ADB:Hartig, Franz Graf von (österreichischer Staatsmann)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hartig, Franz Graf von“ von Johann Baptist von Hoffinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 654–657, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hartig,_Franz_Graf_von_(%C3%B6sterreichischer_Staatsmann)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 00:31 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 10 (1879), S. 654–657 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz von Hartig in der Wikipedia
Franz von Hartig in Wikidata
GND-Nummer 116490691
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|10|654|657|Hartig, Franz Graf von|Johann Baptist von Hoffinger|ADB:Hartig, Franz Graf von (österreichischer Staatsmann)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116490691}}    

Hartig: Franz Graf von H., Staatsmann, einer der edelsten, geistreichsten und verdientesten Männer, die seit Maria Theresia ein österreichisches Staatsamt bekleideten. Geboren den 5. Juni 1789 zu Dresden, wo sein Vater, der als Liebling der großen Kaiserin und Freund Josefs II., als Diplomat, Gelehrter, Humanist und geschmackvoller Schriftsteller rühmlich bekannte Graf Franz de Paula (s. o.) damals Gesandter war. Die Familie stammt aus Schlesien, ist seit 200 Jahren in Böhmen ansässig und reich begütert. Graf Franz erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung, nach deren Vollendung er in den Staatsdienst trat. Hier zog er durch seine seltene Begabung, seinen Eifer und sein frisches lebendiges Wesen die Aufmerksamkeit des Ministers Grafen Saurau auf sich und durchflog rasch die unteren Stufen des politischen Dienstes. Schon 1819 ist er Hofrath und Referent der Hofkanzlei und 1825 überträgt Kaiser Franz, der erfahrene Menschenkenner, dem jungen Mann das Gubernium von Steiermark. Hier wirkte er im Verein mit Erzherzog Johann erfolgreich für die materielle und geistige Hebung des bis dahin zurückgebliebenen Landes und Volkes. Als 1830 die Pariser Revolution halb Europa in Gährung versetzte, zeigten sich auch in der Lombardei bedenkliche Spuren nationaler Aufregung; [655] da wurde H. Gouverneur und in wenigen Monaten war das Land beruhigt. Er gab dem gelockerten Verwaltungsorganismus durch strenge Disciplin, Entfernung unverläßlicher, Anstellung erprobter Beamten festen Halt, zeigte, daß die Regierung klar wisse, was sie wolle und das dazu Nöthige auch durchzuführen verstehe, imponirte damit und zog die Bevölkerung zugleich an, indem er kleinliche nur Furcht verrathende Polizeimaßregeln abstellte, den um geringer Vergehen oder bloßen Verdachtes wegen Inhaftirten die Kerkerthüren, den aus Furcht Entflohenen die Heimath wieder öffnete und selbst viele schwer Compromittirte gegen das einfache Ehrenwort nicht mehr zu conspiriren, frei und unbehelligt ihren Kreisen wiedergab. Dabei sorgte er in jeder Weise für die materielle Entwicklung des gesegneten Landes namentlich durch großartige Institutionen im Communicationswesen, und kam dem Ehrgeiz der Bildung und dem Kunstsinn der Lombarden durch Neugründung wissenschaftlicher und Kunst-Institute, durch zahlreiche Aufträge an Künstler und Gelehrte und dergleichen entgegen. Als 1836 bei Ausbruch der Cholera in Mailand eine allgemeine Panique die Bevölkerung ergriff, gab H., obwol selbst leidend, das Beispiel der Unerschrockenheit. Er eilte selbst in das am stärksten ergriffene Versorgungshaus pio luogo de Triulzio, zwang