ADB:Gaß, Joachim Christian

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Artikel „Gaß, Joachim Christian“ von Wilhelm Gaß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 394–396, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ga%C3%9F,_Joachim_Christian&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:17 Uhr UTC)
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Gaß: Joachim Christian G., evangel. Theologe, geb. am 26. Mai 1766 zu Leopoldshagen bei Anklam in Pommern, unterrichtet auf der Klosterschule zu Bergen, studirte in den Jahren 1785–89 in Halle unter Semler’s Anregung Theologie und allgemeine Litteratur und wurde 1795 Feldprediger des Regiments von Borke und Garnisonsprediger in Stettin. Im Feldzuge von 1806 begleitete er sein Regiment nach Halle und wurde nach dessen Auflösung als Assessor im Consistorium zu Stettin beschäftigt. Aber schwere Lebenserfahrungen verleideten ihm den längeren Aufenthalt daselbst; er begab sich, damals kinderlos, am Ende des folgenden Jahres nach Berlin und fand als Prediger an der Marienkirche nach wenigen Monaten eine Stellung, welche ihm Gelegenheit [395] bot, für einen nicht kleinen Kreis segensreich zu wirken. Bald sollte er indessen der Kanzel, für die er durch religiöse Wärme und natürliche Beredtsamkeit trefflich ausgestattet war, wieder entsagen. Schon 1810 führte ihn eine ehrenvolle Berufung nach Breslau, woselbst er als Consistorialrath und Mitglied der Kirchen- und Schuldeputation in das Consistorium der Provinz Schlesien eintrat, im folgenden Jahre aber auch nach der Verlegung der Universität aus Frankfurt nach Breslau die ordentliche Professur für systematische und praktische Theologie daselbst übernahm; und dieser doppelten Wirksamkeit ist er mit Eifer und immer gleicher Freude an seinem Beruf auch treu geblieben, während eine Anstellung als Universitätsprediger, für die er gleichfalls in Aussicht genommen wurde, nicht zur Ausführung kam. Für eine wissenschaftliche Thätigkeit war er allerdings nur unvollständig vorbereitet; indessen ein stets fortgesetztes Privatstudium kam ihm doch soweit zu Statten, daß er als tüchtiger Denker und guter Dialektiker Manches ersetzen konnte, was ihm an strenger Gelehrsamkeit abging. Dazu kam, daß seine schon 1803 angeknüpfte, nachher immer vertrauter werdende und durch einen fortdauernden Briefwechsel gepflegte Freundschaft mit Schleiermacher auch nach der wissenschaftlichen Seite höchst anregend auf ihn wirkte; seine Ansichten nahmen eine bestimmtere Gestalt an. Schleiermacher hatte ihm seine Schrift über den ersten Brief an den Timotheus 1807 öffentlich gewidmet. Stets hatte er sich zu denen gezählt, welche im Unterschiede von dem in der Theologie herrschenden Moralismus die religiöse Eigenthümlichkeit des Christenthums stärker hervorheben wollten. In diesem Sinne trat er jetzt seinen Collegen D. Schulz und D. von Cölln (s. Bd. IV S. 391) zur Seite, nicht als Gegner, sondern im Interesse einer ergänzenden Richtung, welches ihn bewog, das Positive entschiedener zu betonen. Wenn er als Dogmatiker von Schleiermacher abhängig blieb, aber auch zur Würdigung desselben und zum besseren Verständniß seiner Schriften wesentlich beitrug: so hat er in der Ethik überwiegend aus eigenen Studien geschöpft und für die praktischen Fächer seine früheren amtlichen Erfahrungen verwerthet. An Zuhörern hat es ihm niemals gefehlt. Zunächst mußten die schweren Kriegsjahre überstanden werden; nachher hat G. im selbständigen und friedlichen Verkehr mit den Mitgliedern seiner Facultät und im lebhaften Umgange mit Passow, Schneider, Steffens und mit andern nicht akademischen Freunden wie Harnisch und der Staatsrath von Rehdiger die erste schöne Blüthe der dortigen Universität erlebt und an seinem Theile fördern helfen. Im Consistorium ist seine Wirksamkeit durch das wachsende Vertrauen seines Vorgesetzten, des Oberpräsidenten von Merkel unterstützt worden; er war bemüht, mehr Strenge in die kirchliche Verwaltung zu bringen, und da er auch das Schullehrerseminar zu leiten und nach damaliger Einrichtung bei zahlreichen Abiturientenprüfungen der Gymnasien als königlicher Commissarius zu fungiren hatte: so konnte er nach mehreren Seiten eingreifen, indem er nach und nach in die Reihe der bekannten und allgemein geachteten Persönlichkeiten der Provinz eintrat. Bei der Staatsregierung fanden seine Verdienste Anerkennung; allein die Zeiten wurden schwierig, der Gang der langwierigen Verhandlungen über Kirchenverfassung und Agenda entsprach seinen Wünschen nicht; so wurde auch er in die Opposition gedrängt und blieb nicht ohne Anfechtung, entschloß sich aber doch nach schweren Kämpfen der neuen Liturgie von 1829 durch Unterschrift der Vorrede seine Zustimmung zu geben. Damals war seine Gesundheit schon angegriffen; nach einem mühevollen, aber rüstigen und vielfach auch mühelohnenden Arbeitsleben erlag er einem Lungenleiden und starb am 19. Februar 1831 mit frommer Fassung. Von seinen meist kleineren Schriften heben wir hervor: Zwei Sammlungen von „Predigten“, 1801 u. 6, „Jahrbuch des protestantischen Kirchen- und Schulwesens von und für Schlesien“, Bd. 1 u. 2., 1818 u. 20, „Ueber den christlichen [396] Cultus“, 1815, welche letztere Schrift vielen Anklang gefunden und zu einer gründlicheren und geistvolleren Auffassung des Gegenstandes den Anstoß gegeben hat.

Vgl. die Vorrede zu Schleiermacher’s Briefwechsel mit Gaß und den Artikel in Herzog’s Encyklopädie, beides von seinem Sohne, dem Unterzeichneten.