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ADB:Arnim-Boitzenburg, Adolf Graf von

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Artikel „Arnim-Boytzenburg, Adolf Heinrich Graf von“ von Constantin Rößler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 558–566, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arnim-Boitzenburg,_Adolf_Graf_von&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 09:35 Uhr UTC)
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Band 1 (1875), S. 558–566 (Quelle).
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Arnim-Boytzenburg: Adolf Heinrich Graf von A.-B., geb. 1803, † 8. Jan. 1868. Unter dem alteingesessenen Adel der Mark Brandenburg ragt das Geschlecht der Arnim durch ausgedehnte Verbreitung in zahlreichen Zweigen, wie durch ausgezeichnete Dienste hervor, welche seit langen Zeiten die Mitglieder dem von jener Mark aus sich bildenden Staatswesen geleistet. Graf Adolf Heinrich war der Sohn des Grafen Friedrich Wilhelm Abraham, der als Kammerherr und Gesandter dem preußischen Staat Dienste geleistet. Der Großvater, Friedrich Wilhelm v. A. auf Boytzenburg, wurde als Friedrich Wilhelm II. die Huldigung empfangen, in den Grafenstand und zum Oberjägermeister erhoben und im Nov. 1786 zum geheimen Staats- und Kriegsminister und Chefpräsidenten des Forstdepartements beim General-Directorium ernannt.

Graf Adolf Heinrich wurde am 10. April 1803 zu Berlin, nicht, wie oft zu lesen, auf dem Schlosse Boytzenburg geboren. Im J. 1812 starb der Vater, die Vormundschaft über den siebenjährigen Adolf Heinrich und den einzigen, nur wenige Jahre älteren Bruder wurde dem Freiherrn von Stein angetragen [559] und von diesem formell übernommen. Der große Staatsmann jedoch, mit den größten Angelegenheiten der Zeit in bewegter Thätigkeit beschäftigt, konnte sich seiner Mündel wenig annehmen. Thatsächlich wurde die Vormundschaft mit hingebender Sorgfalt durch den Kriegsrath Bandelow[WS 1] geführt. Die Mutter des jungen Grafen, eine geborene Reichsgräfin von Walmoden-Gimborn, hatte sich wieder vermählt und zwar nach Frankreich. Graf Adolf Heinrich hatte eine einsame Jugend. Er besuchte das Werdersche Gymnasium in Berlin und studirte darauf zu Göttingen und Berlin Jura und Staatswissenschaften. Der junge Graf, dem bei der Theilung der väterlichen Güter mit dem älteren Bruder durch Loos das Majorat zugefallen, zeigte sich, als einer der reichsten jungen Männer des preußischen Adels, unzugänglich für die Zerstreuungen und Genüsse der Jugend. Mit ernster Consequenz verfolgte er seinen Studienplan und überraschte durch gediegene Fortschritte und eindringende Auffassung bald seine Lehrer. Er legte die üblichen Staatsprüfungen für den Dienst in der Verwaltung ab, ward Landrath in der Uckermark, und 1833 mit 30 Jahren zum Regierungspräsidenten in Stralsund ernannt. Von hier aus wurde er in gleicher Eigenschaft nach Aachen berufen, im J. 1837 zum Mitglied des Staatsrathes erhoben und nach einer ganz kurzen Thätigkeit bei der Generalcommission im Herbst 1838 an die Spitze der Regierung zu Merseburg gestellt. Während der kirchlichen Streitigkeiten, welche im J. 1837 zum Ausbruch kamen, hatte er am Rhein den Parteien gegenüber eine tactvolle, zugleich überlegene und versöhnliche Haltung gezeigt. Als er den Posten zu Merseburg antrat, galt es bereits für entschieden, daß ihm die höchsten Staatsämter zugedacht seien. Friedrich Wilhelm IV., kaum zum Thron gelangt, ernannte ihn zum Oberpräsidenten von Posen. Dem König kam es auf die Beschwichtigung der kirchlichen Wirren an, die in Posen nationale waren. Er erwartete jetzt von dem Grafen A. unter weit schwierigeren Verhältnissen das conciliatorische Geschick, welches dieser in der Stellung zu Aachen bewährt hatte. Auch schien es zuerst, als würde dem Grafen gelingen, den Erwartungen des Königs zu entsprechen. Der polnische Adel und der Erzbischof selbst gaben vor dem würdevollen Entgegenkommen des neuen Oberpräsidenten eine Zeit lang ihre staatsfremde Haltung wenigstens äußerlich auf. Bald freilich mußte zu Tage treten, daß die Freundlichkeit und schonende Form des königlichen Stellvertreters nicht die Bedeutung haben konnte, den Hoffnungen der Polen auf nationale Selbständigkeit innerhalb und vielleicht bald außerhalb des Staates zu entsprechen. Friedrich Wilhelm IV. aber erkannte, daß seinem Auftrag bis an die Grenzen der Möglichkeit genügt worden, und stellte nach zwei Jahren den Grafen A. an die Spitze des Ministeriums des Innern.

