ADB:Gall, Franz Joseph

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Artikel „Gall, Franz Joseph“ von Hugo Schramm-Macdonald in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 315–316, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gall,_Franz_Joseph&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 03:46 Uhr UTC)
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Gall: Franz Joseph G., der Vater der Phrenologie, geb. am 9. März 1758 zu Tiefenbrunn, einem Dorfe im Oberamt Pforzheim (bad. Mittelrheinkreis), † zu Montrouge bei Paris am 22. Aug. 1828, war der Sohn eines Kaufmannes, der der lombardischen Familie Gallo entstammt sein soll. Er studirte Medicin in Straßburg und seit 1781 in Wien, wo insbesondere van Swieten und Stoll seine Lehrer waren. In Wien begann er auch, nachdem er 1785 die Doctorwürde erlangt, die ärztliche Praxis. Neben dieser beschäftigte er sich fleißig mit anatomischen Untersuchungen des Nervensystems und zwar vorzugsweise des Gehirns. Dieselben sollten ihm für die Localisirung der verschiedenen Gehirnthätigkeiten eine sichere Grundlage verschaffen. Als er sich darin getäuscht sah, suchte er seinen Zweck auf andere Weise zu erreichen: von der Voraussetzung ausgehend, daß zwischen den verschiedenen Aeußerungen des Geistesvermögens und gewissen aliquoten Gehirntheilen ein solidarisches Verhältniß bestehe und dasselbe auch zur räumlichen Erscheinung kommen müsse, stellte er vergleichende Forschungen mit der äußeren Decke des Gehirns, dem Schädel, an. Die Ergebnisse dieser Forschungen bildeten den Gegenstand jener Vorträge, die er 1796 in Wien zu halten anfing und die seinen Namen in ganz Europa bekannt machten, um so mehr, als sie nach einiger Zeit wegen der materialistischen Richtung der Schädellehre verboten wurden; später erfolgte wenigstens eine theilweise Aufhebung dieses Verbots, – das große Publicum blieb ausgeschlossen. 1805 verließ G. Wien und besuchte zunächst die größeren Städte, bezw. Universitätsorte Deutschlands, um hier gleichfalls Vorlesungen über seine Lehre zu halten; dabei verstand er sich vortrefflich darauf, durch eine gewisse Naivetät des Ausdrucks, durch Mittheilung einer Menge merkwürdiger Fälle und Anekdoten, sowie durch das Vorzeigen von Schädeln und Gypsabgüssen aus seiner Sammlung das Interesse der Zuhörer zu fesseln. Der Eindruck, den z. B. Hufeland von G. als einem „unbefangenen, von jeder Charlatanerie, Unwahrheit oder transcendentellen Schwärmerei weit entfernten, mit einem seltenen Grade von Beobachtungsgeist, Scharfsinn und Inductionstalent begabten Mann“ empfing, war der allgemeine. Indeß fand die neue Lehre, die in ihren Einzelnheiten heute als durch die Erfahrung widerlegt anzusehen ist, neben zahlreichen Anhängern auch bald ihre Gegner. Namentlich stieß G. auf eine starke Opposition, als er sich 1807 in Paris niedergelassen hatte. Dort gestaltete sich überdies sein Verhältniß als praktischer Arzt zu den Collegen sehr unfreundlich. Viele der letzteren weigerten sich, an einer Consultation theilzunehmen, zu welcher G. zugezogen wurde, und zwar nicht blos, weil er ein Ausländer war; er vermied in der Praxis nicht alles, wodurch er sich in den Schein eines Charlatanen bringen mußte; so erfuhren z. B. seine Patienten nicht, welche Arznei sie erhielten, denn jeder Patient bekam von ihm nur eine bestimmte Nummer, während ein Apotheker, mit dem er sich verbunden hatte, die numerirten Receptformeln erhielt. 1819 wurde G. zwar als Franzose naturalisirt, doch bewarb er sich dann vergeblich um seine Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften. Auch eine 1823 nach London unternommene Reise führte nicht zu den erwarteten Erfolgen. 1825 zum Wittwer geworden (er hatte seine Gattin schon als Straßburger Student in einem Mädchen kennen gelernt, das ihn während einer schweren Krankheit getreulich pflegte), heirathete er alsbald eine Dame, die ihm bereits 12 Jahre nahe gestanden. Auf seinem Landsitze in Montrouge traf ihn am 3. April 1828 ein Schlaganfall; den Folgen desselben erlag er. Daß er in seiner Sterbestunde den Beistand eines Geistlichen ablehnte, auch die kirchliche Einsegnung seines Leichnams untersagte, bringt man mit dem Umstande in Verbindung, daß in Rom die Schriften Gall’s auf den Index verbotener Bücher gesetzt worden waren. Seine Ruhestätte fand er auf dem Père Lachaise, wo [316] dieselbe seit 1836 durch ein bescheidenes Denkmal bezeichnet wird. Sein Kopf übrigens, nach welchem der mit G. eng befreundete Dr. Fossati auch eine Diagnose der eigenen Seelenkräfte Gall’s gegeben hat, kam in die von letzterem hinterlassene Schädelsammlung, die später dem Museum des Pariser Pflanzengartens einverleibt worden ist. Die Zahl der unmittelbar von G. selbst herausgegebenen Werke ist nicht groß. Seine Hauptwerke sind: „Recherches sur le système nerveux en général et sur celui du cerveau en particulier“ (Paris 1809, 4°; deutsch unter dem Titel: „Untersuchungen über die Anatomie des Nervensystems im Allgemeinen und des Gehirns insbesondere“, 2 Thle., Paris und Straßburg 1809 u. 12) und „Anatomie et Physiologie du système nerveux en général et du cerveau en particulier“ (4 Bde., Paris 1810–19, 4°, mit einem Atlas von 100 Tafeln; wohlfeile Ausgabe in 6 Octav-Bänden ohne Atlas, 1822–25). Das erstgenannte Werk und die beiden ersten Bände des letzteren gab G. gemeinschaftlich mit Spurzheim heraus, der sich ihm schon in Wien angeschlossen, ihn auch auf seiner Reise durch Deutschland und nach Paris begleitet hatte, 1813 aber sich mit ihm entzweite. Außer den angegebenen Werken sind noch Gall’s „Philosophisch-medicinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustande des Menschen“ (1791. 1800) zu erwähnen, die mindestens höchst anregend gewirkt haben. Auch seine Forschungen über die Anatomie und Physiologie des Gehirns sind zweifelsohne für die Wissenschaft gewinnbringend gewesen, wie sehr man auch die Bedeutung Gall’s seiner Zeit überschätzt hat.

Ueber die Quellen, wie über die sehr umfangreiche Litteratur, welche Gall’s Schädellehre hervorgerufen hat, und näheres über die letztere selbst siehe Ersch und Gruber’s Allgemeine Encyklopädie. – Vgl. auch C. v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserth. Oesterreich.