse. Der gefangen gehaltene Erzbischof von Köln wurde freigegeben, gegen die protestantischen Dissidenten die bisherige strenge Zurückweisung gemildert. Andere Gnadenerweisungen waren dazu bestimmt, die Nachwehen politischer Mißliebigkeiten zu heben. Vor Allem sprach der neue König diesen Sinn bei den Huldigungen aus, die er von den nicht zum deutschen Bunde gehörigen Landschaften in Königsberg, von den demselben angehörigen Provinzen in Berlin entgegennahm.

„Bei uns,“ sagt er in Königsberg, „ist Einheit an Haupt und Gliedern, an Fürst und Volk, Einheit des Bestrebens aller Bekenntnisse und aller Volksklassen nach einem schönen Ziele, nach dem allgemeinen Wohle in heiliger Treue und wahrer Ehre.“ Er vergleicht seinen Staat mit dem edlen Erze, das aus vielen Metallen zusammengeschmolzen, nur ein einziges, edelstes ist, keinem andern Roste unterworfen, als allein dem verschönernden der Jahrhunderte.

Es waren dort in den vorangegangen Berathungen unerwartete Ansprüche hervorgetreten, deren wir noch gedenken wollen, aber auch dabei war doch [743] von der Vereinigung der durch Raum, Sitte und Sprache getrennten Volksstämme zu Einem Ganzen die Rede, und der König war weit entfernt, diese Aeußerung zu mißbilligen; er erklärte in derselben nichts wahrzunehmen, als den Ausdruck der angestammten Treue und reinsten Gesinnung. Der Akt der Huldigung wurde mit einer Wärme und Herzlichkeit vollzogen, bei der von der ceremoniellen Kälte ähnlicher Handlungen nichts zu spüren war. Und fast in noch höherem Maße war das in Berlin der Fall, wo die Deputirten der verschiedenen Provinzen sich zum ersten Mal kennen lernten. Es war nicht ein willkürliches Gebot, sondern ein freiwilliger Entschluß, daß sich die bürgerlichen Deputationen aus der Ferne den Bürgern von Berlin anschlossen. Der König rief die Anwesenden nach den verschiedenen Standesclassen zu der Erklärung auf, ob sie „mit Herz und Geist, mit Wort und That und ganzem Streben, in der heiligen Treue des Deutschen, in der noch heiligeren Liebe der Christen“ ihm beizustehen entschlossen seien, um Preußen zu erhalten und noch weiter zu entwickeln, damit es seine Stelle unter den großen Mächten der Welt würdig behaupte. Ein freudiges „Ja“ rollte ihm entgegen; er faßte neuen Muth zu dem großen Unternehmen, mit dem er umging. Welches aber war dies? Es war die Absicht, das patriarchale Königthum, welches in einer bureaukratischen Verwaltung repräsentirt wurde, mit ständischen Institutionen zu umgeben, um dadurch die Einheit aller Landschaften, gleichviel ob sie zu Deutschland gehören mochten oder nicht, auf unerschütterlicher Grundlage zu befestigen. Es muß uns verstattet sein, hierauf näher einzugehen, da es die eigenste Handlung des Königs ist und einen entscheidenden Moment in der Geschichte des Staates bildet.

Bei dem Huldigungslandtag in Preußen hatten die Stände die in den Edicten von 1810, 1815, 1820 enthaltenen und dann auch 1823 wiederholten Verheißungen einer Gesammtstaatsverfassung als integrirende Theile ihrer Provinzialverfassung, die auch unter dem altherkömmlichen Namen „Privilegien“ mitbegriffen seien, in Anspruch genommen. Der König vermied dies ausdrücklich zu genehmigen, aber ebensowohl es ausdrücklich zurückzuweisen. Gegen den Oberpräsidenten Schön erklärte er sich auf eine Weise, daß dieser, der als der Führer der Liberalen galt, als er aus dem Cabinet heraustrat, in die Worte ausbrach: der König sei liberaler als er selber. In den Worten erkennt man die noch vorwaltende Verwechslung zwischen Liberalismus und ständischer Verfassung. Der König hatte doch eigentlich nur angedeutet, daß er eine Versammlung aller Provinzialstände zu veranstalten gedenke.

Es kann kein Zweifel sein, daß Friedrich Wilhelm IV. von Anfang an die Absicht hegte, eine ständische Verfassung, jedoch ohne Repräsentation nach der Volkszahl einzuführen. Wenn er dabei nur langsam und zögernd zu Werke ging, so lag das einmal in seiner Natur, welche von jeder durchgreifenden Initiative entfernt die Dinge kommen und reifen lassen wollte; es ward ihm aber auch von seiner Lage geboten. Alle Welt war mit dem großen Gegensatz der Monarchie und der constitutionellen Verfassung beschäftigt. In Frankreich nicht allein, sondern auch in England und zuletzt auch in Belgien, obwol unter viel milderen Formen, hatte, wie erwähnt, das constitutionelle Princip obgesiegt. Die Idee desselben beherrschte die Presse, sowie die öffentliche Meinung in dem größten Theil von Europa. In Rußland und Oesterreich dagegen hatte die alte Monarchie bisher noch die Oberhand behauptet, die russische in Polen, die österreichische in Italien; die Gegensätze, die daraus entsprangen, wirkten dazu mit, die allgemeine Agitation zu steigern. Was sollte da ein König von Preußen thun, der in der Sympathie für die alten Bündnisse und dem Abscheu gegen alle Revolution aufgewachsen, doch nicht umhin konnte, der allgemeinen Forderung, schon in Folge seiner geographischen Stellung, noch mehr, weil sein Volk in der Gewährung derselben [744] gleichsam eine Bedingung der höheren Civilisation des Jahrhunderts erblickte, Gehör zu schenken? Er hielt für möglich, eine Verfassung zu gründen, durch welche das gegebene Wort gelöst und doch die Gefahr eines Umsturzes vermieden werde. Noch unter dem Eindruck der bei der Huldigung hervorgetretenen Stimmung der allgemeinen Hingebung an die Idee des Staates und die Monarchie hat der König bereits im Februar 1841 an die weitere Ausbildung der ständischen Institutionen Hand angelegt.

In dem Eröffnungsdecret sagt er: aus den Zurufen der Stände bei der Huldigung, ihm Helfer sein zu wollen auf seiner rauhen Bahn, schöpfe er die Kraft „auch für die ständischen Verhältnisse eine lebendigere Zeit zu beginnen“. Die Zugeständnisse, die er machte, waren dreierlei: die Landtage sollten, was bisher wenigstens sehr zweifelhaft geblieben war, alle zwei Jahre versammelt; ihre Protokolle sollten für die Mitglieder gedruckt, ihre Eingaben sammt den Antworten der Regierung zu allgemeiner Kunde gebracht werden. Der König ging also auf die beiden Hauptforderungen der Zeit, Periodicität und Oeffentlichkeit, wenngleich unter wesentlichen Beschränkungen, ein. Ueber den bisherigen Kreis der Befugnisse der Provinciallandtage aber griff es hinaus, wenn der König sie zur Bildung von Ausschüssen ermächtigte, um sich ihres Rathes und ihrer Mitwirkung besonders da zu bedienen, wo es sich um die Interessen mehrerer oder aller Provinzen handelte.

Wie unerwartet dies war und welchen Eindruck es machte, sieht man aus den Worten, mit denen Schön diese Decrete begrüßte: „Also“, ruft er aus, „Alles soll gedruckt werden, die Provinz soll Abgeordnete wählen, welche auch über die Angelegenheiten anderer Provinzen mitberathen sollen!“ Er betont das Erstaunen und die Verstimmung der einen Partei, die Freude der anderen, die sich hierbei kundgaben, in den stärksten Ausdrücken. In der That war damit das Fundament zu dem weiteren Ausbau gelegt: denn wenn diese Ausschüsse, in den verschiedenen Provinzen gleichmäßig gewählt, in eine einzige Versammlung vereinigt wurden, lag darin nicht eine Repräsentation der Gesammtheit der Provinzialstände und des Landes selbst? Der Gedanke des Königs ist ohne Zweifel von Anfang an dahin gegangen. Es dauerte noch bis in den Juni 1842, daß die bezügliche Verordnung erschien. Am 18. October, dem Tage der größten Erinnerung für den preußischen Staat, wurde dann die Versammlung, die aus Abgeordneten aller Provinzen und der verschiedenen Stände, vom Fürsten bis zum Landmanne, zusammengesetzt war, von dem vor Kurzem als Minister eingetretenen Grafen Arnim-Boytzenburg eröffnet. Auch der Minister knüpfte an den Tag der Huldigung an: er behauptet, die Eintracht zwischen Fürst und Volk, die sich dabei kundgegeben, habe zur Erhaltung des allgemeinen Friedens kräftig mitgewirkt; diese Einheit sei auch das Element der gegenwärtigen Versammlung. Er bezeichnet es namentlich als ihren Beruf überall da einzutreten, wo die Regierung des Königs in wichtigen Verwaltungsfragen eines ständischen Beiraths bedürfe, wozu die mündliche Besprechung zwischen den Dienern des Königs und einem Organe der Stände erforderlich sei; der königliche Wille biete ihnen vom Throne herab eine Gabe des edelsten Vertrauens.

Friedrich Wilhelm IV. selbst sagte am Schlusse der Verhandlungen, mit denen er sehr zufrieden war, er habe den Ausschüssen bei ihrer Berufung sein Vertrauen nicht mit Worten bezeichnen wollen; die Sache selbst sei der beste Beweis dafür; seine Absicht sei dabei gewesen, einen Centralpunkt zu schaffen, der nach der bisherigen Verfassung nicht möglich war, und das Beste des Landes, dem Nationalcharakter entsprechend, geräuschlos und nachhaltig zu berathen und zu schaffen. Er sehe in den Ständen einmal die Vertreter wohlerworbener Rechte und der Rechte der Stände, die sie abgeordnet haben, und [745] zweitens Rathgeber der Krone, von einer Unabhängigkeit, wie sie anders nicht gefunden werden könne, da zu der eigenen Unabhängigkeit noch das Mandat derer hinzutrete, von denen sie abgeordnet seien.

Daß nun aber damit weder den Wünschen des Landes, noch auch dem Bedürfniß der Regierung selbst vollständig entsprochen worden war, liegt am Tage. Unter anderm stellte sich heraus, daß der Ausbau der Eisenbahnen, welche die langhingestreckte Ausdehnung des preußischen Gebietes besonders nothwendig machte, nicht durch die Garantie des Staates, mit welcher die Ausschüsse sich einverstanden erklärten, gesichert werden konnte, sondern eine Anleihe nothwendig machte, zu deren Bewilligung sie nicht befugt waren. Unmöglich konnten sie an die Stelle der Reichsstände treten, deren Einwilligung in neu zu contrahirende Anleihen durch das Edict von 1820 erheischt wurde. Die Erinnerung an diese Verheißung regte sich auf das lebendigste. Im März 1843 wurden die Provinzialstände aufs Neue eröffnet. Allein sie wollten sich in ihre bisherige Beschränkung nicht mehr bannen lassen. Allenthalben kamen Anträge zu Tage, die, über das Oertliche und Provinzielle hinaus greifend, die allgemeinen Angelegenheiten zu ihrem Gegenstand machten. Mit dem Willen des Königs im Anfang, später über seine Intentionen hinausgehend, war die Presse zu größerer Freiheit gelangt, und da die Verhandlungen der Provinzialstände nicht mehr in das alte Geheimniß zurückgedrängt waren, so bemächtigte sich ihrer die Bewegung der öffentlichen Meinung, und es mag nicht ohne Grund sein, was man wohl angenommen hat, daß dies auch auf den Ehrgeiz der Mitglieder derselben Einfluß übte; es erfolgte, daß die Regierung, in den Ständeversammlungen nur schwach vertreten, jetzt überall einer Opposition begegnete, der sie nicht mehr gewachsen war. Die Beschwerden der Stände wurden unverweilt bekannt, die Antworten der Regierung zu spät, um den Eindruck, den jene gemacht hatten, zu verwischen. Hie und da hatte auch die kirchliche Bewegung eingewirkt, die in beiden Confessionen die Schranken durchbrach, welche der König ihr gesetzt zu haben meinte. Unter diesen Umständen nun beschloß der König seinen ursprünglichen Gedanken zu realisiren und eine ständische Centralversammlung zu schaffen, von der er erwartete, sie werde ihn der vorliegenden Schwierigkeiten überheben und dem allgemeinen Begehren, das an die früheren Edicte anknüpfte, genugthun. Es war ein Unternehmen, welches die ganze Zukunft des Staates umfaßte und es wohl verdient, in seinen Motiven näher erörtert zu werden.

Die Verbindlichkeit der im Edict vom 17. Januar 1820 ausgesprochenen Verheißungen, in Bezug auf die Staatsschulden keinen Schritt ohne Einwilligung der Reichsstände zu thun, stellte Friedrich Wilhelm IV. keinen Augenblick in Abrede. Diese Ankündigung war die große Verlassenschaft Hardenberg’s für die Gesammtheit des preußischen Staates; eben darauf basirten die immer dringenderen Aufforderungen, die man an den König richtete, zu einer Versammlung von Reichsständen zu schreiten. Dem König blieb nur die Alternative übrig entweder diese Ankündigung zurückzunehmen, ebenso die den Landtagsverhandlungen gestattete größere Oeffentlichkeit, die aufgehobenen Beschränkungen der Presse wieder zu erneuern, oder auf dem eingeschlagenen Wege einen entscheidenden Schritt vorwärts zu thun. Durch das Erste würde er sich nicht allein in den schärfsten Gegensatz mit dem Geist der Zeit gesetzt haben; es war auch deshalb unthunlich, weil dadurch den Provinzen eine für das Ganze unzuträgliche Selbständigkeit zuerkannt worden wäre. Die Bureaukratie war ganz dagegen. Wie oft sprach man in deren Kreisen von den acht verschiedenen Königreichen, in die der Staat zerfallen würde, wenn kein ständisches Organ der Gesammtheit erschaffen werde. Alle Dinge auf Erden haben ihre Zeit; für das ausschließende bureaukratische Regiment war die Zeit vorüber. Man hat damals auch im [746] Ministerium darüber zu klagen gehabt, daß der alte Gehorsam der untergeordneten Behörden verschwinde. Und da nun der König die Verheißung von 1820 nicht zurücknehmen wollte, so war die ganze Frage, in welcher Weise er sie zu erfüllen gedenke; wie er einmal sagt, mit heiterem Gottes- und Menschenvertrauen schritt er an das schwere Werk; er hielt für möglich einen Weg einzuschlagen, bei welchem der Sache Genüge geschehen, das Volk befriedigt und doch jede Besorgniß wegen des Ueberganges zu einem andern System, die sich in den alten Bundesgenossen regen könne, vermieden würde.

In einem Schreiben an den Fürsten Metternich sprach er sich dahin aus, daß er keine moderne Constitution, keine Charte verleihen, keine periodischen Reichstage, keine Reichstagswahlen anordnen wolle. Alles dies waren Attributionen, in denen der Geist der Zeit das Wesen einer die Monarchie beschränkenden Verfassung erblickte; sie wurden hier von vornherein ausdrücklich ausgeschlossen; es war gleichsam ein dem österreichischen Staatskanzler, der in den constitutionellen Regierungen ein der alten Allianz feindseliges Element sah, gegebenes Versprechen. Wenn nun der König, wie einer der vertrautesten Minister sich ausdrückt, sich in seinem Gewissen bewogen fühlte, die dem Volke feierlichst gegebene Zusage einer allgemeinen Landesvertretung in Erfüllung gehen zu lassen, so sollte das doch nur nach den in jenen Zusicherungen kundgegebenen Grundsätzen geschehn. Darüber, wie es geschehen könne, hat sich der König zunächst mit dem Minister des Innern, Grafen Arnim-Boytzenburg, der mit der Verwaltung der ständischen Angelegenheiten noch besonders beauftragt war, ausgesprochen. Ein Entwurf liegt vor, den Arnim den Intentionen des Königs gemäß, allerdings nicht ohne die eine und die andere Abweichung, die er auch ausdrücklich bezeichnet, zu Stande brachte, so daß wir die ursprüngliche Absicht des Königs mit Sicherheit aus demselben abnehmen können. Von allen Paragraphen der vornehmste war gleich der erste, in welchem es heißt: „Es wird eine allgemeine Reichsversammlung gebildet, indem die acht jetzt für sich bestehenden Provinziallandtage zu einer einzigen Versammlung vereinigt werden.“

Vorlängst hatte der König den Gedanken gefaßt, und zwar zugleich in der Ueberzeugung, daß die Provinzialstände der acht Provinzen, in Eine Versammlung vereinigt, von Rechts wegen (de jure) die Reichsstände seien. Er meinte, eine Quotisirung derselben, d. h. doch ein Ausschuß in bestimmten Zahlen und Normen, enthalte eine Willkürlichkeit.