Die wenigen Jahre, in welchen Graf Arnim diesen hohen Posten bekleidete (damals in der Blüthe des jugendlichen Mannesalters stehend), sind die bedeutungsvollsten in seinem Leben geworden und zugleich von einer Bedeutung für den preußischen Staat, welche allerdings erst eine spätere Geschichtsbetrachtung mit Klarheit übersehen wird.

Die zwei ersten Jahre der Regierung Friedrich Wilhelm IV., in welchen den König Erwartung, Hoffnung, schmeichelnde Zudringlichkeit der besten aber oft unklaren Absicht aus allen Kreisen seines Volkes und weit über dieses hinaus, aus ganz Deutschland kommend, umgaben, waren vorüber. Es mußte sich zeigen, was und wie viel von den mannigfaltigen Erwartungen der äußeren und inneren Politik, welche der König rege gemacht, er erfüllen wollte und erfüllen konnte. Er selbst hatte den weiten Zwiespalt, welcher seine eigenen politischen und geistigen Ideale von denen der Zeit trennte, die er zu lenken berufen war, dieser Zeit so lange als möglich verhehlt. Er hatte der Zeit und vielleicht auch [560] sich selbst so lange als möglich den Trost zu behalten gesucht, es werde auf dem Grunde herzlicher Liebe von Fürst zu Volk durch lenksamen Gehorsam und durch den Schwung des Gemüthes, den der Fürst dem Volke mittheilte, über den Gegensatz hinwegzukommen sein. Der König mußte sich jetzt entschließen, dem, was seine Person betraf, immerfort freundlich ehrerbietigen, aber doch, trotz des bereits mehrfach erklärten königlichen Nein, ungestümen Drange der öffentlichen Stimme auf Reformen im Sinne des politischen Liberalismus der Zeit mit Strenge entgegenzutreten. Er that es, und schien mit dem ihm eigenen Schwunge des Selbstgefühls sich in der Rolle des strengen Herrschers eine Zeit lang wohl zu fühlen. Aber sein Herz sehnte sich auf die Dauer nach ganz anderen Erfolgen, und überdem sagte er sich mit persönlicher Ueberzeugung, daß die Fortsetzung eines büreaukratischen Absolutismus, sogar mit strengerer Anspannung der Zügel als unter der vorigen Regierung, zwar den unwahren Forderungen der Epoche einigermaßen entgegenzutreten, den wahren aber unmöglich genügen könne.

