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ADB:Ferstel, Heinrich von

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Artikel „Ferstel, Heinrich von“ von Max von Ferstel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 521–523, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ferstel,_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 03:08 Uhr UTC)
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Ferstel: Heinrich von F., geboren in Wien am 7. Juli 1828, † daselbst am 14. Juli 1883. – Die baukünstlerische Entwicklung der größeren deutschen Städte von den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts angefangen verläuft, dem verschiedenartigen Geschmacke und dem verschiedenen Temperament ihrer Bewohner entsprechend, in stark divergirenden Richtungen; nur Eines war allen gemeinsam: die starke Abneigung gegen die officielle Architektur der staatlichen Baubehörden, die durch mehrere Decennien jede freie künstlerische Bethätigung unterdrückt und deren destructive Wirkung allerorts deutliche Spuren hinterlassen hatte.

In Berlin hatte der große Schinkel zuerst sein Reformwerk auf antiker Basis begonnen; in München experimentirte ein hochgesinnter und kunstbegeisterter König mit allen Stilarten, vom classisch-antiken angefangen bis zur Renaissance, so jene eklektische Bewegung vorbereitend, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast für die ganze continentale Architektur bestimmend wurde; Wien folgt erheblich später den, von Deutschland ausgehenden Impulsen, entwickelt sich aber namentlich seit dem Fall der Stadtmauern um so rascher, die concurrirenden[WS 1] Städte bald überflügelnd und einige Decennien lang auf baukünstlerischem Gebiete eine Art Führerrolle übernehmend. Dieser glanzvollen Epoche drückten vornehmlich drei Künstler ihren Stempel auf: der Däne Hansen, der Schwabe Schmidt und der Wiener Ferstel, verschieden an Alter, Bildungsgang und Stammesangehörigkeit, alle drei aber in ihren Werken in ganz unvergleichlicher Weise jenen eigenthümlichen Wiener Localton treffend, der jeden Fremden, welcher zum ersten Mal Wiener Boden betritt, überrascht.

Heinrich v. F. wurde zu Wien am 7. Juli 1828 geboren und durchlief seine Schulen zu einer Zeit, in welcher die, vom Rheine kommende Romantik auch den Wiener Boden gewann. Nach Absolvirung des Polytechnikums, einer technischen Mittelschule, bezog F. die Architekturschule der Wiener Akademie und genoß daselbst den Unterricht der ausgezeichneten Lehrer van der Nüll und Siccardsburg. Das Jahr 1848, an dessen stürmischer Bewegung F. mit jugendlicher Begeisterung Antheil nahm, brachte wol für kurze Zeit eine Unterbrechung in seine Studien; doch konnte F. schon im J. 1851 die Akademie [522] verlassen und in das Atelier seines Onkels Friedrich Stache eintreten, mit dem er – namentlich in Böhmen – eine Anzahl Burgen und Schlösser baute und restaurirte. Volle Selbständigkeit brachte ihm die internationale Concurrenz zur Votivkirche in Wien, an der sich die bedeutendsten Künstler Oesterreichs und Deutschlands in großer Zahl betheiligten. Der 25jährige Künstler errang mit seinem Entwurf den ersten Preis, den Ausführungsauftrag und trotz seiner Jugend mit einem Schlage eine geachtete Stellung in der europäischen Künstlerschaft. – Ein Vierteljahrhundert später vollendet der reife Mann das Werk, das der Jüngling ersonnen und das seinen Namen populär gemacht hatte. – In neuen siegreichen Concurrenzen erhielt er den Bau des Bankgebäudes in der Herrengasse, das er in freibehandelten romanischen Formen ausführte, der protestantischen Kirche in Brünn und der katholischen Kirche in Teplitz-Schönau, welch’ beide gothische Formen zeigen. Auch in den preisgekrönten Projecten für das Wiener Schützenhaus und die Akademie der Wissenschaften in Pest sowie in einer größeren Anzahl von Wohnhaus- und Villenbauten in Brünn, Wien und Umgebung u. a. O. zeigt sich F. noch durchaus als Romantiker. Zahlreiche Reisen aber nach Italien und längere, eifrigen Studien gewidmete Aufenthalte daselbst brachten ihn der italienischen Renaissance näher und vollzogen in ihm die Wandlung, die fast alle Baukünstler dieser Zeit durchzumachen hatten; bald stand er als reifer Meister an der Spitze der neuen Richtung und errichtete eine Reihe glanzvoller Bauten in den Formen der italienischen Früh- und Hochrenaissance: das Palais des Erzherzogs Ludwig Victor und die Gruppe des Palais Wertheim am Schwarzenbergplatz; das österreichische Museum (vollendet 1871) mit seinem imposanten Arkadenhof, die Kunstgewerbeschule und das chemische Laboratorium der Wiener Universität, in welchen Werken sich F. als genauer Kenner des ober- und mittelitalischen Backsteinbaues erwies; den Sommersitz des Erzherzogs Karl Ludwig in Wartholz bei Reichenau N.-Oe.; das Staatsgymnasium in der Wasagasse zu Wien; das Winterpalais des Erzherzogs Ludwig Victor in Kleßheim bei Salzburg; von der Mitte der 60er bis zu Beginn der 80er Jahre eine lange Reihe von Miethpalästen, zu denen sich F. trotz seiner ausgesprochenen Vorliebe für das Einzelwohnhaus verstehen mußte; den Bau des Administrationsgebäudes des österreichischen Lloyd (1880–1883) in Triest, dessen Vollendung F. ebensowenig erleben sollte, wie die seines zweiten Hauptwerkes, des Universitätsgebäudes, das im Winter 1871–72 in Italien entworfen und dessen Bau im J. 1873 begonnen wurde.

Ferstel’s Bauthätigkeit beschränkte sich keineswegs auf Wien und Oesterreich; von seinen auswärtigen Bauten seien nur das Rathhaus in Tiflis erwähnt und eine gewaltige katholische Domkirche, die er im Auftrag eines reichen englischen Aristokraten nach dem Vorbilde der Votivkirche in London erbauen sollte; ein jäher Tod – er starb am 14. Juli 1883 nach kaum vollendetem 55. Lebensjahr – unterbrach die Verhandlung über die Ausführung der bereits vollendeten Bauskizzen.

Aber nicht nur als Architekt, sondern auch als akademischer Lehrer, dessen wohlbegründeter Ruf Schüler aus aller Herren Länder nach Wien zog, erlangte F. große Bedeutung; er wurde im J. 1866 bei Umwandlung der Wiener polytechnischen Mittelschule in eine technische Hochschule als Professor der Baukunst an dieselbe berufen und docirte dort bis zu seinem Tode mit den größten Erfolgen. Trotz der starken Inanspruchnahme seiner Zeit und seiner Kraft durch eine ausgebreitete Baupraxis und durch eine anstrengende Lehrthätigkeit war F. auch vielfach litterarisch thätig. Er hinterließ zwar kein Werk in Buchform, doch liebte er es, seine Grundsätze und Ideen in Denkschriften [523] und umfangreicheren Aufsätzen zu entwickeln, die namentlich in den Blättern des österr. Ingenieur- und Architekten-Vereines, des niederösterreichischen Gewerbevereins, ferner in der Förster’schen Bauzeitung und ähnlichen Fachschriften Aufnahme fanden. Aus der großen Zahl dieser Arbeiten wären besonders hervorzuheben: „Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus“ (im Verein mit R. Eitelberger verfaßt), die Denkschrift über Cottageanlagen und die kleine Schrift „Stil und Mode“, die ihr actuelles Interesse auch heute nicht verloren hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: concurrirendenden