Das Königthum von Gottes Gnaden, d. h. die ihm durch Erbrecht zugefallenen Rechte der preußischen Krone wollte er dabei nicht aufgeben, aber er stellte demselben die den Ständen bereits gemachten Zugeständnisse gegenüber, über deren Ausführung er nun weitere Bestimmungen folgen ließ. Er machte keine Schwierigkeit, dieser Versammlung die schon im J. 1815 in Aussicht gestellte Befugniß der Steuerbewilligung und die im J. 1820 verheißene Consentirung bei neuen Staatsanleihen zuzugestehen. Gleich hierbei gerieth man jedoch in Verlegenheit. Man faßte die Möglichkeit in’s Auge, daß bei einem bevorstehenden Kriege eine Anleihe aufgenommen oder auch eine neue Auflage ausgeschrieben werden müsse. Für einen solchen Fall schien eine Zusammenberufung der gesammten Stände aus mannigfaltigen Gründen unthunlich. Der König hielt dafür, es werde genügen, eine von den Ständen autorisirte Deputation der Staatsschuldenverwaltung beizugesellen und, sobald die Umstände es gestatten würden, der Versammlung über die gemachte Anleihe oder erhobene Auflage Rechnung abzulegen. Bei jedem Zusammentreten der Reichsstände sollte ihnen eine Uebersicht des Staatshaushalts vorgelegt werden. Dieser mit so ansehnlichen Rechten ausgestatteten Versammlung eine in bestimmten Perioden wiederkehrende Einberufung zu versprechen, war doch der König nicht gemeint; er hätte gefürchtet, sich dadurch den constitutionellen Gewohnheiten [747] allzusehr zu nähern. Indem er sich aber vorbehielt, die große ständische Versammlung nur nach seinem Ermessen wieder zu berufen, verhehlte er sich doch nicht, daß dadurch eine Lücke in den fortlaufenden Geschäften entstehen könne. Er dachte demnach in diesen Zwischenzeiten einen ständischen Ausschuß mit der Vertretung der allgemeinen Versammlung zu beauftragen, der dann wenigstens alle 4 Jahre zusammenberufen werden sollte, so daß dadurch ein Mittelpunkt für die ständischen Institutionen gegeben und erhalten werde. Diese Auskunft war, so viel wir wissen, der eigenste Gedanke des Königs; er meinte damit dem Gesetz von 1820 und zugleich den Bedürfnissen der Staatsverwaltung gerecht zu werden. Auch in Bezug auf die Art und Weise der Beschlußfassung folgte er seinen eigenthümlichen Anschauungen. Sie sollte nicht ganz, wie bei den Provinzialständen durch gemeinschaftliche Abstimmung, sondern durch Abstimmung in jeder der drei Curien besonders geschehen; zwei Stände sollten immer die Mehrheit machen, der Beschluß aber doch erst durch besonderen Beitritt des Herrenstandes, der freilich bisher nur in drei Provinzen constituirt war, jetzt aber zu einer vierten Curie ausgebildet werden sollte, zum Reichstagsbeschluß erhoben werden. Auch die allgemeinen Landesgesetze sollen der Versammlung zu ihrem Beirath vorgelegt werden; das Recht der Petitionen und Beschwerden in allgemeinen Angelegenheiten soll derselben ausschließlich zustehen.

Dieser Entwurf ist insofern höchst merkwürdig, weil er die Gedanken des Königs selbst über die zukünftige Verfassung ausspricht, hie und da freilich noch mit einer gewissen Unklarheit, wie sie ersten Entwürfen eigen zu sein pflegt. Er meinte den Unzuständigkeiten, die sich bei der Provinzialverfassung herausstellten, zu entgehen, und zugleich den Gefahren vorzubeugen, die aus weiterer Annährung an die constitutionelle Verfassung für die Monarchie zu erwarten sein würden. Aus diesem Grunde hatte er auch in Erinnerung an den Einfluß, welchen die Stadt Paris auf die französischen Kammern ausübte, den Gedanken, diese Versammlungen nicht nach der Hauptstadt, sondern etwa nach Brandenburg zu berufen und zugleich die neuen Einrichtungen in mehreren besonderen Gesetzen zu publiciren: denn eben die bei seinem Staatsgrundgesetz unvermeidliche Verschiedenheit der Auffassungen, die ja u. A. die Revolution von 1830 veranlaßt hatte, schien ihm eine große Gefahr einzuschließen. Der Plan des Königs zeugt von reiflicher Ueberlegung, er hat einen nicht zu verkennenden inneren Zusammenhang. Aber gleich bei seinem Minister stieß der König auf Widerspruch. Der Graf Arnim war namentlich gegen das System der vier Curien, wobei sich nur voraussehen lasse, daß Bürger und Bauern auf der einen, Herren und Ritter auf der anderen Seite stehen würden; dabei laufe man doch Gefahr in ein Einkammersystem zu gerathen, welches noch mehr Unzuträglichkeiten in sich schließe als das Zweikammersystem. Es ist sehr wahr, daß Graf Arnim einem Zweikammersystem den Vorzug gab, aber jede Annäherung an das constitutionelle Prinzip lehnte er auch hiebei ab; von Wahlen nach der Volkszahl wollte er nichts hören, überhaupt nicht von einer Abweichung von der in den Provinzialständen gegebenen Grundlage; er meinte nur, ein Herrenhaus, das nicht allein aus dem anerkannten Herrenstande, sondern auch aus Mitgliedern der Ritterschaft bestehen solle, werde dem System der Curien vorzuziehen sein. In seiner Erörterung spricht er von dem Gegensatz der erhaltenden und der bewegenden Kräfte, von welchem damals viel die Rede war, er meinte den ersten durch das Zweikammersystem die Oberhand zu verschaffen. Um Allem eine größere Stabilität und Sicherheit zu geben, hielt er die Anordnung einer periodischen Einberufung nicht der Ausschüsse, wegen deren er mancherlei Bedenken hatte, sondern der reichsständischen Versammlung, und zwar auch alle 4 Jahre, für erforderlich. Aber mit seinen Einwendungen und Vorschlägen fand der Minister bei dem König, der einmal [748] seinen Entschluß gefaßt hatte, keinen Eingang. Bei einem Vortrag, der am 21. Mai 1845 stattfand, stellte sich die Unvereinbarkeit der beiderseitigen Ideen heraus; Graf Arnim verließ bald darauf sein Ministerium, in welchem er Bodelschwingh zum Nachfolger hatte. Für die weiteren Berathungen des Verfassungsentwurfes wurde eine Commission ernannt, an der Graf Arnim nicht theilnahm. Sie bestand aus den Ministern Bodelschwingh, Savigny, Uhden, Canitz und dem Hofmarschall Rochow[WS 8]; sie wurde ausdrücklich angewiesen, den vom Grafen Arnim ausgearbeiteten eigenen Entwurf bei Seite zu legen und ihre Berathungen nur auf den ersten zu beschränken, welcher die Ideen des Königs selbst enthielt, um denselben zu vervollständigen oder zu modificiren. Diese Commission hat nun in zwei verschiedenen Reihen von Sitzungen ihre Arbeit vollzogen. Die erste derselben reicht vom 11. Juli bis zum 21. Juli 1845; die zweite, an der auch der Fürst v. Solms-Lich[WS 9], der Minister v. Thile und für die Finanzangelegenheiten Minister Rother theilnahmen, fällt in die Zeit vom 24. September bis 6. October desselben Jahres.

Unter den Mitgliedern der Commission fehlte nun es nicht an Widerspruch gegen das ganze Vorhaben. Hofmarschall v. Rochow, der als Landtagsmarschall der brandenburgischen Provinzialstände Erfahrungen in ständischen Angelegenheiten besaß, erinnerte, man sei in Preußen in der Meinung aufgewachsen, daß die Weisheit des Königs immer das Beste wolle und daß sie die Mittel haben müsse, ihren Willen zur Ausführung zu bringen; diese Meinung sei durch die mannichfaltigen, in den Provinzialständen gegen die Regierung gerichteten Angriffe und die schwache Vertheidigung derselben erschüttert worden. Vergeblich erwarte man, daß sich das bessern werde, wenn die gesammten Stände in eine einzige Versammlung vereinigt würden; denn wenn man auch den Ministern des Königs den Zutritt zu einer solchen vorbehalte, so würden sie doch der nothwendig anwachsenden Opposition gegenüber nicht stark genug sein. Nach und nach werde die Souveränität des Königs von der ständischen Versammlung, welcher Art diese auch sei, absorbirt werden. Aber die übrigen Mitglieder der Commission blieben bei dem einmal ausgesprochenen Willen des Königs stehen, der die Grundlage des ihnen vorgelegten Entwurfes ausmachte, aber das leuchtete doch ein, daß die angeregten Bedenken, welche in den höchsten Kreisen Anklang fanden, ihre Aufmerksamkeit darauf hinlenken mußten, wie bei der eintretenden großen Veränderung die Souveränität des Königs und die Freiheit der Administration, die das bisherige Wesen des preußischen Staates charakterisirte, aufrecht erhalten werden könne. An sich hatte die Idee des Königs, die sämmtlichen Provinzialstände in eine einzige Versammlung zu vereinigen, die Beistimmung der Commission mit nichten. Sie wandte ein, daß eine so große Versammlung schwer zu behandeln und daß es rathsamer sein würde, die provinzialständischen Ausschüsse zu diesem Zwecke auszubilden, die sogar öfter als nur alle 4 Jahre, zu vereinigen sein dürften. Aber die Ansicht des Königs war zu tief gewurzelt und schon zu mannigfaltig kundgegeben worden, als daß sie hätte zurückgenommen werden können. Und dürfen wir von vornherein ein Urtheil aussprechen, so war der Gedanke des Königs, wenn es nun einmal zu keinen volksthümlichen Wahlen kommen sollte, ohne Zweifel der richtige; denn daß die vereinigten Landstände als die verheißenen Reichsstände betrachtet werden würden, ließ sich mit Grund erwarten; erst darin lag eine wirkliche Erfüllung des gegebenen Wortes. Und obgleich es seine Bedenken hatte, eine so ansehnliche und in sich selbst mächtige Versammlung zu vereinigen, so schien doch in der Unbestimmtheit ihrer Wiedereinberufung ein Correctiv dagegen zu liegen; die wichtigsten der unmittelbar zur Beschlußnahme kommenden Angelegenheiten würden doch immer den Ausschüssen, denen eine so große Autorität nicht zukam, vorbehalten bleiben.

[749] Wenn nun der Gedanke des Königs zur Ausführung kam, so war man auch darüber mit demselben einverstanden, daß den Ständen Attributionen von wirklicher und reeller Bedeutung beizulegen seien. Der Wortlaut des Gesetzes von 1820 war die vornehmste rechtliche Ursache der Einberufung selbst, aber man war der Meinung, daß man dabei nicht stehen bleiben dürfe, sondern daß man den Ständen berathende Stimme bei den künftig zu erlassenden allgemeinen Landesgesetzen und ein ausgedehntes Steuerbewilligungsrecht zuerkennen müsse. Dabei traten aber in der einen und in der anderen Beziehung nochmals jene Schwierigkeiten hervor, die schon von dem König erwogen, nunmehr noch ein Mal einer neuen Berathung unterworfen werden mußten. Sie lagen doch sehr in der Natur der Sache. Steuerbewilligung im Allgemeinen konnte unmöglich zugestanden werden, weil dadurch die mit den anderen deutschen Staaten getroffenen Vereinbarungen, auf welchen der Zollverein basirte, hätten alterirt werden können. Noch erheblicher waren die Einwendungen, die gegen die Einholung der Beistimmung zu einer Anleihe, namentlich im Fall eines Krieges, gemacht wurden: denn eine Anleihe könne nur unter Beobachtung des strengsten Geheimnisses und durch eine Art von Autonomie der höchsten Gewalt zu Stande gebracht werden; wie sei das aber möglich, wenn man vorher eine Ständeversammlung berufen müsse? selbst eine ständische Deputation dazu herbeizuziehen, wie der König vorgeschlagen hatte, fand man unthunlich; sie würde das ganze Geschäft in Frage stellen. Man war sehr bereit, den Ständen nachträglich Rechnung abzulegen, aber dagegen ließ sich wieder erinnern, daß alsdann dem Gesetz von 1820 noch nicht Genüge geschehe. Wenn überhaupt im Werke war, den Zustand der Finanzen den versammelten Ständen klar zu legen, so glaubte doch die Finanzverwaltung denselben keine Controlle ihrer Operationen zugestehen zu dürfen. Auf die bereits bestehenden Auflagen und Steuern solle sich überhaupt ihre Mitwirkung nicht erstrecken; ihr ein decisives Votum einzuräumen, wurde für sehr bedenklich erachtet. Indem man die Autorität der Krone vollständig zu erhalten und doch auch die Stände mit gewissen Berechtigungen auszustatten gedachte, brachte der Versuch, die Ansprüche beider Theile zu vereinigen, große Verlegenheit hervor. Eine andere nicht minder schwierige und tiefgreifende Frage bildete die Art und Weise der Abstimmung. Sie lag in der oben angedeuteten Absicht des Königs, die mediatisirten Fürsten und die durch größeren Besitz hervorragenden Geschlechter, denen bisher nur auf einigen Landtagen eine besondere Stellung bewilligt worden war, in eine neue Curie auf dem Gesammtlandtage zu vereinigen und ihnen dadurch eine ihrem angeborenen Range entsprechende Bedeutung zu geben. Die absolute Mediatisirung hielt Friedrich Wilhelm für ein den alten Fürsten, den früheren Reichsständen, zugefügtes Unrecht, das er zwar nicht zurücknehmen dürfe, aber auf die eine oder die andere Weise auszugleichen versuchen müsse. Die Commission aber erhob dagegen den lebhaftesten Widerspruch; denn man weiche damit von den bisherigen den Provinzialständen zu Grunde liegenden Einrichtungen ab; diese Neuerung könne auf andere, noch weiter gehende Bedenken führen; der vereinigte Landtag werde sich versucht fühlen, als Constituante aufzutreten; es sei wol gar möglich, daß man die privilegirten Stände, wie einst in Frankreich, aus ähnlichen Gründen angreife und Alles in Verwirrung setze; auf jeden Fall würden zwei Stände und zwei Stände einander gegenübertreten, die Regierung würde die Minorität, die sie jetzt in den Städten und Landgemeinden habe, verlieren. Der Minister Canitz setzte sich dem Vorschlage des Königs in einem besonders motivirten ausführlichen Gutachten entgegen. Ueberhaupt muß man der Commission zugestehen, daß sie die Vorschläge des Königs auf das Sorgfältigste geprüft und alle die praktischen Unzuträglichkeiten hervorgehoben hat, zu denen [750] dieselben führen konnten. Man findet ihre Erwägungen in dem Berichte, mit welchem sie den abgeänderten Entwurf und eine Abschrift der Protokolle dem König überreichte. Sie mahnte ihn darin nochmals von der Vereinigung der acht provinzialständischen Versammlungen zu einer einzigen ab: denn es sei vorauszusehen, daß dieselbe ein größeres Maß von Rechten, als ihr jetzt zugestanden werden könnte, zu erstreben suchen werde. Die Mitglieder der Commission hätten es mit Ausnahme einer einzigen Stimme vorgezogen, daß die Ständeversammlung nur aus den vereinigten Ausschüssen unter Verstärkung der Zahl ihrer Mitglieder gebildet würde; diese Versammlung werde leichter zu leiten sein und die Verfassung an Einfachheit gewinnen.

Noch entschiedener erklärte sich die Commission gegen die beabsichtigte Creirung des Herrenstandes. Sie bittet den König bei der bewährten Verfassung der Provinzialstände stehen zu bleiben. Sie trägt dann alle die Bedenken vor, die sich in Bezug auf das Bewilligungsrecht und bei Consentirung einer Anleihe herausgestellt haben. Die ständische Deputation ward von ihr verworfen. Die Commission blieb dabei, daß die Versammlung sowol der Ausschüsse als des vereinigten Landtags nicht in Brandenburg, sondern in der Hauptstadt selbst stattfinden müsse, weil es die Verhältnisse so mit sich bringen und die Verlegung nach einem anderen Ort Furcht verrathen würde.

Die hierauf folgenden Diskussionen, die zu einer außerordentlichen Versammlung der Commission führten, betrafen hauptsächlich den Herrenstand, an welchem der König festhielt, so daß es nur noch darauf ankam, die Ungleichheiten zu beseitigen, welche dabei zwischen den nicht zum hohen Adel gehörigen Mitgliedern des Herrenstandes der westlichen Provinzen und den Inhabern der Collectivstimmen in den östlichen entstehen würden.

Der König hatte die Meinung zu erkennen gegeben, in den Herrenstand auch Deputirte der Landes-Universitäten und der großen Städte, namentlich der ehemaligen Reichsstädte aufzunehmen. Die Commission entgegnete, daß dies dem Geiste der neu zu erlassenden Gesetze widerstrebe.

Ueberhaupt war man noch keineswegs einverstanden, und was die Commission vorgeschlagen hatte, war doch sehr unverbindlicher Natur. Noch war selbst die Hauptfrage, ob überhaupt eine centralständische Verfassung eintreten solle, nicht entschieden; sie konnte es auch nicht sein, da nach der Verfassung des Landes ein förmlicher Beschluß des Staatsministeriums dazu gehörte, was damals besonders ins Gewicht fiel, da der Prinz von Preußen, nicht allein der erste Prinz von Geblüt, sondern der präsumtive Nachfolger an der Spitze des Ministeriums stand.

Eine hohe Wichtigkeit in der Geschichte des preußischen Staates hat nun die gemeinschaftliche Sitzung des Staatsministeriums und der Commission vom 11. März 1846, in welcher die große Angelegenheit entschieden werden sollte.

Der Prinz von Preußen zeigt sich bei der Eröffnung der Sitzung von der Bedeutung des Momentes durchdrungen; denn es handele sich hier um die ganze Zukunft, ja um die Existenz des Thrones und des Vaterlandes. Er spricht als seinen Grundsatz aus, daß eine weise Regierung dann und wann Nachforschung halten müsse, ob die vorhandenen Institutionen noch mit der Fortentwicklung der Zeit im Einklang seien, ein Verfahren, bei welchem Preußen groß geworden sei. In diesem Sinne seien schon die Provinzialstände eingeführt worden, und vielleicht hätte man bei diesem provinzialständischen Institut stehen bleiben können, wenn nicht für die allgemeine Forderung der Unterthanen in gegenwärtiger Zeit, die sich auf zwei Dinge beziehen, Publicität und größere Theilnahme an den Staatsangelegenheiten, einige weitreichende Zugeständnisse in Aussicht gestellt wären, namentlich die Bildung einer ständischen Centralversammlung. Er sei von der [751] Nothwendigkeit einer solchen noch nicht überzeugt. Wolle man aber zu dieser Veränderung schreiten, so müsse man vor Allem darauf sehen, daß die Macht der Regierung nicht in die Hände der berathenden Versammlung übergehe. Die Macht der Krone dürfe nicht geschmälert und besonders die gesetzlich freie Bewegung der Regierung nicht gestört werden, wenn die Stellung Preußens nicht gefährdet werden solle. Bei allen seinen Bedenken brachte doch der Prinz, indem er dem Willen des Königs und der Meinung seiner Rathgeber Rechnung trug, die Frage zur Discussion, ob eine centralständische Versammlung ein Bedürfniß sei oder nicht. In dieser Frage liegt das Wesentliche der Verhandlungen. Die alte patriarchalische Staatsgewalt stellte selbst die Frage auf, ob sie neben sich eine ständische Versammlung, die, was man auch sagen mochte, eine Vertretung des Landes in ständischer Form bilden mußte, einrichten solle oder nicht.