Wenn auch die Archive dieser Jahrzehnte der Geschichtsforschung noch nicht offen liegen, so kann man doch so viel erkennen, daß die dreijährige Ministerverwaltung des Grafen A., von 1842 bis 1845, nach außen bezeichnet durch zahlreiche Maßregeln der Repression, welche den Zwiespalt des Königs mit seiner Zeit auf den Höhepunkt zu tragen schienen, im Rathe des Königs ganz andere Ziele verfolgte. Zwischen dem phantasiereichen Geiste des Königs und der praktischen, aber jedes großen Entschlusses nicht minder fähigen Einsicht des selten begabten Mannes an der Spitze der inneren Verwaltung wurde mit anstrengenden Bemühungen der Weg der Verfassungsreform gesucht. Wir wissen aus authentischer Quelle, daß Graf A. den vollständigen Entwurf einer preußischen Verfassung ausarbeitete und dem König vorlegte. In den Entwurf selbst haben wir keine Einsicht erlangt. Doch glauben wir nach zuverlässiger Mittheilung annehmen zu können, daß ein Zweikammersystem auf ähnlichen Grundlagen in Vorschlag gebracht war, wie die Herrencurie und die Curie der drei Stände des nachherigen „Vereinigten Landtages“. Vielleicht waren gewisse Erweiterungen des Wahlrechts bei der Ständecurie in Aussicht genommen. Aber nicht hier lag der Hauptgegensatz der Ansichten zwischen dem König und dem Minister. Auch der letztere wollte keineswegs das, was man damals unter einer constitutionellen oder einer Repräsentativverfassung verstand. Er wollte von der ständischen Grundlage für die Bildung der Staatskörper keineswegs abgehen, und er wollte nichts weniger, als ein Unterhaus, wie es der deutsche Liberalismus, ohne genaue Kenntniß der englischen Verfassung, nach englischem Muster im Sinne trug. Graf A. würde den nachdrücklichsten Widerspruch eingelegt haben, hätte man der Landesrepräsentation weitergehende Rechte einräumen wollen, als die der Zustimmung zu neuen Gesetzen, neuen Steuern, neuen Anleihen etc. Er wollte nichts weiter, als was der natürliche Anfang jeder gesunden Verfassungsbildung ist, die Verbürgung des bestehenden Rechtszustandes durch das der Landesrepräsentation verliehene Recht, jeder Aenderung des bestehenden Rechtszustandes die Zustimmung zu gewähren oder zu versagen. Da aber in einer von eigenem Lebensdrang erfüllten Zeit unmöglich anzunehmen war, daß Aenderungen des Rechtszustandes nur eine selten eintretende Nothwendigkeit sein würden, so verlangte der Minister für die zu bildende Landesrepräsentation die verfassungsmäßig zugesicherte Periodicität der Berufung. Mit dieser Periodicität würde sich die lebhafte Bewegung des öffentlichen Geistes auf die Zeiten concentrirt haben, wo in regelmäßigen Fristen die Landesvertretung tagte, in der Zwischenzeit aber sich der Ruhe und der vorbereitenden Sammlung hingegeben haben. Aber zu dieser Periodicität, zu dieser sicheren [561] Abgrenzung der Rechte des Landtags mochte sich der König nicht entschließen. Er wollte Alles in der Hand behalten; er wollte sich erst überzeugen, ob einer allgemeinen Landesvertretung ohne Gefahr solche Rechte eingeräumt werden könnten. Mit nie wankender Selbstverläugnung hatte Graf A. drei Jahre hindurch die immer höher steigende Unpopularität einer blos repressiven Regierungsweise getragen, und den öffentlichen Groll für mehr als eine Maßregel auf sich genommen, die er nicht veranlaßt, von der er abgerathen hatte. Als er sich aber überzeugte, daß diesen Weg, der endlich nur zum Unheil führen konnte, zu verlassen der Entschluß nicht eintreten würde, forderte er seine Entlassung und erhielt sie.

Zwei Jahre später gab der König das Patent vom 3. Feb. 1847. Es war der letzte Moment vor einem unheilschweren Zerwürfniß, und die Gewährung war ungenügend, ungenügend namentlich durch die fehlende Periodicität für den Landtag, während die einem vereinigten Ausschuß allerdings verliehene Periodicität ihrer an sich nicht ausreichenden Bedeutung durch die lange Frist von vier Jahren gänzlich beraubt wurde. Die hypothetischen Fragen an die Vergangenheit sind durch die Gewöhnung unserer Geschichtsbetrachtung zur Zeit verpönt, obwol der Fehler derselben vielleicht nicht immer genau erkannt wird. Wir glauben mit der Annahme nicht zu weit zu gehen, daß eine Verfassungsreform, wie sie Graf A. beantragte, rechtzeitig durchgeführt, Preußen vor den Erschütterungen in Folge der französischen Februarrevolution bewahrt und ihm die Früchte einer Umwandlung der deutschen Verhältnisse um so sicherer gebracht haben würde. Diese Annahme verläßt die Grenzen des Richtigen nicht dahin, daß sie voraussetzt, es hätte damals die Mittel zur Beherrschung des Kommenden gegeben, und sie hätten gefunden werden können. Jene Grenze würde erst überschritten, wenn man behaupten wollte, die richtige Maßregel, dem König einmal abgewonnen, hätte von selbst die Bedingungen der richtigen Durchführung gefunden.