hochstehende Curatoren der Anstalt, die sich feige zurückzogen, ihr Ehrenamt niederzulegen, sah persönlich nach den Kranken und bewirkte so durch sein Auftreten, daß die Furcht und damit die Seuche selbst in Kürze verschwand. Die Lombardei war damals nicht blos das bestverwaltete Land Italiens, sondern auch der Monarchie; ein Mann wie Cobden z. B. fand dafür nicht genug des Lobes und selbst Historiker wie Reuchlin schreiben noch heute das Verdienst darum dem Grafen H. zu, denn Oesterreich habe seit 1814 keinen Bürger in Italien gehabt, der dem Staate und dem Lande so viel genützt hätte wie dieser (Geschichte Italiens, 1860, II. Bd. 164. S.). Daher war der Jubel der Bevölkerung bei der Krönung in Mailand 1838 wahr und ungeheuchelt und es hätte vielleicht nur geringer Concessionen bedurft, um sie dauernd an Oesterreich zu knüpfen. H. wurde jedoch 1840 in den Staatsrath nach Wien berufen und, bald zum Staats- und Conferenzminister ernannt, mit der Direction der politisch finanziellen Abtheilung des Staatsrathes betraut. In dieser Stellung förderte er namentlich die großen wirthschaftlichen Reformen des Hofkammerpräsidenten Freiherrn v. Kübeck und zwar besonders die Entwicklung des Staatseisenbahnwesens, sowie eine rationelle Zollpolitik, wenn auch der Zollanschluß an Deutschland durch die Rücksichten auf Ungarn verhindert wurde. Die Emancipationsbestrebungen einiger ständischer Körperschaften fanden an H. einen entschiedenen Gegner, weil sein scharfes Auge hinter dem Mantel des Volkstribunen den feudalen Pferdefuß entdeckte und die Erfahrungen in Ungarn von der einseitigen Stärkung einzelner Landesrepräsentationen nur die bedenklichste Steigerung der Centrifugalkraft besorgen ließen. Daher warnte H. auch mit prophetischem Geiste vor der bei der Wahl des neuen Palatins beliebten Ausdehnung der Machtbefugnisse desselben. Allein die Centralregierung, welche durch die Einfügung eines neuen Gliedes: der Staatsconferenz, an Beweglichkeit nichts gewonnen hatte, sondern trotz Hartig’s Bemühungen immer mehr in Bedenklichkeiten und ängstlicher Allesregiererei sich verlor, hatte nachgerade mit der Thatkraft alles Ansehen, in ihrer Manie Alles zu regieren jede wirkliche Thatkraft eingebüßt und so war sie auch gegen die bedenkliche Strömung, die namentlich, im Osten der Monarchie um sich griff, widerstandslos geworden. So war die abschüssige Bahn betreten, auf welcher die veraltete Regierungsmaschine hinabrollte, um plötzlich wie von einem Bergsturz verschüttet zu werden. Staatsrath und Staatsconferenz wurden weggeschwemmt, und auch H., die ungehörte Kassandra, theilte das Loos der alten Regierung. Er zog sich ins Privatleben zurück. Nur einmal wollte sich das Ministerium Pillersdorff seiner [656] bedienen, um die insurgirten italienischen Provinzen zum Gehorsam zurückzuführen; allein die Dinge waren zu weit fortgeschritten und die Nachbarstaaten zu feindselig oder zweideutig, als daß eine friedliche Mission hätte Erfolg haben können. Als jedoch nach Wiedereroberung des Landes ein kaiserliches Manifest die Lombardo-Venetianer unter Zusage einer geeigneten Verfassung zu Gehorsam und Treue aufforderte, glaubte H. seinen auf genaue Landes- und Volkskenntniß gegründeten Rath nicht zurückhalten zu dürfen. Mit der Brochüre „Das kaiserliche Manifest vom 26. September 1848 oder freimüthige Bemerkungen über die österreichische Herrschaft im lombardo-venetianischen Königreich“ (Prag, 1848) betrat H. das publicistische Gebiet. Mit