Unter den Anwesenden befand sich auch der Staatsminister v. Rochow, der dann nochmals in aller Stärke aussprach, was er von jeher gegen eine centralständische Versammlung eingewendet hatte. „Allgemeine Reichsstände seien der Krone gegenüber eine Macht, welche, sie möge als bewilligende oder als blos berathende Körperschaft constituirt werden, die Regierung in ihrer freien Bewegung auf eine mit der politischen Stellung Preußens unverträgliche Weise hemmen würde“. Er hob nochmals die Vorzüge einer provinzialständischen Verfassung hervor; die Verhandlung mit acht verschiedenen Versammlungen habe ihre Unbequemlichkeit, aber keine Gefahr. Ganz anders werde es, wenn die Regierung einer einzigen, großen und mächtigen Versammlung gegenüberstehe. Er erkennt an, daß die vorgeschlagene Organisation der ständischen Centralversammlung ganz auf dem gegebenen historischen Boden erfolgen solle, hierdurch würden aber die Bedenken nicht gehoben; besonders sträubte er sich dagegen, daß man der Regierung das Besteuerungsrecht beschränke; denn darauf beruhe die Größe von Preußen; eine freie finanzielle Verwaltung setzt die königliche Macht in den Stand wohlthätig und kräftig zu wirken.

Diese und ähnliche Einwendungen waren schon in der Commission von dem Hofmarschall v. Rochow vorgetragen worden, der sie auch jetzt wiederholte; die Mitglieder der Commission hatten jedoch die entgegenstehenden Betrachtungen höher angeschlagen, und es mußte sich nun zeigen, ob die größere, bei weitem mehr autorisirte Versammlung des Staatsministeriums der Majorität der Commission beitreten werde oder nicht.

Der Erste, der sich äußerte, war General v. Boyen. Er hob hervor, daß die Monarchie noch viele heterogene Elemente in sich einschließe, welche einer innigeren Verschmelzung bedürfen; er bejahte die Bedürfnißfrage.

Der Justizminister Mühler erklärte die Einführung einer ständischen Centralversammlung für zeitgemäß, jedoch dürfe man ihr nur berathende Stimme zugestehen; er sah keine wesentliche Veränderung der Verfassung darin, wenn man nur eben die Versprechungen von 1815, 20 und 23 zur Ausführung bringe.

Dem schloß sich der Finanzminister Rother an mit der Bemerkung, er habe nur gegen das in dem Entwurf den Ständen beigelegte Bewilligungsrecht etwas zu erinnern.

General Müffling sprach sein Bedauern aus, daß sein Rath, allgemeine Landstände zu berufen, nicht schon früher befolgt worden sei; von der Nothwendigkeit einer solchen Versammlung sei er immer überzeugt gewesen und halte sie namentlich in einer Zeit für unbedenklich, wo man keine besonderen Anforderungen zu machen brauche: doch dürfe die Befugniß der Stände nur wesentlich in der Berathung bestehen.

Diese Vota waren erfolgt, ehe noch der Minister Rochow gesprochen hatte. [752] Nach demselben kam die Reihe sich zu äußern an den Minister Eichhorn. Er sagte: die früheren königlichen Verheißungen könnten nicht länger ignorirt, noch weniger zurückgenommen werden; aus den Verhandlungen mit den Provinzialständen und aus deren Petitionen über allgemeine Gesetze sei das Bedürfniß einer ständischen Centralversammlung hervorgegangen. „Diese könnte bei einer richtigen Abmessung ihrer Attributionen der königlichen Macht niemals gefährlich werden“. Das Steuerbewilligungsrecht findet er nicht bedenklich, da die Regierung ohnehin in keinem Falle gegen den Widerspruch der Stände mit neuen Auflagen vorschreiten könne, wenigstens nicht in Friedenszeiten. Nur bei der Gesetzgebung würde die Regierung allzu sehr beschränkt werden, wenn den Ständen mehr als eine berathende Stimme eingeräumt würde.

Wie Eichhorn, so bejahte auch der Minister v. Thiele die Bedürfnißfrage; denn das Volk sei seit vielen Jahren von der Idee einer allgemeinen ständischen Verfassung durchdrungen, und diese Idee lasse sich durch menschliche Kraft nicht beseitigen; nur dürfe sich die Regierung nicht in ein eigentlich constitutionelles System drängen lassen, was bei dem vorliegenden Entwurf nicht zu befürchten sei.

So erklärte auch Savigny, auf dem Standpunkt von 1840 könne man nicht stehen bleiben; man müsse nothwendig von den Provinzialständen auf eine centralständische Basis übergehen.

Bodelschwingh hob, auf seine Erfahrung sich berufend, die mißliche Lage hervor, in welche die in den Provinzialständen gar nicht vertretene Regierung dem rücksichtslos und in großer Ausdehnung von acht verschiedenen Versammlungen ausgeübten Petitionsrechte gegenüber gerathen sei; der Staat gehe einer inneren Zerreißung durch die acht Landtage entgegen, und ein Vereinigungspunkt der Stände sei nothwendig, wenn die Monarchie stark bleiben solle; da das Gesetz von 1820 nicht zurückgenommen werden könne, so komme der Staat beim Ausbruch eines Krieges in die größte Verlegenheit; endlich wünsche der König selbst die Veränderung.

Der Staatsminister Graf zu Stolberg bemerkte, daß die Zeit eine Ausdehnung der ständischen Institutionen gebiete, und billigt den vorgelegten Entwurf, weil er sich auf der gegebenen Grundlage fortbewege.

Der Staatsminister Flottwell erhob gegen die vorgeschlagene Verfassung, namentlich wegen ihrer Complication, mancherlei Einwendungen; die Bedürfnißfrage aber bejahte er mit Nachdruck und erklärte selbst das Steuerbewilligungsrecht für unerläßlich; denn ohne dasselbe würde die ganze Maßregel durchaus unbefriedigend bleiben.

Gegen die Bewilligung dieses Rechtes machte Uhden nochmals einige Bedenken geltend, indem er sich übrigens der von Bodelschwingh geäußerten Ansicht anschloß.

Canitz betonte die Nothwendigkeit, den Ständen das Steuerbewilligungsrecht einzuräumen: denn das Volk begehre eigentlich nichts weiter als Sicherung eines geordneten financiellen Zustandes; man gehe damit den Forderungen des constitutionellen Systems aus dem Wege; überdies sei die Einrichtung nothwendig, um das Verhältniß der Regierung zu dem Volke günstiger zu stellen, als es jetzt stehe; man entspreche damit der wahren öffentlichen Meinung, d. h. der Meinung aller Gutgesinnten.

Der zu dieser Berathung herbeigezogenen Geheime Oberjustizrath v. Voß[WS 10], vortragender Rath bei dem König, bejahte ebenfalls die Bedürfnißfrage, und wenn, wie berührt, der Hofmarschall Rochow sie aufs Neue verneinte, so waren doch dessen Anträge, die auf eine förmliche Zurücknahme der alten Verheißungen und der Preßfreiheit hinausliefen, nicht dazu angethan, um die allgemeine Ansicht, daß auf dem einmal eingeschlagenen Wege vorgeschritten werden müsse, zu [753] schwächen. Die Anträge mußten vielmehr, da sie etwas Unmögliches enthielten, dieselbe verstärken.

Schließlich erklärte sich nun auch der Prinz von Preußen für die Bejahung der Bedürfnißfrage, wiewohl er im Uebrigen mit den Inhalt des Gesetzentwurfs nicht einverstanden sei. Auf diese Weise wurde über die große Frage Beschluß gefaßt. Die Nothwendigkeit einer centralständischen Einrichtung wurde mit einer Majorität von 14 gegen 2 Stimmen bejaht. Das Resultat ist an und für sich ein entscheidendes. Es war weder eine äußere Gewalt, noch eine innere Faktion, welche dasselbe hervorrief, sondern die Erwägung des Vorangegangenen und der vorliegenden Umstände führte zu dieser Entschließung, die doch eine Abwandlung in der Regierung der Monarchie enthielt, wie sie noch niemals vorgekommen war, und in der That eine neue Aera anbahnte, deren Wechselfälle kein menschliches Auge voraussehen konnte. Niemand empfand das lebendiger als der Prinz von Preußen. Die größten Besorgnisse erweckte ihm besonders das Petitionsrecht, das von den Provinzialständen auf den vereinigten Landtag, für dessen Formen die früheren Entwürfe bestätigt wurden, übergehe, aber dann eine weit größere Wichtigkeit erhalte; da werde die ganze Militärverfassung gefährdet werden, ebenso wie das in den constitutionellen Staaten geschehe; man werde die Ausstattung des Militärs beschränken, die Presse, welche sich in den Angriffen gegen das Militär gefalle, werde Gehör finden; von welchen Gefühlen müsse dann der Offizier beschlichen werden, er könne weder Freudigkeit noch Muth zu einem Berufe haben, den man täglich an den Pranger stelle. Ferner aber, wenn das Recht der Petition sich auf die allgemeinen politischen Angelegenheiten erstrecke, so werde schon die Discussion, die darüber erfolge, auf die äußere Politik des Landes schädlich einwirken; in Deutschland werde das bisherige System, den conservativen Regierungen gegen das Andrängen des Liberalismus zur Stütze zu dienen, nicht mehr behauptet, wahrscheinlich auch die Allianz mit den beiden großen Continentalmächten erschüttert und eine Hinneigung zu den constitutionellen Reichen des Westens hervorgerufen werden. Nicht mindere Bedenken erweckte ihm das Recht der Petition in Bezug auf das Verhältniß zwischen Regierung und Ständen; denn daraus könne nichts entstehen, als ein ungestümes Drängen nach Erweiterung der Rechte, welchem einer so großen Versammlung gegenüber die Regierung nicht lange Widerstand zu leisten vermögen werde.

Die Minister theilten die Befürchtungen des Prinzen nicht. Bodelschwingh erwiderte in Bezug auf den letzten Punkt, daß eine Veränderung der Verhältnisse auch eine Weiterbildung der Verfassung unabweislich machen würde. Ueberhaupt meinte die Commission eine unwillkommene Ausübung des Petitionsrechtes finde in der abgesonderten Abstimmung des Herrenstandes ihr Correctiv. Der Prinz wurde dadurch nicht beruhigt, aber er faßte die zu erwartende Veränderung mit einer gewissen Entschlossenheit ins Auge. „Ein neues Preußen,“ sagt er, „wird sich bilden. Das alte geht mit Publicirung dieses Gesetzes zu Grabe! Möge das neue so erhaben und groß werden, wie es das alte mit Ehre und Ruhm geworden ist“.

Die materiellen und formellen Discussionen über die neuen Gesetze beschäftigten noch eine Reihe von Sitzungen im Laufe des Jahres 1846. Das wichtigste Resultat derselben möchte die festere Bestimmung über die Bildung des Herrenstandes sein; namentlich daß derselbe in der Regel in abgesonderter Versammlung berathschlagen und abstimmen, mithin eine für sich bestehende Abtheilung des vereinigten Landtages bilden solle. Daraus folgte dann, daß die drei anderen Curien, ohne die vierte, aber zusammen zu berathen und Beschlüsse zu fassen hatten.

[754] So kam es dahin, daß die große Veränderung der Verfassung am 3. Febr. 1847 publicirt werden konnte. Das Patent des Königs, welches als ein Ausfluß seiner persönlichen Entschließung erschien, wurde von den Ministern nicht contrasignirt; wohl aber geschah dies in Bezug auf die drei demselben beigefügten Verordnungen über die Bildung des Vereinigten Landtages, über die periodische Zusammenberufung des vereinigten ständischen Ausschusses und dessen Befugnisse und über die Bildung einer ständischen Deputation für das Staatsschuldenwesen. Der Gesichtspunkt war allezeit gewesen dem vereinigten Landtag alle die Vorrechte zu sichern, welche seine Berufung rechtfertigen und ihm eine wahrhafte Bedeutung geben konnten, indem man aber zugleich die Autorität der Regierung aufrecht erhielt, Krone und Stände auf das engste zu vereinigen. Der 3. Februar war zur Publication gewählt worden, weil an demselben Tage vor 34 Jahren (1813) der Aufruf des Königs Friedrich Wilhelm III. zu den Waffen erschienen war. Wie damals die vereinigte Kraft des mit seinem Könige innigst verbundenen Volkes den gemeinsamen Feind besiegte, so möge durch die neuen ständischen Gesetze der Anfangspunkt einer neuen glänzenden Epoche gebildet werden, in welcher das herzlichste Vertrauen zwischen König und Volk die geschäftigen Feinde besiege, welche sich zwischen den König und sein Volk einzudrängen suchen, um aus der Zwietracht die Schwäche, aus der Schwäche den Umsturz zu bereiten und ein Reich der Willkür, Gottlosigkeit und Unordnung aufzurichten.

So drückte sich die officielle Zeitung bei der Bekanntmachung der Edicte aus. Ob das nun aber der Gesinnung des Landes entsprach, ob das Land die Edicte in demselben Sinne aufnehmen würde, in dem sie gegeben waren, – es war vom ersten Augenblick an zweifelhaft.

Die Gesetze vom 3. Februar haben zwei verschiedene Bestandtheile. Der wesentliche Act war die Einberufung einer allgemeinen Versammlung der Stände. Damit waren aber Verordnungen verknüpft, durch welche man den aus diesem Act möglicher Weise für die königliche Autorität entspringenden Gefahren begegnen wollte. Der wohlzusammengesetzten Commission könnte man vielleicht zum Vorwurf machen, daß sie über die Bestimmungen, die sie traf, nicht auch die Landeseingesessenen gehört hat. Allein das würde ihre schwierige Arbeit nur noch schwieriger und beinahe unausführbar gemacht haben. Ihr lag Alles daran, daß der große Schritt gethan werden sollte. Der Anerkennung des ständischen Principes fügte sie eine Anzahl sorgfältig erwogener Bestimmungen hinzu, durch welche die königliche Autorität geschützt und behauptet werden sollte. Alles griff in einander ein, Eins war mit dem Andern auf das engste verbunden; es bildete ein zusammenhängendes System.

Nachdem wir die Erörterungen in ihrem Verlauf und Inhalt begleitet, fällt unser Blick nothwendig auch auf die andere Seite; von denen, von welchen die Einberufung ausging, wendet er sich auf die, welche einberufen wurden. Da tritt uns nun aber sofort eine andere Welt von Gedanken entgegen. Die Gesetze fanden im Ganzen doch nur eine sehr kühle Aufnahme, in ihrem Inhalt und ihrer Fassung lag Vieles, was dem Geist der Zeit widersprach. Das verstand sich; Niemand konnte sich darüber täuschen. Aber man darf nicht sagen, daß das blos der Geist gewesen sei, der sich in Zeitungen und Flugschriften kundgab, es war ein den Dingen innewohnendes Princip, das sich nothwendig geltend machen mußte: denn dieser Staat war ja nicht mehr der alte, in welchem die patriarchale Monarchie in ihrer Verbindung mit der Religion eine unbedingte Verehrung genoß. Solche Stände waren es nicht, welche Friedrich Wilhelm IV. um sich versammelte. In ihrer damaligen Verfassung waltete schon die Gesetzgebung vor, welche im Widerspruch mit dem alten Herkommen seit 1808 eingeführt [755] worden war. Die Zusammensetzung des Staates aus verschiedenartigen Landestheilen war ein Product der Weltereignisse der neueren Geschichte; nicht überall konnte die Hingebung an die Dynastie herrschen, welche bei den Verordnungen vorausgesetzt wurde. Von großer Bedeutung ist nun die Rückwirkung, welche dieselben in den Provinzen hervorriefen, deren Abgeordnete eben zu einer ständischen Central-Versammlung vereinigt werden sollten.

Wir lernen sie aus den Berichten der Oberpräsidenten, die ausdrücklich aufgefordert worden waren, Kunde darüber einzuziehen, und darüber Nachricht zu ertheilen, mit erwünschter Zuverlässigkeit kennen. Wir betrachten eine nach der andern und beginnen mit der Provinz Preußen. In Elbing kam es zu enthusiastischen Freudenbezeigungen über die Verordnungen vom 3. Februar; man meinte, daß zur Vollendung derselben nichts weiter fehle als eine periodische Einberufung des vereinigten Landtages; auch von Thorn aus ward dem König für die Emanation der Verordnungen der Dank der Stände ausgesprochen. In Königsberg dagegen gaben alle die eine Enttäuschung kund, welche nach einer constitutionellen Fortbildung der preußischen Verfassung strebten. Eine sehr entschiedene Manifestation dieser Gesinnung fand auf dem Kreistage von Neidenburg am 20. März statt. Man ging dabei mit einer Adresse an die Landtagsabgeordneten um, nach welcher sie ersucht werden sollten, an keinen Verhandlungen theilzunehmen, bevor nicht das Gesetz vom 17. Januar 1820 in allen seinen Theilen ausgeführt sei, wozu jährliche Wiederkehr der Reichsstände, Genehmigung aller Staatsanleihen, mit Einschluß der im Kriege zu machenden, jährliche Vorlegung des Staatshaushaltes, Verwendung der Revenuen der Domänen und Forsten nicht anders als mit Genehmigung der Reichsstände gehöre.