Wir kommen zu dem J. 1848, und damit zu einem Theil der amtlichen Laufbahn des Grafen A., der in seinem Zusammenhang für die Oeffentlichkeit undurchsichtig bleibend, sehr widersprechende und sehr irrige Urtheile hervorgerufen hat. Der König, von dem Grade der Bewegung der Geister auch in Preußen während der Märztage sichtlich überrascht und doch die Höhe desselben noch nicht ermessend, entwarf am 17. März jenes Patent, welches am 18. März erschien, von dem letzteren Tage datirt, und unter dem Namen desselben historisch geworden ist. Bei der Entwerfung war noch das Ministerium Bodelschwingh im Amt, aber als der König das Patent Herrn von Bodelschwingh vorlegte, erklärte der letztere, seinerseits die Geschäfte auf den darin vorgezeichneten Weg nicht leiten zu können. Der König wollte anfangs den Finanzminister v. Alvensleben an die Spitze des Ministeriums stellen; als dieser ablehnte, sandte der König zum Grafen A. Am Vormittag des 18. März erschien der Graf vor dem König auf dem Schlosse, erhielt den Antrag, und bat sich einen Tag Bedenkzeit aus. Er konnte nicht anders. Wie hätte er der unerwarteten, schwersten Lage ohne einen Plan entgegentreten sollen, der die Möglichkeit zeigte, der Lage Herr zu werden! Der Plan mußte erst gefunden werden, wer hätte in der allgemeinen Ueberraschung einen solchen bereit gehabt? – Das Patent vom 18. März wirkte in den ersten Momenten beruhigend, der sehr allgemeine Charakter der Versprechungen erregte aber bald wieder Mißtrauen. Es kam zu unruhigem Andrängen der Massen gegen das Schloß, zur Zurückdrängung durch die Truppen, wobei jene zwei Schüsse aus zufällig entladenen Gewehren fielen, welche der Vorwand zur Errichtung der Barrikaden wurden. Die Truppen drangen darauf siegreich vor, bis die Nacht dem Kampfe Einhalt that. Es ist kein Zweifel, [562] daß bei Wiederaufnahme des Kampfes am andern Tage der Aufruhr niedergeschlagen worden wäre. Der König aber, schmerzlich bewegt und von einigen Seiten bestürmt, entwarf in der Nacht jene Ansprache, worin er die Berliner aufforderte, die Barrikaden wegzuräumen, dann sollten, darauf gab der König sein Wort, „alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt und die militärische Besetzung nur auf die nothwendigen Gebäude des Schlosses, des Zeughauses und weniger anderer, und da auch nur auf kurze Zeit beschränkt werden.“ Als Graf A. am Vormittag des 19. März, um den inzwischen gefaßten Entschluß der Annahme des Ministeriums anzukündigen, auf dem Schloß erschien, fand er daselbst eine Deputation, welche auf Grund der am Morgen veröffentlichten Ansprache den König bat, die Truppen zurückzuziehen, bevor noch die Barrikaden hinweggeräumt seien, weil letzteres den Abmarsch der Truppen zu sehr verzögern und damit die Gefahr neuer Zusammenstöße herbeiführen würde. Graf A. deutete dem anwesenden Minister v. Bodelschwingh an, daß er den König in Geschäften zu sprechen wünsche, und die beiden Staatsmänner folgten dem König in sein Cabinet. Von hier aus überbrachte der Minister v. Bodelschwingh der noch anwesenden Deputation den Befehl des Königs, die Truppen von den Straßen und Plätzen zurückzuziehen in der Erwartung, daß die Einwohnerschaft zur Ordnung zurückkehren und die Barrikaden weggeräumt würden. Die bisherige Forderung des Königs, daß vor dem Rückzug der Truppen die Barrikaden weggeräumt und die Ordnung hergestellt sein müsse, wurde also nicht aufrecht erhalten. Der zum Befehlshaber der Truppen in Berlin ernannte General v. Prittwitz setzte dem Minister von Bodelschwingh die militärischen Folgen dieser Maßregel sofort mit Nachdruck auseinander, wogegen der Minister sich auf den königlichen Befehl berief.

