Zum Inhalt springen

ADB:Boyen, Hermann von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Boyen, Leopold Hermann Ludwig von“ von Maximilian Jähns in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 219–222, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Boyen,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:56 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Boye, Peter
Nächster>>>
Boym, Michael
Band 3 (1876), S. 219–222 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Hermann von Boyen in der Wikipedia
Hermann von Boyen in Wikidata
GND-Nummer 118662481
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|3|219|222|Boyen, Leopold Hermann Ludwig von|Maximilian Jähns|ADB:Boyen, Hermann von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118662481}}    

Boyen: Leopold Hermann Ludwig v. B., wurde 23. Juni 1771 aus altadelicher Familie in der Ehe des Oberstlieutenants Joh. Friedr. v. B. [220] mit einem Frl. v. Holtzendorff zu Kreuzburg in Ostpreußen geboren, † 1848. Des früh Verwaisten nahm sich eine Tante liebevoll an und sorgte für gute Erziehung. 1784 trat B. als Gefreiter-Corporal in das Infanterieregiment Anhalt zu Königsberg. Auf der dortigen guten Kriegsschule unter Capitän v. Rauch und durch fleißigen Besuch der Vorlesungen von Kant und Krauß erwarb er sich gediegene Bildung und durch diese die Liebe des trefflichen Generals v. Günther, dessen Adjutant er 1794 wurde und dessen „militärischen Schüler“ sich B. mit dankbarem Stolz zu nennen pflegte. An seiner Seite machte er den durch Madalinski’s Einfall in Südpreußen veranlaßten Feldzug mit, und wie sehr sich B. mit ihm einlebte, zeigt der Umstand, daß er noch 1834 „Erinnerungen aus dem Leben Günther’s“ schreiben konnte. Doch auch zu jener Zeit schon war B. eifrig litterarisch thätig. Dichtkunst und Geschichte beschäftigten ihn vorzugsweise, und gern gab er seinen Eindrücken und Stimmungen in historischen Gesängen und volksliederartigen Strophen Ausdruck. 1799 wurde er Stabscapitän im Regiment Prinz George von Hohenlohe. Im August desselben Jahres schrieb er zu Bartenstein einen Aufsatz „Ueber die militärischen Gesetze“, der eine menschenwürdige, edlergeartete Praxis vertrat. Es war das neun Jahre früher, bevor der damalige Oberstlieutenant v. Gneisenau zur Empfehlung der neuen humanen Kriegsartikel seine „Freiheit der Rücken“ schrieb, und die Veröffentlichung jenes Aufsatzes in den „Jahrbüchern der Preußischen Monarchie“ soll B. übelgenommen worden sein und dem „Büchersoldaten“ die Beförderung verkümmert haben. Ein anderer Aufsatz, den er 1806 über die Führung des zu erwartenden Krieges dem Generalkriegscollegium eingereicht, machte die Unbill wieder gut. Er wurde zum Officier à la suite Sr. Majestät ernannt und machte als solcher den unglücklichen Feldzug mit. Bei Auerstädt am Fuße verwundet und im Stein’schen Hause zu Weimar gepflegt, erfreute er sich des Verkehrs mit der Herder’schen Familie und mit Wieland, welcher sogar lebhaft in ihn drang, den Degen mit der Feder zu vertauschen. 