Wie es die Zusage dieses Gesetzes überhaupt war, was die Einberufung des allgemeinen Landtages veranlaßt hatte, so erweckte die Art und Weise der Ausführung derselben, welche in den neuen Gesetzen angeordnet war, die vornehmste Opposition. Man empfand es, daß die Provinzialstände, welche bisher das Recht gehabt hatten, auch allgemeine Fragen zu erwägen, nunmehr diese Attribution verloren. Man richtete sich besonders gegen die, das Petitionsrecht verkümmernde, dem Volksbewußtsein widerstrebende Spaltung der reichsständischen Versammlung in zwei Abtheilungen und Kreirung einer privilegirten Herrenbank. Diese erregte namentlich das Mißvergnügen der Ritterschaft. Selbst ein Wortführer aus einem der vornehmsten Geschlechter trat auf, der den Widerspruch betonte, in welchem die neuen Gesetze nicht allein mit den früheren Verheißungen, sondern auch mit der Assecurationsacte des Huldigungslandtages von 1840 ständen; er meinte, wenn der Landtag aufgefordert werde, seine Beistimmung zu einer Anleihe zu geben, so werde derselbe statt beizustimmen, seine Incompetenz erklären müssen.

So vereinigten sich in Preußen die constitutionellen Bestrebungen der neuesten Zeit mit einer Erinnerung an die ständischen Vorrechte aus der Epoche der Hochmeister und älteren Herzoge zu einem sehr energischen Widerspruch gegen die neuen Gesetze.

In Schlesien war schon auf den Provinziallandtagen eine radicale Partei sehr stark hervorgetreten, die den Conservativen schwere Tage machte. Sie traf hier mit der Bewegung der Deutschkatholiken innerhalb der einen, der Lichtfreunde innerhalb der andern Confession zusammen, doch hatte sie auch eine ausgesprochene politische Tendenz. Man kann die Schrift von H. Simon „Annehmen oder Ablehnen?“, in der die bezüglichen Verheißungen als ein von dem Volke durch seine Adressen genehmigter Vertrag bezeichnet wurden, von dem die Regierung nicht einseitig hätte abgehen können, als den Ausdruck ihrer Gesinnung [756] betrachten. Am 27. März war auf die Einladung der Breslauer Deputirten eine nicht geringe Zahl anderer in Breslau erschienen, deren Berathungen zwar geheim gehalten wurden, von denen man jedoch durch ein Mitglied, das an demselben theilgenommen hatte, so viel erfahren hat, daß der Beschluß dahin ging, die Gesetze vom 3. Februar dürften nicht als bereits giltig publicirte, sondern nur als Entwürfe, deren Bestimmungen erst noch der näheren Prüfung und Zustimmung der Landtage unterliegen müßten, angesehen und behandelt werden. Die allgemeine Gesinnung war das allerdings nicht; die Schrift von Simon fand vielmehr Widerspruch in den Zeitungen, und die Meinung brach sich Bahn, daß sie Rechtsverdrehungen enthalte. Aber gegen die Gesetze selbst wurden doch auch in Schlesien mancherlei Ausstellungen gemacht, namentlich gegen die Beschränkung des Petitionsrechtes und des passiven Wahlrechtes; doch schien es dem Provinzialgefühl zu schmeicheln, daß der schlesische Herrenstand so stark in der Versammlung vertreten sein werde. In Oberschlesien behielt der alte Grundsatz: Ein Gott, Ein König, Ein Volk die Oberhand; man urtheilte, wenigstens versichert dies der Oberpräsident, die Stände seien schon bisher im Besitz hinreichender Rechte gewesen; in Folge der neuen Verfassung möchten sie nach einer Mitregentschaft streben.

In Posen erkannten die Deutschen freudig an, daß das Sonderinteresse der Polen, die auf den Provinzialständen sehr stark vertreten waren, durch die Einrichtung eines allgemeinen Landtages einen großen Abbruch erleide. Doch waren auch die Polen nicht unzufrieden, besonders weil in den Verordnungen den Ständen ein Antheil an der Besteuerung zuerkannt sei. Man schreibt ihr ruhiges Verhalten dem Wunsche zu, daß sie sich die Gesinnungen des Königs für die seit den letzten Unruhen inhaftirten Landsleute geneigt erhalten wollten.

Diese Frage über die Beseitigung der Rechte der Provinzialstände durch die allgemeinen ward auch in Brandenburg mannigfaltig erwogen. In Frankfurt a/O. sprach man sich darüber beifällig aus. In Berlin dagegen ward das Zurücktreten der Provinzialstände als das Motiv bezeichnet, weshalb die Hauptstadt keine Freude über die Verordnungen kundgegeben habe; denn sie habe sich einmal daran gewöhnt, wiewohl man wußte, daß Berlin doch mit seiner Repräsentation in den Provinzialständen nicht zufrieden war. In andern gesellschaftlichen Kreisen zeigte man nach der Versicherung des Oberpräsidenten besonders auch deshalb Genugthuung, weil die neuen Institutionen nicht so weit gegangen seien, um die Autorität des Königs, auf der zuletzt Alles beruhe, zu gefährden.

In Pommern fand die Behauptung, daß die Provinzialstände vorher hätten gefragt werden müssen, um die in dem neuen Gesetz bestimmte Beschränkung ihrer Befugnisse rechtsgiltig zu machen, Eingang. Man forderte auch hier periodische Einberufung des Landtags und erklärte sich gegen den Vorzug, der den vereinigten Ausschüssen zu Theil werde. Der höhere Bürgerstand wird im Allgemeinen als anerkennend und dankbar geschildert. Der Eindruck, den die Schrift von Simon auch hier gemacht hatte, hielt doch nicht lange aus. Dagegen trat in dem Ritterstande eine unerwartete Opposition hervor. Hier sprach man sich hauptsächlich gegen die Bildung einer besonderen Kurie des Herrenstandes aus: denn dadurch werde den nur zu sehr kleinem Theile den alten Stammlanden des preußischen Vaterlandes angehörenden, ehemaligen Reichsunmittelbaren und insbesondere denen von der katholischen Confession ein Uebergewicht eingeräumt. Loyale Mitglieder fürchteten die Verbindung der Ritterschaft mit den Remonstrationen anderer Stände, wie man sich ausdrückte, der Contre-Opposition mit der Opposition.

Auch aus Magdeburg verlautete, daß die Ritterschaft durch die Bildung [757] des Herrenstandes eine gewisse Verletzung erfahren zu haben glaube, da sie bei der bisherigen Legislatur gewohnt war, eine ganz andere Stellung einzunehmen, als ihr durch die Verordnungen vom 3. Februar angewiesen werde. Die Bevölkerung zeigte sich ziemlich theilnahmlos, da sie mit den kirchlichen Angelegenheiten sehr beschäftigt war, aber man wollte in dem Regierungsbezirk noch eine andere Partei wahrnehmen, welche schon in den Gesetzen selbst das Werk ihrer Bestrebungen sehe und die Erreichung ihres Zieles auf diesem Wege mit Zuversicht hoffe; man glaubte, sie werde dem König und seiner Regierung nur so lange ergeben sein, als deren Entgegenkommen dauere, was dann auf der anderen Seite deshalb Besorgniß erweckte, weil eine Veränderung der inneren Politik auch die äußere betreffen, namentlich das Verhältniß Preußens zu Rußland und Oesterreich in Frage stellen könne.

In Westphalen erhob man ebenfalls lebhafte Einwendungen gegen die Bevorzugung des Herrenstandes, durch welche eine unwillkommene Schranke zwischen den Abgeordneten des Landes und dem Throne gezogen werde; man meinte von demselben ein der Gesammtheit nachtheiliges Eingreifen, das nur den Interessen einiger Weniger entspreche, befürchten zu müssen.

So traten die Meinungen in den verschiedenen Provinzen auseinander. Ueberall vermißte man eine wirkliche und herzlich gemeinte Beistimmung zu den Gesetzen, überall machte sich die Forderung einer Erweiterung der dem vereinigten Landtag zugedachten Berechtigungen geltend. Aber es gab auch zwei prinzipielle Oppositionen: die eine, welche namentlich wegen vermeinter Verletzung der schon geschehenen Verheißungen auf eine Ablehnung des ganzen Entwurfes dringen wollte; die andere, die aus dem dem Herrenstande zuerkannten Vorrechte entsprang und der in sofern eine gewisse historische Bedeutung zukam, als der Nerv der Regierung bisher in dem Ritterstande gelegen hatte und der Herrenstand als ein dem Kern des alten Staates fremdartiges Element betrachtet wurde. Von Ablehnung war hierbei nicht die Rede, aber wohl von Opposition. Kommen wir nun auf die Rheinlande, welche am meisten unter der Einwirkung der allgemeinen Bewegungen von Europa standen.

In Belgien hatten Liberalismus und Katholicismus einen Bund geschlossen, der auf die benachbarten Rheinlande nicht ohne Einfluß bleiben konnte. An und für sich wurden die Verordnungen vom 3. Februar von der sogenannten ultramontanen Partei ungern gesehen; denn auf einem allgemeinen Landtag, welcher in den neuen Gesetzen angeordnet war, durfte sie nicht hoffen, durchzudringen. Der Katholicismus war eigentlich particularistisch. Ganz und gar hatte man allerdings nicht aufgegeben, auch die allgemeine Verfassung auf eine den katholischen Tendenzen entsprechende Weise auszubilden. Man faßte die Idee eines Oberhauses mit Erzbischöfen und Bischöfen; und es ließ sich wohl bemerken, daß der autonome rheinische Adel Fühlung mit dem Klerus hatte. Unter den Liberalen der Provinz gab es viele, welche den Theorien des Jahrhunderts gemäß eine constitutionelle Verfassung nach dem Muster der englischen, französischen, und belgischen mit einer Charte, Civilliste, Kammern wünschten, sie machten Ansprüche, die mit den Gesetzen vom 3. Februar schlechterdings unvereinbar waren. In diesen Kreisen war viel davon die Rede, die Edicte geradehin abzulehnen, in Verbindung mit den Schlesiern und Preußen, in wiefern da dieselbe Absicht Platz greifen würde. Das war jedoch nicht die Gesinnung der gemäßigten Liberalen. Sie fühlten ganz die hohe Bedeutung, die es überhaupt habe, daß der König eine allgemeine ständische Versammlung einrichte. Die Ablehnung würde keine andere Folge gehabt haben, als die Unmöglichkeit eines Zusammentretens der Stände überhaupt. Eine Versammlung rheinischer Abgeordneten, die am 14. März in Cöln stattfand, ist für die große Frage entscheidend geworden. [758] Es waren 30 Abgeordnete beisammen, welche die Majorität der rheinischen Abgeordneten bildeten. Die der Regierung feindselige Stimmung fand in dieser Conferenz nur wenig Anklang. Incompetenz-Erklärung und eigentliche Protestation wurden verworfen. Dagegen brach sich der Gedanke Bahn, in einer Adresse die in den früheren Verordnungen ausgesprochenen Rechte nicht ohne Beziehung auf das Besitzergreifungspatent, zu wahren, in einer ehrerbietigen Sprache, im voraus entschlossen, mit einer Antwort zufrieden zu sein, die nur nicht geradezu zurückweisend ausfalle.

Alles betrachtet, war es also nicht das katholisch-particulare Interesse, noch auch das allgemeine constitutionelle, was in dieser Conferenz und am Rheine überhaupt die Oberhand behielt. Weit entfernt mit dem Inhalt der Edikte zufrieden zu sein, war man doch davon durchdrungen, daß eine allgemeine ständische Versammlung höchst wünschenswürdig sei, wie das ja auch in den Verordnungen selbst das Wichtigste war. Die Idee des preußischen Staates, nur in einer ständisch modificirten Form, behielt also die Oberhand.

In diesem Sinne fielen auch die Berathungen einiger Stadträthe aus, die sich zwar beschieden, daß sie den Abgeordneten keine Instructionen zu geben hätten, aber doch Wünsche aussprechen dürften, die von diesen berücksichtigt werden würden. In Crefeld bezeichnete man als solche vor Allem Ausbildung der reichsständischen Institutionen, sowol auf Grund der früher erlassenen Gesetze, als mit Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gegenwart. Man verlangte Oeffentlichkeit in den Gemeindeverhandlungen und in der Rechtspflege, gleiche Berechtigung aller Staatsbürger ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntniß und endlich eine nationale, den Interessen der Industrie entsprechende Handelspolitik.

Der Abgeordnete v. Beckerath erklärte sich damit einverstanden und erkannte die moralische Verpflichtung der Abgeordneten gegen ihre Committenten an. Wie Beckerath in Crefeld, so wirkte Camphausen in Cöln.

In diesen Beschlüssen liegt vielleicht die bedeutendste Rückwirkung der Verbindung der Rheinlande mit der preußischen Krone. So einflußreich sich die Zustände von Belgien auch erwiesen, so fand in den Rheinlanden doch die enge Verbindung von Katholicismus und Constitution nicht statt, die dort obsiegte. Man trug dem Gesammtinteresse des preußischen Staates allezeit Rechnung, wiewol mit bestimmten Vorbehalten.

In den ersten Tagen des April versammelten sich nun die Abgeordneten der acht Provinzen in Berlin. Der König eröffnete den vereinigten Landtag am 11. April mit einer seiner glänzendsten Reden. Ihr Werth liegt besonders darin, daß sie die Einheit des Gedankens darlegt, der die einander scheinbar widerstrebenden Directionen, die in den Edicten zu Tage kamen, mit einander verband und, wenigstens in seiner Auffassung ausglich. Er sagte darin: getrosten Muthes und mit der ganzen Freiheit der königlichen Machtvollkommenheit sei er an die Vollendung der Gesetzgebung seines Vaters gegangen, die sich bisher heilsam erwiesen habe. Da nun das Gesetz vom 17. Januar 1820 den Ständen Rechte und Pflichten gebe, die weder von Provinzialversammlungen, noch von Ausschüssen geübt werden können, so sei er, ein Feind aller Willkür, dazu geschritten, die gesammten Provinzialstände in eine einzige Versammlung zu vereinigen, und lege derselben Rechte bei, die weit über alle Verheißungen des verstorbenen Königs hinausgehen, namentlich das der Steuerbewilligung. Er werde die Versammlung nicht allein in den schon in seinem Patent angegeben Fällen, sondern so oft es ihm sonst nöthig scheine, zusammenberufen, zumal, wenn die Erfahrung zeige, daß er das thun könne, ohne höhere Regentenpflichten zu verletzen. Schon bisher habe jeder Preuße gewußt, daß alle Gesetze, die seine Freiheit und sein Eigenthum betreffen, zuvor mit den Ständen berathen werden. Von nun an aber wisse Jedermann, [759] daß der König mit alleiniger, nothwendig gebotener Ausnahme von Kriegsdrangsalen keine Staatsanleihe abschließen, keine Steuer erhöhen, keine neue Steuer auflegen werde, ohne die freie Zustimmung aller Stände. Auf das stärkste erklärt er sich gegen die Anforderung eines durch Urkunden verbrieften, constitutionellen Lebens. Für Preußen passe dies System nicht; es könne sich in seiner Stellung nur so lange behaupten, als die Geschäfte des Landes von Einem Willen geleitet werden. Er fordere nicht Knechtschaft, sondern nur, was einem freien Manne gezieme, Gehorsam um Gottes und des Gewissens willen. „Ich strebe allein“, so fährt er fort, „danach, meine Pflicht nach bestem Wissen und nach meinem Gewissen zu erfüllen und den Dank meines Volkes zu verdienen, sollte er mir auch nimmer zu Theil werden.“ Er wisse, sein Volk sei noch das alte, christliche Volk, das biedere, treue, tapfere Volk, das die Schlachten seiner Väter geschlagen habe, und dessen ehrenhafte Eigenschaften mit der Größe und dem Ruhme des Vaterlandes nur gewachsen seien. Dies Volk wolle nicht das Mitregieren von Repräsentanten, das Brechen der Vollgewalt seiner Könige, die seine Freiheit und seinen Wohlstand begründet haben. Es gelte jetzt einen innern Kampf gegen die bösen Gelüste der Zeit um dieselben hohen Güter, einen friedlichen zwar, aber seine Treffen seien nicht um eines Haares Breite unwichtiger, als es jene in Blachfelde waren.

Man muß diese Rede vollständig lesen; sie hat in ihrer Art etwas Erhabenes. Als Ausdruck der persönlichen Gesinnung ist sie hinreißend. Sie erinnert an die Psalmen des Königs David, welche Friedrich Wilhelm IV. zu lesen und zu studiren liebte. Sie ist noch einmal eine Manifestation des Königthums von Gottes Gnaden in seiner Verbindung mit der religiösen Idee, welche auf das stärkste mit den Worten der Bibel ausgesprochen wird, um so denkwürdiger, da sie in eine Epoche fällt, in der ganz andere Gefühle und Ueberzeugungen vorherrschten. Es war vollkommen der Ernst Friedrich Wilhelms IV., daß sich sein Volk, dem er die ständische Verfassung verleiht, um ihn schaaren soll, um der antireligiösen und subversiven Tendenz, welche von allen Seiten vordringe, zu widerstehen.

So inhaltschwer die Rede ist, so könnte man doch nicht sagen, daß sie großen Eindruck gemacht hätte. Man hat damals behauptet, die Rede des Königs sei von einem Dritttheil der Anwesenden gar nicht verstanden worden, von einem Dritttheil halb, das letzte Dritttheil habe sie verstanden, aber nicht eben gebilligt. Für jenen Aufruf des Königs, daß man sich um ihn gegen die Feinde der inneren Ordnung vereinigen solle, hatte Niemand Sinn und unmittelbares Verständniß.

Man täuschte sich nicht darüber, daß die Stände auf Periodicität dringen und Vieles bestreiten würden, was in den Gesetzen als Norm ausgesprochen war. Für das Erste waren die Mitglieder des Herrenstandes nicht minder eifrig, als die Anderen; denn für sie hing davon die Aussicht ab zur Würde der preußischen Pairschaft, d. h. zu einem hohen Range im Staate auf immer zu gelangen.

