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ADB:Ginzel, Jakob

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Artikel „Ginzel, Jakob“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 177–179, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ginzel,_Jakob&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:18 Uhr UTC)
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Ginzel: Jakob G., Maler, geb. 1792 zu Reichenberg, dort auch 1862 gestorben. – G. zählt in jene Reihe von Künstlern, die Anfang dieses Jahrhunderts in auffälliger Anzahl den nördlichen, zwischen Wald und Bergen gelegenen Gauen Deutschböhmens entwuchsen und sonderlicher Findigkeit und Ausdauer, alle gestellten Hindernisse überwindend, ihr Ziel zu erreichen wußten. Gleich der Mehrzahl von diesen nach Phantasie und Gestaltungsart Romantiker, finden wir ihn periodisch gleichwol unter den Realisten und zwar als ganz vorzüglichen Bildnißmaler. Als Tischlerssohn von vornherein für das Gewerbe des Vaters bestimmt, trotz entschiedener Gegenneigung auch bis zum „Gesellenfreispruche“ dabei gehalten; bis dahin blos heimlich in der Bodenkammer während der Feiertagsstunden mit Malen und Zeichnen beschäftigt, ergab sich erst nach dem Befreiungskriege – 1813 – zur Zeit als Wege und Stege im Lande weder mehr die freundlichen, noch feindlichen Truppen besetzt hielten, die erwünschte Freizügigkeit für den mittlerweile zur üblichen Wanderschaft fertig gestellten Handwerksburschen. Wohin es diesen dann gezogen, besagt kurzweg die Matrik der Prager Maler-Akademie, in welcher G. zum Schuljahr 1815 als Akademiker eingetragen ist. Eine hierzu gehörige Randbemerkung von der Hand Director Bergler’s lautet: „Reiste später nach seiner Vaterstadt, verehelichte sich und lebt noch stets für das Kunstfach“. – Dem in der Familie aufbewahrten Abgangszeugnisse bleibt zu entnehmen, daß G. seine akademischen Studien 1818 abschloß. Die ersten Ausführungen nach der Wiederheimkehr erweisen im allgemeinen nur den Berglerschüler mit Anhaftung aller Eigenheiten des Lehrmeisters in Form und Farbe. Allmählich erst unter Anregung einer Fülle von Aufträgen entwickelte sich G. zu originellem und bedeutendem Schaffen. Zuvörderst dürfte das Porträtiren, für das er jetzt vorwiegend in Anspruch genommen wurde, die geeignete Nachschule gewesen sein, um der akademischen Schablone ledig werden und entgegen dem eklektischen Ausklauben aus gemalten Vorbildern durch den directen Verkehr mit der Natur zu freiem künstlerischen Gestalten gelangen zu können. Bildniß um Bildniß zeigt sich denn auch gleichlaufend mit der zunehmenden Handfertigkeit, jene Auffassungssicherheit, welche seinen Gemälden den Werth getreuer Spiegelungen gibt von Leuten, wie sie damals leibten und lebten. Die Provinzstadt bot freilich nicht den gleich günstigen Boden für rasches zu Namen kommen, wie schon gewöhnlich die Hauptstädte; wenn G. dennoch unter stillem Weiterempfehlen bis 400 Porträts auszuführen [178] Gelegenheit erhielt, und eine gute Zahl davon heute noch unter die Familienpretiosen eingerechnet blieb, dann unterliegt es kaum einem Zweifel, er habe seiner Zeit genug gethan. Daß übrigens die Anerkennung in dieser Richtung sich nicht allein auf den engen Kreis von Reichenberg beschränkte, dafür spricht schon das in einem Schreiben des dem gräfl. Clam-Gallas’schen Hause attachirten Maler Jos. Quaißer gelegene Zeugniß, welcher unter dem 18. Januar 1822 der Ankunft einiger Porträts von G. auf der Prager Ausstellung gedenkt und aussagt, Director Bergler habe Angesichts