Graf A. hatte, wie aus der bisherigen Erzählung bereits erhellt, keinen Antheil an der in der Nacht vom 18. zum 19. März entworfenen Ansprache des Königs an die Berliner, worin der Rückzug der Truppen „von allen Straßen und Plätzen“ nach Wegräumung der Barrikaden zugesagt, worin also bereits freiwillig und entschieden Abstand genommen war von der sofortigen Räumung und von der vollständigen Niederwerfung des Aufruhrs. Graf A. hat auch nicht dazu beitragen, daß der Befehl zum Rückzug der Truppen am Vormittag des 19. März ertheilt wurde, ohne daß die anfangs gestellte Bedingung der Wegräumung der Barrikaden erfüllt war. In seiner Schrift: „Bemerkungen des Grafen Arnim-Boytzenburg zu der Schrift: Die Berliner Märztage vom militärischen Standpunkte aus geschildert“, die im October 1850 veröffentlicht wurde, erklärte der Graf, daß er bei jener Unterredung mit dem König in des letzteren Arbeitscabinet im Beisein des Ministers von Bodelschwingh am Vormittag des 19. März zu dem König nur von der Bildung und den Maßregeln des neuen Ministeriums gesprochen habe. Die Berathung der militärischen Maßregeln des Augenblicks habe er dem König und dem noch in amtlicher Thätigkeit stehenden Minister überlassen. Doch habe er nicht seine Zustimmung zu dem Beschluss verhehlt, für den Rückzug der Truppen, wenn derselbe einmal angeordnet werden und der Angriff sistirt werden sollte, die vorherige Wegräumung der Barrikaden nicht zur Bedingung zu machen. Graf A. hatte aber geglaubt, es sei bei dem Rückzug eine Concentration entweder sämmtlicher in der Stadt befindlicher Truppen oder doch eines völlig ausreichenden Theiles derselben um das Schloß und die wichtigsten Staatsgebäude auf einige Zeit beschlossen. Der Befehlshaber hatte indessen eine solche Concentration im voraus für unmöglich erklärt, und führte den Rückzugsbefehl so aus, daß am Nachmittag des 19. März die Truppen zerstreut waren und großentheils die Stadt verlassen hatten. Als Graf A., nachdem er am Mittag des [563] 19. März die Ernennung zum ersten Minister empfangen, aus dem Cabinet des Königs trat, sah er das Schloß von Truppen beinahe verlassen und dagegen, wie er sich in der oben genannten Schrift ausdrückt, „den Feind bereits im Schlosse“. Auf die Frage an den Befehlshaber nach dem Verbleib der Truppen, erhielt er die vollkommene Bestätigung dessen, was seine Augen ihn lehrten. Er erzählt von dem Eindruck dieser Wahrnehmung selbst: „es war der einzige Augenblick in den ganzen schweren Tagen, in dem ich nahe daran war, die Fassung zu verlieren“. Sicherlich hätte er unter diesen Umständen das Recht gehabt, den Auftrag zur Leitung der Staatsgeschäfte dem König zurückzugeben in einem Augenblick, wo diese Leitung, und sogar die Person des Königs selbst schutzlos dem Belieben einer aufrührerischen, geschlagenen, aber in der Folge der Aufhebung des Kampfes nicht besiegten Menge preisgegeben war. Unmittelbar nach der Zerstreuung der Truppen wurde dem König der Rath gegeben, mit der königlichen Familie unter dem Schutz der kleinen Schloßbesatzung die Stadt zu verlassen. Graf A. konnte in dieser Maßregel, so ausgeführt, nichts sehen als eine Flucht, und widerrieth sie. Aber er sah sich nun in der, wie man wol sagen darf, schrecklichen Lage, inmitten einer Revolution, welcher durch unbegreifliche Mißverständnisse der Sieg zu Theil geworden war, den Staat zu leiten und den König zu schützen ohne Schutzmittel. Ihm lag ob, die Revolution nicht zu reizen, um nicht den König der höchsten Gefahr auszusetzen, aber ihr auch nicht mehr nachzugeben, als die Sicherheit des Staats erlaubte. Nur zehn Tage lang sollte er diesem Werke dienen. Zu seiner Durchführung achtete er den Eintritt noch mehrerer angesehenen Häupter der liberalen Opposition des vereinigten Landtags in das Ministerium für unerläßlich. Der