männlichem Freimuth verwahrt er die österreichische Regierung gegen den Vorwurf, daß sie jemals beabsichtigt habe, die italienische Nationalität zu unterdrücken; wol aber gibt er zu, daß sie das Nationalgefühl mehrfach unklug verletzt habe, namentlich durch die Anstellung von Nicht-Lombarden und zwar von allzuvielen damals dort mehr als die Deutschen verhaßten Südtirolern, durch die im ganzen Reiche eingerissene Uniformirungsmanie, welche die National- und Localverhältnisse nicht berücksichtigt und damit besonders im Unterrichtswesen selbst störend in die Familienkreise und Gewohnheiten eingriff, durch das ungerechtfertigte hochmüthige Benehmen deutscher Beamten gegen die meist mindestens ebenso gebildeten Lombarden u. dgl. m. Er empfahl daher eine möglichst nationale Verwaltung, Autonomie in reinen Landesangelegenheiten durch Ausdehnung der italienischen Communalverfassung und Vertretung des Landes im Reichsrathe bei allgemeinen Reichsangelegenheiten; nur sollte den Italienern darin der Gebrauch ihrer Sprache zugestanden werden. Bekanntlich ließen es die Ereignisse lange zu keiner organisatorischen Thätigkeit kommen; Wiederherstellung der äußeren Ruhe war die Parole des Tages, und, als sie gelungen war, die Geneigtheit zu verfassungsmäßiger Organisirung überhaupt verschwunden. H. hatte aber indeß nicht gefeiert, sondern in dem rasch berühmt gewordenen Werke „Genesis der Revolution in Oesterreich“ mit männlichem Freimuthe die Mängel der alten Regierung aufgedeckt und in einer sich anschließenden Schrift, „Nachtgedanken des Publicisten Gotthelf Zurecht“, bereits mit banger Sorge um die Zukunft des Reiches, die Ideen zur verfassungsmäßigen Organisation desselben auf Grundlage der Einheit und Interessenvertretung dargelegt. Diese Rathschläge theilten das Schicksal der früheren und H. blieb fortan in stiller Zurückgezogenheit, bis er auf den Wunsch des ihn hochverehrenden Finanzministers Freiherrn v. Bruck an die Spitze der zur Regelung der directen Steuern eingesetzten Immediatcommission gestellt wurde. Die weit vorgeschrittenen Arbeiten derselben gingen bei Wiederherstellung der Volksvertretung an diese über. Nach der Katastrophe von 1859 wurde H. als einer der ersten in den verstärkten Reichsrath berufen, welcher die Reorganisation des erschütterten Staatswesens berathen sollte. Hier zeigte sich der Graf als Parlamentarier ersten Ranges; keine wichtige Frage wurde verhandelt, ohne daß er mit dem reichen Schatze seiner Erfahrungen und seines vielseitigen Wissens Klarheit in dieselbe gebracht hätte. Vor allem war es aber die künftige politische Organisation des Reiches, über die er sich mit einem Freimuthe aussprach, welche einen der ersten Feudalen verleitete, seine Loyalität in Frage zu stellen, ein Angriff, den H., der sonst so ruhige Redner, mit jugendlichem Feuer und dem heiligen Zorne eines seiner hundertfältig erprobten Treue vollbewußten Patrioten zurückwies. Bekanntlich sonderte sich die Versammlung, die wie alle solche Körperschaften in stürmisch bewegten Tagen nur scharfe Parteistellung zuließ, in eine Majorität, welche auf föderalistische, und in eine Minorität, welche auf centralistische Reichsorganisation hinstürmte. Der erfahrene H., welcher einerseits die mehr als hundertjährige Unificationsarbeit der bedeutendsten österreichischen Regenten und Staatsmänner [657] nicht Preis geben wollte und anderseits die historische Berechtigung der Länder und daher die Unanwendbarkeit centralistischer Schablonen