ADB:Harrach, Aloys Graf von
Ferdinand Bonaventura H. (geb. 1637, † 1706), (s. den bez. Artikel). Im September 1694 kam H. – damals schon Reichshofrath und Kämmerer des römischen Königs Josef I. – nach Dresden, wo er als kaiserlicher Gesandter am kursächsischen Hofe die Verhandlungen pflog, welche zum Abschlusse des Dresdener Recesses vom 13. April 1695 führten, demzufolge der Kurfürst das Obercommando der kaiserlichen Hauptarmee in Ungarn erhielt und dafür einen Theil der stipulirten Subsidien cedirte. Im Frühjahre 1696 aus Dresden zurückgekehrt, sollte er alsbald Gelegenheit finden, seine diplomatische Befähigung auf einem schwierigeren Posten zu erproben. Die Mutter des Königs von Spanien, Maria Anna – die Schwester Leopolds I. – war am 16. Mai 1696 gestorben. H. wurde ausersehen als außerordentlicher Botschafter, die kaiserlichen Beileidsbezeugungen an den spanischen Hof zu überbringen. Im October 1696 traf er in Madrid ein. Nicht ohne Geschick entledigte er sich des neben jenem ostensiblen gleichzeitig erhaltenen geheimen Auftrages: die maßgebenden Persönlichkeiten und die Verhältnisse am spanischen Hofe zu beobachten und sich über den Stand der Verhandlungen in der Erbfolgeangelegenheit zu unterrichten. In den letzten Tagen des Juni verließ er Madrid. Als Ueberbringer eines eigenhändigen an den Kaiser gerichteten königlichen Schreibens, dem große Wichtigkeit beigelegt wurde, beschleunigte er seine Reise, so daß er schon Ende Juli 1697 in Wien anlangte. Es war ihm gelungen, die Königin – bekanntlich eine Schwester der Kaiserin Eleonore – von seiner unbedingten Ergebenheit zu überzeugen und durch seine gefälligen Manieren sich ihr angenehm zu machen. Deshalb wählte man ihn zum definitiven Nachfolger seines Vaters. Man setzte voraus, daß er am spanischen Hofe besonders beliebt und daher ganz geeignet sei, den damals scheinbar maßgebenden Einfluß der Königin dem österreichischen Interesse zu gewinnen. Am 9. October 1698 verließ Harrach’s Vater Madrid. Er selbst blieb als kaiserlicher Botschafter am spanischen Hofe zurück. Den Weisungen seines Hofes gemäß beobachtete er anfangs eine blos zuwartende Haltung. Die Königin wurde vom französischen und baierischen Intriguenspiel wechselvoll umgarnt. Ihre Beziehungen zum kaiserlichen Hofe wurden allmählich gespannter und Harrach’s Einfluß bei ihr sank stetig. Ende 1699 unterlag die französische der baierischen Partei. Am 14. November erklärte Karl II. den baierischen Kurprinzen zum Thronerben. Vor H. wurde das Testament verheimlicht; die Königin läugnete geradezu dessen Existenz. H. durchschaute aber gar wohl, daß man ihn mit Schmeichelreden nur täuschen, durch Vertröstung auf bessere Zukunft nur Zeit gewinnen wolle. „Jung und lebhaft“ ließ er sich zu unehrerbietigen und heftigen Vorwürfen gegen die Königin, zu Drohungen gegen ihre Vertraute, die Gräfin Berlepsch, hinreißen. Er beschwor den Kaiser die Gegenpartei der Königin zum Bundesgenossen zu werben. Man ging darauf nicht ein. Sein Versuch, sich dem französischen Botschafter Harcourt freundschaftlich zu nähern, hatte nicht den geringsten Erfolg. Den 17. Februar 1699 kam die unerwartete Kunde von dem plötzlichen Hinscheiden des zum spanischen Thronfolger bestimmten baierischen Kurprinzen nach Madrid. Sie gab Harrach’s diplomatischer Thätigkeit neuen Impuls. Hatten schon früher seine Vorwürfe die Königin gegen ihn aufgebracht, so entfremdete ihm nun sein Drängen wegen Abfassung eines dem Erzherzoge Karl günstigen Testamentes den König. Mit kluger Berechnung hatte Ludwig XIV. dies vorausgesehen und seinem Botschafter Harcourt größte Zurückhaltung aufgetragen. Der Sturz Oropesa’s und die Erhebung Portocarrero’s – im April 1699 die schwere Erkrankung des Königs – alles förderte die französischen Pläne. Aber auch H. war nicht müssig. Unterstützt [628] und getrieben von Legañez hatte er in seinen Audienzen bei dem Könige Veränderungen in der Regierung das Wort geredet und die immer lauter werdenden Gerüchte über einen neuen Theilungsvertrag im Interesse des Erzherzogs Karl mit Eifer ausgebeutet. Er betheuerte den festen Entschluß des Kaisers: keinen Theilungsvorschlägen Gehör schenken, vielmehr mit ganzer Macht für die Untheilbarkeit der spanischen Monarchie eintreten zu wollen. Im Mai 1700 erhielt die spanische Regierung die officielle Mittheilung von dem Abschlusse des zweiten Theilungsvertrages. Nun schien der König unwandelbar entschlossen, sich von der deutschen Linie seiner Familie nicht zu trennen und um jeden Preis die Ausführung des Theilungsvertrages zu hindern. H. hatte sich mittlerweile auch der Königin wieder genähert. Sie und auch der Beichtvater des Königs schienen dem Erzherzoge Karl günstig gestimmt zu sein. Ende September meldete H., die Königin habe bereits ein Testament aufgesetzt, welches den Erzherzog zum Erben der spanischen Gesammtmonarchie bestimme, der König aber dessen Unterschrift