ADB:Gesius, Bartholomäus
Barthol. Ringwald als Cantor erwähnt und amtirte als solcher bis 1613, in welchem Jahre er wahrscheinlich an einer damals in der Stadt grassirenden Epidemie gestorben ist, denn 1614 ward Stephan Höpner sein Nachfolger im Amt. G. behauptet durch seine Compositionen einen ehrenvollen Platz unter den zeitgenössischen Musikern. Gleich sein erstes erhaltenes Werk, eine dramatisirte Gesangspassion nach dem Evangelium Johannes Cap. 18 u. 19 (Wittenberg 1588), ist ein beachtenswerthes Beispiel für die Entwicklung dieser Kunstgattung, welche seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beim protestantischen Gottesdienste der Charwoche Eingang gefunden hatte. Ihre ältere Form, wonach die Recitation im Collectenton nur durch die, gewöhnlich vierstimmigen Chöre der „Haufen“ unterbrochen wurde, genügte bald nicht mehr dem Bedürfniß nach reicherer musikalischer Ausgestaltung des Textes. G. setzte daher, mit diesem Versuch in seiner Zeit nicht allein stehend, auch die Reden der einzelnen Personen, wie sie aus dem Bericht des Evangelisten hervortreten, für mehrere Stimmen und zwar die Reden Christi für vier, die des Petrus und Pilatus für drei, die der Mägde und Knechte für zwei Stimmen, sie dadurch einerseits von [94] der Recitation des übrigen Textes abhebend, andererseits den fünfstimmig arrangirten Chören der turbae, sowie einem Eingangs- und Schlußchor gegenüberstellend. So drückte er jedem Theile seiner Passionsmusik ein individuelles Gepräge auf, obwol er ohne weitere Tonmalerei die Stimme in gemessener Ruhe harmonisch führte. Es bezeichnete ein Aufgeben des streng kirchlichen Charakters dieser Passionen, als man später von der Mehrstimmigkeit wieder zur unisonen Recitation der Reden zurückkehrte, dabei aber durch stimmungsvolle Ausbildung der Melodie und Zuhülfenahme der Instrumentalmusik in neue Bahnen einlenkte, ein Uebergang, wie er sich namentlich in den verschiedenen Passionsmusiken von Heinr. Schütz verfolgen läßt. Außer der Johannes-Passion, welche neuerdings wieder in Commer’s Orlando Lasso Bd. II und in Schoeberlein, Schatz des liturg. Chorgesangs II. S. 412–34 abgedruckt worden, hat G. noch gegen Ende seines Lebens eine ähnliche Passion nach dem Evangelium Matthäi gesetzt und zugleich mit einer Anzahl fünf- bis achtstimmiger Cantiones im Stil des Orlando Lasso 1613 herausgegeben. Weitere Erwähnung verdienen besonders seine beiden Cantionale, ein größeres („Geistliche deutsche Lieder D. Mart. Lutheri und anderer frommen Christen“, Frankf. a./O. bei Joh. Hartmann, 3 Bde., 4°., 1601–7), 355 Nummern mit 217 verschiedenen Tonsätzen enthaltend, und ein kleineres („Concentus ecclesiasticus quatuor vocum“, ebendas. 1607, 4 Stimmbb. in 12°.) mit etwa 300 Liedern. Sie sollten die seit 1552 in Frankfurt gebräuchlichen Gesangbücher aus der Eichorn’schen Officin ersetzen, deren Bestand an Liedern sie daher zum großen Theil aufnahmen und durch Hinzufügung neuer um mehr als das Doppelte erweiterten. Die Choralmelodien sind die damals gebräuchlichen; ob auch einige von G. selbst herrühren, kann bezweifelt werden; die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, war die des Tonsetzers. Dabei führte er, nach dem Vorgange gleichzeitiger Kunstgenossen, die Melodie nicht mehr im Tenor, wo sie durch die darüber und darunter sich figurativ bewegenden Stimmen gleichsam verdeckt wurde, sondern im Discant und begleitete sie einfach contrapunktisch, im großen Cantionale mit 3–4, im kleinen mit 3 Stimmen. So half er der neuen Form des kirchlichen Tonsatzes, welche der Gemeinde die Theilnahme am Gesang erleichtern sollte, die Wege bahnen; daß er dabei nicht immer den strengeren Forderungen an eine correcte Stimmführung gerecht geworden ist, hat v. Winterfeld a. a. O. an einzelnen Beispielen erörtert. Von seinen sonstigen Arbeiten, die jedoch kaum noch in wenigen Exemplaren vorhanden sind, lassen sich anführen: eine Anzahl Tonsätze für kirchlichen Chorgesang, Hochzeits- und Begräbnißgesänge, die vierstimmigen hymni scholastici (1597), deren Texte (34 lateinische, 3 deutsche) theils aus der alten Kirche, theils von Dichtern des 16. Jahrhunderts herrühren, seine „Christliche Haus- und Tisch-Musica“, 1605 (nach Paschasius Reinick v. Wusterhausen, Schul-Jungfrauen Lustgarten 1603), endlich ein theoretisches Werk zum Gebrauch für Schüler: „Synopsis musicae practicae“, 1609, mit einem Anhang von 24 lateinischen Hymnen in den verschiedenen Kirchentönen. Einige seiner Werke erschienen erst nach 1613 zum ersten Male oder in erneuten Auflagen; man hat daraus mehrfach ohne Grund auf ein späteres Todesjahr des Verfassers geschlossen. Wenn Fétis a. a. O. behauptet, daß er erst am 1. Jan. 1657 gestorben sei, so beruht dies auf einer irrthümlichen Angabe bei v. Winterfeld, Ev. Kircheng. II. S. X über die Frankfurter Sterberegister, welche nicht erst mit jenem Termin, sondern schon 1618 beginnen und des G. Namen nicht mehr enthalten.
Gesius: Bartholomäus G. (Gese, Göß), Musiker, geb. um 1560 in Müncheberg, studirte, wie auch sein jüngerer Bruder, Jacob G. (geb. 1563), anfangs Theologie in dem benachbarten Frankfurt a/O. Doch nur der letztere übernahm später ein Pfarramt in seiner Vaterstadt († 1626). G. dagegen erwählte die Musik zu seinem Lebensberufe und war eine Zeit lang im Dienste des Hans Georg von Schönaich, später in Wittenberg thätig, bis er sich dauernd in Frankfurt a./O. niederließ. Hier wird er zuerst 1595 in einem Epithalamium von- v. Winterfeldt, Evangel. Kirchengesang, 1843, I. 359–366. – Fétis, Biogr. univers. des music., 1862, III. 468. – Müller, Die musikal. Schätze der Königsberger Univ.-Bibl. 1870, S. 179. – Schwarze, Mittheilungen des historischen Vereins zu Frankfurt a. S. 1873, S. 85 u. 136–145.[1]
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 94. Z. 1 v. u.: Zu Gesius vgl. die Aufzeichnung seiner noch vorhandenen Compositionen bei Schwarze in den Mitth. des histor. Ver. zu Frankfurt a. O. 1885, S. 96 ff. [Bd. 26, S. 825]