1807 wurde B. als Capitän im Generalstabe zu dem am Narew gegen Massena stehenden russischen Corps commandirt, am 31. Januar 1808 sah er sich zum Major befördert, und bald darauf begann seine wichtige Thätigkeit in der „militärischen Reorganisationscommission“. Scharnhorst treu zur Seite stehend, war B. einer der entschiedensten Vorfechter der kühnen Reformen, denen nicht wenige ausgezeichnete Männer Opposition machten. B. hatte großen Antheil an Scharnhorst’s Denkschrift vom 31. Juli 1807, durch welche die Errichtung einer Nationalmiliz beantragt wurde, d. h. die Herstellung der allgemeinen Landesbewaffnung, „die in der Folge vielleicht zu großen Zwecken dienen könne“, und besonders fiel ihm die Ausführung der Scharnhorst’schen Idee des „Krümpersystems“ zu. – In Folge des Sieges der Reformpartei wurde B. 1810 als Oberstlieutenant Director der I. Abtheilung im Kriegsministerium und erhielt den Militärvortrag im Cabinet. Als jedoch 1812 Preußen gezwungen wurde, das Bündniß mit Frankreich einzugehen, nahm B. als Oberst seinen Abschied, um in Oesterreich und Rußland gegen Napoleon zu wirken. 1813 traf er wieder bei seinem Könige in Breslau ein und wurde am 9. März zum Chef des Generalstabes des 3. Armeecorps ernannt. Als solcher fungirte er in den Kämpfen von Luckau, Großbeeren und Dennewitz und in der Leipziger Schlacht, in den holländischen Affairen, sowie bei Laon und endlich bei Paris. Seit dem 22. Dec. 1813 war B. Generalmajor. Nach dem Frieden zum Geh. Staats- und Kriegsminister ernannt, gab er dem Vaterlande eine große Zahl hochwichtiger organischer Gesetze, an deren Spitze das berühmte Gesetz vom 3. Sept. 1814 „Ueber die allgemeine Verpflichtung zum Kriegsdienst“ steht. Der Erlaß dieses Gesetzes war um so verdienstlicher, als sich die alte Cantonverfassung mit ihren Exemtionen seit dem 27. Mai schon wieder als Rückschritt geltend machte. Deren [221] Einrichtungen und Privilegien aber widersprachen durchaus dem Geiste, der die Wege nach Paris gebahnt; erst Boyen’s Septembergesetz sicherte die Erfolge des Sieges und entwickelte im Volke frische moralische Kraft und waffenfreudige Zuversicht. Dies Gesetz ist die Grundlage des preußischen Wehrthums und der Wiedergeburt des deutschen Reiches. Im März 1817 widmete B. „Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm III., dem Stifter unserer gegenwärtigen Kriegsverfassung“ eine „Darstellung der Grundsätze der alten und der gegenwärtigen Kriegsverfassung Preußens“, die er als Handschrift angesehen wissen wollte und nicht für die öffentliche Bekanntmachung bestimmte und die daher auch nicht gedruckt, sondern nur lithographirt wurde. Sie ist für Boyen’s Auffassungsweise der großen militärpolitischen Fragen, über welche unmittelbar nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ein tiefgreifender Meinungskampf begann, höchst bezeichnend und auch an sich sehr werthvoll, ist jedoch nur in wenigen Büchersammlungen vertreten. – Am 2. April 1818 wurde B. zum Generallieutenant befördert. Um diese Zeit aber war es, wo gegen eine seiner wesentlichsten Schöpfungen, gegen die Landwehr, ernste Angriffe gerichtet wurden, welche theils der reactionären Stimmung regierender Kreise, theils militärtechnischen Bedenken entsprangen. B. glaubte durch seinen Rücktritt der über Alles hochgehaltenen Institution besser dienen zu können als durch einen fortgesetzten Principienkampf, der sich zuletzt durch Persönlichkeiten verbitterte und verschärfte, und er trat am Weihnachtstage 1819 zum Schmerze seiner Gesinnungsgenossen ins Privatleben zurück. Ihm selbst war die Muße keine Freude, aber mit dem edlen Ernste eines ganzen Mannes nahm er die Schickung hin. Historische und poetische Thätigkeit begleiteten ihn. Wie Günthern, so setzte er auch Scharnhorst ein litterarisches Denkmal in den „Beiträgen zur Kenntniß des Generals von Scharnhorst“ (1833). Gegen Haugwitz’ Memoire