derselben geäußert: „sie wären nicht nur brav, sondern sehr gut zu nennen; es wundere ihn, wie G. in seiner ländlichen Abgeschlossenheit sich also vervollkommnen konnte, um nun als fertiger Porträtmaler dastehen und allenthalben als solcher auftreten zu können“. Doch im Zusammenhang mit den Wohlstandsstörungen, von welchen die Bürgerschaft der historisch berühmten Tuchmacherstadt anläßlich der Umwandlung des Handbetriebes auf den der Maschine ums Ende der 30er Jahre betroffen wurde, mochte dann auch in der bisherigen Thätigkeit Ginzel’s eine Stauung eingetreten sein. In Folge davon dem herkömmlichen Loose des Landmalers verfallen, hieß es jetzt zugreifen, ob es ein Aushängeschild, eine Scheibe fürs Königsschießen, Dorfkirchen- oder Kreuzwegbilder zu malen galt. Glücklicherweise renovirte sich aber gerade im Gedränge mit diesem ungewöhnlichen Allerlei der ursprüngliche Romantiker. Die nächste Periode zeigt ihn vorwiegend als solchen und zwar in einem stetig frischquellenden Reichthum an Talent. Anzumerken gilt es hier noch, daß Jos. Führich in seiner Jugendzeit, ungefähr um 1815, auf Grund des in den katholischen Kreisen seiner Heimatgegend beliebten Brauches, zu Weihnachten in der Familienstube die traditionelle „Krippe“ aufzustellen, ein Kunstgenre anbahnte, das im Weiterlaufe der Jahre eine ganz merkwürdige Pflege und Ausbreitung gewann. Er hatte eben die Formel gefunden, durch welche das herzige Weihnachtsidyll sowol nach seinem dogmatischen Kerne, wie nach seiner volksthümlichen Umhüllung zur Anschauung kam und zwar mittels einer Art plastischen Panoramas. – Substituirend für plastische Gestalten, malte Führich die zu verwendenden Figuren in eigenartiger Weise mit sogenannter Deckfarbe (en gouache) auf Doppel- oder Kartenpapier; je nach den äußeren Umrissen ausgeschnitten, rückwärts mit einem Stielholze versehen, eigneten sie sich dann zu jeder beliebigen Aufstellung in Gruppen von anscheinend plastischem Gepräge. Zu allmählicher Erweiterung der anfänglich auf eine Hauptgruppe beschränkten Darstellung – der Stallhöhle mit dem in der Krippe liegenden Jesukinde, mit Maria und Joseph zu Seiten und anbetenden Hirten außenher – wuchs nach und nach um diesen Kern eine Peripherie von Berg und Thal mit Bethlehem und weidenden Heerden, mit dem obschwebenden, das gloria in excelsis auf einem Spruchbande tragenden Engel, ferner noch die Gruppe der hl. 3 Könige hinzu. Als Kunstleistung vorerst nur die primitive Aeußerung eines talentvollen Autodidacten, ging von diesen Führich-Krippen doch bald ein gleichwie heimliches Aufgebot aus an alle keimenden Talente in der Gegend. Und in der That wurde die Herstellung von Weihnachtskrippen den meisten davon zur ersten künstlerischen Versuchsstation. Anders bei G., der kunstfertiger Hand und von einer bestimmten Idee geleitet, dann in die Mitarbeit eintrat und nicht rastete, bis er die gegebene Formel zur Bedeutung eines eigentlichen Kunstwerkes erhoben hatte. Nach jahrelanger Arbeit am Ziele dieses Bestrebens, brachte er also sein, in der eben angedeuteten Weise ausgeführtes, umfangreiches, ethnographisch und biblisch correct gestaltetes „Bethlehem“ – 1839 – in Reichenberg, 1840 in Prag, zur öffentlichen Ausstellung und ehrenvollsten Beurtheilung. Wol in Folge des damit zugleich gewonnenen erhöhten Selbstvertrauens, änderte G. von da ab seinen Lebensplan. Gleichen Grades angeregt von wohlwollenden Aeußerungen [179] einiger Cavaliere, wie vom wiedergewonnenen Verkehr mit Kunstgenossen, übersiedelte er in die Landeshauptstadt. Den für alle Fälle