Eintritt wurde von Seiten jener Staatsmänner, namentlich von Seiten Camphausen’s versagt. Sie wollten die Last der jetzt der Staatsleitung zufallenden Aufgabe nicht mit dem Minister theilen, auf dessen Namen ein so großer Theil der Unpopularität des Regierungssystems der unmittelbar vorangehenden Zeit ruhte. Graf A., dem sein Gewissen sagte, mit welchem Recht die Schuld der früheren Politik ihm beigemessen wurde, konnte in der Selbstverleugnung, mit der er früher die Fehler Anderer auf sich genommen, jetzt den Lohn der Befreiung von einer unlösbaren Aufgabe finden, der aus freien Stücken sich zu entziehen sein Pflichtgefühl nicht gestattet hätte. Sein Bemühen war jetzt nur noch, den Zusammentritt des vereinigten Landtags zu sichern, damit der Boden der Legalität für die unaufschiebbare Staatsreform nicht verloren gehe, und die Bildung eines haltbaren Ministeriums abzuwarten, damit die Leitung der Geschäfte in der schwierigsten Zeit keinen Augenblick verwaist dastehe. Am 29. März war das Ministerium Camphausen gebildet, Graf A. trat zurück, doch hatte er in den zehn Tagen dieser Ministerverwaltung einen für die spätere Entwicklung folgereichen Act angerathen, gegen dessen nachherige Ausdeutung er sich im December 1848 in einer eigenen Schrift verwahrte. Es sind dies die sogenannten Verheißungen vom 22. März. In dieser Zeit erschienen aus allen Theilen des Landes vor dem König Deputationen, welche eine Erläuterung und genauere Bestimmung der Verheißung des Patentes vom 18. März erbaten. In einem Bescheid, welchen er einer Deputation der Städte Breslau und Liegnitz schriftlich unter dem Datum des 22. März und mit der Gegenzeichnung des ganzen damaligen Ministeriums, den Grafen A. an der Spitze, ertheilte, gab der König diese genaueren Bestimmungen. Im Eingang des Bescheides erwähnte der König, daß er eine constitutionelle Verfassung auf den breitesten Grundlagen verheißen habe, daß er demgemäß dem vereinigten Landtag ein volksthümliches Wahlgesetz vorzulegen beabsichtige, geeignet eine auf Urwahlen gegründete, alle Interessen des Volkes ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse [564] umfassende Vertretung herbeizuführen. Hier erscheinen also zum ersten Mal in einem amtlichen Aktenstück die „breitesten Grundlagen“ und die „Urwahlen“ deren Einführung in das preußische Staatsleben dem Grafen A. von einzelnen Seiten zum schweren Vorwurf gemacht worden ist. Derselbe hat jedoch in der zuletzt genannten Schrift mit einer jeden Zweifel aufhebenden Beweisführung diese Ausdrücke so erläutert, daß durch den Sinn desselben weder das Zweikammersystem ausgeschlossen, noch für die zweite oder Wahlkammer eine andere Bildung beabsichtigt war, als mittelst eines, zwar alle Volkstheile heranziehenden, aber doch jeden Theil nur mit einem nach Verhältniß des Gewichtes seiner Interessen ausstattenden Wahlrechtes. Die besonderen Reformgesetze, welche der auf diese Weise zu bildenden Volksvertretung vorgelegt werden sollten, wurden nur dem Gegenstand, aber nicht der Ausführung nach in jenem Bescheid bezeichnet. Bedenklich war allein das am Schluß gegebene Versprechen, das stehende Heer auf die Verfassung vereidigen zu lassen. Mit männlichem Freimuth hat Graf A. in einer Schrift vom August 1849 dieses Versprechen als einen Fehler anerkannt, zugleich aber den Fehler in einer Weise gut gemacht, auf die wir noch zu sprechen kommen. In jenen Märztagen wurde ein Wort aus Arnim’s Munde umhergetragen, das zu vielen Angriffen benutzt worden ist: Man müsse der Bewegung immer um einen Schritt voraus bleiben. Arnim’s Meinung war: Der Staatslenker muß das Nothwendige thun, bevor es sich aufdrängt. Die Spottsucht und Mißgunst jener Tage entnahm den Sinn, daß man alle Launen und Extravaganzen einer ungezügelten Bewegung zuvorkommend erfüllen müsse.

