ADB:Hüsgen, Johann
[454] an die katholische Kirche zugleich der neuen Landesherrschaft bereitwillig entgegenkamen. Nicht zum wenigsten aus diesem Grunde wählte ihn 1825 nach Wiederherstellung der alten Kölner Erzdiöcese der designirte Erzbischof Ferdinand August, Graf von Spiegel, zu seinem Vertrauensmann und ernannte ihn am 1. März zum erzbischöflichen Commissar. Als solcher nahm er am 24. März 1825 im Kölner Dome Namens des Erzbischofs von der Erzdiöcese Besitz, wurde am 1. Mai bei der Wiederherstellung des Domcapitels von dem Erzbischof auch zum Domdechanten und zum Generalvikar ernannt. Ununterbrochen genoß er zehn Jahre hindurch das volle Vertrauen des Erzbischofs, führte auch nach dessen am 2. August 1835 erfolgten Tode die Verwaltung als Capitularvikar in Spiegel’s Geiste weiter fort. Auch der am 29. Mai 1836 eintretende zweite Erzbischof Clemens August von Droste-Vischering bestätigte ihn am Tage seiner Inthronisation als Generalvikar, obgleich er ihm ebensowenig wie den übrigen Mitgliedern des Domcapitels eigentliches Vertrauen schenkte. Die folgenden Streitigkeiten zwischen der Regierung und Clemens August führten auch für H. schwere Conflikte herbei. Am Tage nach der Abführung des Erzbischofs, am 21. November 1837, versammelte sich das Capitel und übernahm im Anschluß an die von dem Minister Altenstein in einem Schreiben vom 15. November ausgesprochenen Ansichten die Verwaltung der Erzdiöcese. Man berief sich dafür auf eine Dekretale Bonifaz’ VIII. (cap. 3 in VIto de supplenda negligentia praelatorum I. 8), nach welcher, falls ein Bischof von Heiden oder Schismatikern – gefangen fortgeschleppt wird, das Capitel, als wenn er gestorben wäre, die Verwaltung der Diöcese übernehmen soll. Tags darauf wurde dem Papste von diesem Schritte Meldung gemacht, unter Beifügung einer Anzahl schwerlich unbegründeter, aber gewiß unzeitiger Klagen über den gefangenen Erzbischof. Zugleich kündigte man an, daß nach den Vorschriften des Concils von Trient (Sess. XXIV, cap. 16 de ref.) innerhalb acht Tagen die Wahl eines Capitularvikars erfolgen werde, eine Wahl, die am 27. November einstimmig auf H. fiel. Daß die königliche Bestätigung alsbald erfolgte, begreift man leicht; länger ließ die Antwort des Papstes sich erwarten. Es bestand damals noch die Vorschrift, daß die gesammte Correspondenz der Bischöfe mit dem Papste ausschließlich über Berlin durch das preußische Ministerium und die Gesandtschaft in Rom vermittelt wurde. Auf die Mittheilung vom 22. November 1837 erhielt das Domcapitel erst am 6. Februar 1838 die vom 26. December 1837 datirte päpstliche Antwort. Der Papst führte Klage über die Art, in welcher das Capitel gegen den gefangenen Erzbischof sich ausgesprochen hatte, ließ aber die Uebernahme der Verwaltung unberührt, und das Capitel glaubte darin eine stillschweigende Billigung seines Verfahrens finden zu dürfen. Immer fehlte aber jede Anerkennung und Vollmacht für den Capitularvikar. Das Gesuch Hüsgen’s, in welchem er am 5. December 1837 dem Papste von der geschehenen Wahl Mittheilung machte, wurde, wie sich später herausstellte, erst am 7. April 1838 in Rom übergeben. Als H. am 10. Februar die Fastenordnung für das folgende Jahr erließ, unterzeichnete er zwar als Capitularvikar, war jedoch genöthigt, auf die von dem gefangenen Erzbischof ihm ertheilten Vollmachten als auf den Grund seiner Berechtigung hinzudeuten. Aber ein beträchtlicher Theil des Klerus zeigte offenes Mißtrauen; man zweifelte an der Gültigkeit des Erlasses, und ein Pfarrer wandte sich um Auskunft an den Geschäftsführer der päpstlichen Nuntiatur in Brüssel, einen Abbate Spinelli. Gleich am 12. März erließ dieser eine ebenso unpassende als voreilige Erklärung. Hüsgen’s Wahl, hieß es, sei im Widerspruch gegen die Kirchengesetze ohne päpstliche Genehmigung erfolgt, von den angeblich durch den Erzbischof subdelegirten Vollmachten nichts bekannt, die Fastenordnung ungültig. Diese Erklärung wurde zuerst heimlich, bald öffentlich verbreitet und mit einem, dem Inhalt nach bekannt [455] gewordenen Schreiben des Cardinalstaatssecretärs Lambruschini vom 27. Februar zusammengestellt, welches freilich nur besagte, daß der Papst noch nichts gethan habe, was die Gutheißung der Wahl eines Capitularvikars zu erkennen gebe. H. sah sich dadurch veranlaßt, in einem Rundschreiben an die Landdechanten und in einem öffentlichen Erlaß vom 22. März ausdrücklich die vom Erzbischof schon am Tage der Inthronisation, am 29. März 1836, vollzogene Subdelegation der Quinquennal-Facultäten hervorzuheben, und das Domcapitel suchte am 29. März 1838 nochmals in einem ausführlichen Schreiben an den Papst die Uebernahme der