ADB:Goltz, Robert Graf von der

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Artikel „Goltz, Graf Robert Heinrich Ludwig von der“ von Felix Bamberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 358–360, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Goltz,_Robert_Graf_von_der&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 15:12 Uhr UTC)
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Goltz: Graf Robert Heinrich Ludwig von der G., preußischer Diplomat, ist am 6. Juni 1817 in Paris geboren. Sein Vater, der Generallieutenant Graf Heinrich Friedrich von der G., war daselbst zu jener Zeit preußischer Gesandter und aus seiner Ehe mit einer Freiin v. Seckendorff stammt Graf Robert als zweiter Sohn. Nach dem am 13. October 1822 erfolgten Tode des Vaters kam der Knabe zunächst nach Berlin, dann auf die Ritterakademie nach Brandenburg und später auf das Friedrichs-Gymnasium nach Breslau. Er studirte in Bonn und Berlin die Rechte, bestand das erste juristische Examen und trat in die Beamtenlaufbahn, indem er im März 1839 eine Referendarstelle bei der Regierung in Stettin und später in Merseburg annahm. Nach der dritten Staatsprüfung, am 20. April 1842, zum Regierungsassessor befördert, begab er sich behufs praktischer Ausbildung während neun Monaten auf Reisen, kam anfangs 1843 zur Regierung nach Düsseldorf; aber schon im darauffolgenden Jahre trat er eine zweite Reise nach den nördlichen europäischen Ländern, [359] besonders England und den skandinavischen Staaten an, worauf er 1845 zur Regierung nach Posen versetzt wurde. Es ist für die Entwicklung dieses Staatsmannes charakteristisch, daß er auch hier dem Reise- und Wissensdrange nicht widerstehen konnte, und schon im darauffolgenden Jahre nach Spanien, Süd- und Nordamerika ging. Die damaligen preußischen Zustände waren ihm zu eng und er wollte durch Vergleichung den richtigen Maßstab für die Reform der vaterländischen Einrichtungen finden. Wie seine schon 1848 in Berlin erschienene Schrift „Ueber die Reorganisation des deutschen Bundes“ beweist, hatte er frühzeitig über Staats- und Völkerleben nachgedacht und große Veränderungen vorausgesehen, so daß die Nachricht von der Februar-Revolution, die er am 7. März auf seiner Rückreise an der englischen Küste erhielt, ihn nur bis zu einem gewissen Punkte überraschte. „Ich hatte nie daran gezweifelt“, sagte er in der genannten Schrift, „daß diese Revolution das Zeichen zum offenen, vielleicht gewaltsamen Kampfe gegen sämmtliche in Europa herrschende Regierungssysteme geben und insbesondere auch das deutsche Volk in denselben hineinziehen werde. An diese Besorgniß knüpfte sich die ermuthigende Hoffnung, daß es gelingen möchte, von dem Bestehenden die gesunden Theile zu erhalten und auf einer befestigten und verjüngten Grundlage eine kräftigere Schöpfung erstehen zu lassen.“ In diesem Satze ist die Richtung scharf ausgesprochen, welche G. während seiner späteren Laufbahn in Betreff der inneren Politik verfolgte: sie bestand in jenem freisinnigen Conservativismus, welcher, als in Preußen nach 1848 wieder eine schroffe Reaction eintrat, Vielen fast für revolutionär galt, während er den Anhängern des reinen Parlamentarismus wie ein Abfall von der Sache der Freiheit vorkam. Auch über die deutsche Frage hat G. sich in derselben Schrift in ziemlich festen Zügen geäußert. Er bezweckte, wie hier eingestanden wird, mit seiner Reise nach den Vereinigten Staaten eine Beobachtung der Wirkungen, welche die Verfassung dieses Bundesstaates in moralischer und materieller Beziehung auf seine Bürger ausübt. Diese Verfassung, meinte er, würde ohne die wesentlichsten Veränderungen für kein europäisches Land passen; aber in der politischen Organisation des nordamerikanischen Bundes fand er zahlreiche Elemente, „welche dem deutschen Boden durchaus zusagen und nur mit dem monarchischen Princip in geeignete Verbindung gebracht werden müßten, um die trefflichsten Materialien zu einem dauerhaften deutschen Verfassungsbau zu liefern.“ Das sogenannte constitutionelle System Frankreichs hielt er durch die Februar-Revolution für gerichtet und warnte vor der Verallgemeinerung desselben in Deutschland. Er sah es geradezu „als eine traurige Probe von der politischen Reife des deutschen Volkes an, daß es in dem Augenblicke, wo sich durch den Sturz Ludwig Philipps und die Proclamation der französischen Republik jenes constitutionelle System definitiv als unausführbar erwiesen, einstimmig dasselbe verlangte.