versprochen. Doch schon bereitete sich der verhängnißvolle Umschwung vor, der zum gänzlichen Siege der französischen Partei führen sollte. Der Beichtvater des Königs war von ihr gewonnen worden. In der ersten Woche des October durchschwirrten bereits Gerüchte die ganze Stadt: Karl II. habe den Enkel Ludwigs XIV. zum Thronerben bestimmt. H. wurde weder beim Könige noch bei der Königin vorgelassen. Noch gab er nicht alle Hoffnung auf, doch berichtete er am 6. October seinem Hofe die Befürchtungen und Besorgnisse, welche ihn erfüllten. Am 1. November starb Karl II. Er hinterließ die Monarchie den Bourbonen. H. trat gegen das Testament Karls II. und die Thronbesteigung Philipps mit einem feierlichen Protest auf, der nachträglich vom Kaiser genehmigt und mit der kaiserlichen Bestätigung versehen, noch einmal veröffentlicht wurde. H. aber entfernte sich aus Spanien. Nach dem Tode des Grafen Otto von Abensberg-Traun wurde H. Landmarschall und Landesoberster in Niederösterreich. Im Juni 1711 schickte ihn – der mittlerweile geheimer Rath und Ritter des goldenen Vließes geworden war – die Kaiserin Marie Eleonore an den König von Polen als Kurfürsten von Sachsen, den König von Preußen als Kurfürsten von Brandenburg und an den Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg. H. sollte denselben die Trauernachricht von dem Tode des Kaisers Josef I. überbringen und zugleich die Stimmen der genannten drei Kurfürsten dem zweiten Sohne der verwittweten Kaiserin, dem Könige Karl III. von Spanien, sichern. Im J. 1728 zum Vicekönige von Neapel ernannt, bildete H. durch die Pünktlichkeit, mit welcher er in dieser Stellung die Anordnungen des Prinzen Eugen von Savoyen vollzog, einen wohlthuenden Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem Grafen Althann. Er ließ zunächst die Befestigungswerke von Capua und Reggio ausbessern und traf alle nöthigen Vorkehrungen zur Vertheidigung des Königreichs. Mit dem ihm zur Seite stehenden Feldmarschalle Grafen Caraffa und den übrigen kaiserlichen Generalen pflog er das beste Einvernehmen und befürwortete in Wien die Annahme des von Caraffa zur Vertheidigung des Landes ausgearbeiteten Planes. Unablässig war er bestrebt, für die erforderlichen Geldmittel zu sorgen, Kriegsbedürfnisse jeder Art beizuschaffen. Harrach’s rastloser Eifer für den Dienst seines kaiserlichen Herrn, seine unermüdete Sorgfalt für das Wohl des ihm anvertrauten Königreichs, sein angemessenes bescheidenes Benehmen fand die ehrenvollste Anerkennung von Seiten des Prinzen Eugen, der ihn dem Kaiser in der Weise anrühmte, wie es seine „nicht genug zu lobende Aufführung“ verdiente. Im J. 1733 verzichtete H. auf seine Statthalterschaft in Neapel eben noch zu rechter Zeit, um die unglücklichen Ereignisse in jenem Königreiche nicht mit ansehen zu dürfen. Im Jahre [629] 1734 Conferenz-Minister geworden, unterzeichnete H. zu Wien am 18. Novbr. 1738 den definitiven Frieden zwischen dem Kaiser und Frankreich. Mit dem Conferenz-Minister Starhemberg begünstigte er die in den letzten Monaten der Regierung Karls VI. sich anbahnende Annäherung zwischen Oesterreich und England. An der ersten Sitzung der geheimen Staatsconferenz. welche Maria Theresia nach dem Tode ihres kaiserlichen Vaters am 21. October 1740 besuchte, nahm er Theil und erschien bei der Erbhuldigung als Haupt der niederösterreichischen Stände. Im J. 1741 neigte er sich der Meinung Sinzendorf’s zu, sich mit König Friedrich zu vergleichen und durch Abtretung eines Theiles von Schlesien größere Verluste von Oesterreich fern zu halten. Er starb zu Wien am 7. November 1742. Zumeist genannt und bekannt wurde Harrach’s Name durch seine Sendung nach Madrid, seine Theilnahme an den Verhandlungen in der spanischen Successionsfrage. Seine Lorbeeren pflückte er aber eigentlich doch nicht auf diplomatischem Gebiete. Seine Begabung wies ihn vielmehr auf das Gebiet der inneren Staatsverwaltung, wie uns dies die Jahre seiner Statthalterschaft in Neapel beweisen. Er bot alle seine Kraft auf, scheute keine Anstrengung und rechtfertigte das bei Verleihung dieses wichtigen Postens in ihn gesetzte Vertrauen. „Er verstand es, seine Stelle gleichmäßig zur Zufriedenheit des Kaiserhofes, wie zum Wohle des ihm anvertrauten Landes auszufüllen.“ Harrach’s Wittwe[1] starb am 30. Januar 1745.
Harrach: Alois Thomas Raimund Graf H., geboren 7. März 1669 als dritter Sohn des Grafen- Mit Benutzung von Acten des k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien. Ferner: Alfred Arneth, Prinz Eugen von Savoyen (Wien 1858). – Wurzbach, Biogr. Lex. VII. Bd. S. 372 (mit Litteraturangabe). – Arneth (Alfred Ritter v.), Maria Theresia’s erste Regierungsjahre (Wien 1863–65), 3 Bde. – Gaedeke, Arnold, Die Politik Oesterreichs in der spanischen Erbfolgefrage, 2 Bde. (Leipzig 1877).
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 629. Z. 20 v. o. l.: H.’s Wittwe Marie Ernestine. [Bd. 11, S. 795]