Diöcesanverwaltung und die Wahl eines Capitularvikars zu rechtfertigen. Man konnte sich in der That auf angesehene Canonisten, Ferraris, Wiestner, Leurenius, Reiffenstuel dafür berufen, daß die Gefangenschaft eines Bischofs dem bürgerlichen Tode gleich zu achten, und daß in Folge dessen das Capitel zur Verwaltung berechtigt sei. Gleichwol muß die Anwendung der angeführten Dekretale Bonifaz’ VIII. auf den vorliegenden Fall unstatthaft erscheinen. Denn zunächst ließ sich die preußische paritätische Regierung nicht als heidnisch oder schismatisch bezeichnen. Dann hatte schon die Congregation des Concils am 7. August 1683 in einer auf Irland bezüglichen Entscheidung ganz im Sinne der Dekretale ausgesprochen, daß die Verwaltung des Capitels nur dann eintrete, wenn der gefangene Bischof von jedem, auch von dem brieflichen Verkehr mit seiner Diöcese ausgeschlossen sei. So war es noch im J. 1811 nach der Gefangennehmung des Bischofs von Troyes durch Napoleon gehalten, als auf Anordnung Pius’ VII. der bischöfliche Generalvikar im Amte blieb. – Das Schreiben des Capitels wurde Ende April dem Papste übergeben und nun erfolgte am 9. Mai eine sehr vorsichtig gehaltene Antwort. Gregor XVI. erklärte die Behauptungen Spinelli’s als beinah in allen Punkten dem päpstlichen Stuhle fremd. Auch über die Rechtsfrage: die Uebernahme der Diöcesanverwaltung, will der Papst sich „absichtlich eines Urtheils enthalten, weil er die thatsächlichen Umstände, von denen die gesetzliche Entscheidung abhänge, nicht hinreichend untersuchen könne.“ Thatsächlich lag freilich die Entscheidung darin, daß H. zwar die Verwaltung der Diöcese behalten sollte, aber nicht kraft der Vollmacht und nicht als Vikar des Capitels, sondern, wie vordem, als Generalvikar des Erzbischofs. Bei allen Amtshandlungen soll er den letzteren Titel führen und bei jedem Gebrauch der Quinquennal-Facultäten ausdrücklich die Subdelegation durch den Erzbischof erwähnen; außerdem genau nach den Vorschriften der Bulle vom 26. September 1835 über die Hermesische Lehre und das Breve vom 25. März 1830 über die gemischten Ehen sich verhalten. Nach diesen Grundsätzen führte denn auch H. in den folgenden Jahren die Verwaltung. Das gedruckte Directorium für die Erzdiöcese unterzeichnet er am 20. Juli 1838 als Generalvikar des Erzbischofs Clemens August. Noch in demselben Jahre nahm auch die preußische Regierung das Breve über die gemischten Ehen wieder als Grundlage an. – In einem Schreiben an den Papst vom 19. December 1837 rühmt das Capitel den Vikar wegen seiner Geschäftskenntniß, seines frommen Wandels, seiner milden und billigen Gesinnungen. Dieses Lob scheint durchaus verdient, wenn man auch besonders hervorragenden Fähigkeiten bei H. nicht begegnet. Nicht er war der eigentliche Leiter des Capitels, sondern der spätere Dompropst Nicolaus München, der denn auch die wissenschaftliche Rechtfertigung desselben übernahm. Hüsgen’s Tod erfolgte am 23. April 1841. Geordnete Zustände waren damals noch nicht wieder hergestellt, aber die Verhandlungen zwischen Staat und Kirche soweit gediehen, daß sie sichere Hoffnung auf baldige Einigung eröffneten. Der Papst ernannte einstweilen aus eigener Machtvollkommenheit einen Administrator der Diöcese. Als solcher fungirte der Domherr Dr. Jacob Iwen bis zum Antritt des Coadjutors Johannes von Geißel am 4. März 1842.
Hüsgen: Johann H., Generalvikar der Kölner Erzdiöcese, wurde am 5. September 1769 in dem rheinischen Dorfe Giesenkirchen bei Gladbach geboren, betrieb von 1780–1787 in Köln auf dem Montaner-Gymnasium die Humanitätsstudien, wurde zum Doctor der Philosophie promovirt und studirte Theologie auf der im J. 1784 errichteten Universität Bonn. Am 22. September 1792 zum Priester geweiht, wurde er wenig später Schulvikar in seinem Heimathsdorfe, 1797 Pfarrer in Ober-Dollendorf bei Bonn, dann in Himmelgeist bei Düsseldorf, endlich in Richterich bei Aachen. Seine wissenschaftliche Bildung, verbunden mit der Neigung für das Schulwesen, bewirkte, daß er 1816 als Consistorialrath, d. h. Regierungs-Schulrath bei der preußischen Regierung in Aachen eine Anstellung erhielt. Am 9. Januar 1820 wurde er durch einstimmige Wahl des Capitels zum Ehrendomherrn des aus napoleonischer Zeit noch fortbestehenden Bisthums Aachen erhoben und am 8. April desselben Jahres eingeführt. H. gehörte zu den damals nicht seltenen Geistlichen, welche bei treuer Anhänglichkeit- [456] Der Todtenzettel. Hüffer, Forschungen auf dem Gebiete des französischen und rheinischen Kirchenrechts, Münster 1863; Das Metropolitan-Domcapitel zu Köln in seinem Rechte, Köln 1838 (anonym, in der That von München) und andere Schriften über den Kölner Kirchenstreit.