“ So gleichzeitig der Reaction und dem Liberalismus die Stirne bietend, suchte G. um ein Amt in einem der preußischen Ministerien nach und gab, da dies mißlang, schon im Februar 1849 seine Entlassung, die jedoch erst am 21. Mai erfolgte. Ein Jahr später trat er freiwillig in die Verwaltung zurück und kam zu der Bundes-Central-Commission als Protocollführer, wo er sich so tüchtig erwies, daß er am 26. Juni 1850 zum Legationsrath ernannt wurde. Am 5. October d. J. mit den Residenturgeschäften bei der freien Stadt Frankfurt beauftragt, mußte G. wegen des eingetretenen Systemwechsels schon im Mai 1851 diesen Posten verlassen und wurde zur Disposition gestellt. Er trat nun offen zur Opposition über, indem er sich lebhaft an dem „Preußischen Wochenblatte“ betheiligte und auch anderwärts, namentlich im Landtage, die von der damaligen Politik eingeschlagene Richtung bekämpfte. Verschiedene Verhältnisse hatten ihm indessen eine Annäherung [360] an die Regierung zur Nothwendigkeit gemacht, so daß er im Laufe des J. 1854 die Verleihung der Ministerresidentenstelle zu Athen nachsuchte. Sie wurde ihm nicht ohne Schwierigkeiten am 2. October gewährt und G. zerfiel durch diese Rückkehr in den Dienst unter dem Ministerium Manteuffel zum Theil mit seinen Gesinnungsgenossen und namentlich mit dem Grafen Albert von Pourtalès. Am 7. Januar 1857 wurde er zum Gesandten am griechischen Hofe befördert und hiemit war sein Eintritt in die höhere diplomatische Laufbahn entschieden. Seine genaue Kenntniß der orientalischen Angelegenheiten bewirkte schon am 29. Januar 1859 seine Ernennung zum Gesandten in Konstantinopel. Nachdem er in demselben Jahre kurze Zeit den Unterstaatssecretär im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vertreten hatte, wurde er am 15. März 1862 Gesandter in Petersburg. Er hatte hier Gelegenheit, tiefere Blicke in die Politik des sich damals wieder „sammelnden“ Rußland zu thun, konnte sich aber mit dessen Bestrebungen nie recht befreunden. Auch war diese seine Stellung nur von kurzer Dauer, denn schon am 1. December desselben Jahres erfolgte seine Berufung zum Botschafter nach Paris. Hier begann seine eigentliche, in die Entwicklung der neuesten deutschen Geschichte eingreifende Thätigkeit. Napoleon III. stand auf dem Gipfel seiner Macht und Frankreichs Einfluß wuchs mit dem Zunehmen der Uneinigkeit der beiden deutschen Großmächte. Zunächst erforderte der polnische Aufstand die umsichtigste Beobachtung der französischen Politik, welche nur eine weitere Ausdehnung desselben abwartete, um thätig einzugreifen; dann galt es Frankreichs Sympathien für Dänemark zu bekämpfen und endlich bei Ausbruch des preußisch-österreichischen Krieges die „wohlwollende Neutralität“ Frankreichs zu erwirken. In der Angelegenheit der Elbherzogthümer war die französische Presse seit Jahren stark für Dänemark eingenommen und es bedurfte der äußersten Anstrengungen, um sie zu einem Umschwunge der öffentlichen Meinung, deren Macht in Frankreich sich selbst unter dem Scheinconstitutionalismus Napoleons nicht verleugnete, zu veranlassen. Die Schwierigkeiten wuchsen, als nach dem Gasteiner Vertrage die französischen Zeitungen den Kaiser Napoleon vor einer mächtigeren Nachbarschaft Preußens warnten, und es sich darum handelte, Preußens Führerschaft in Deutschland als eine durch die Entwicklung der Verhältnisse berechtigte und nothwendige darzustellen. Dieses unbedingte Vertrauen der preußischen Staatsmänner in den Beruf und die Macht Preußens hat es allein ermöglicht, daß sie, der Eine in dieser, der Andere in jener Weise, unbekümmert um die interessirten Berechnungen Napoleons III., die Paralysirung der französischen Politik bei der Lösung der großen deutschen Frage rücksichtslos ins Auge faßten. So war es gleichzeitig ein Zeichen seiner höchsten Macht und seiner ersten Niederlage, daß Napoleon III. ohne Zuziehung seines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, dem bei ihm beglaubigten preußischen Botschafter direct seine Zustimmung zu den Friedensbedingungen von Nicolsburg gab. G. durfte diese in persönlicher Unterhandlung erreichte Zustimmung des Kaisers für ein Maximum und für einen großen Erfolg halten, weil ihm durch besondere Umstände und die merkwürdigste Selbstüberwindung des Kaisers, die vollständige Entmuthigung des in all’ seinen Berechnungen Getäuschten sowie die Schwäche des damaligen Frankreich überhaupt unbekannt war. Daß nach der Klärung der Lage sein Verdienst geringer erschien, war vielleicht mehr eine natürliche, als eine gerechtfertigte Folge. Am Zungenkrebs erkrankt, unterwarf er sich in Paris mit großer Standhaftigkeit einer schmerzlichen, von dem berühmten Chirurgen Nelaton unternommenen Operation, kehrte dann, nachdem er eine Zeit lang in einem kaiserlichen Pavillon im Garten von Fontainebleau Genesung gesucht hatte, in fast hoffnungslosem Zustande nach Berlin zurück und starb am 24. Juni 1869 in Charlottenburg.