Männer von Geist haben ausgesprochen, die Sache werde keine Woche dauern; denn die Forderungen der Stände wolle und könne man vielleicht nicht befriedigen; man werde sie in acht Tagen auflösen müssen.

Aber treten wir nun an die Verhandlungen des Landtages heran. Es konnte die Frage sein, ob es sich zieme, der persönlichen Ansprache des Königs durch eine Adresse zu begegnen, wie das in constitutionellen Verfassungen bei den durch die Minister verfaßten Thronreden der Fall ist. Aber der König sagte nach einigen Bedenken, die Sache sei ihm gleichgiltig; er war überhaupt nicht dagegen, daß ihm die ständischen Forderungen vorgetragen würden; er ließ vernehmen, er werde Einiges bewilligen, Anderes nicht. Daß ihm die Forderungen der Stände [760] als wohlbegründete Rechtsansprüche vorgetragen werden würden, scheint er nicht vorausgesetzt zu haben. Eben dies aber geschah. Gleich in der ersten Sitzung schlug Graf Schwerin eine Adresse vor, in welcher man dem König zwar für die aus seiner Machtvollkommenheit hervorgegangene Berufung des vereinigten Landtages Dank sagen, aber zugleich die Bedenken aussprechen solle, die aus dem Gesichtspunkte des Rechts und der durch die frühere Gesetzgebung dem Volke und den Staatsgläubigern gegebenen Garantien sich aufdrängen müssen. Der Vorschlag wurde genehmigt und eine Commission zur Vorberathung der Adresse ernannt. Der hochconservative Landtagsmarschall traf Wahlen dafür, deren Mehrzahl liberale Namen darstellten. Zum Referenten der Commission wurde das Mitglied für Crefeld, Beckerath ernannt, der nun am 15. einen Adreß-Entwurf vortrug, welcher den oppositionellen Ideen entsprach, die sich allenthalben, namentlich in der Rheinprovinz, kundgegeben hatten. Er begründet sie auf das Wort des Königs, die Versprechungen seines Vaters zu erfüllen; „an denen aber hänge das Volk als an dem wohlerworbenen Erbe seiner Kampfestreue.“ Indem er dann dem vereinigten Landtag alle die Rechte vindicirt, die früher den Reichsständen zugesprochen, legte er den größten Nachdruck auf die Verheißung im Gesetz vom 17. Januar 1820, daß denselben alljährlich von der Verwaltung der Staatsschulden Rechnung gelegt werden solle. Er knüpft daran die Forderung einer periodischen Wiederkehr des Landtags, wodurch ihm erst die Lebensbedingung einer gedeihlichen Wirksamkeit gewährt werde. In demselben Sinne geht er auch einige andere Gesetzbestimmungen durch und spricht aus, daß es eine Gewissenspflicht der Stände sei, diese Erklärung zur Wahrung der ständischen Rechte an den Füßen des Thrones niederzulegen. Der frühere Minister, Graf Arnim, brachte einen Gegenentwurf ein, in welchem ebenfalls davon die Rede ist, daß in den Edicten vom 3. Februar von Vielen die Uebereinstimmung mit den älteren Gesetzen vermißt werde; selbst der wohlerworbenen Rechte geschieht darin Erwähnung, nicht jedoch einer an den Füßen des Thrones niederzulegenden Wahrung derselben. Man hat damals angenommen, diese Form würde durchgegangen sein, wenn es darüber gleich in der ersten Sitzung zur Abstimmung gekommen wäre. Dies geschah aber nicht und in der nächsten Sitzung brachte dann Alfred von Auerswald ein Amendement des amendirten Entwurfes ein, in welchem wieder das Eine und das Andere aus dem ersten Entwurf aufgenommen war, nicht zwar die auf die Periodicität des Landtags bezügliche Stelle, wohl aber die, welche sich auf die Wahrung der Rechte bezog: denn, soviel man anderweit erfährt, war in der vorläufigen Vorbesprechung, eine Wahrung der Rechte einzulegen, verabredet worden. Aus der Arnim’schen Adresse wurde der Satz beibehalten, daß den Ständen beides gleich theuer sei, die Ehre und Kraft der Krone und die von den Königen verliehenen ständischen Rechte. In dieser Form ist die Adresse durchgegangen. Sie hatte 484 Stimmen für sich, für die Arnim’sche Fassung hatten sich nur 290 Stimmen erklärt.

Es gereichte damals zu allgemeiner Verwunderung, daß Niemand gegen die Adresse gesprochen hatte. Daß durch Widerrede aber viel geändert worden wäre, läßt sich doch nicht annehmen; die Combination der Beckerath’schen und der Arnim’schen Form, welche sich von Auerswald herschrieb, entsprach der vorwaltenden Ansicht und den allgemeinen Wünschen. Niemals ist eine Adresse von größerer Bedeutung gewesen; sie enthielt eigentlich eine Umwandlung des bisherigen Zustandes. Eine allgemeine ständische Versammlung trat dem Throne zur Seite, die dann ihr Dasein durch sehr bestimmte, von den letzten Edicten unabhängige Forderungen manifestirte.

Ein großes Interesse hat, vom historischen Standpunkt aus betrachtet, dieser in der Geschichte der Monarchie neue Gegensatz. Der König hatte die [761] Hoffnung gehegt, indem er den Ständen Rechte verlieh, die ihnen bisher noch nie in aller Form zugestanden gewesen, und zwar aus freiem Willen, die Entzweiung abzuschneiden, in welcher sonst Fürsten und Völker allenthalben begriffen waren, und ein Beispiel der Eintracht, welche Kraft gibt, aufzustellen, so daß die innere und äußere Macht des Staates verstärkt und nicht etwa geschmälert werden sollte. Die Adresse brachte ihm zu lebendigem Bewußtsein, daß auch auf der anderen Seite ein Anspruch vorhanden sei, den er bisher nicht ernstlich ins Auge gefaßt hatte: denn mehr mit der Abwehr vermeintlicher Gefahren war man in der Commission beschäftigt gewesen, als mit einer Erledigung der Schwierigkeiten, welche Allen genügt hätte. Noch hielt man für möglich, den Rechtsstreit zu vermeiden, wenn man die Forderung der Stände nicht geradehin zurückweise. Das war der Sinn der Antwort, die der König in einer Botschaft vom 22. April auf die Adresse gab. Er mißbilligt in derselben den Ausdruck „Wahrung“, da ja ihm selbst die Wahrung aller Rechte obliege. In Bezug auf die Verheißungen seines Vaters versichert er, er habe, wo sie einer Auslegung bedurften, eine solche nach bestem Wissen und Gewissen gegeben; übrigens aber sei er über dieselben bei weitem hinausgegangen. Indem er ausspricht, daß er keine anderen Berechtigungen als die in dem Patent enthaltenen anerkenne, fügt er gleichwol hinzu, daß er die Verfassung, die in ihren Grundlagen feststehe, übrigens doch als fortbildungsfähig betrachte. Die ihm auf verfassungsmäßigem Wege zugehenden Anträge werde er prüfen und in soweit gewähren, als es mit den unveräußerlichen Rechten der Krone und der Wohlfahrt des Landes vereinbar sei. Und wie nun unter den Ansprüchen der Stände keiner stärker und allgemeiner war, als die periodische Wiederberufung des Landtages, so erklärte sich der König geneigt, die für die Ausschüsse in Aussicht gestellte Wiederberufung innerhalb 4 Jahren das nächste Mal auch auf die allgemeine Versammlung auszudehnen und dieselbe alsdann vollzählig wieder um sich zu versammeln; – zwei Concessionen von größter Tragweite, in welchen der Weg betreten wurde, der auch schon in den Rheinlanden angedeutet war, durch Verhandlungen die obwaltenden Schwierigkeiten zu heben, ohne jedoch dem Charakter der angekündigten Verfassung Eintrag zu thun.

In den Verhandlungen, welche nunmehr folgten, zeigten sich zwei verschiedene Anschauungen von Staat und Welt. Die Gesetzgebung selbst und die Thronrede beruht auf dem Begriff der königlichen Machtvollkommenheit. Dieser wurde auch in der Botschaft festgehalten. Aber Wirkung auf die Stände brachte das nicht hervor. Die Erklärung einer großen Anzahl von Mitgliedern, 138 an Zahl, lief auf die entschiedenste Rechtsverwahrung, eigentlich eine Declaration der Rechte hinaus, und in den Berathungen der Stände wurden Anträge vorgelegt, welche auf dem Grund der bestehenden Gesetze Rechtsansprüche auf die Abänderung der Verfassung enthielten. Man entwickelte aus denselben den Anspruch auf eine bestimmt festgesetzte Periodicität, auf die Theilnahme der Stände an der Gesetzgebung und einen wirksamen Antheil an der Finanzverwaltung.

Charakteristisch sind die Vorgänge, welche in der Versammlung der drei Curien erfolgten, als die in den Abtheilungen vorberathenen Anträge im Plenum zur Discussion kamen.

Am 31. Mai trug Vincke auf eine Petition an den König an, daß er das bestehende Recht des vereinigten Landtages, auf Grund des Art. XIII. des Gesetzes vom 17. Januar 1820, alljährlich behufs Abnahme der Rechnung der Hauptverwaltung der Staatsschulden einberufen zu werden, anerkennen, falls jedoch einer so häufigen Einberufung erhebliche Bedenken entgegenständen, dem vereinigten Landtage eine darauf bezügliche Proposition vorlegen lassen möge.

Dieser Antrag rief den lebhaften Widerspruch des Landtags-Commissarius, [762] Minister Bodelschwingh, hervor; denn der Idee des Königs widersprach es, Rechte, die aus den früheren Gesetzen hergeleitet würden, anzuerkennen; er meinte, sie in seinem Patent vom 3. Februar hinreichend berücksichtigt zu haben. Bodelschwingh sprach aus, daß gegen einen Beschluß, der König möge die Rechte des Landtags anerkennen, nichts zu erinnern, daß jedoch ein Beschluß, der Landtag habe dies Recht, unzulässig sei. In dieser Differenz culminirt die damalige Frage. Der Landtags-Commissarius bestand auf dem ausschließenden legislativen Recht des Königs, dessen Gesetz die Grundlage aller bestehenden Rechte sei. Die Stände nahmen ein dieser Gesetzgebung lange vorausgegangenes, unbestreitbares Recht in Anspruch, unabhängig von den neuen Edicten. Ueber diesen fast ideologischen Streit es zu einem Bruch zwischen Regierung und Ständen kommen zu lassen, waren doch auch diese nicht gemeint. Die Wichtigkeit der Sache wird es rechtfertigen, wenn wir der ferneren Verhandlungen, wie sie in den Protokollen aufgezeichnet sind, noch mit einigen Worten gedenken.

Am 2. Juni brachte Graf Schwerin den Antrag in folgender Fassung ein: der König solle gebeten werden, in Anerkennung des in der früheren Gesetzgebung begründeten Rechtsanspruches, sowie aus Gründen der Nützlichkeit die regelmäßige jährliche Einberufung des vereinigten Landtags auszusprechen; in sofern aber die periodische Wiederkehr in so kurzen Fristen nicht angemessen gefunden werden sollte, vermittelst einer dem vereinigten Landtag vorzulegenden Proposition auf legislatorischem Wege einen entsprechenden Turnus festzustellen; in der That doch dasselbe, worauf Vincke angetragen hatte, nur ohne bestimmte Erwähnung des Gesetzes, auf welches sich der Antrag basirte, und in weniger schroffer Form.

Ueber den einen und den andern Antrag ist nun in den drei Curien abgestimmt worden; für den ersten sprachen sich 260, für den zweiten 327 Stimmen aus. Keine von diesen beiden Abstimmungen erreichte jedoch die erforderlichen 2/3 der Stimmenzahl.

In dieser Verlegenheit erneuerte Hansemann einen schon früher von Puttkammer[WS 11] gestellten Antrag, nach welchem der König gebeten werden sollte, mit Bezug auf die frühere Gesetzgebung und aus Nützlichkeits- und inneren Nothwendigkeitsgründen die Einberufung des vereinigten Landtages alle zwei Jahre auszusprechen.

Für diesen Antrag erklärte sich eine leicht zu erkennende Majorität von mehr als zwei Dritttheil. Er war in der Hauptsache präciser, in der Rechtsfrage nicht mehr anstößig; aber daß bei dem minder schroffen Ausdruck das Recht der Stände vorbehalten war, läßt sich nicht bezweifeln.

Bei der zunächst folgenden Debatte über den Beirath der Stände bei allen zu erlassenden allgemeinen Gesetzen wiederholte Vincke seine Bezugnahme auf das bestehende Recht der Stände, mit Erwähnung der Paragraphen der Gesetze von 1815 und 1823 und zog den Schluß daraus, daß dann auch der Wegfall der in dem Edict vom 3. Februar angeordneten Ausschüsse nothwendig sein würde.

Wie bei der ersten Frage Graf Schwerin, so formulirte v. d. Heydt die zweite präciser und weniger anstößig dahin, ob man, gestützt auf den aus der früheren Gesetzgebung hervorgehenden Rechtsanspruch und aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit, den König bitten solle, den Wegfall der Ausschüsse in der ihnen durch die Verordnung vom 3. Februar gegebenen Einrichtung auszusprechen.

Es war immer bezweifelt worden, ob der Landtags-Commissarius ein Recht habe, in die Debatten einzugreifen. Auch mag es demselben hinreichend erschienen sein, seinen Widerspruch einmal geltend gemacht zu haben. Diesmal erscheint nur der Landtags-Marschall, der zuerst den Antrag Vincke zur Abstimmung [763] brachte, welcher zwar die Majorität, aber lange noch nicht die erforderlichen 2/3 der Stimmen erhielt, so daß diese auf das schon durch die früheren Gesetze bestehende Recht gegründete Fassung auch diesmal abgelehnt wurde. Dagegen wurde die einfache Frage, ob der König um den Wegfall der Ausschüsse zu bitten sei, mit der erforderlichen Stimmenanzahl bejaht. Eine Frage war noch, ob die Begründung auf die frühere Gesetzgebung in die Bitte selbst oder nur zu deren Motivirung aufzunehmen sei. Der Beschluß der überwiegenden Majorität war ungefähr dem obenerwähnten Puttkammer-Hansemann’schen Antrag analog, daß der König mit Bezugnahme auf die frühere Gesetzgebung und aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit gebeten werden solle, den Wegfall der Ausschüsse anzuordnen.

In gleicher Art wurde der hiemit zusammenhängende Antrag auf eine Erklärung des Königs, daß mit Bezug auf die frühere Gesetzgebung und aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit der Beirath des vereinigten Landtags nicht durch die Verhandlungen mit den einzelnen Provinziallandtagen ausgeschlossen werden dürfe, angenommen.

Dasselbe Verhältniß wiederholte sich ungefähr bei dem Artikel über die ständische Deputation für das Staatsschuldenwesen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Gesetz von 1820 wurde vermieden, hauptsächlich in Folge einer Erklärung des Landtags-Marschalls, daß die Absicht des Königs dahin gehe, noch in der gegenwärtigen Diät eine Declaration seiner Verordnung zu erlassen. Diesmal war es Vincke, der den Antrag so formulirte, daß er angenommen werden konnte, nämlich den König zu bitten, anerkennen zu wollen, daß nur mit Zustimmung des vereinigten Landtages Landesschulden rechtsgiltig contrahirt werden könnten. In der folgenden Sitzung wurde dann auf den Antrag Auerswald die Zusage des Commissarius mit großer Stimmenmehrheit als den Wünschen des Landtages entsprechend bezeichnet.

In diesen wichtigen und entscheidenden Artikeln liefen dergestalt die beiden Auffassungen einander nach ihrer ursprünglichen Intention entgegen. In einer Eingabe der drei Curien wurden sie nun nach Maßgabe der ergangenen Abstimmungen zusammengefaßt. Die Hauptsache bleibt immer der Antrag auf die Periodicität, welche dazu gehöre, um die ständische Verfassung zu einer wahrhaften und stetigen Wirksamkeit gelangen zu lassen. Man betont, daß die Schaffung von drei Gewalten, Generalversammlung, Ausschüsse und Provinzialversammlungen, nicht im Geiste der früheren Gesetzgebung sei; die Ersetzung des vereinigten Landtages durch die Ausschüsse und die Staatsschuldendeputation sei nicht gesetzlich; die früheren Gesetze kennen nur Eine centralständische Versammlung, der die bestimmten Functionen des Beiraths über die allgemeinen Gesetze und Steuern, das Petitionsrecht und die Controlle der Staatsschulden beigelegt werden. Ein wichtiger Theil dieser Functionen sei nun auf die Ausschüsse übertragen worden; sie seien nicht mehr erforderlich, wenn die Periodicität dem Landtag zugestanden würde.

Indem die drei Curien den König bitten, die Einberufung des Landtages alle zwei Jahre eintreten zu lassen, ersuchen sie ihn zugleich, von der bereits angeordneten Wahl der Ausschüsse abzusehen.

Diese Anträge bedurften nun noch, um als allgemeine Beschlüsse zu gelten, der Beistimmung der Herrencurie; und, was man vielleicht von Anfang an nicht erwartet hatte, in der Hauptsache stimmte diese bei. Sie urtheilte zwar, daß der Antrag auf eine zweijährige Periode der Einberufung der Stände keine rechte Begründung habe, aber sie drückte doch den dringenden Wunsch aus, daß der König eine bestimmte Frist für diese Wiedereinberufung festsetzen möge. [764] Die Ausschüsse wollten die Herren nicht geradezu aufheben, aber doch auf die denselben schon im Jahre 1842 ertheilten Rechte beschränken.