veröffentlichte er eine Gegenschrift („Minerva“ 1837). Unter seinen Dichtungen ist es besonders eine, die zu großer Popularität gelangte: das zur 25. Jahresfeier der Stiftung der Landwehr gedichtete Lied: „Der Preußen Losung ist die Drei“, in welchem „Recht, Licht und Schwert“ edel-kräftig gefeiert werden. – Die Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms IV. gab B. nach 20jährigem Ruhestande dem öffentlichen Dienste zurück. Vor der Huldigung noch wurde „der Gründer der Landwehr“ zum Mitgliede des Staatsraths berufen und reactivirt, am 22. Nov. 1840 zum General der Infanterie befördert und am 1. März 1841 zum Kriegsminister und zum Chef des Staatsministeriums ernannt. B. trat das hohe Amt sogleich mit jener Lebendigkeit und Frische an, die er sich durch Körperübungen und Studien bewahrt. Als er 1841 in Begleitung des Königs am Jahrestage der Schlacht von Belle-Alliance der Enthüllung des Gneisenau-Denkmals zu Sommereschenburg beiwohnte, ließ sich Friedrich Wilhelm IV. durch den ältesten Sohn Gneisenau’s das Band des schwarzen Adlerordens ablösen und schmückte damit B., als den echten Freund des großen Verewigten. 1842 wurde B. Chef des 1. Infanterieregiments (jetzt „Kronprinz“), desselben, bei welchem er einst 1784 eingetreten war. – Wie sehr B. auch zu dieser Zeit das Bedürfniß empfand, seine eigene Verwaltungsthätigkeit in ihrem historischen Zusammenhange mit früheren Perioden aufzufassen und sie an großen allgemein geltenden Grundsätzen zu prüfen, beweist seine 1847 geschriebene und als Manuscript gedruckte Schrift: „Ueberblick der preußischen Heerverfassung und ihrer Kosten seit dem Tode des großen Kurfürsten“. – Eine Zahl wichtiger Einrichtungen bezeichnete auch Boyen’s zweites Ministerium. Doch nicht mehr lange vermochte der Siebziger die schwere Last des höchsten Staatsamtes zu tragen. Nachdem er noch die Kämpfe des „Vereinigten Landtages“ mit durchfechten geholfen, erbat er seinen Abschied und erhielt denselben als General-Feldmarschall und Gouverneur der Invaliden. Die Märztage [222] von 1848 zu erleben, wurde ihm erspart. Am 15. Februar 1848 hörte sein edles, allem Großen und Guten mit voller Hingebung geweihtes Herz zu schlagen auf. Seinem Wunsche gemäß wurde er dicht neben Scharnhorst auf dem Berliner Invalidenkirchhofe bestattet. Aus seiner Ehe mit der jüngsten Tochter des Kammer-Assistenzraths Berent in Gumbinnen hinterließ B. einen Sohn Hermann, zur Zeit General der Infanterie, Generaladjutant, Chef des hessischen Füsilierregiments Nr. 80 und Gouverneur von Berlin, und drei Töchter, welche als Ehrenstiftsdamen zu Berlin leben. – König Friedrich Wilhelm IV. schuf dem Dahingeschiedenen ein hochbedeutungsvolles Denkmal, indem er der ostpreußischen Feste Loetzen den Namen „Boyen“ gab und die sechs Bastione derselben nach Boyen’s Vornamen und dessen Losung: „Recht, Licht und Schwert“ benannte. Welche Gesinnung aber Kaiser Wilhelm dem Gründer der Landwehr bewahrt, das zeigen die Worte, die der hohe Herr beim Empfange der Senioren des Eisernen Kreuzes am 31. März 1871 sprach: „Wir müssen anerkennen, daß wir nur auf den Grundlagen weiter gebaut haben, welche 1813, 1814 und 1815 gelegt worden sind, und damit auch das große Verdienst der Männer jener Zeit, insbesondere Boyen’s, der leider oft und lange verkannt worden ist.“

Der Aufsatz über B. von Preuß in Gubitz’ Volkskalender von 1847 ist unter Boyen’s Mitwirkung geschrieben. Vgl. ferner Spener’sche Zeitung vom 23. Juni 1871.