sichernden Existenzboden sollte eine, dem vorhandenen Bedürfniß entsprechende „Allgemeine Lehranstalt für Zeichnen und Malen“ geben und mit dieser nebenbei noch für seine beiden Söhne eine Etappe geschaffen werden. Doch schon im ersten Jahre in Trauer versetzt über den Verlust des einen, hatte er bald darauf noch dem zweiten das Grab zu bestellen. Erschüttert in seiner besten Hoffnung, gramgebeugt, kehrte G. nun wieder zurück in die Vaterstadt. Bis 1853 in vollständiger Abgeschlossenheit, entzog ihn dieser auf kurz nur noch ein Mal sein Ideal – die Krippe, an deren Vervollkommnung er stille weitergearbeitet, sie mit trefflichen Gruppen von Hirten, weidendem Vieh, nebst prachtvollen Palmen vermehrt hatte. Um Weihnachten 1853 signalisirten für weithin überraschend die Wiener Journale die Anwesenheit Ginzel’s in der Residenz, wo im Montenuovo’schen Hause das „Diorama von Bethlehem“ zur Schau gestellt war. Von einem zahlreichen Publicum aus den verschiedenen und auch höchsten Kreisen besucht und gewürdigt; von der Journalistik einhellig als eine originelle Kunsterscheinung hervorgehoben, liegt das Bedeutendste, was zu Gunsten des Werkes erfolgen konnte, in der Thatsache, daß Meister Führich selber dafür die Feder ergriff. Die bezügliche Publication ist zu finden im „Oesterreichischen Volkfreund“ Nr. 102 vom 21. Decbr. 1853. Nach der einleitenden höchst sinnigen Commentirung von Idee und Anlaß der Darstellung Ginzel’s nach kirchlicher, wie culturgeschichtlicher Richtung, ist mit Beziehung auf das Formelle dann aber gesagt: „An der nördlichen Grenze Böhmens, in einer Gegend, wo der Brauch der Weihnachtskrippe mehr als in anderen Gegenden sich erhalten, unternahm es der Maler Herr Jak. G. aus Reichenberg, durch Aufstellung einer mit großer Mühe und Liebe ausgeführten Krippe unter dem Namen: „Diorama von Bethlehem“, alles Fremde, Unzukömmliche vermeidend, diesen Gegenstand seiner ursprünglichen Würde, Schönheit und rührenden Kindlichkeit wieder zuzuführen … In seiner Gemüthsrichtung diesem Gegenstande mit besonderer Liebe zugewandt, hat er, auf die katholische Residenz rechnend, eine Krippe im eigentlichen und besseren Sinne in unserer Mitte aufgestellt, und mir ist es eine wahre Freude, unsere katholischen Brüder und Schwestern darauf aufmerksam zu machen, umsomehr, als ich aus eigener Erfahrung weiß, was dieser über allen Ausdruck liebliche Brauch mir als Kind war und – ich scheue mich keineswegs es zu sagen – unter grauen Haaren noch ist“ … In seiner Bescheidenheit zufrieden, vor der Neige seines Künstlerwallens noch in der Residenz eine solche Würdigung gefunden zu haben, kehrte G. nun gerne wieder heim, um anspruchslos wie sonst sich mit der Alltagsmache des Landmalers zurechtzufinden. Die Tuchmacher-Stadt, von Periode zu Periode knapper geworden im Wohlstande der Masse, damit im allgemeinen kunstunfreundlicher, behielt nur etwa noch in den alten, kernhaften Familien ihre Kunstmäcene, die in erster Reihe dann wenigstens ihre Familienstube für Weihnachten mit einer von G. gemalten Krippe versahen. Die fernere Inanspruchnahme als Porträtmaler blieb der bereits in Concurrenz getretenen Photographie gegenüber, eine vereinzelte. Befähigt unter günstigeren Verhältnissen, sich den in erster Reihe stehenden Kunstgenossen seiner Zeit beistellen zu können, bleibt G. mindestens die Anerkennung, im beengten Rahmen seiner Stadt und seiner Zeitverhältnisse einer der würdevollsten Kunstrepräsentanten der Neuzeit gewesen zu sein, dessen Leistungen auf Dauer seinem Namen eine Ehrenstelle sichern.