In Bezug auf die Anleihen geht die Herrencurie auf die Verlegenheiten, in welche die Regierung bei zu erwartenden Kriegsfällen gerathen könnte, näher ein; sie würde dafür stimmen, daß der König ermächtigt würde, in solchen Fällen Anleihen ohne vorherige Genehmigung der Stände rechtsgiltig zu contrahiren. Sie bittet ebenfalls um Aussetzung der Wahlen zu den Ausschüssen.

Wie in diesen, so schließt sich die Herrencurie auch in den meisten andern Punkten den Beschlüssen der drei Stände an, und diese treten dann wieder den beiden Hauptanträgen der Herrencurie, daß nämlich die Festsetzung der Periode der Wiedereinberufung der Weisheit des Königs überlassen bleiben und die Ausschüsse auf ihre frühere Wirksamkeit beschränkt werden möchten, ihrerseits bei.

Sollte nun der König die so einmüthig vorgetragenen Wünsche der Stände genehmigen, oder aber, weil sie seiner Auffassung widersprachen, geradehin zurückweisen? Weder das Eine, noch das Andere lag in seinem Sinne; indem er Einiges nachgab, behauptete er doch seine Position. Er antwortete, wie er Alles von der Erfahrung abhängig gemacht habe, so werde er auch die ihm vorgetragenen Wünsche in Bezug auf Periodicität und auf die Ausschüsse in Erwägung ziehen. Ueber einige in Bezug auf das Steuerwesen erhobene Zweifel gab er vollkommen genügenden Bescheid und ertheilte die Versicherung, daß die Deputation für das Staatsschuldenwesen nicht dazu da sei, die Consentirung des Landtages zu ersetzen. Aber er war weit entfernt in die Aussetzung der Wahlen zu den Ausschüssen und der Deputation, die man befürwortet hatte, einzuwilligen; vielmehr ordnete er sie in diesem Augenblicke an. Sein Grundsatz war, daß die Verfassung erst vollständig zur Durchführung gekommen sein müsse, ehe an eine endgiltige Veränderung derselben gedacht werden dürfe.

Da nun aber der Widerspruch der Stände sich vor Allem gegen die Ausschüsse und gegen die Deputation gerichtet hatte, so entstand doch die Frage, ob die Versammlung jetzt dennoch zur Wahl derselben schreiten werde. Eine Weigerung konnte verhängnißvoll werden; denn unter den Ministern selbst herrschte die Ansicht, daß der König in einem solchen Falle die Versammlung entlassen müsse, was einer Wiederaufhebung des gesammten Instituts, welche sich gleich bei dem ersten Schritte unausführbar erwiesen hätte, gleichgekommen wäre. Man hat vermuthet, die Tendenz der äußersten Opposition sei es eben, den König dahin zu treiben. Wie es sich auch hiemit verhalten möge, die Meinung der Versammlung konnte nicht dahin gehen. Denn in den Ständen wurde in Betracht gezogen, daß man von den Gesetzen vom 3. Februar doch nicht das Eine annehmen und das Andere von vornherein ablehnen könne. Der Gedanke brach sich Bahn, daß dies der Größe und Macht des Staates, den Alle aufrecht zu erhalten entschlossen seien, großen Eintrag thun und der hierzu schon in der Adresse feierlich übernommenen Verpflichtung entgegenlaufen würde. Es war aber nicht die Sache des vereinigten Landtages, selbst darüber zu entscheiden, sondern Alles kam nochmals auf die Provinzialstände an, aus denen er sich zusammensetzte und von denen die Wahl vollzogen werden mußte.

Wir werden nun wieder in den Kreis der provinzialständischen Berathungen geführt.

Unter den preußischen Ständen schloß sich die große Mehrzahl einer Erklärung v. Auerswald an, die Botschaft des Königs sei dahin zu verstehen, daß die Ausschüsse nur zur Berathung solcher Gegenstände dienen sollten, welche dadurch nicht dem in den früheren Gesetzen begründeten Beirath des vereinigten Landtages entzogen werden.

Unter den brandenburgischen Ständen, die sich noch einmal in ihrem Ständehause [765] versammelten, erklärte die größere Anzahl, „daß durch die frühere Gesetzgebung vom 17. Januar 1820 und 5. Juni 1823 die vollständige Begründung der Wahlberechtigung zweifelhaft werde, daß sie sich aber für die Vornahme der Wahl entschließen zu müssen glaube, – nicht aus eigener Ueberzeugung und in voller Uebereinstimmung mit ihrem Gewissen, sondern lediglich aus Gehorsam gegen den ausdrücklichen Befehl des Königs und im vollsten Vertrauen auf die ertheilte Zusicherung der Fortbildung der ständischen Verfassung.“ Dem trat die ganze Versammlung bei.

So erklären auch die Mitglieder des Posener Landtages, „daß die Stände, um der Erwartung Sr. Majestät des Königs zu entsprechen, bereit seien, die Wahlen vorzunehmen; daß sie dies aber in der vertrauensvollen Voraussetzung thuen, Se. Majestät werde dem vereinigten Ausschusse und der ständischen Deputation für das Staatsschuldenwesen keine Wirksamkeit zuweisen, durch welche der vereinigte Landtag in seiner Eigenschaft als reichsständisches Organ beeinträchtigt werden könnte.“

In den Ständen von Pommern und Rügen verweigerte der Marschall irgend einen Vorbehalt anzunehmen, doch sah sich dadurch nur ein einziges Mitglied veranlaßt, seiner Theilnahme an der Wahl zu entsagen.

Bei weitem stärker aber war der Widerspruch in den schlesischen Ständen. Der Abgeordnete von Breslau, Milde, bezeichnete es von vornherein als einen Grund der Ablehnung, daß durch Vornahme der Wahlen die Grundverfassung, das Gesetz von 1820, vollkommen aufgehoben werde. Ihm schloß sich eine Anzahl gleichgesinnter Abgeordneter an. Andere waren mit dem Vorbehalt zufrieden, „daß durch die vorzunehmenden Wahlen den Rechten des vereinigten Landtages kein Eintrag geschehe.“

In der Versammlung der sächsischen Stände hatte der Landtags-Marschall die Vorsicht in seiner Eingangsrede all’ die Schwierigkeiten selbst zu erwähnen, die man sonst in einem Vorbehalt zusammenfaßte, so daß bei der Wahl nur ein sehr partieller Einspruch erfolgte.

Unter den westfälischen Ständen erhob Vincke, Mitglied für die Ritterschaft der Grafschaft Mark, materielle, sowie formelle Bedenken gegen die Zulässigkeit der Wahlen überhaupt, an denen er mit einigen Andern theilzunehmen verweigerte. Der Marschall setzte die Unerheblichkeit der formellen Schwierigkeiten auseinander, auf die materiellen einzugehen, lehnte er ab; er stellte die Wahlen als eine Pflicht des Gehorsams gegen den König dar. Eine Anzahl von Abgeordneten erklärte sich bereit, die Wahl vorzunehmen, „in der festen Hoffnung und dem Vertrauen, daß Se. Majestät die vom Landtage eingereichten Petitionen in Betreff der Ausschüsse und der Deputation für das Staatsschuldenwesen berücksichtigen werde.“ Der Landtags-Marschall ließ sich dies nur in soweit gefallen, als es nicht als Bedingung ausgesprochen werde, sondern als Wunsch.

Unter den Abgeordneten der Rheinprovinz gelangte die Idee, von der der König ausging, daß nämlich die Annahme seiner Gesetze, auf deren Grund die Versammlung berufen worden war, nicht einseitig erfolgt sein könne, sondern einen Versuch der Ausführung der ganzen Institution bedinge, zu energischem Ausdruck. Doch war das keineswegs die allgemeine Ansicht; eine ganz entgegengesetzte vertrat Hansemann, der eine von 28 Mitgliedern des Landtages unterschriebene Erklärung zu Protocoll gab, in welcher diese die Theilnahme an den Wahlen verweigerten, weil die den vereinigten Ausschüssen durch die Verordnungen vom 3. Februar beigelegte Befugniß in Widerspruch mit mehreren Bestimmungen der nicht verfassungsmäßig aufgehobenen Gesetze vom 22. Mai 1815, 5. Juni 1823 und 17. Januar 1820 stehe.

Soweit aber wollten sich die übrigen, eigentlich liberalen rheinischen Deputirten [766] nicht fortreißen lassen; sie wollten keinen Akt des Ungehorsams begehen, der von dem Wege der Reform, auf dem man begriffen sei, zur Revolution führen würde, sie wollten mit der Krone nicht brechen. Camphausen und Beckerath mit neunzehn anderen Deputirten gaben eine Erklärung ein, in welcher sie zwar Verwahrung einlegten, daß allgemeine, das Personen- und Eigenthumsrecht und die Steuern betreffende Gesetze ohne die Begutachtung des vereinigten Landtages nicht erlassen und Staatsanleihen ohne Einwilligung des vereinigten Landtages nicht abgeschlossen werden könnten, aber die Theilnahme an den Wahlen nicht ablehnten.

Es hätte noch immer zweifelhaft sein können, ob eine Wahl unter diesem Vorbehalt zuzulassen sei. Wenigstens war der Vorgang in anderen Versammlungen dagegen, und die Frage ist auch hier erhoben worden, aber der Landtags-Marschall ging darauf nicht ein; er erklärte die Discussion für geschlossen und ließ die Wahlen vornehmen.

Von den beiden ersten Ständen, Herren und Rittern, wurden sie ohne Anstand vollzogen, im Stande der Städte lehnten zwei von den Gewählten ab, jedoch wurden diese leicht durch andere ersetzt. Dagegen waren die Landgemeinden nur sehr unvollständig zu der Wahl erschienen. Diese wurde dennoch vollzogen, allein die vier Gewählten lehnten sämmtlich ab, sie gehörten zu denen, welche den Hansemann’schen Protest unterzeichnet hatten, und waren durch keine Stellvertreter zu ersetzen.

Wir erwähnen diese einzelnen Vorgänge auch deßhalb, weil sie Anlaß zu einer allgemeinen Betrachtung geben.

Wenn in den Verhandlungen der Gegensatz zwischen königlicher Machtvollkommenheit und den gewährleisteten Rechten zu Tage kam, so war derselbe gleichwol kein absoluter. Denn, was eigentlich das Wichtigste war, die Vereinigung der Provinzialstände in eine einzige Versammlung, das wurde von den Ständen mit großem Beifall angenommen; geschehen aber war es nur durch königliche Machtvollkommenheit. In so fern hat die Verweigerung der Wahlen zu den Ausschüssen eine Tragweite, die noch über diese Bestimmung hinausgeht; denn dadurch wurde dem Act der königlichen Machtvollkommenheit, den man übrigens angenommen, in einem der wichtigsten Punkte die ständische Anerkennung versagt. Man erkannte ihn also nicht als vollgiltig an. Der rheinländische Ritterschaftsabgeordnete, Gudinau[WS 12], hatte wohl Recht, wenn er sagt, er würde die Wahl zu dem Ausschuß, wenn sie ihn träfe, annehmen, aber dann selbst darauf dringen, daß von demselben nichts vorgenommen werde, was den Rechten des Landtages entgegenlaufe. In so fern entsprach die Voraussetzung, mochte sie nun als Bedingung oder als Vorbehalt oder nur als Wunsch ausgesprochen werden, daß die Ausschüsse innerhalb der vom Landtag angestrebten Grenzen bleiben würden, der Natur der Dinge. Der Machtvollkommenheit des Königs war dadurch eine Schranke gezogen, welche aber nach den letzten Botschaften in dessen eigener Intention zu liegen schien. Ein prinzipieller und unausgleichbarer Widerspruch wurde dabei vermieden. Und der Macht und Größe des Staates Eintrag thun zu wollen, lag jenseit aller Intentionen. Auseinander zu fallen, nachdem das Verfassungswerk unternommen war, wäre noch viel weniger möglich gewesen als jemals. Mit Recht betont Canitz in einem diplomatischen Rundschreiben, daß das Bewußtsein kräftiger Einheit in den verschiedenen Landestheilen gestärkt worden sei. Die Idee des Königs, inmitten der europäischen Gegensätze gleichsam eine Burg alter gegenseitiger Treue und alten Glaubens aufzurichten, war nicht durchgeführt worden, aber die Macht des Landes durch die Vereinigung von Fürst und Volk fremden Feindseligkeiten gegenüber zu stärken, dahin ging die allgemeine Gesinnung.

[767] Das große Resultat für alle Zeiten lag darin, daß dem patriarchalen System eine auf gegenseitigem Rechtsverhältniß beruhende Verfassung nachfolgen mußte. Das erste war nicht mehr haltbar, seitdem in allen Nationen des Continents und in der eigenen so ganz abweichende Ueberzeugungen und Tendenzen zur Herrschaft gekommen waren. Es wird immer als ein unsterbliches Verdienst Friedrich Wilhelms IV. angesehen werden, daß er die Veränderung angebahnt hat. Nur eine große lebensvolle Seele war dazu fähig. Aber gestehen wir es ein: auf diesem Wege der Autorität allein war das Ziel nicht zu erreichen. Eine auf eigenen Füßen stehende Opposition gehörte gleichsam dazu, um die Verfassung in Wahrheit zu realisiren.

Man versteht es, wenn bei dem Erwachen dieses principiellen Gegensatzes die auf materielle Verbesserungen in dem Zustande des Landes gerichteten Vorlagen der Regierung nicht durchdringen konnten. Besonderes Aufsehen machte es, daß eine Anleihe, die zur Ausführung der Ostbahn von der Regierung proponirt worden war, von den Ständen abgelehnt wurde. Sie war nicht allein für die Verbindung der Provinz Preußen mit den andern Theilen der Monarchie sehr wesentlich, sondern sie würde derselben auch durch die Verwendung großer Capitalien zu Statten gekommen sein. Aber in dem Landtag waltete die Ueberzeugung vor, daß man vor allen Dingen die angeregten Fragen über die finanzielle Berechtigung der Stände zur Entscheidung bringen müsse. Auch andere, von der Regierung in populärem Sinne gemachte Vorschläge, Abschaffung der Mahl- und Schlachtsteuer, Einführung einer Einkommensteuer, Gründung von Landrentenbanken unter Garantie der Regierung, fanden nicht den Beifall, auf den sie sonst hätten rechnen können. Allein durch die Wahl der Ausschüsse und der Deputation für die Staatschulden war doch der Bruch vermieden worden. Man konnte, nachdem der Landtag geschlossen war, zu einem regelmäßigen Landtagsabschied schreiten. Er bezog sich auf die bereits angeregten Artikel; die Hauptsache möchte sein, daß den ständischen Anträgen auf Oeffentlichkeit der Sitzungen der Stadtverordneten und Ausdehnung des öffentlichen und mündlichen Criminalverfahrens auf alle Theile der Monarchie, in welchen die Criminalordnung galt, zu beschleunigen und die demselben etwa entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen, Gehör gegeben und Erfüllung versprochen wurde. So hatte der Geist der Zeit durch die Regierung selbst und durch die Stände in Widerstreit und Zusammenwirken mannigfaltigen Eingang in den preußischen Staat erlangt, doch konnte man wol sagen, daß die oberste Autorität des Königs als ungebrochen betrachtet werden durfte. Die Vereinigung der Provinzialstände zum vereinigten Landtage ließ sich als die Grundlage jeder weiteren Entwicklung betrachten, die man dann keinen Augenblick aus den Augen verlor.

Um die Verfassung vom 3. Februar zu vollenden, war nun vor Allem die Einberufung der Ausschüsse erforderlich. Im November 1847 wurde dazu zunächst durch Berufung einer vorbereitenden Versammlung geschritten. Wie es die schon in der letzten Botschaft angekündigte Absicht gewesen war, diese Ausschüsse zur Berathung des bereits weitgediehenen Strafgesetzbuches zu verwenden, so wurde die vorbereitende Versammlung eben aus solchen Mitgliedern zusammengesetzt, welche durch ihre Bildung und Lage am meisten befähigt schienen dazu beizutragen. Man zog zu diesem Zwecke die Rathschläge der Oberpräsidenten und der verschiedenen Provinziallandtagsmarschälle ein, Fürst von Hohensolms-Lich wurde zum Marschall der vereinigten Ausschüsse, sowie der vorbereitenden Versammlung ernannt.