Zwei Ministerlaufbahnen in zwei gleich denkwürdigen Epochen lagen hinter dem Staatsmann, der diesen Posten nach wenigen Monaten zum dritten Mal und zwar zum dritten Mal in dem Moment einer Krisis des Staatslebens angetragen erhielt. Diesmal wurde der Posten von ihm abgelehnt, den er fortan auch nicht wieder angenommen hat. Er wußte, daß eine Behandlung der Staatsangelegenheiten, wie sie nach seiner Ueberzeugung allein zum Heil führen konnte, unter den gegebenen Bedingungen nicht zu erreichen war. Darum lehnte er ab, entschlossen dem Patriotismus jedes nützliche Opfer zu bringen, dem Ehrgeiz keines.

Graf A. hatte ein Mandat zur Nationalversammlung in Frankfurt a. M. erhalten und angenommen. Bald nach der Wahl des Reichsverwesers legte er das Mandat nieder und rechtfertigte diesen Schritt durch eine Schrift, die im August 1848 unter dem Titel: „Die deutsche Central-Gewalt und Preußen“ erschien. Graf A. ging darin von der Unmöglichkeit aus, daß Preußen als nur gehorchendes Glied in irgend ein deutsches Reich eintrete. Die Ausführung war so staatsmännisch und klar, daß sie jeden Widerspruch verbot, vorausgesetzt, daß die mit der damals provisorisch errichteten Reichsgewalt formell gegebenen Rechtsverhältnisse buchstäblich befolgt werden sollten. Es blieb jedoch für den staatsmännischen preußischen Patrioten immerhin ein anderer Standpunkt möglich. Es war gestattet, darauf zu rechnen, daß die provisorische Centralgewalt in Frankfurt, wie unumschränkt immer ihr formelles Mandat lautete, thatsächlich keinen ernsthaften Schritt ohne Einverständniß mit Preußen werde thun können noch wollen. Es war einem solchen Patrioten ferner schon damals ermöglicht, vorauszusehen, daß in Frankfurt entweder gar keine Verfassung zu Stande kommen werde oder eine solche, welche Preußen den ersten Platz in Deutschland einräumte. Wir stoßen hier auf das Grundelement in dem Charakter des Staatsmannes, dessen Laufbahn wir schildern. Seine Methode, die politischen Angelegenheiten aufzufassen und zu behandeln, war nicht diejenige, welche man die dynamisch-pragmatische nennen kann. Wer dieser Methode [565] Meister ist, der läßt den Dingen oftmals ihren Schein, aber er weiß, ohne dem Schein eher als nöthig zu widersprechen, die Mittel zu finden, die Wirkung der Dinge auf die Sphäre ihrer Kraft einzuschränken. Eine solche Methode lag nicht in Arnim’s Geist. Er war für sie zu vornehm und zu schlicht, zu stolz und zu rein, zu juristisch geformt und geschult in seinem Urtheil, und wenn wir Alles sagen wollen, vielleicht zu unbeweglich. Ihm mußten die Dinge das bekennen, was sie bedeuteten, das scheinen, was sie waren. Auf Wahrheit, Offenheit, auf strenge Gewissenhaftigkeit in der Befolgung aller angenommenen und rechtsbeständigen Schranken war das lebendige Staatswesen gegründet, wie er es im Sinne trug: ein Ideal, das als dauerhaftes Ziel am Ende der glücklichen Entwickelungen liegt, aber während der Entwickelungskämpfe nicht inne zu halten ist.

Von Frankfurt zurückgekehrt, fand Graf A. in der Heimath den grundbesitzenden Adel Preußens, dem er als eines der bedeutendsten Glieder angehörte, in seinen Rechten bedroht. Der damaligen, preußischen Nationalversammlung lagen Pläne vor, welche dem adeligen Grundbesitz die mit ihm verbundenen Realrechte ohne Entschädigung entziehen wollten. Das war eine Ungerechtigkeit, die nicht zum Vollzug kommen durfte und nicht dazu gekommen ist. Zu ihrer Abwehr trat in Berlin ein großer Theil des grundbesitzenden Adels zusammen, das sogenannte Junkerparlament, in dessen Berathungen der Graf die seiner Persönlichkeit entsprechende Stelle einnahm.