nicht verkennen konnte, schloß sich keiner dieser Parteien an, sondern bezeichnete, von dem Standpunkte der Reichseinheit ausgehend, Reichsgesetzgebung und Reichsbürgerthum, Reichscentralorgan und Interessenvertretung als die unumgängliche Vorbedingung jeder einige Dauer verheißenden Staatsorganisation. Das Octoberdiplom mit seinen unklaren reichsräthlichen Competenzbestimmungen wurde weder diesen Anforderungen gerecht, noch befriedigte es irgend eine Partei; die einen bekamen nicht, was, sie wollten, die andern wußten nicht, was sie eigentlich bekamen. Erst die Februarpatente, indem sie wenigstens für Cisleithanien ein auf Interessenvertretung beruhendes Parlament ins Leben riefen und den Ungarn den Eintritt in eine weitere Reichsvertretung offen hielten, eröffneten einen Boden, auf dem sich weiter bauen ließ. H., zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses ernannt, nahm davon sofort Besitz und sagte dem Ministerium seine Unterstützung zu, weil es „aus den Octobernebeln herausgeführt“ habe. Er wurde so recht Herold und Bannerträger der Gesammtstaatsidee, die seine ganze Seele erfüllte, und ermüdete nicht den Ländern zu beweisen, daß auch ihre berechtigten Sonderinteressen dauernde Berücksichtigung nur im Reichsverbande finden können. Den Ungarn goldne Brücken bauen zu helfen, war er gerne bereit; das hielt ihn aber nicht ab, ihnen bei chauvinistischen Ausschreitungen, wie der bekannten zurückgewiesenen Adresse, zuzurufen, daß sie „zur Besinnung gebracht werden“ müssen. Obwol Aristokrat und auf die Bewahrung dieser Eigenschaft als Theil seines Besitzthums sorgfältig bedacht, erwies er sich doch dem als gleichberechtigt anerkannten Abgeordnetenhause stets entgegenkommend und wo es sich nur um Details der Ausführung gemeinschaftlich festgestellter Grundsätze handelte, nachgiebig. Immer war er auf Herstellung brüderlichen Einvernehmens bedacht und es ist die Frage, welche Wendung die Dinge genommen hätten, wenn sein kluger, von Allen mit Achtung vernommener Rath dem Hause länger erhalten geblieben wäre. Allein mitten unter den Verfassungskämpfen nahm ihn am 17. Januar 1865 nach kurzem Leiden der Tod hinweg. Alle Kreise nahmen die Nachricht seines Hinscheidens mit dem Gefühle, daß in schwerster Zeit der Staat einen seiner verdientesten treuesten Diener, ja eine wahre Stütze, die Bevölkerung einen der edelsten Mitbürger, die Menschheit eine ihrer Zierden verloren habe. Der Kaiser hatte seine Brust mit dem Sterne des Leopolds– und des Eisern-Kron-Ordens geziert und ihm schließlich als Zeichen der höchsten Anerkennung auch das goldene Vließ verliehen. Den auch im Privatleben, für seine Familie, Freunde und einstigen Unterthanen unvergeßlichen Ehrenmann überlebte die geistesverwandte Gattin geb. Gräfin Grundemann, welche 56 Jahre der glücklichsten Ehe mit ihm verbracht hatte, und zwei Söhne, deren zahlreiche Nachkommenschaft den Bestand des edlen Hauses sichert.

Außer den im Texte citirten und den Schriften Hartig’s insbesondere noch Ad. Schmidt, Zeitgenössische Geschichten, 1859, S. 525–547; Fh. v. Czörnig in der A. A. Z., 1865, Beil. 28. 29. 30, und in der Oesterreich. Revue, 1865, 3. Bd. Oesterr. Ehrenhalle, III., 1865, S. 23 u. ff. Oesterr. National-Encyklopädie, 2. Bd., S. 514 u. ff. v. Wurzbach, Biogr. Lexikon, 7. Bd., S. 399 u. ff. Verhandlungen des verstärkten Reichsrathes, 1860, I. u. II. Bd. Stenographische Berichte des österreichischen Herrenhauses, I., II. und III. Session u. s. w.