Dabei stieß man jedoch auf eine principielle Schwierigkeit. In dem Landtagsabschied hatte der König ausgesprochen, daß den Ausschüssen auch fortan die durch die Verordnung vom 3. Februar bewilligten Rechte zustehen müßten, da [768] sie noch nicht zurückgenommen seien. Bei den rheinischen Deputirten, die unter Vorbehalt gewählt hatten, regte sich nun ein Bedenken dagegen, an den Arbeiten der Ausschüsse Theil zu nehmen, ehe der König den in denselben ausgesprochenen Bedingungen gerecht geworden wäre. Aus diesem Grund lehnte v. Beckerath ab, die Berufung zur vorbereitenden Versammlung anzunehmen, und auch Andere, die diesen Vorbehalt unterschrieben hatten, schlossen sich ihm an, nicht jedoch Camphausen, dessen Idee immer auf eine Ausgleichung der ständischen Rechte mit der Autorität des Königs gegangen war. Und augenscheinlich war es ohnehin, daß der König über die juridische Vorlage nicht hinausgehen würde, auch bei Zusammensetzung der vorbereitenden Versammlung war darauf Rücksicht genommen, daß nicht allein die verschiedenen Stände in den Provinzen, sondern auch die verschiedenen Farben der politischen Meinung derselben repräsentirt waren. So trat zuerst die vorbereitende Versammlung, alsdann am 17. Januar 1848 auch die Versammlung der vereinigten Ausschüsse wirklich ins Leben. Die Gesetzentwürfe waren schon sorgfältig vorbereitet, sodaß es nur auf Beantwortung einer Anzahl von Fragen ankam, welche dann von der Regierung vorgelegt wurden. In diesen Verhandlungen von materiellem Interesse ging dann Alles nach Wunsch. Die Sitzungen fanden in dem geräumigen Saal, der für den Staatsrath bestimmt war, statt; hier erschien der König am 7. März, um sie zu schließen. Er sprach vor Allem seine Genugthuung darüber aus, daß durch die Arbeiten der Ausschüsse und die Einführung der ständischen Deputation für das Staatschuldenwesen seine Gesetzgebung vom 3. Februar zur vollen Ausführung gebracht sei. Die königliche Machtvollkommenheit, von der dieselbe ausgegangen, erschien ihm hiedurch hinreichend gewahrt. Der Augenblick war für ihn gekommen, in welchem nun den Petitionen des Landtags zur Abänderung derselben Gehör gegeben werden könne. Diese waren hauptsächlich auf zwei Punkte gegangen, eine feste Bestimmung über die Periodicität des Landtages und die damit zusammenhängende Beschränkung der den Ausschüssen gegebenen Attributionen. Der König entschloß sich jetzt, das Eine und das Andere zu bewilligen. Er kündigte es der Versammlung mündlich an und sprach alsdann in einer besonderen Botschaft aus, daß er 1) die durch das Patent vom 3. Febr. dem vereinigten ständischen Ausschusse verliehene Periodicität auf den vereinigten Landtag übertragen, und 2) die Wirksamkeit des vereinigten ständischen Ausschusses in der von den Curien des ersten vereinigten Landtags übereinstimmend beantragten Weise beschränken werde, – Zugeständnisse fürwahr von größter Bedeutung. Der König hatte die Initiative zu einer ständischen Versammlung ergriffen und ihre Befugnisse, gemäß den Interessen der Krone, die er beschützen müsse, festgestellt. Seinem Rufe war entsprochen, die centralständische Verfassung, die er schuf, angenommen worden; allein gegen die Bestimmungen derselben hatten sich mannigfaltige Bedenken geregt, die doch, wo sie hervortraten, auch nur auf dem Grunde der preußischen Gesetzgebung beruhten. Die beiderseitigen Ansprüche waren hart zusammengestoßen, allein weder auf der einen, noch auf der andern Seite hatte man doch daraus einen principiellen Streit machen wollen; die Stände hielten ihre Centralisation ebenso hoch, als der König selbst. Indem nun der König den Einwendungen der Stände Gehör gab und in den beiden wichtigsten Punkten ihre Anforderungen genehmigte, so wurde der Boden gleichsam ausgeglichen und die Basis fixirt, von welcher Friedrich Wilhelm IV. so oft gesprochen hatte. Ob nun auf der so gewonnenen Grundlage jener Bau, durch welchen nach dem Sinn des Königs die monarchische Verfassung aufrecht erhalten und dem Volke die Freiheit, deren es wirklich bedurfte, gewährt werden sollte, ausgeführt werden könnte und würde, wer will es [769] sagen. Eine ruhige Fortentwicklung der allgemeinen Angelegenheiten vorausgesetzt, wäre es wohl nicht schlechthin in Abrede zu stellen.

In dem aber brach ein Sturm los, der Alles in Frage stellte und Allem eine andere Gestalt gab.

Die Revolution von 1848 betrachte ich nicht als ein preußisches Ereigniß, sondern als ein allgemeines, in dessen Strömungen Preußen fortgerissen wurde.

Von allen Mitlebenden hat vielleicht Keiner die Gefahren, in welche Europa durch das Emporkommen der demokratisch-socialistischen Doctrinen und ihrer Folgen verwickelt wurde, deutlicher erkannt als Friedrich Wilhelm IV. Er betrachtete die radikale Secte als eine solche, die, von Haupt bis Fuß gewappnet auf einmal zum Vorschein gekommen, die Welt mit Verderben bedrohe. Er selbst erfuhr ihre beginnende Wirksamkeit in der Neuenburger Verwickelung, bei welcher er erleben mußte, daß England auf die Seite seiner Gegner trat und die Ansprüche der aus den schweizerischen Revolutionen hervorgegangenen Centralgewalt seinem Erbrecht gegenüber in Schutz nahm. Der Monarch des Julikönigthums, Louis Philipp, wäre in dieser Frage mehr auf Seite von Preußen gewesen, aber die ganze Institution einer aus einer revolutionären Bewegung hervorgegangenen monarchischen Gewalt, welche jene nothwendig wieder im Zaume halten mußte, erlag eben in diesem Augenblick der Unmöglichkeit, die beiden Elemente rationell zu vereinigen. In der Mitte der Parteien, welche um ihre Berechtigung stritten, erhob sich, aus den inneren Antrieben der revolutionären Vergangenheit hervorbrechend, eine dritte Partei, welche die Oberhand davontrug und der nicht legitimen Monarchie ebenso gut ein Ende machte, wie einst der legitimen. Die französische Nation wurde von dem Gedanken der revolutionären Republik ergriffen; in dieser Richtung bewegte sich jetzt ihr Gemeingefühl. Nothwendig mußte Das allenthalben in Europa durchgreifende Folgen haben, vornehmlich in Deutschland, wo man den inneren Kampf der Parteien in Frankreich gleichsam mitdurchlebt hatte, und verwandte Elemente in stetem Widerstreit gegen einander begriffen waren. Das constitutionelle und politische Gebäude, welches das continentale Europa umfassen sollte, brach, ehe es noch vollendet war, in sich selbst zusammen, was dann auf Deutschland eine doppelte Wirkung ausübte. Man glaubte aus der Erhebung der allezeit schlagfertigen französischen Nation eine Gefahr für Deutschland entstehen zu sehen, dieser aber nur dadurch begegnen zu können, daß sich die deutsche Nationalität ebenmäßig entwickele. Die viel bestrittene Verfassung des Bundes schien dazu ungenügend, man wollte sie durch populäre Institutionen verstärken; dazu aber war eine weitere Ausbildung der liberalen Elemente erforderlich. Da nun aber offenbar nichts zu Stande gebracht werden konnte, ohne daß Preußen vorangegangen wäre, so wurde das Gesuch an den König gerichtet, auf dem Wege der Entwickelung der soeben gegebenen Verfassung noch weiter vorzugehen.

Man verwarf den vereinigten Landtag nicht: denn er war eben das vornehmste Institut, welches den gesammten Staat zusammenhielt, aber man verlangte ein verändertes Wahlsystem zur Vertretung der verschiedenen Volksclassen in einem richtigen Verhältniß, zeitgemäße Umgestaltung des Herrenstandes und beschließende Mitwirkung des Landtages in der Gesetzgebung und im Staatshaushalt mit einfacher Majorität.

Dem vereinigten Landtag selbst sollten die Gesetzentwürfe dieses Inhalts vorgelegt werden.

So lautete die Adresse einer großen Anzahl rheinländischer Abgeordneter (11. März), und es würde nun die Aufgabe gewesen sein, die Verfassung in [770] diesem Sinne weiter auszubilden. Allein die von Frankreich ausgegangene Bewegung hatte noch eine bei weitem größere Tragweite. Jene Elemente, die der König fürchtete, und die dort zur größten Wirksamkeit gelangt waren, erhoben sich allenthalben. Der revolutionäre Impuls, gleichsam in höherer Potenz angeschlagen, ergriff ganz Europa; nirgends fand derselbe Widerstand; er überfluthete Italien, Oesterreich, die deutschen Bundesstaaten und gleich darauf auch Preußen selbst. Man wird mir zu Gute halten, wenn ich diese und die folgenden Ereignisse nur summarisch erwähne. Es war mir unmöglich, über dieselben zu einer Information zu gelangen, durch welche die historische Wißbegier einigermaßen befriedigt worden wäre. Ich kann nur die Ansicht vorlegen, die mir durch den Gang der Begebenheiten und das weitere Verhalten Friedrich Wilhelms IV. erwachsen ist. Es bleibe dahingestellt, ob König Friedrich Wilhelm dem Sturm des 18. März nicht besser hätte widerstehen sollen. Er hat dem Verfasser dieser Zeilen später oft gesagt: „Damals lagen wir Alle auf dem Bauche.“ Jener Moment trat ein, in welchem er, auf den Balkon des Schlosses tretend, die Volksbewegung gleichsam anerkannte. Für ihn war es zugleich verführerisch und verwirrend, daß sich die deutsche Frage, die er immer im Herzen getragen, plötzlich dringender als jemals erhob, und eine Entscheidung derselben von seiner Seite möglich schien. Der König hat einen Augenblick geglaubt durch eine Wiederberufung des vereinigten Landtages der preußischen sowohl wie der deutschen Bewegung gerecht werden zu können; allein wie ganz vergeblich war dies Bemühen.

Die Verfassung, welche Friedrich Wilhelm IV. gegeben hatte, konnte hauptsächlich deswegen nicht festgehalten werden, weil auch die handarbeitenden Classen, welche allenthalben in Europa zum Bewußtsein einer faktischen Macht gekommen waren, auf einen Antheil an der Volksvertretung Anspruch machten, der ihnen nicht mehr versagt werden konnte. Ein anderer Moment lag darin, daß allenthalben in den tumultuarischen Bewegungen, um denselben Einhalt zu thun, Bürgerwehren gebildet worden waren, denen man gegenüber dem Soldatenstand Berechtigungen einräumte, welche ihnen eine gewisse Unabhängigkeit verliehen. Und überdies, die vorgeschrittene revolutionäre Tendenz verwarf die Berathungen mit dem Landtag; sie meinte in demselben niemals zu der vollen Anerkennung zu gelangen, die sie forderte. Eine neue Verfassung unter der Theilnahme desselben zu Stande kommen zu lassen, widerstrebte ihr. Der Landtag wurde zwar berufen, aber nur, um einer constituirenden Versammlung Raum zu machen. Ein neugebildetes Ministerium brachte für eine solche ein Wahlgesetz in Vorschlag, welches den demokratischen Tendenzen entsprach und in der That durchging. Die Versammlung beschränkte ihre Wirksamkeit darauf, daß sie das Ministerium, das aus gemäßigten Liberalen bestand, durch ihr Vertrauensvotum unterstützte. Damit aber löste sie sich auf, und den populären Bewegungen wurde in allen Provinzen freier Raum gelassen.

Das hatte um so mehr zu sagen, als sich indessen ein deutsches Nationalparlament in Frankfurt versammelte, welches dazu berufen schien, Deutschland auf neuer Grundlage zu constituiren. In Frankfurt hatte die liberale, in Berlin die radikale Faktion die Oberhand. Indessen faßten doch die beiden Versammlungen Beschlüsse, welche in der Sache nahe zusammentrafen. In Frankfurt wurde die Unterordnung der preußischen Armee unter einen Reichsverweser, den man an die Spitze des deutschen Reiches gestellt hatte, beschlossen; in Berlin forderte man Bestimmungen über das Militär, durch welche der Beitritt zu den radikalen Meinungen der Versammlung den Officieren nicht allein anempfohlen, sondern zur Bedingung ihres Verbleibens im Dienste gemacht werden sollte. Eben diese Versuche aber haben, wenn wir nicht irren, den Ausschlag in der [771] ganzen großen Angelegenheit gegeben. Im Jahre 1789 kam der französischen Revolution nichts so sehr zu statten, als daß ein Theil der Armee sich zu den revolutionären Grundsätzen bekannte und die Sache des Königs verließ. In Preußen war das nicht der Fall. Gerade die unverbrüchliche Treue der Armee hat den König mit verdoppelter Anerkennung ihrer Tüchtigkeit erfüllt; er wäre nimmermehr dahin zu bringen gewesen, etwa seine Officiere auf den politischen Meinungswechsel anzuweisen, welchen die Nationalversammlung zunächst vor Allem begehrte, und in der Nation erschien es wie ein Hohn, daß die Armee, auf der ihre Größe beruhte, einem Reichsverweser, der zugleich ein Erzherzog war, huldigen sollte.

Noch manche andere Beschlüsse faßte die Nationalversammlung, welche eine allgemeine Umkehr der gesellschaftlichen Zustände nach dem Vorbild der französischen Revolution in Aussicht stellten. Aber am wenigsten ließ es sich doch ertragen, daß das militärische Institut, auf welchem das preußische Nationalgefühl beruhte, angetastet wurde. An diesem Felsen, der das alte historische Dasein des Staates in sich schloß, brachen sich die Wogen der Revolution. Der König faßte wieder Muth zu seiner Sache; er berief ein Ministerium seiner Wahl, dessen Handlungen durch die falsche Haltung der Nationalversammlung, die bereits ebenso Meister zu sein meinte, wie die constituirende Versammlung in Paris zu ihrer Zeit, unterstützt wurden, aber es gehörte doch dazu, daß die bewaffnete Macht die öffentliche Ordnung in Berlin wiederherstellte und die Hauptstadt der Strenge des Belagerungszustandes unterwarf. Darin möchte der größte Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland liegen, daß dort die Nationalgarde die Oberhand behielt, in Deutschland aber sich unfähig zeigte, die öffentliche Ordnung zu erhalten und vor dem Berufssoldaten wieder zurücktrat. Dort behauptete sich der dritte Stand in dem Ansehen, das ihm die Theilnahme an dem öffentlichen Dienste verlieh; er war der Träger des Constitutionalismus; hier kam die tief herabgewürdigte königliche Gewalt wieder zu Ansehen. Die Nationalversammlung konnte aufgelöst und eine neue Verfassung octroyirt werden, in welcher nicht wenige Festsetzungen, welche diese Versammlung gemacht hatte, beibehalten, aber zugleich für die Wiederherstellung der höchsten königlichen Autorität Raum gemacht wurde.

Indessen hatten in Frankfurt die Versuche der radikalen Partei, die alleinige Herrschaft in dem Parlament an sich zu bringen, zu gräßlichen Ereignissen geführt; auch diesem Beginnen machten preußische Truppen, die von Mainz her berufen wurden, ein Ende, so daß die Liberalen aufs Neue ihr altes Uebergewicht behaupten konnten. Zwischen Berlin und Frankfurt trat dann sogar eine Verständigung ein; die octroyirte Verfassung fand Beifall in Frankfurt; denn zunächst war sie doch auch aus einer Repression des Radicalismus hervorgegangen.

Und da nun Oesterreich, ebenfalls militärisch wieder gekräftigt, sich damit beschäftigte, seinen inneren Ausbau zu vollenden, dies aber in einer Weise that, die für den Einfluß des Frankfurter Parlaments keinen Platz übrig ließ, so folgte, daß dieses um so mehr an Preußen hielt.

Nach mancherlei Erwägungen gelangte es zu dem Beschluß, den König von Preußen zum deutschen Kaiser zu proclamiren. Für Friedrich Wilhelm IV. lag darin an sich eine große Versuchung; denn auf Macht in Deutschland war sein natürlicher Ehrgeiz gerichtet. Dem widerstrebte aber die lebendige Erinnerung an die Formen des alten Kaiserthums und die Betrachtung, daß die Versammlung das Recht, den Kaiser zu wählen, usurpire. Durch die Annahme der für das Reich entworfenen Verfassung, die man ihm zugleich anmuthete, [772] fürchtete er, in die Bahnen der Revolution unwiderstehlich fortgerissen zu werden. Aus diesen beiden Gründen lehnte er die ihm angetragene Krone, nicht wie man gesagt hat, häsitirend, sondern mit festem, freiem Entschluß ab.

Aber dabei hielt er doch für die Pflicht seiner Stellung, gleichsam das Amt des erledigten Kaiserthums zu verwalten. Wie die Empörung, die sich im Innern des Staates selbst an manchen Orten regte, durch die bewaffnete Macht niedergeschlagen wurde, so leistete die preußische Armee den bedrohten benachbarten Regierungen eine willkommene und selbst unentbehrliche Hilfe. Ein paar preußische Bataillone brachten die gesetzmäßige Ordnung der Dinge in Dresden zu Wege. Dann rückte eine kleine Armee ins Feld, um die Pfalz für Baiern zu retten und den Großherzog von Baden, der zur Flucht genöthigt war, wieder herzustellen. Der König hat mir damals gesagt: „Sie sehen, ich habe Lust zu raufen.“ Er zeigte sich wieder muthig und entschlossen. Wenn es mir erlaubt ist noch etwas aus meiner Erinnerung hinzuzufügen, so wäre es Folgendes. Als ich den König im Sommer des Jahres 1848 zum ersten Mal wieder sah, so machte er mir den Eindruck eines jungen Mannes, voll von Geist und Kenntnissen, der aber in dem Examen, man erlaube dieses Wort dem Professor, durch irgend eine Zufälligkeit durchgefallen ist. Das Selbstvertrauen, das früher aus ihm redete, war verschwunden. Jetzt aber war er wieder der alte geworden. Aus seinen Privatbriefen ergibt sich, daß er nur im Vertrauen zu Gott und zu der guten Sache der gesetzlichen Ordnung handelte. Den offenen Kampf, zu dem es damals kam, hielt man fast für schwerer als er war. Das Erscheinen der preußischen Truppen unter der vorsichtigen und wohlerwogenen Führung des Prinzen von Preußen reichte hin, die Bewegung der Empörer, zu der sich alle revolutionären Elemente von Europa vereinigt hatten, zu verwirren und zu vernichten.

Welche Gestalt aber sollten nun die deutschen Dinge annehmen? Wie sollte Ersatz der loyalen Gewalt geschaffen werden?

Man ergriff den Gedanken, einen engeren Bund zu schließen, auf welchen zunächst Sachsen und Hannover eingingen; allein von Anfang an nur mit dem größten Widerstreben; noch an dem Abend des Abschlusses habe ich einige der Herren gesehen; sie verhehlten nicht, daß sie das, was sie gethan hatten, in ihrem Herzen verwarfen. Und wenn dann nach einiger Zeit der Versuch gemacht wurde, auf dem Grund dieser Verfassung eine Union zu schließen, bei welcher das Uebergewicht an Preußen gekommen sein würde, so war indessen auch Oesterreich wieder so weit erstarkt, daß es sich seine alte Prärogative in Deutschland nicht entreißen lassen wollte; es hatte dabei die angesehensten deutschen Fürsten auf seiner Seite. Der Union, welche nicht zusammenhielt, setzte sich die Idee entgegen, das alte Gleichgewicht unter den deutschen Staaten wiederherzustellen, eine Idee, der die mächtigsten Mittelstaaten beistimmten.