Als die Rückkehr aus der Anarchie zum geordneten Staat in Preußen sich im November 1848 vollzogen hatte, wurde Graf A. in die auf Grund der am 5. Dec. verliehenen Verfassung berufene zweite Kammer gewählt. Er war hier einer der Führer der Rechten gegenüber der demokratischen Linken, welche die nur um weniges kleinere Hälfte der Kammer ausmachte. Nach Auflösung dieser Kammer im April 1849 gehörte Graf A. wiederum der auf Grund des octroyirten Wahlgesetzes vom Mai desselben Jahres gewählten zweiten Kammer an. In der Bekleidung dieses Mandates hatte er sehr wesentlich beigetragen, daß die Revision der Decemberverfassung, welche die Aufgabe der damaligen Kammern war, zu einem erfolgreichen Ende gebracht und die Möglichkeit erreicht wurde, den König zur definitiven Sanction und Beschwörung der revidirten Verfassung zu bestimmen. Hervorzuheben ist in dieser Beziehung die Verwandlung der ersten Kammer, welche nach der Decemberverfassung eine Wahlkammer nur mit anderem Wahlmodus als die zweite war, in eine Pairskammer. Diese Pairskammer war indeß noch nicht das spätere Herrenhaus, welches erst entstand, als durch eine neue Verfassungsänderung im Mai 1853 die Bildung der ersten Kammer aus erblichen und lebenslänglichen Mitgliedern in die freie Anordnung des Königs gestellt wurde. Am wichtigsten war aber die Aufnahme der Bestimmung, daß eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung nicht stattfinden solle. Wie oben erwähnt, hatte die Zusage dieser Vereidigung sich unter den königlichen Verheißungen vom 22. März 1848 befunden. In einer Schrift „Ueber die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung“, die Graf A. im August 1849 veröffentlichte, bezeichnete er jene Zusage als einen Fehler, nahm die unter den schwersten Umständen gegebene Ertheilung derselben auf sich und legte die Nothwendigkeit, den König durch einen Beschluß der Kammern die Erfüllung jener Zusage zu überheben, so einleuchtend dar, daß die kleine Schrift für die Beurtheilung dieser Frage auch in künftigen Zeiten an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Umständen ein classischer Führer bleiben wird.

Seit der Bildung des Herrenhauses hat der Graf dieser Körperschaft bis zum Lebensende angehört. Seine Stellung blieb von nun an die eines Anwaltes des großen Grundbesitzes gegen ungerechte, Bedeutung und Werth desselben [566] für den Staat verkennende Beeinträchtigung. Niemals aber konnten seine Bestrebungen auch nur in den Verdacht gerathen, auf die Bevorzugung eines Standes durch die Zurücksetzung aller übrigen gerichtet zu sein. Er wollte die Freiheit aller Stände in geordneten, aber auch unantastbar schützenden Schranken. Er wollte die freie Bewegung des Ganzen auf geordneter Bahn der Theile und wollte sie nicht blos in der Theorie, sondern wie es seinem ganzen lauteren Wesen entsprach, ohne Aufschub, im Leben. Er unterschied sich darin wesentlich von Stahl, der einer ähnlichen Theorie huldigte, aber jede Willkür des Regierungssystems unermüdlich beschönigte.

Graf A. war durchdrungen von der größten aller Wahrheiten auf dem Gebiete des inneren Staatslebens, daß die Rechte jedes Standes den Pflichten entsprechend bleiben müssen, als deren Folge sie nur entstehen durften. In der Schrift über die Verheißungen vom 22. März und in mancher parlamentarischen Rede blickt diese Einsicht durch, die zugleich ein Bedürfniß seines Charakters war. Ob er die Consequenzen derselben nicht nur für das Verhalten der Einzelnen, sondern für die staatsrechtlichen Gestaltungen der Gegenwart stets richtig erkannt, mag sich bestreiten lassen. Vielleicht hätte er dann der Ausgleichung der Grundsteuer durch das Ministerium Patow im J. 1860 nicht widersprechen dürfen.

Sein letztes öffentliches Hervortreten war die Anregung einer Petition für die Verbindung der von Dänemark eroberten Elbherzogthümer mit der preußischen Krone.

Graf A., gleich ausgezeichnet durch hohe Geburt und glänzende Lebensverhältnisse, durch geistiges Talent und gewissenhaften Charakter, durchmaß eine Laufbahn, wie sie diesen Vorzügen entsprach. Indeß auf ihr begegnete ihm nicht der Siegespreis des äußeren Erfolgs. In Zeiten aber, die man unmögliche nennen möchte, weil ihnen alle Bedingungen des Gelingens fehlen, das Nothwendige gewissenhaft unternehmen, ist nicht minder ein großes Beispiel, dessen die Völker bedürfen. Ein Volk, welches in den schweren Momenten solche Männer entbehren muß, ist dem Chaos verfallen. Das preußische und das deutsche Vaterland dürfen sich glücklich schätzen, wenn in dem preußischen Adel sich immer Männer finden, die in glänzenden Lebensbedingungen sich den Weisheitsspruch des großen Dichters zur Richtschnur nehmen: „Was Du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen;“ die nach Erfüllung der peinlichsten Pflicht die Verkennung schweigend tragen, um nicht den Staat und sein Ansehen zu beeinträchtigen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hermann Samuel Gottfried Bandelow