Sollte nun König Friederich Wilhelm IV. die Waffen für die Union ergreifen? Nicht allein die deutschen Angelegenheiten, sondern die allgemeinen kommen dabei in Betracht. Eigentlich war es doch die Hülfe des Kaisers von Rußland, der sich als geborener Gegner aller Revolution betrachtete, durch welche in Folge der Niederwerfung von Ungarn Oesterreich wieder festen Grund und Boden gewann. Aus den Aufzeichnungen des Feldmarschalls von Dohna hat man erfahren, daß Kaiser Nicolaus[WS 13] auch dem König von Preußen gegen seine inneren Feinde eine ähnliche Hülfe zu leisten gesonnen war. Um nicht eigenmächtig vorzuschreiten, wünschte er im Einverständniß mit den preußischen Royalisten und besonders einem preußischen Truppenkörper zu handeln; er hat dem commandirenden General von Ostpreußen, Grafen von Dohna, eine Eröffnung darüber gemacht. Der aber, obwohl alle Zeit russenfreundlich, ein Conservativer von [773] reinstem Wasser, und voll von Mitgefühl für die bedrängte Lage des Königs, lehnte doch Alles ab: denn jeder durch fremde Truppen herbeigeführte Umschlag würde das Königthum in Preußen zu Grunde richten; besser, man habe Geduld mit der Revolution, wenn es denn auch werden möchte, wie es in England sei.

Soweit also waren die inneren Gegensätze in dem preußischen Staate nicht gediehen, um eine äußere Hülfe herbeizurufen. Eine Einmischung war aber unfehlbar zu erwarten, wenn in deutschen Angelegenheiten ein offener Kampf zwischen Oesterreich und Preußen ausgebrochen wäre. Kaiser Nikolaus sagte unverhohlen, daß er alsdann auf Seiten von Oesterreich stehen würde; denn dahin führte der Gang seiner Politik. Unmöglich aber konnte Friedrich Wilhelm IV. um einer politischen Form willen, die er ergriffen hatte, ohne sie gerade zu lieben, die alte Allianz der drei Continentalmächte sprengen lassen wollen. Auch auf England, welches damals die Dänen in Holstein unterstützte, durfte er nicht zählen. Und überdies, bei der Mobilmachung der Armee hatten sich große Mängel herausgestellt, wie denn vor Allem die Landwehr so vernachlässigt geblieben war, daß sie nicht für fähig gehalten wurde, den großen Kampf unter ungünstigen Verhältnissen zu bestehen. So kam es zu jener Vereinbarung von Olmütz, die immer als eine Niederlage erschienen ist und eine solche war, insofern als man sich genöthigt sah, die seit zwei Jahren eingehaltene Politik fallen zu lassen. Das Selbstgefühl der Nation fühlte sich tief verletzt. Aber der König gab der Verflechtung der allgemeinen Verhältnisse nach, die er nicht ändern zu können meinte: eine Unterwerfung unter Oesterreich lag doch nicht darin, mit dem man vielmehr sofort wieder in Gegensatz trat. Denn wenn Oesterreich die für Deutschland beabsichtigte Executive so zusammensetzen wollte, daß das Uebergewicht dabei ihm und seinen unmittelbaren Verbündeten zugefallen wäre, so war man in Preußen nicht geneigt darauf einzugehen. Man wäre dadurch auch deßhalb in die schwierigste Lage gerathen, weil Oesterreich mit seiner ganzen Macht in den Bund einzutreten beabsichtigte. Diesem doppelten Uebergewicht hätte Preußen mit der Zeit erliegen müssen. So geschah es, daß man es vorzog, den deutschen Bund einfach wiederherzustellen. Und daß man in einem Augenblick der Krisis sich doch nicht stark genug gefühlt hatte, um es auf einen offenen Kampf ankommen zu lassen, wurde das Motiv, der Armee wieder die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden, deren sie bedurfte. Die Reorganisation der Armee wurde unternommen und mit Anspannung aller materiellen Kräfte auf eine Weise vollzogen, daß dadurch die späteren Siege möglich geworden sind.

Auch im Inneren gelangte man zu einer gewissen Consolidation. Die Kammern, die in Folge der octroyirten Verfassung berufen wurden, waren aufgelöst worden, weil sie die in Frankfurt zu Stande gekommene Verfassung, der der König zu accediren ablehnte, für rechtsgilig und verbindlich erachteten. Auf den Grund eines abgeänderten Wahlgesetzes waren dann Neuwahlen erfolgt und die Kammern einberufen worden, die eine Verfassung zu Stande brachten, mit welcher der König regieren zu können glaubte, ohne seinen ursprünglichen Grundsätzen untreu zu werden. In der Rede, die er dabei hielt, kommen dieselben Ideen zum Ausdruck, die er bei der Huldigung und bei der Eröffnung des vereinigten Landtages ausgesprochen hatte. In den Kammern stellte sich ein conservatives Element heraus, welches auch wieder die königliche Autorität verstärkte. Auch auf diesem Boden wurde es dem König möglich, einen seiner ältesten Gedanken, die Bildung eines Herrenhauses, zur Ausführung zu bringen. Was dies zu bedeuten hatte für die äußere Bewegung des Staates, haben die folgenden Zeiten gelehrt, in welchen sich die Regierung [774] bei einem großen Vorhaben, das aus der Verwickelung der europäischen Angelegenheiten entsprang, nur eben auf das Herrenhaus lehnen konnte.

Darin lag das eingenthümliche Geschick Friedrich Wilhelms IV., daß seine Handlungen in weite Ferne gewirkt haben, ohne ihm selbst Genugthuung zu verschaffen. Es war in ihm eine umfassende Voraussicht, die vielseitigste Wahrnehmung aller der einander in der Welt bekämpfenden Elemente, nicht ohne Sympathie nach verschiedenen Seiten hin, aber zugleich eine gewissenhafte Wahrung seines Standpunktes. Er verband eine auffallende Flexibilität im Einzelnen mit unbeirrtem Festhalten in der Hauptsache. Diese Eigenschaften gehörten vielleicht dazu, um die revolutionären Stürme seiner Zeit zu bestehen, ohne die Monarchie aufzugeben. Für die Folgezeit ist das fast noch bedeutender geworden als für die damalige.

Eine neue Phase der europäischen Angelegenheiten trat dadurch ein, daß die Wiedererhebung der revolutionären Tendenzen in Frankreich zu einer Erneuerung der kaiserlichen Gewalt führte, durch welche die großen Resultate der Jahre 1813, 14, 15 wieder in Frage gestellt wurden.

Ursprünglich war der König von Preußen gegen die Anerkennung Louis Napoleons[WS 14], die ja den Verträgen von 1814 und 15 noch bei weitem mehr entgegenlief, als das Königthum der Julirevolution, da darin die Napoleoniden vom französischen Thron ausdrücklich ausgeschlossen waren. Friedrich Wilhelm IV. glaubte vorauszusehen, daß es zu einer Wiederaufnahme der alten Feindseligkeiten des französischen empire gegen die Unabhängigkeit der continentalen Mächte kommen müsse. Das übrige Europa war nun nicht dieser Meinung. Aber bald gab das orientalische Zerwürfniß dem neuen Kaiser Gelegenheit, den Kreis zu durchbrechen, den einst das coalisirte Europa um Frankreich gezogen hatte.

Gegen das Vordringen der Russen in der Türkei vereinigte sich England mit Frankreich; Napoleon III. hatte die Genugthuung, in einem großen europäischen Bunde den Kampf gegen Rußland wieder aufzunehmen, in welchem sein Oheim und eigentlicher Vorfahr erlegen war. Selbst Oesterreich gewann er für sich. Für den König war es eine der folgenreichsten Erwägungen in seinem Leben, ob er sich in diesem Kampfe neutral halten solle oder nicht. Er mochte Rußland nicht unterstützen, weil es bei seinem Angriff Unrecht gehabt habe, noch weniger aber war er geneigt, den Gegnern beizutreten, weil er ihren Bruch mit Rußland für unberechtigt hielt in dem Augenblicke, da er geschah. Weit entfernt davon, eine Unterwerfung des türkischen Reiches unter die Russen zu wünschen, eine Absicht, die er dem Kaiser Nicolaus gar nicht einmal zutraute, stand er doch in sofern auf dessen Seite, als derselbe die Sache der christlichen Unterthanen der Türkei verfocht, deren Befreiung von dem über ihnen lastenden Drucke auch der König für unbedingt nothwendig hielt. Seine Meinung war, daß die Rechte der Christen unter die Garantie des gesammten Europa gestellt werden sollten. Wie viel Differenzen in der späteren Zeit wären vermieden geblieben, wenn er mit diesem Gedanken durchgedrungen wäre! Er begnügte sich also mit der Neutralität, die ihm von den Zeitgenossen fast zum Verbrechen gemacht wurde. Durch die überwiegende Macht von Europa wurde Rußland zu Zugeständnissen genöthigt, in deren Folge der Friede wieder hergestellt worden ist. Wie ganz anders aber würden die Bedingungen gelautet haben, die man Rußland auferlegte, wenn sich auch Preußen zu seinen Feinden gesellt hätte. Die Politik des Königs entsprang aus keinerlei Art von Berechnung; sie wurde ihm nur von dem Gedanken eingegeben, das Rechte zu thun nach seinem besten Wissen, sowohl in Bezug auf die europäischen Mächte, als in Bezug auf die christlichen Glaubensgenossen in der Türkei. Es ist selten vorgekommen, daß ein so reines, gewissenhaftes Verfahren doch nach der Hand die größten politischen Vortheile herbeigeführt [775] hat. Daß Preußen in der alten Bundesgenossenschaft verharrte und zugleich an der allgemeinen Richtung der Politik zu Gunsten der christlichen Bevölkerung Antheil nahm, hat bewirkt, daß Rußland in den späteren allgemeinen Zerwürfnissen den kriegerischen Unternehmungen Preußens, als sich solche unvermeidlich erwiesen, keinen Widerstand entgegensetzte, weder gegen Oesterreich, welches seine Abweichungen von dem alten System theuer büßen mußte, noch auch gegen Frankreich.

Jedermann ist heute einverstanden, daß die Neutralitätspolitik Friedrich Wilhelms IV. die Bedingungen der großen Erfolge war, die später errungen worden sind.

Auch der geistvollste Mensch von dem weitesten Gesichtskreis kann doch die Folgen seiner Thätigkeit niemals ermessen. Friedrich Wilhelm IV. hat nicht daran gedacht, durch seine Neutralität die spätere Entwicklung der preußischen Macht auf eine solche Weise, wie sie geschehen ist, vorzubereiten. Hat er nicht aber auch das deutsche Kaiserthum vorbereitet? Indem er die Krone zurückwies, weil sie ihm nicht von denen, die dazu berechtigt seien, übertragen werde, hat er veranlaßt, daß man dieselbe seinem Nachfolger, nachdem Oesterreich besiegt und die Napoleoniden in Frankreich über den Haufen geworfen waren, wirklich zuerkannte.

Von dem Gange der politischen Angelegenheiten fortgezogen, habe ich hier auf die kirchlichen Bestrebungen Friedrich Wilhelms IV. nicht eingehen können. Die Grundlage derselben war der positive Protestantismus, den er in sich selbst durch synodale Institutionen zu consolidiren gedachte, aber mit Toleranz gegen alle anderen christlichen Bekenntnisse verband. Er lebte in der Gesammtanschauung der Christenheit, ihren inneren Differenzen, die er jedoch in seinem Glauben nicht oben an stellte, und ihrem Gegensatz gegen die übrige Welt. Er hielt an der Hoffnung fest, daß das Christenthum in stetiger Fortentwicklung der vorhandenen Bildungen noch einmal dereinst die Religion des Menschengeschlechts werden würde. Besonders schlug in ihm jene Ader des christlichen Lebens, welche die Leidenden und Bedürftigen umfaßt; mit seiner gleichgesinnten Gemahlin in Verbindung schuf er großartige Institute der Wohlthätigkeit und Krankenpflege – Alles das aber auf seine Weise, die nicht immer den allgemeinen Beifall hatte.

Und wiewol ungern habe ich auch darauf Verzicht leisten müssen, die Pflege der Kunst und der Wissenschaft, an der er sich durch seine confessionellen Ueberzeugungen nicht hindern ließ und für die er recht eigentlich geschaffen war, näher zu erörtern. Seine Wißbegier umfaßte das entfernteste Alterthum, dessen Kunde ihm die glücklichste und erfolgreichste Förderung verdankt. Zugleich hatte er das feinste Gefühl für die litterarische Production überhaupt. Er hat für das höchste Verdienst in Kunst und Wissenschaft ein eigenes Organ gegründet, welches noch heute den Wetteifer der Meister erweckt. Ihm selbst wohnte ein angeborenes Talent für die bildende Kunst bei, er konnte als einer der ersten Kenner gelten. Er zeichnete vortrefflich; er war ein geborner Baumeister. Die Anordnungen, die er in seinen Gärten traf, waren ein Abdruck seiner von Naturgefühl durchdrungenen Seelenstimmung und seiner Phantasie. Bei allen auf das Behagen des täglichen Lebens und die Künste des Friedens gerichteten Bestrebungen versäumte Friedrich Wilhelm IV. doch auch die Ausbildung des Militärwesens nicht. Von ihm schreibt sich die neue Uniformirung her, welche bequem (er schaffte die breiten Riemen, welche die Brust einschnürten, ab) und geschmackvoll allenthalben Beifall und Nachahmung gefunden hat. Aber er führte auch die Zündnadel ein; seine Instructionen über Exerciren und Manoeuvriren haben zur weiteren Ausbildung der Armee wesentlich beigetragen. Den militärischen Uebungen widmete er allezeit große Aufmerksamkeit, obgleich man bemerken wollte, daß es [776] ihm kein wahres Vergnügen mache, und von alten Officieren hört man, daß er doch nicht recht verstanden habe, mit ihnen umzugehen.

Wie allen seinen Vorgängern ist auch ihm eine Erweiterung des Gebietes gelungen. So wenig die Erwerbung der hohenzollerschen Fürstenthümer für den Umfang des preußischen Staates bedeutete, so wurde doch dadurch eine unmittelbare Beziehung zu dem oberen Deutschland eröffnet, die seit 1806 unterbrochen war.

Dagegen widerfuhr dem König im Jahre 1857 ein schweres Herzeleid, als ihm die Nothwendigkeit auferlegt wurde, auf Neuenburg, an dessen Besitz seine Herz hing, definitiv Verzicht zu leisten. Von den entgegengesetzten Bewegungen der Zeit wurde Friedrich Wilhelm IV. immer in seiner Seele betroffen. Er hatte vielleicht mehr Gemüth, als der Staat ertragen kann. Seine ideale Anschauung stieß mit den Realitäten der Dinge vielfältig zusammen. Und in seiner persönlichen Eigenart lag etwas, das die Opposition erweckte. Er war entfernt davon, sich glücklich zu fühlen; seine meisten Allocutionen der späteren Zeit haben einen schmerzlichen Zug an sich.

Im Sommer des Jahres 1857 nahm man Vorboten krankhafter Zustände wahr, welche gefährlich werden zu wollen schienen. Er wurde auf das ernstliche davor gewarnt, den Herbstübungen der Truppen beizuwohnen, aus denen er leicht als körperlicher oder auch als geistiger Krüppel zurückkommen würde; aber er sagte, er werde seine Pflicht thun, die Folgen müsse er Gott anheimstellen. Noch bei den Uebungen kam seine Krankheit zur Erscheinung; nach kurzer Zeit, 8. October, traf ihn ein Schlaganfall, der seiner Regententhätigkeit ein Ende machte. In den ersten Monaten seiner Krankheit habe ich ihn noch einmal gesehen; er machte auf mich den Eindruck eines verfallenen Bergwerkes, aus dessen Tiefe Silberadern hervorblitzten. Noch einige Lebensjahre waren ihm beschieden, in denen ihm selbst die Genugthuung zu Theil wurde, Italien und Rom nochmals zu sehen, aber niemals wurde er wieder ein gesunder Mann. Am 2. Januar 1861, 40 Minuten nach Mitternacht, ist er in Sanssouci verschieden.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Preußischer Theologe und Pädagoge; Siehe Wikipedia: Delbrück, Johann Friedrich Gottlieb (1768–1830)
  2. Preußischer General; Siehe Wikipedia: Friedrich Wilhelm Ludwig (1794–1863)
  3. Druckfehler, hier ist Ludwig XVI. (1754–1793), König von Frankreich, gemeint
  4. Königin von Preußen; Siehe Wikipedia: Elisabeth Ludovika (1801–1873)
  5. König von Frankreich; Siehe Wikipedia: Ludwig XIX. (1773–1850)
  6. Französischer Staatsmann und Historiker; Siehe Wikipedia: Louis Adolphe Thiers (1797–1877)
  7. Übersetzung: Das Bündnis existiert noch.
  8. Rochow, Hans Karl Dietrich v. (1791–1857), preußischer Oberst und Hofmarschall; Siehe in dem Wikipedia-Artikel zu seinem Sohn Hans von Rochow
  9. Solms-Hohensolms-Lich, Ludwig von (1805–1880), Fürst und Marschall des Vereinigten Landtages
  10. Carl Otto Friedrich von Voß (1786–1864), Kronsyndikus, Sohn von Otto Karl Friedrich von Voß
  11. Albert von Puttkammer (1797–1861), Landrat von Czarnikau.
  12. Landrat von Grevenbroich; Siehe Wikipedia: Vorst-Gudenau, Richard Freiherr v. (1810–1853)
  13. Zar von Rußland; Siehe Wikipedia: Nikolaus I. (1796–1855)
  14. Französischer Kaiser; Siehe Wikipedia: Bonaparte, Charles Louis Napoléon (1808–1873)